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Das Irak-Modell und die Politik der USA gegenüber Syrien

Ferhad Ibrahim

/ 16 Minuten zu lesen

Anders als im Irak könnten die USA das "libysche Modell" zur Grundlage ihres Handelns gegenüber Syrien machen. Einzelne VN-Resolutionen wären dabei die Grundlage für eine Sanktionspolitik, die die schwache Wirtschaft Syriens rasch treffen kann.

Einleitung

Als US-Präsident George W. Bush vor dem Irak-Krieg den Iran und Nordkorea als "Schurkenstaaten" bezeichnete, blieb Syrien, ein weiteres Ziel der amerikanischen Kritik, zunächst verschont. Syrien war jedoch nicht gerade ein Wunschpartner der USA, seit die Neokonservativen unter der Bush-Administration die Nahostpolitik der Vereinigten Staaten planen und verantworten.


Der gewaltsame Sturz von Saddam Hussein und der demokratische Aufbau des Irak sollten als Modell für die gesamte Region dienen, vor allem aber für solche Systeme wie das syrische. Das "Modell Irak" setzte auf raschen Wandel. Es umfasste einen gewaltsamen Systemwechsel, Zusammenarbeit mit der Bevölkerung und den Aufbau von Stabilität. Was sich aber tatsächlich im Irak abspielt, entspricht nicht dem skizzierten Schema. Das allgemeine Chaos, die Terroranschläge sowie die Gefährdung der Einheit des Staates durch zunehmende konfessionelle und ethnische Polarisierung sprechen gegen das Modell. DieMehrheit der Mitglieder amerikanischer "Think tanks" warnt inzwischen nicht nur vor einem erneuten militärischen Abenteuer, sondern fordert einen schnellen Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak.

Das Irak-Modell kann im Nahen Osten keine Sogwirkung entfalten. Demnach muss die Strategie der USA gegenüber den so genannten "Schurkenstaaten" modifiziert werden. Die strategische Veränderung betrifft vor allem Syrien, das von der Bush-Administration als ein destabilisierender Faktor im Nahen Osten eingeschätzt wird.

Die Zeit, als die USA den Syrern weitgehend freie Hand im Libanon ließen und großen Wert auf die Partnerschaft mit Syrien beim Friedensprozess im Nahen Osten legten, scheint vorbei zu sein. Die Neokonservativen hätten es gerne gesehen, wenn die beiden Baath-Regime im Irak und in Syrien entmachtet worden wären. Die Umstände sprechen nun für eine Step-by-step-Strategie. Der Irak stand durch die dem Krieg vorangegangenen UNO-Resolutionen bereits unter einem Embargo und hatte seine Souveränität partiell verloren. Das Regime von Saddam Hussein war regional und international isoliert. Die Behauptungen der US-Regierung, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, wurden jedoch mit Informationen belegt, die bis heute nicht verifiziert werden konnten. Saddam Husseins Sturz im April 2003 veränderte die regionalen Machtverhältnisse nachhaltig. Staaten wie der Iran und Syrien müssen fortan fürchten, als nächste zum Ziel der amerikanischen Veränderungsstrategie zu werden. Was Syrien betrifft, scheint es so, als ob Präsident Baschar al-Assad im Rahmen seiner Abwehrstrategie gegen die USA die selben Instrumente verwendet, die zuvor bereits sein Vater mehrere Jahrzehnte lang erfolgreich eingesetzt hat.

Zu diesen Instrumenten gehört endloses Taktieren in der Hoffnung, ein Maximum an Gewinn zu erzielen. Die Hervorhebung der regionalen Bedeutung Syriens, die Aktivierung des Verbündetennetzwerkes sowie die Drohung mit der "islamistischen Gefahr" gehören ebenfalls dazu. Wie mit Saddam Hussein seit 1989, trieben die USA das Nullsummenspiel auch mit Baschar al-Assad. Die USA signalisierten zunächst glaubhaft, keinesfalls mit dem Baath-Regime in Damaskus kooperieren zu wollen. Nach dem Sturz Saddam Husseins musste das syrische Regime befürchten, hochgradig gefährdet zu sein. Doch die chaotischen Verhältnisse im Irak waren nicht ungünstig für Syrien. Die Entwicklung im Libanon seit dem Attentat gegen den libanesischen Politiker Rafiq al-Hariri und die darauffolgende internationale Isolierung Syriens sowie die innenpolitischen Probleme offenbarten jedoch die Möglichkeit eines Regimewandels. Ein Regimewechsel in Syrien ist abhängig vom endgültigen Erfolg oder Misserfolg des Irak-Modells. Es scheint zumindest so, dass die Konflikte im Irak und im Libanon direkte Auswirkungen auf Syrien haben werden - erst recht, wenn eine Beteiligung der syrischen Regierung am Attentat gegen al-Hariri nachgewiesen werden kann. Neben dem sich zuspitzenden Konflikt um das iranische Atomprogramm könnte ein Konfliktfeld "Irak-Syrien-Libanon" die fragile Stabilität im Nahen Osten erschüttern.

Das Irak-Modell

Die Beobachter des politischen Geschehens im Irak können zwei Prozesse verfolgen, die eng miteinander verknüpft sind: auf der einen Seite die Fortführung des "Nation-Building" und auf der anderen Seite die Eskalation der Gewalt. Beide Prozesse bedingen sich gegenseitig. Die irakischen Untergrundorganisationen versuchen den Wiederaufbau des Staates und der Wirtschaft durch gezielte Terroranschläge zu verhindern. Die USA und die politischen Kräfte, die beim Aufbau des Irak mitwirken, hoffen, dass der Prozess des "Nation-Building" die neue politische Elite in Bagdad legitimieren und über kurz oder lang die politischen Verweigerer zur Mitwirkung zwingen wird.

Diese Situation beschreibt die Verhältnisse im Irak, nachdem im Sommer 2004 die politische Macht von US-Zivilverwalter Paul Bremer formell an die Iraker übergegeben wurde. Ursprünglich hatten die USA bei der Vorbereitung des Krieges und selbst noch nach dem Fall Bagdads nicht vorgesehen, zügig demokratische Institutionen aufzubauen. Die Tatsache, dass ein Regimewechsel im Irak quasi mit einer Neugründung des Staates verbunden sein würde, wurde nicht gebührend beachtet. Die USA scheinen geglaubt zu haben, dass der Irak nach der Entmachtung der allgegenwärtigen Baath-Partei ohne Brüche fortexistieren würde. Die sunnitische Minderheit hat inzwischen ihre Dominanz verloren. Insofern symbolisiert der 9. April 2003, der Fall Bagdads, eine historische Diskontinuität. Die Weigerung der Mehrheit der sunnitischen Repräsentanten, am Wiederaufbau des besetzten Landes mitzuwirken, führte zu einem Legitimationsdefizit des neuen Systems. Die Besatzung durch die USA und ihre Verbündeten war und ist jedoch nicht der einzige Faktor, der zur Weigerung der Sunniten führte. Im neuen irakischen Staat dominiert die schiitische Mehrheit, die sich auch bei den Wahlen behaupten konnte. Doch auch schiitische Kräfte, die sich radikal gegen die Präsenz der USA stellten, wie etwa Muqtada al-Sadr, beteiligten sich am politischen Prozess, und zwar als ein Bestandteil der schiitischen Koalition. Der Umgang der Repräsentanten der Sunniten mit dem neuen Staat offenbarte Dilemmata. Die repräsentativen Körperschaften, die aus der Wahl hervorgingen, befriedigten nicht die Wünsche der arabischen Sunniten, die etwa 20 Prozent der irakischen Bevölkerung ausmachen. Sie betrachteten diese Entwicklung als absichtliche politische Diskriminierung durch die USA.

Dass sich der Widerstand in allen sunnitischen Provinzen ausbreitete, hat sicherlich nicht nur damit zu tun, dass diese Provinzen unter der Baath-Herrschaft privilegiert waren, sondern auch damit, dass sich die Kurden und die Schiiten für die föderale Ordnung entschieden haben. Dies tangiert in zweierlei Weise die Interessen der arabischen Sunniten. Nach der irakischen Verfassung erhalten die föderativen Regionen ein Mitspracherecht bei der Förderung und Verwaltung der strategischen Ressourcen, insbesondere des Erdöls. In den sunnitischen Provinzen wurde bislang jedoch kein Erdöl entdeckt, sodass diese Provinzen finanziell von der Bundesregierung in Bagdad unterstützt werden müssen. Die Föderation wird von den arabischen Sunniten auch aus einem anderen Grund abgelehnt. Sie betrachten die föderative Struktur als Vorstufe zum Zerfall des irakischen Staates. Die gemäßigten sunnitischen Kräfte, etwa die irakische Islamische Partei, betrachten den Widerstand im sunnitischen Dreieck als Dilemma. Viele sunnitische Gruppierungen haben sich an der Parlamentswahl vom Dezember 2005 beteiligt, weil sie die Hoffnung hatten, dass sie dadurch ihre Interessen durchsetzen könnten. Die Anschläge in den schiitischen Gebieten konterkarierten jedoch die Bemühungen um einen Konsens in den strittigen politischen Fragen. Das Terrornetzwerk Al-Qaida strebt gar einen Krieg gegen die Schiiten an, wie ihr Statthalter im Irak, Abu Mas'ab al-Zarqawi, offen verkündete. Ein Bürgerkrieg - dies dürfte den Repräsentanten der Sunniten klar sein - wird den Aufbau des neuen Staates zum Scheitern bringen. Er könnte sogar die Teilung des Iraks zur Folge haben.

Die Kritik in den USA richtet sich mittlerweile nicht mehr nur gegen den leichtfertigen Kriegsbeginn, sondern auch gegen die Tatsache, dass das Weiße Haus und das Pentagondie ethnisch-konfessionellen Gegensätze ignoriert und keinen Plan für die Zeit nach dem Sturz Saddam Husseins entwickelt hatten. Da ein Bürgerkrieg nach einem abrupten Rückzug der ausländischen Truppen wahrscheinlich ist, kann der vollständige Abzug der Amerikaner erst nach dem Aufbau einer funktionierenden irakischen Armee in Erwägung gezogen werden. Die USA haben unter dem Eindruck der Anschläge in den sunnitischen Provinzen anscheinend zunächst die Dominanz der Schiiten in den neuen irakischen Sicherheitsorganen unterschätzt. Als die schiitischen Parteien bei den Verhandlungen zur Bildung der neuen Regierung den Sunniten die Besetzung wichtiger Ministerien verwehrten, machte der amerikanische Botschafter in Bagdad zwar deutlich, dass die USA nicht bereit seien, einseitig-konfessionelle Tendenzen vor allem beim Aufbau der Sicherheitsorgane zu unterstützen. Diese Drohung kann aber kaum als Paradigmenwechsel in der amerikanischen Irak-Politik bewertet werden. Die USA werden auch weiterhin die Dominanz der schiitischen Parteien als Fait accompli, als vollendete Tatsachen, anerkennen.

Der Irak und die Region

Es steht außer Zweifel, dass die USA mit dem gewaltsamen Regimewechsel im Irak ein ihnen freundlich gesonnenes System installieren wollten, um dadurch den eigenen Einfluss im Nahen Osten und in der Golfregion zu vergrößern. Der erste Schwerpunkt in den regionalen Beziehungen ist dabei der Iran, der prinzipiell kein Interesse daran hat, dass das neue Regime im Irak destabilisiert wird. Der Iran gehörte zu den ersten Staaten der Region, die die provisorische Regierung des Irak 2003 anerkannt haben. Gleichzeitig erklärt der Iran, seine Wirtschaftsbeziehungen mit dem Irak intensivieren zu wollen. Dies bedeutet aber nicht, dass der Iran die Veränderungen nach dem Sturz von Saddam Hussein generell positiv bewertet. Die starke Präsenz der USA im Nachbarland wird als Bedrohung empfunden. Dies erklärt auch die Forderung des Iran, dass alle ausländischen Truppen die Region verlassen sollten. Die heikle Situation der USA im Irak ist aus iranischer Perspektive eine direkte Konsequenz der militärischen Intervention. Der Iran ist sich bewusst, dass der Sturz von Saddam Hussein und der Aufstieg der schiitischen Kräfte langfristig ein Gewinn sein könnten. Andererseits versucht der Iran die negativen Auswirkungen der amerikanischen Präsenz im Irak zu neutralisieren. Hierzu zählt unter anderem der Ausbau des eigenen Einflusses im Irak. Abgesehen von den kaum dokumentierten Informationen über die geheimdienstlichen Aktivitäten des Iran, ist der politische Einfluss auf die Regierung des Iraks (auch auf lokaler Ebene) kaum zu verkennen. Vor allem im irakischen Süden versuchen die schiitischen Parteien, das politische und gesellschaftliche System des Iran zu kopieren.

Die zweite Region, die von den Veränderungen im Irak unmittelbar betroffen ist, umfasst die Golfstaaten. Es besteht kein Zweifel, dass auch hier der Sturz von Saddam Hussein positiv bewertet wird. Dies gilt nicht nur für die Staaten, die sich unmittelbar vom Irak bedroht fühlten, sondern für alle Staaten des Golfrates. Diese haben die provisorische irakische Regierung 2003 anerkannt, die wirtschaftlichen Beziehungen intensiviert und die irakischen Schulden gestrichen. Der Einfluss des Iran wurde allerdings zu einem Streitpunkt zwischen der irakischen Regierung unter Ibrahim al-Jafari und Saudi-Arabien.

Die USA und Syrien

Als die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice im Februar dieses Jahres zu den Interessen der USA gegenüber Syrien befragt wurde, antwortet sie: "Die syrische Regierung soll ihr Verhalten ändern. Das Regime ist eine negative Kraft im Nahen Osten. Es soll eine positive Kraft werden." Rices Äußerungen könnten die Machthaber in Damaskus insofern beruhigen, als die Bush-Administration offenbar keinen gezielten Machtwechsel anstrebt. Der syrische Präsident Baschar al-Assad weiß jedoch, dass in den kommenden Jahren, wenn nicht Monaten eine Eskalation des Konflikts mit der Supermacht USA nicht ausgeschlossen werden kann. Der Irak, der Libanon und die Situation in den palästinensischen Gebieten, einschließlich des Wahlsieges der Hamas, sind Elemente dieses Konfliktes, der langfristig militärisch eskalieren könnte.

Die lange Phase der kritischen, aber zumindest kooperativen Beziehungen zwischen den USA und Syrien kam bereits in den neunziger Jahren zum Erliegen, als Syrien einen Kompromiss mit Israel ablehnte, für den sich der damalige US-Präsident Bill Clinton eingesetzt hatte. Der israelische Ministerpräsident Ehud Barak hatte die israelischen Truppen aus dem besetzten Südlibanon abgezogen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) bestätigte im Juni 2000 den vollständigen Abzug der israelischen Truppen. Die Versuche Syriens, einen von Israel 1967 besetzten Grenzstreifen als libanesisches Gebiet zu deklarieren, wurden von den VN seitdem abgelehnt. Das Gebiet (Schab'a-Region), so die VN, sei syrisch und müsse, falls die VN-Resolution 242 vollzogen werde, an Syrien zurückgegeben werden. Syriens Versuch hatte die Intention, die Präsenz der von ihm abhängigen Hisbollah-Milizen im Südlibanon zu legitimieren.

Als George W. Bush im Januar 2001 neuer Präsident der USA und wenig später Ariel Scharon Ministerpräsident in Israel wurde, waren noch keine dramatischen Veränderungen der amerikanischen Politik im Nahen Osten spürbar. Die Diskussion über die Einführung von "intelligenten Sanktionen" (smart sanctions) bedeutete hinsichtlich der Position der USA gegenüber dem Irak noch keinen Paradigmenwechsel. Syrien war unter Baschar al-Assad ein wichtiger Handelspartner des Iraks geworden.

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 hatten grundsätzliche Veränderungen inder amerikanischen Nahostpolitik zur Folge. Syrien schätzte die neue Situation richtig ein, als es den USA wertvolle Informationen über die Netzwerke der Islamisten lieferte und damit seine Bereitschaft dokumentierte, die geheimdienstliche Kooperation fortzuführen. Syrien erwartete, dass die USA diese Kooperationsbereitschaft honorieren würden - und zwar dort, wo Syrien seinen Anspruch auf eine regionale Rolle verkörpert sah, nämlich im Libanon. Mit anderen Worten: Syrien wollte den Libanon weiterhin als "sein" Protektorat dominieren. Die Verhältnisse hatten sich aber im Libanon selbst verändert. Ministerpräsident Rafiq al-Hariri strebte nach mehr Selbständigkeit. Im anderen "Brandherd", im Irak, waren die USA im Jahre 2002 mit den Vorbereitungen für den Krieg beschäftigt. In diesem Konflikt unterstützte Syrien die Bemühungen der USA nicht. Im Gegenteil, Syrien importierte weiterhin gegen die gültigen VN-Sanktionen irakisches Erdöl.

Die Handelsbeziehungen mit dem Irak waren bereits unter der Regierung von Hafiz al-Assad aufgenommen worden; sie erreichten aber erst unter Baschar al-Assad mit drei Milliarden US-Dollar Handelsvolumen eine strategisch relevante Größe. Flynt Leverett berichtet, dass sich im Jahre 2002 in der amerikanischen Administration zwei unterschiedliche Positionen gegenüber Syrien herausgebildet haben. Während im State Department die Meinung vorherrschte, dass man Syrien wie bereits im Golfkrieg von 1991 für sich gewinnen könne, lehnten die zivilen Beamten des Pentagons diese Strategie ab. Sie machten auf Differenzen mit Syrien hinsichtlich der Unterstützung von terroristischen Gruppen aufmerksam. Eine Partnerschaft mit Syrien sei aus diesem Grund nicht möglich. Der Hintergrund dafür waren die Unterstützung Syriens für die Hisbollah im Libanon und die guten Beziehungen zu den radikalen palästinensischen Organisationen. Die USA besetzten den Irak, ohne den Versuch zu unternehmen, Syrien als strategischen Partner zu gewinnen. Auf der syrischen Seite bezog Baschar al-Assad eine ablehnende Haltung zum Krieg - nicht nur, weil die USA sein Land ignorierten, sondern weil sich das Baath-Regime in Damaskus angesichts der amerikanischen Rhetorik über "Schurkenstaaten" selbst im Visier der neo-konservativen Elite der USA wähnte. Dies hatte immerhin der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im März 2003 offen gesagt.

Syrien lehnte als nichtständiges Mitglied des VN-Sicherheitsrates den Irak-Krieg generell ab. Der rasche Sturz Saddam Husseins könnte ein Schock für die syrische Führung gewesen sein. Das Verhalten Syriens im Jahre 2003 zeigte jedenfalls widersprüchliche Reaktionen und Entscheidungen. Syrien scheint einen Teil der gestürzten irakischen Führung aufgenommen zu haben, zeigte sich aber gleichzeitig bereit, gemeinsam mit den USA ein Grenzregime zu vereinbaren, um das Eindringen von Jihadisten in den Irak zu verhindern.

Die USA wiederholten beim Besuch von Außenminister Colin Powell in Damaskus im Mai 2003 Forderungen, die sie seit 2001 immer wieder gestellt hatten: Entwaffnung der Hisbollah, die Beendigung der militärischen Präsenz im Libanon und die Einstellung der syrischen Hilfe für die radikalen palästinensischen Gruppen, die Ausbildungslager in Syrien und im von Syrien kontrollierten Libanon errichtet hatten. Syrien versprach zwar, die Büros der radikalen palästinensischen Gruppen zu schließen, doch in der Realität blieb Damaskus ihr Hauptstützpunkt. Auch in der Auseinandersetzung mit den Jihadisten wurde schließlich kein effektives Grenzregime errichtet. Als die Terroranschläge im Irak dramatisch anstiegen, versuchten die USA, Syrien für diese Entwicklung mitverantwortlich zu machen. Beweise für die Unterstützung der syrischen Geheimdienste, Jihadisten zu rekrutieren, auszubilden und in den Irak zu senden, wie von der neuen irakischen Regierung behauptet, gibt es bislang jedoch nicht. Es war aber offensichtlich, dass sich die syrische Regierung nicht für die Sicherheit der irakischen Grenze verantwortlich fühlte. Syrien machte außerdem immer wieder darauf aufmerksam, dass die USA keine technischen Geräte zur effektiven Grenzkontrolle liefern würden und dass die USA selbst die illegale Migration über die mexikanische Grenze in ihrem eigenen Land nicht unter Kontrolle hätten.

Syrien lehnte die Entstehung von demokratisch gewählten Institutionen im Irak lange Zeit ab. Dies führte dazu, dass der irakische Ministerpräsident Ibrahim al-Jafari im vergangenen Jahr den Dialog mit Syrien über die Normalisierung der Beziehungen abbrach. Erst im Februar dieses Jahres hat sich die syrische Regierung bereit erklärt, die vollen diplomatischen Beziehungen mit dem Irak wiederherzustellen.

Die Haltung der syrischen Baath-Regierung zum Irak und zur amerikanischen Präsenz in der Golfregion steht im Zusammenhang mit der Bedeutung Syriens als regionaler Faktor. Die syrische Regierung hat ihre Rolle stets als Stabilitätselement verstanden. Gerade in diesem Punkt fühlte sich Syrien herausgefordert. Der Dreh- und Angelpunkt war dabei der Libanon. Im April 2004 verabschiedete der amerikanische Kongress das "Syrian Accountability Law", das Syrien wegen seiner Einmischung im Libanon mit Sanktionen drohte. Als Bush das Gesetz im Mai unterzeichnete, erkannte die syrische Regierung, dass ihr Einfluss im Libanon gefährdet ist. Syrien traf dann Entscheidungen, die das Land isolierten. Vor allem die Verlängerung der Amtszeit des libanesischen Staatspräsidenten, der als enger Verbündeter der Syrer galt, führte dazu, dass der französische Staatspräsident Jacques Chirac in der Libanonfrageden amerikanischen Kurs unterstützte. Die Resolution 1559 des VN-Sicherheitsrates vom September 2004 forderte die Achtung der libanesischen Souveränität, den Abzug der ausländischen Truppen aus dem Libanon und die Auflösung der Milizen. Alle diese Punkte waren indirekt gegen Syrien gerichtet. Die Regierung in Damaskus ahnte, dass sie ihre Truppen über kurz oder lang aus dem Libanon wird abziehen müssen, versuchte aber, Zeit zu gewinnen. Dank eines Netzwerks von verbündeten Politikern und mit Unterstützung der Hisbollah glaubte Baschar al-Assad, dass die syrische Dominanz im Libanon auch nach dem Truppenabzug gesichert sei. Vor allem die Hisbollah hat für Syrien eine strategische Bedeutung. Die Bewegung ist nicht nur ein Teil der Allianz mit dem Iran, sondern auch ein Vorposten der syrischen Armee im Libanon, und durch die "Palästinensierung" (Leverett) der Hisbollah hat die Bewegung eine weitere Funktion. Sie bildet seit 2000 radikale palästinensische Gruppen wie Hamas und al-Jihad aus und versorgt sie mit Waffen.

Als im Februar 2005 der zurückgetretene libanesische Regierungschef al-Hariri Opfer eines Attentats wurde, zählte Syrien zu den Hauptverdächtigen. Die VN-Resolution 1595 beauftragte eine unabhängige internationale Kommission mit der Untersuchung des Attentats. Syrien musste wenige Wochen nach dem Attentat seine Truppen aus dem Libanon abziehen. Inzwischen erhärten die Ergebnisse der VN-Kommission den Verdacht, dass syrische Stellen bei der Planung und Durchführung des Attentats beteiligt waren.

Der Einfluss Syriens im Libanon ist mit dem Abzug der Truppen jedoch nicht beendet. Die Hisbollah war und ist nicht nur ein bilateraler Verbündeter Syriens im Libanon. Die Bewegung hat sich darüber hinaus als Bestandteil des trilateralen Bündnisses "Iran- Syrien-Hisbollah" den Status einer "Widerstandsgruppe" gesichert. Sie kann auch nach dem syrischen Abzug aus dem Libanon Waffen via Syrien beziehen.

Die Feststellung der amerikanischen Außenministerin Rice, dass Syrien vom Iran abhängig sei, trifft zu. Die jetzige Situation ist das Ergebnis eines Nullsummenspiels, das die USA gegenüber Syrien seit 2001 betrieben haben. Die USA waren, nachdem George W. Bush Präsident wurde, zu keiner intensiven Zusammenarbeit mit Syrien bereit. Die amerikanischen Drohungen mit einem Regimewechsel in Syrien ermutigten die Syrer nicht, eine neutrale Haltung zum Irak-Krieg einzunehmen. Die USA haben auch nach Ende des Krieges nur wenig unternommen, um Syrien als Partner zu gewinnen. Bislang fehlt ein strategischer Rahmen für die Zusammenarbeit. Sollte die VN-Untersuchungskommission tatsächlich die Verwicklung der syrischen Führung in das al-Hariri-Attentat belegen, sind weitgehende Wirtschaftssanktionen von amerikanischer Seite denkbar. Syrien, das nach dem Attentat in der arabischen Welt isoliert zu sein scheint, versucht in dieser Situation den Schulterschluss mit dem Iran, der wegen seines Atomprogramms ebenfalls internationaler Kritik ausgesetzt ist.

Da die USA das Irak-Modell ganz offensichtlich nicht übertragen können und wollen, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als das "libysche Modell" zur Grundlage ihres Handelns gegenüber Syrien zu machen. Die VN-Resolutionen 1559 und 1595 bzw. 1636 könnten dabei die Grundlage für eine Sanktionspolitik sein, die die schwache Wirtschaft Syriens rasch treffen kann. Die Kontakte der amerikanischen Administration mit syrischen Oppositionellen im Ausland sprechen dafür, dass die USA den Druck auf Syrien erhöhen wollen. Nicht anders als in Libyen besteht auch in Syrien scheinbar keine Möglichkeit für einen friedlichen Wandel. Auch ein gewaltsamer Systemwechsel in Form eines Putsches ist kaum zu erwarten. Die alewitische Elite wird aus Angst vor Machtverlust die Herrschaft der Familie al-Assad wahrscheinlich vorerst nicht antasten. Eine dramatische Entwicklung im Libanon, die zu einem erneuten Bürgerkrieg führen könnte, oder ein massiver Angriff der Hisbollah gegen Israel könnten eine begrenzte amerikanische Operation in Syrien und sogar einen gewaltsamen Machtwechsel herbeiführen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zur amerikanischen Debatte über die militärische Präsenz im Irak siehe: www.comw.org/pda/0512exitplans.html (21.3. 2006).

  2. Vgl. Flynt Leverett, Inheriting Syria: Bashar's Trial by Fire, Washington 2005.

  3. Vgl. Gareth Porter, The Third Option in Iraq: A Responsible Exit Strategy. In: Middle east Policy, 12 (2005) 3, S. 29 - 45.

  4. Vgl. Gaith Abdul-Ahad, The US is Behaving As If Every Sunni is a Terrorist, in: The Guardian vom 26.1. 2005.

  5. Vgl. Fuad Husain, al-Zarqawi: al-Jil al-Thani li al-Qa'ida (al-Zarqawi: die zweite Generation der al-Qaida), Beirut 2005.

  6. Vgl. Anthony Cordesman, Iraqi Force Development, a Current Status Report, July 2005-February 2006, in: www.csis.org/media/csis/060215_iraqforceup date.pdf (21.3. 2006).

  7. Vgl. www.elaph.org vom 21.2. 2006.

  8. Vgl. zur Situation im Südirak Hilary Synnott, State-building in Southern Iraq, in: Survival, 47 (2005) 2, S. 33 - 56.

  9. Vgl. http: // news.bbc.co.uk / 2 / hi / middle_east / 4303480.stm (21.3. 2006).

  10. Vgl. al-Hayat vom 16.2. 2006.

  11. Vgl. zu den syrisch-amerikanischen Beziehungen nach der Machtübernahme durch Baschar al-Assad: F.Leverett (Anm. 2) und Eyal Zisser: In the Name of Father, Bashshar al-Asad's First Years in Power, Tel Aviv 2004.

  12. Es scheint, dass die USA bis Anfang 2002 die Hoffnung hatten, dass Syrien sich in einem Krieg gegen den Irak neutral verhält. Sie dramatisierten daher das syrische Erdölgeschäft mit dem Irak nicht. Vgl. Washington Post vom 14.2. 2002.

  13. Vgl. al-Safir vom 26.10. 2004.

  14. Vgl. F. Leverett (Anm. 2), S. 137.

  15. Vgl. The New York Times vom 29.3. 2003.

  16. Vgl. al-Hayat vom 27.5. 2003.

  17. Auch Informationen, dass der ehemalige irakische Vizepräsident Izzat Ibrahim al-Duri sich in Syrien aufhält und von dort aus die bewaffneten Aktivitäten im Irak leitet, wurden nie belegt.

  18. Vgl. Watan vom 4.7. 2004.

  19. Vgl. al-Hayat vom 17. und 18.2. 2006.

  20. Vgl. al-Hayat vom 18.2. 2006.

  21. Vgl. zum "libyschen Modell" und der Haltung der USA zum syrischen Regime: Abir Yasin, al-Dughut al-amrikiya ala suriya bina al-numuzajain al-libi wa al- Iraqi, in: al-siyasa a-dualiya, Nr. 163, Januar 2006, S. 156 - 159.

Dr. phil., geb. 1950; apl. Prof. am Otto-Suhr-Institut der FU-Berlin. z.Z. Professor für Geschichte, University of Jordan, P.O. Box 13291, 11924 Amman, Jordanien.
E-Mail: E-Mail Link: dibrim@yahoo.de