Einleitung
Die Entwicklungshilfe ist in den Vereinigten Staaten aus dem Schatten der Außenpolitik herausgetreten. Schon in ihren Anfängen hat sie im Dienste außenpolitischer Ziele gestanden. In einer ersten Welle hat die Auslandshilfe den Wiederaufbau Europas und Asiens nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vorangetrieben, in einer zweiten die Transformation der Reformstaaten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gefördert und in einer dritten, noch andauernden Phase Entwicklung und Demokratie in der Dritten Welt unterstützt.
Welches sind die politischen Grundlagen der amerikanischen Entwicklungspolitik in der Gegenwart? Und inwiefern ist diese Politik historisch vorgeformt? Lassen sich neue Perspektiven erkennen? Bei der amerikanischen Entwicklungshilfe stehen sechs Ziele im Vordergrund, von denen die ersten drei bereits seit etwa fünf Jahrzehnten verfolgt werden.
Erstens: die Wahrung amerikanischer Sicherheitsinteressen. Hierbei ging es in den ersten Nachkriegsjahrzehnten vorrangig um die Eindämmung des Kommunismus in Griechenland, der Türkei, Korea, Lateinamerika, Indochina, Südafrika und Mittelamerika durch Mittel des Economic Support Fund (ESF).
Zweitens: Entwicklungsförderung. Dieses Ziel umfasst drei Förderansätze: den länderbezogenen Ansatz mit dem Ziel der Vermittlung von Wachstumsimpulsen und der Befriedigung von Grundbedürfnissen; der transnationale Ansatz zielt auf neue Fragen von globaler Bedeutung wie Bevölkerungsentwicklung oder die Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung; der sozialpolitische Ansatz wendet sich schließlich "human concerns" zu und begründet Förderprogramme für benachteiligte Bevölkerungsgruppen (Kinder, Frauen, Kranke).
Drittens: humanitäre Hilfe. Dieser Hilfetyp ist der innen- und außenpolitisch am wenigsten strittige. Er umfasst alle humanitären Maßnahmen im Falle von Katastrophen in den ärmeren Ländern (Flutkatastrophen, Dürreperioden, Epidemien, Taifune, Hurricans, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Erdrutsche, Terrorakte und Bürgerkriege).
Viertens: Förderung der Transformation von Reformstaaten. Diese Hilfe gilt dem Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft in der früheren Sowjetunion und ihren früheren Satellitenstaaten. Hierbei geht es vorrangig um Projekte der Technischen Zusammenarbeit, Bildungsmaßnahmen und Hilfe beim Aufbau demokratischer Verwaltung, von Parteien und Medien.
Fünftens: Demokratieförderung. Diesem Ziel ist von der Administration seit Anfang der neunziger Jahre stärkeres Gewicht beigemessen worden. Es ist mit jenen der Friedenssicherung und der Konfliktprävention eng verknüpft, ebenso mit der Förderung entwicklungsorientierten staatlichen Handelns (good governance) und der Sicherung einer verantwortlichen, transparenten öffentlichen Verwaltung in den Partnerländern. Diese Hilfe soll die Unterstützung einer demokratischen Opposition in autoritären Staaten, die Förderung politischer Reformen und die Stärkung von Nichtregierungsorganisationen einschließen.
Sechstens: Exportförderung. Zwar ist die Ausweitung von Außenhandelsmärkten nicht primäres Ziel der Auslandshilfe. Entsprechend werden Verfahren der "Mischfinanzierung" im Unterschied zu anderen Geberstaaten nicht angewendet. Dennoch wird die Förderung amerikanischer Exporte als eine willkommene Nebenwirkung der Öffentlichen Entwicklungshilfe angesehen. Auch mit der multilateralen Hilfe wird die Erwartung an eine dem Hilfevolumen entsprechende Beteiligung amerikanischer Firmen an Aufträgen im Rahmen der Projektabwicklung verbunden.
Durch welche Organisationsstruktur werden diese Ziele der Auslandshilfe umgesetzt? Das Management der amerikanischen Hilfe ist in den 90er Jahren stark dekonzentriert worden. Einer großen Zahl von mehr als 100 Ländern wird Hilfe zur Verfügung gestellt. Innur wenigen Staaten (Bosnien-Herzegowina, Ägypten, Israel, Jordanien, Russland, Ukraine sowie den palästinensischen Autonomiegebieten) übersteigt die Hilfe 100 Millionen Dollar im Jahr. Mit diesem Rückgang des Hilfevolumens pro Land und der größeren globalen Streuung des Hilfevolumens erwiesen sich die bisherigen Prüfungs-, Steuerungs- und Monitoringverfahren und die jeweilige Länderrepräsentanz als kostspielig und wenig effektiv. Ebenso aufwendig ist das Verfahren der Haushaltsaufstellung und Budgetbewilligung durch den Kongress, das in der Regel eineinhalb Jahre umspannt. Falls der Kongress nicht rechtzeitig ein Bewilligungsgesetz für Auslandshilfe (foreign aid appropriations bill) verabschiedet, wird diese Zeitspanne weiter verlängert.
Auf Seiten der Exekutive sind an der Haushaltsplanung der Auslandshilfe das Außenministerium, die US-Agentur für Internationale Entwicklung (USAID), das (für Entwicklungsbanken zuständige) Schatzministerium, das Office of Management and Budget, das Weiße Haus und insgesamt 50 Bundesbehörden beteiligt. Nachdem das Department of State zunächst entschiedenster Förderer der amerikanischen Auslandshilfe gewesen ist, hat sein Interesse an der amerikanischen Entwicklungshilfe in den vergangenen Jahren beträchtlich abgenommen. Dazu haben zwei Faktoren maßgeblich beigetragen:
Ein Neuansatz: das Millennium-Projekt
Im März 2002 hat Präsident Bush den Vorschlag gemacht für einen "new compact on global development defined by new accountability for both rich and poor nations alike. Greater contributions from developed nations must be linked to greater responsibility from developing nations."
Mit dem Millennium-Projekt (Millennium Challenge Account) hat die Entwicklungspolitik der Vereinigten Staaten die Konsequenz aus der Tatsache gezogen, dass Demokratie und Entwicklung keine Gegensätze sind, sondern integrierende Bestandteile einer entwicklungspolitischen Zielperspektive.
Die dem Millennium-Projekt zugrunde liegende entwicklungspolitische Stoßrichtung - so der Unterstaatssekretär im amerikanischen Schatzministerium, John B. Taylor, vor dem außenpolitischen Ausschuss des Kongresses - werde das wirtschaftliche Wachstum in den Partnerländern stärken, zudem ein für ausländische und einheimische Investitionen günstiges Umfeld schaffen und die Effektivität der Öffentlichen Entwicklungshilfe in einem entwicklungsfördernden politischen Kontext verbessern.
Die für die Durchführung des Millennium-Projektes verantwortliche Millennium Challenge Corporation (MCC) will sich auf fünf Förderbereiche beschränken:
Die Dynamisierung der amerikanischen Entwicklungshilfe kommt vor allem in der ursprünglich geplanten Verdreifachung der Haushaltsansätze von 2000 (9,9 Mrd. Dollar) bis 2004 (30 Mrd. Dollar) zum Ausdruck. Bei der Bewertung dieser Entwicklung ist allerdings zu berücksichtigen, dass zwei Drittel der zusätzlichen Mittel für den Wiederaufbau Afghanistans und des Irak vorgesehen sind. Zugleich hat der Kongress den Mittelansatz für USAID in seiner Haushaltsplanung von 7,8 Mrd. Dollar (2000) auf 10,2 Mrd. Dollar (2004) erhöht. Berücksichtigt man die Nachtragshaushalte für Irak und Afghanistan, die Zusagen für das Millennium-Projekt (ca. 2,7 Mrd. Dollar jährlich von 2006 an) und die HIV/AIDS-Initiative (15 Mrd. über fünf Jahre), setzt die amerikanische Regierung für Aufgaben der Auslandshilfe derzeit in einem Fünfjahreszeitraum ca. 28 Mrd. Dollar zusätzlich ein.
Die MCC hat für das Haushaltsjahr 2006 2,913 Mrd. Dollar vom Kongress gefordert und rechnet mit einem Hilfevolumen von 2,865 Mrd. Dollar.
Fragt man nach der innenpolitischen Grundlage dieser neuen Dynamik der amerikanischen Entwicklungshilfe, so fallen drei Faktoren ins Auge. Erstens: Das verstärkte Engagement wurde von Abgeordneten und sonstigen Repräsentanten der Kirchen und anderer Glaubensgemeinschaften (faith based communities) von der politischen Mitte bis in den rechten Flügel der Republikanischen Partei hineingetragen.
Dem Millennium-Projekt geht es vorrangig darum, politische Reformen anzuregen und die Leistungsfähigkeit staatlichen Handelns zu verbessern, nachhaltige Wachstumsprozesse zu fördern, partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Partnerländern und ihrer Zivilgesellschaft zu ermöglichen sowie die haushaltspolitische Verantwortung für die Durchführung der Hilfe zu verbessern und ihre Ergebnisse zu evaluieren.
Am 6. Mai 2004 hat der Vorstand der MCC 16 Länder für die Förderung durch Mittel des Millennium Challenge Account ausgewählt:
Die Reformanforderungen an die Partnerländer werden auch durch ein "Schwellenländer-Programm" umgesetzt, das sich an eine begrenzte Zahl von Ländern richtet, die diese Anforderungen zwar noch nicht erfüllen, aber durch ihr eigenes Verhalten zu erkennen geben, dass sie diesen Kriterien in absehbarer Zeit nachkommen.
Die amerikanische Regierung weist zur Begründung dieses Auswahlverfahrens darauf hin, dass Staaten mit einem hohen Index wirtschaftlicher Freiheit um 40 Prozent höhere Raten wirtschaftlichen Wachstums erzielen konnten als andere Länder.
Probleme der Länderauswahl
So gut begründet die Kriterien der Länderauswahl und so transparent die Methode des Vorgehens auch sein mögen, so überraschend sind einige potenzielle Ergebnisse. Ägypten und China qualifizieren sich eindeutig, obwohl China eine problematische Menschenrechtsbilanz aufweist und Ägypten die amerikanischen Hilfeleistungen in der Vergangenheit vielfach nicht zielorientiert und nicht vereinbarungsgemäß genutzt hat. Ägypten schneidet bei dem Indikator "wirtschaftliche Freiheit" positiv ab, obwohl seine Wirtschaftspolitik durch Überregulierung und Protektionismus gekennzeichnet ist. Die Aussagekraft der verwendeten makroökonomischen Indikatoren darf somit nicht überschätzt werden.
Damit bleibt für die Auswahl der Nehmerländer des Millennium-Projektes trotz der formalen Strenge und methodischen Stringenz der Selektionskriterien ein erheblicher politischer Gestaltungsspielraum. In die gleiche Richtung wirkt die Einbeziehung der Gruppe der Länder mit niedrigem mittleren Einkommen in der gegenwärtigen Ausbauphase des Programms: Dieser Schritt ermöglicht auch die Berücksichtigung strategisch wichtiger Partnerländer wie Ägypten, Jordanien und Südafrika. Es ist daher damit zu rechnen, dass auch das Millennium-Projekt - gerade wegen der Motive seiner Konzipierung - in der Praxis nicht nur genuin entwicklungspolitischen Maßstäben folgen wird, wie sie der Auswahl der Partnerländer zugrunde liegen, sondern auch den außenpolitisch-strategischen Interessen der Vereinigten Staaten.
Die Anwendung der Auswahlkriterien führt daher aus außen- und entwicklungspolitischer Perspektive zu durchaus widersprüchlichen Ergebnissen.
Durch die Entwicklung und den Einsatz einer wissenschaftlich fundierten und transparenten Methode der Länderauswahl hat die Regierung damit begonnen, den Selektionsprozess "in bemerkenswertem Umfang zu politisieren".
Die Fähigkeit der Nehmerländer, die zusätzlichen Mittel des Millennium Challenge Account sinnvoll für die Förderung der Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft einzusetzen, ist vom Center for Global Development geprüft worden. Der Befund: Wenn man die Wirkungen der Öffentlichen Entwicklungshilfe in jenen Entwicklungsländern untersucht, die für eine Förderung durch die MCC in Betracht kommen, so haben die Hilfeleistungen der Geber die Fähigkeit dieser Länder zu einem angemessenen Management in den vergangenen vier Jahrzehnten zwar in den meisten Fällen nicht überfordert.
Für das Haushaltsjahr 2006 haben 34 Entwicklungsländer die Aufnahmeprüfung anhand der Basisindikatoren bestanden. Davon gehören 26 Staaten der Gruppe der Niedrigeinkommensländer (LIC) und acht Staaten der Gruppe der Länder mit niedrigen mittleren Einkommen an (LMIC). Während etwa Burkina Faso, Osttimor und Tansania der erstgenannten Gruppe mit guten Aufnahmechancen angehören, wird die Berücksichtigung der Länder der zweiten Gruppe von Entwicklungsexperten mit dem Hinweis in Frage gestellt, diese Staaten seien dreimal so wohlhabend wie die der ersten Gruppe und verfügten zudem über andere Finanzierungsquellen. Der MCC-Vorstand dürfe nicht zu viele Ausnahmen zulassen.
Die Entwicklung leistungsfähiger Agrarmärkte und der verbesserte Zugang von Nahrungsmittelproduzenten aus dem Süden zu den Märkten des Nordens sind in der bisherigen Schwerpunktsetzung des MCA noch zu wenig profiliert.
Die beiden Forschungszentren gehen aufgrund ihrer Haushaltsanalysen sogar so weit zu vermuten, dass der reale Gesamtumfang der Öffentlichen Entwicklungshilfe der Vereinigten Staaten im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts nach Abzug der Wiederaufbauausgaben für den Irak niedriger sein wird als in jeder anderen Dekade seit dem Zweiten Weltkrieg. Symptomatisch für diese Entwicklung ist auch die Tatsache, dass die Mittelanforderungen für die beiden neuen "Vorzeigeprojekte" der amerikanischen Regierung - das Millennium-Projekt und den HIV/AIDS-Nothilfeplan - inzwischen deutlich geringer ausfallen als ursprünglich angekündigt. Im Einzelnen stellt sich diese Entwicklung folgendermaßen dar: Nach dem internationalen Wert des US-Dollar berechnet und unter Ausschluss der Hilfeleistungen an den Irak wird die amerikanische ODA im Jahre 2005 einen Umfang (14,21 Mrd. Dollar) erreichen, der knapp unter dem Niveau der achtziger Jahre liegt (14,34 Mrd.), aber höher ist als der Durchschnitt der neunziger Jahre. In den achtziger Jahren machte der ODA-Anteil an den Bundesausgaben 0,92 Prozent aus, im Jahre 2005 nur noch 0,59 Prozent.
Gegenwärtig befindet sich das Millennium-Projekt in einem sich verschärfenden Dilemma zwischen einer wachsenden Zahl von Partnerländern, unzureichenden Haushaltsmitteln und unklaren politischen Perspektiven. MCC und Administration werden daher gegenüber dem Kongress darauf bestehen müssen, doch noch die beantragten drei Mrd. Dollar für das Haushaltsjahr 2006 und fünf Mrd. Dollar für das Haushaltsjahr 2007 zu erhalten. Sonst müsste sich die MCC gezwungen sehen, wenn die Organisation ihre Qualitätsmaßstäbe aufrechterhalten will, mit einer kleineren Anzahl von Staaten als geplant (etwa 15 bis 20) Abkommen abzuschließen.
Rivalität oder Synergie?
Noch sind mehrere Probleme des Millennium-Projektes ungelöst.
Das Millennium-Projekt bietet gewiss die Chance einer Qualitätssteigerung amerikanischer Hilfe, indem es die Reformorientierung der Partnerländer und die Entwicklungsorientierung ihres staatlichen Handelns stärkt. Dazu bedarf es aber auch eines leistungsfähigen Monitoring- und Evaluationssystems; ohne ein solches können die Nehmerländer in ihrer Zusammenarbeit mit MCC und USAID keinen entwicklungsorientierten Kurs in ihrer Wirtschafts-, Entwicklungs- und Transformationspolitik halten. Der Aufbau dieses Systems ist umso vordringlicher, als nur ein Bruchteil aller Entwicklungsländer, mit denen die US-Regierung kooperiert, Hilfeleistung des Millennium-Projektes erhalten.
Notwendig ist daher die Entwicklung und Durchsetzung eines langfristig tragfähigen strategischen Gesamtkonzeptes, das USAID auf folgende Ziele der Entwicklungszusammenarbeit verpflichten sollte: humanitäre Hilfe; Unterstützung nachhaltiger Entwicklung und der Entwicklungsorientierung staatlichen Handelns, wo es um transnationale Kooperation und regionale Stabilität geht; die Stabilisierung von Krisenstaaten; die Erleichterung der Entwicklung in Reformstaaten und die Unterstützung armer Partnerländer mit nur schwachem entwicklungspolitischen Leistungsprofil bei der Bekämpfung der Armut, der Förderung nachhaltigen Wachstums und von "good governance".
USAID ist sich der Tatsache bewusst, dass der Hunger in der Dritten Welt auch auf eine verfehlte Agrarpolitik der Industrie- wie der Entwicklungsländer zurückzuführen ist. Deswegen bedürfe die Entwicklungszusammenarbeit im Bereich der Landwirtschaft in mehrfacher Hinsicht einer Neuorientierung.
Mit ihrem Neuansatz der amerikanischen Entwicklungspolitik hat die US-Regierung den ehrgeizigsten Versuch seit der Verabschiedung des Marshall-Plans unternommen, Qualität und Umfang der Auslandshilfe zu steigern. Die Dynamik dieser neuen Kursbestimmung wird aber durch vier konzeptionelle Mängel erheblich abgeschwächt.