Einleitung
China akzeptiert mittlerweile, dass die USA die einzige Supermacht der Welt sind, und es kann damit umgehen, aber die USA sind sich noch unschlüssig, wie sich Chinas Rolle entwickeln wird, so Lu Yiyi vom Royal Institute of International Affairs in London. Kurz vor einem Chinabesuch appellierte US-Präsident Bush im November 2005 im japanischen Kyoto an die Volksrepublik, sich politisch zu öffnen und sich dabei an Taiwan ein Beispiel zu nehmen.
Zuvor hatte der amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld Pekings Aufrüstung als Bedrohung nicht nur für Taiwan, sondern für das pazifische Asien und "viele Weltregionen" bezeichnet,
Auf amerikanischer Seite hatte das Verhältnis seit dem Amtsantritt von George W. Bush vier Phasen durchlaufen: halbherzige Konfrontation, halbherzige Kooperation, Vernachlässigung und drohender Orientierungsverlust. Für den letzteren sind einander widersprechende Chinabilder in den USA verantwortlich, für die wiederum Widersprüche des "Aufstiegs" der Volksrepublik reichlich Munition liefern. Zu Beginn seiner Amtszeit hatte Bush das Verhältnis als "strategischen Wettbewerb" charakterisiert und sich damit von der "strategischen Partnerschaft" distanziert, die sein Vorgänger, US-Präsident Bill Clinton, 1997 gemeinsam mit dem damaligen chinesischen Staats- und Parteichef Jiang Zemin ausgerufen hatte.
Ebenfalls 2001 verpflichtete sich China mit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) auf eine verifizierbare Fortsetzung ihrer Politik der wirtschaftlichen Öffnung und erfüllte damit ein amerikanisches Anliegen. Angesichts dieser Entwicklungen sprach Bushs damaliger Außenminister Colin Powell 2003 vom "besten Stand der Beziehungen seit 1972".
Aus chinesischer Sicht stand die Taiwanfrage spätestens im Zentrum dieser Beziehungen, seit US-Präsident Richard Nixon anlässlich seines Besuchs in Shanghai am 27. Februar 1972 offiziell zur Kenntnis genommen hatte, "dass alle Chinesen auf beiden Seiten der Taiwan-Straße davon ausgehen, dass es nur ein China gibt und dass Taiwan ein Teil Chinas ist".
Handel mit China
Der amerikanische Chinahandel ist von 5Mrd. (1980) auf 231 Mrd. US-Dollar (2004) angewachsen. Die Volksrepublik ist heute der drittwichtigste Handelspartner der USA, und der Austausch mit China wächst schneller als mit jedem vergleichbaren Land. Gleichzeitig ist das amerikanische Handelsbilanzdefizit nach eigenen Angaben von 6Mrd. (1985) auf 161,9 Mrd. US-Dollar (2004) angewachsen und beläuft sich damit auf etwa ein Viertel des weltweiten Defizits der USA. Hatte Washington dieses Ungleichgewicht lange in Kauf genommen, weil man in Peking von den Exporterlösen amerikanische Staatsanleihen kaufte und so das Haushaltsdefizit der Administration finanzieren half, so klagen mittlerweile nicht nur amerikanische Unternehmer in den USA, sondern auch amerikanische Investoren in China über die Wirtschaftspolitik der Volksrepublik,
Die Handelsprobleme der vergangenen Jahre beziehen sich auf Umfang und Zunahme des Defizits, Pekings Währungspolitik, die von vielen Kongressmitgliedern für den unausgewogenen Handel und den Verlust amerikanischer Arbeitsplätze verantwortlich gemacht wird, eine unzulängliche Implementierung des WTO-Abkommens durch die Volksrepublik und diffuse Ängste vor Chinas "Aufstieg" zur Weltwirtschaftsmacht. Versuche, diese Probleme bilateral zu lösen, haben bisher nur zu sektoralen und provisorischen Ergebnissen geführt.
Während viele amerikanische Politiker und Wirtschaftsvertreter die chinesische Währung auch nach Einführung eines "managed float" im Juli 2005 für bis zu 40 Prozent unterbewertet halten, hat die Bush-Administration bisher darauf verzichtet, von einer "Manipulation" zu sprechen, und sich stattdessen in ihren bilateralen Kontakten für eine weitere Flexibilisierung eingesetzt. Demgegenüberbeharrt China auf einem graduellen Prozess, legte aber auch anlässlich des Bush-Besuchs keinen Zeitplan vor.
Im Dezember 2004 veröffentlichte der Handelsbeauftragte der Administration einen dritten Bericht über Chinas Implementierung der WTO-Verpflichtungen. Darin wurden der Volksrepublik zwar "eindrucksvolle Bemühungen" bescheinigt, gleichzeitig betonte man aber, dass diese "in keiner Weise ausreichend und nicht immer zufriedenstellend" ausgefallen waren. Dabei wurden unsichtbare Handelshemmnisse auf Gebieten wie Landwirtschaft, Dienstleistungen und Direktvertrieb angeführt. Im Oktober 2005 machte Washington bei der WTO ein Verfahren wegen Produktpiraterie gegen Peking anhängig. Nimmt man sensationalistische Berichte über Chinas Energie-, Technologie- und Devisenpolitik sowie diplomatische Bodengewinne der Volksrepublik in "Amerikas (lateinamerikanischem) Hinterhof" hinzu, so ergibt sich eine Gemengelage aus ökonomischen und sicherheitspolitischen Erwägungen, bei der die Verfechter einer "Einbindung" Pekings in die Defensive geraten.
Menschenrechte und Demokratie
Bushs Kyoto-Appell für eine politische Öffnung Chinas war eine rhetorische Konzession an eine heimische "Menschenrechtsallianz" aus Nichtregierungsorganisationen und der religiösen Rechten, welche die unentschlossene Chinapolitik der Administration und die ideologischen Präferenzen des Präsidenten genutzt hat, um ihren Einfluss auszubauen. Peking hatte einer Demokratisierung in Erwartung steigenden Drucks kurz vor Bushs Besuch eine amtliche Absage erteilt, und Staats- und Parteichef Hu Jintao ließ sich diesbezüglich mit seinem Gast auf keine längere Debatte ein.
Washington hatte das Menschenrechtsthema nach dem 11. September 2001 heruntergespielt und China für seine Mitwirkung an der internationalen Antiterror-Koalition mit der Kategorisierung einer islamistisch-separatistischen Gruppe in der Unruheprovinz Sinkiang als "terroristisch" belohnt. Allerdings verzeichnete das State Department seither Versuche der chinesischen Regierung, Antiterrorismus als Vorwand für eine verschärfte Unterdrückung ethnischer Minderheiten zu nutzen und bescheinigte Peking insgesamt eine mangelnde Beachtung der Menschenrechte. 2002 bzw. 2004 setzte China seinen bilateralen Menschenrechtsdialog mit den USA aus, weil diese in der Menschenrechtskommission der VN kritische Resolutionsentwürfe eingebracht hatten. 2003 und 2005 verzichtete Washington unter Hinweis auf "einige Verbesserungen" bzw. "bedeutsame Schritte" auf die Einbringung eines Entwurfs.
In Washington geht unterdessen das Gespenst vom "Aufstieg" eines nichtdemokratischen China um. Diese Sorge schlug sich vor dem Kyoto-Appell des Präsidenten zweimal (im März 2005 durch Condoleezza Rice und im Oktober 2005 durch Donald Rumsfeld) in direkten Aufforderungen an die chinesische Führung nieder, eine politische Öffnung einzuleiten. Indem Bush seinen Appell außerhalb der Volksrepublik lancierte, signalisierte er eine gewisse Flexibilität, die allerdings an Fortschritte auf seiner sonstigen Agenda geknüpft war.
Sicherheitspolitische Beziehungen
Chinas Mitwirkung an Bushs internationaler Koalition gegen den Terrorismus hat zwar zu einer polizeilichen und nachrichtendienstlichen, nicht aber zu einer militärischen Zusammenarbeit mit den USA geführt. Die USA haben China seit dem 11. September 2001 mit einem faktischen Ring aus Allianzen und militärischen Partnerschaften umgeben, und wenn sich Peking seither von Zentralasien bis Lateinamerika um eine Stärkung seiner diplomatischen Präsenz bemüht hat, dann auch, um aus dieser Umzingelung auszubrechen. Gleichzeitig wurde Chinas anfängliche Hoffnung enttäuscht, Washington könne sein implizites Containment der Volksrepublik mittels geplanter Raketenabwehrsysteme oder intensivierter Militärbeziehungen zu Taiwan oder Japan im Interesse des gemeinsamen antiterroristischen Kampfs zurückfahren. Anders als Clinton ließ sich Bush in dieser Hinsicht auf keine Diskussion mit Peking ein. Ähnlich wie Clinton musste Bush aber erkennen, dass die Koreanische Halbinsel und die Taiwan-Straße nur mit chinesischer Hilfe zu stabilisieren waren.
China drohte den USA für den Fall einer Dislozierung amerikanischer Raketenabwehrsysteme mit einem weiteren Ausbau der eigenen Raketenwaffe und im Falle einer Einbeziehung oder Abdeckung Taiwans anscheinend sogar mit anhaltender eigener Raketenproliferation.
Ende 2002 nahm das Pentagon die verteidigungspolitischen Konsultationen mit der Volksbefreiungsarmee (VBA) wieder auf, die nach dem sogenannten "EP-3-Zwischenfall" vom 1. April 2001 abgebrochen worden waren, bei dem es über die Notlandung eines amerikanischen Aufklärungsflugzeuges auf der chinesischen Insel Hainan zu Spannungen gekommen war. Allerdings behielt sich Rumsfeld die Genehmigung hochrangiger Kontakte weiterhin vor.
Republikanische Kritik an den von der Clinton-Administration 1997 initiierten Konsultationen hatte vor allem einer mangelnden Bereitschaft der VBA zu Transparenz und Gegenseitigkeit gegolten (Rumsfeld erhielt in China Gelegenheit zu einem Besuch im Hauptquartier der strategischen Raketenwaffe. Gleichzeitig blieb ihm der Zugang zum nationalen Kommando-Hauptquartier in der Nähe von Peking versagt). Der amerikanische Verteidigungsminister verlangte deshalb eine Offenlegung aller Militärausgaben der Volksrepublik; ein Ansinnen, das seine Gesprächspartner von sich wiesen.
Schließlich äußerte sich die amerikanische Seite irritiert über Chinas Interesse an regionalen Organisationen, welche die USA ausschließen, Chinas Weigerung, amerikanische Beobachter zu Manövern mit Dritten zuzulassen und Pekings teils erfolgreiche Versuche, zentralasiatische Staaten zur Schließung von Stützpunkten zu bewegen, die Washington dort im Gefolge des 11. September 2001 eröffnet hatte. In keiner dieser Fragen kam es zu einer Annäherung der Standpunkte.
Wenn die Volksrepublik es ablehnte, ihre regionalen Militärbeziehungen mit der Bush-Administration zu erörtern, dann nicht zuletzt, weil diese umgekehrt ebenso verfuhr. Ähnlich wie sein Mentor George Shultz 1982, engagiert sich auch Rumsfeld selbst für eine Stärkung der amerikanisch-japanischen Allianz und bezieht diese ausdrücklich auf eine "destabilisierende Aufrüstung" durch Dritte.
Gewissermaßen auf halbem Weg zwischen EAC und "Gemeinschaft der Demokratien" verständigten sich Washington, Peking, Tokyo, Moskau, Pyöngyang und Seoul im Kontext der Sechsparteiengespräche um das nordkoreanische Atomproblem im September 2005 auf die langfristige Schaffung eines nordostasiatischen Sicherheitsforums, mit dessen Hilfe "China und Russland in eine regionale Sicherheitsordnung integriert werden (könnten), ohne (dabei) die Sicherheit Japans, Südkoreas und der USA zu opfern".
Die USA-Taiwan-Beziehungen
Die amerikanisch-taiwanesischen Beziehungen haben sich unter Bush zu einer de facto-Allianz entwickelt, wobei nur noch gemeinsame Manöver fehlen. Die USA bleiben nicht nur Taiwans wichtigster Waffenlieferant; sie haben auch die bilateralen Militärbeziehungen ausgebaut und die Interoperabilität der beiden Streitkräfte verbessert. Dabei muss sich Washington gleichzeitig mit Chinas wachsendem wirtschaftlichen und militärischen Potenzial und einer demokratisch gewählten taiwanesischen Führung auseinander setzen, die sich angesichts dieses Potenzials zu einer Bekräftigung der separaten Existenz der Inselrepublik genötigt sieht.
Die USA haben auf das Dilemma in den vergangenen Jahren auf viererlei Weise reagiert: Bekräftigung ihrer traditionellen "ein-China-Politik" (bei der Taiwans Rolle offen bleibt), Bekräftigung ihrer de facto-Sicherheitsgarantie nach Maßgabe des Taiwan Relations Act, Unterstützung taiwanesischer Bemühungen um Beobachterstatus in der Weltgesundheitsorganisation sowie Einwirken auf Taipei mit dem Ziel, Provokationen gegenüber Peking zu vermeiden. Letzteres führte dazu, dass Bush seinen taiwanesischen Kollegen Chen Shuibian 2003 öffentlich im Beisein des chinesischen Premierministers kritisierte, weil dieser Verfassungsänderungen mittels Volksabstimmungen angekündigt hatte. Colin Powell wies 2004 zusätzlich darauf hin, dass Taiwan kein souveräner Staat sei. Als die Volksrepublik im März 2005 ein "Anti-Sezessionsgesetz" verabschiedete, in dem sie eine Gewaltdrohung gegen Taiwan bekräftigte und rechtlich verbindlich machte, fiel die Reaktion der USA relativ zurückhaltend aus.
Gleichzeitig wies das Pentagon darauf hin, dass sich "das Gleichgewicht der Kräfte in der Taiwan-Straße angesichts von Chinas anhaltendem Wirtschaftswachstum, zunehmenden diplomatischen Einflusses und Verbesserungen der militärischen Fähigkeiten der VBA verschiebt".
Den USA ist es bisher gelungen, eine Aufhebung des EU-Embargos auf Rüstungsexporte nach China zu verhindern und Japan zu einer Identifizierung der Taiwanfrage als "gemeinsames strategisches Anliegen" zu bewegen,
Anteilseigner oder Mitbieter?
Wie andere außenpolitische Strategien auch, endete Clintons "Einbindungs"-Politik mit seiner Administration. Republikanische Kreise (wie auch konservative politische Kreise in China) hatten diese für unverbindlich und unausgewogen befunden und liebäugelten 2001 vorübergehend mit einer Strategie der "Eindämmung" (containment), bevor sie auch diese angesichts der einhergehenden Risiken aufgaben. Seither haben Washington und Peking improvisiert, ihr Verhältnis zwar als "wichtigstes auf der Welt" bezeichnet,
In den USA (und vermutlich auch in China)
Zoellick knüpfte damit nicht nur an Powell an, sondern implizit auch an Empfehlungen der Rand-Corporation aus dem Jahr 1999, China so lange mit Hilfe einer congagement- (bzw. hedging-) Strategie daran zu hindern, in Ostasien nach Hegemonie zu streben "und die Regeln des internationalen Systems zu seinem Vorteil zu verändern", bis für die Kooperations- oder Konfrontationswilligkeit der Volksrepublik eindeutige Indizien vorlägen.
Allerdings ist "congagement" weniger ein Mittelweg zwischen "Einbindung" und "Eindämmung" als eine Aufforderung zum Einreihen, wobei eine unausgesprochene containment-Drohung für den Fall des Scheiterns aufrechterhalten bleibt. Dieses "Einreihen" fällt China traditionell schwerer als anderen. Um aus chinesischer Sicht attraktiv zu sein, müsste die Aufforderung um materielle Anreize angereichert werden, wozu man im State Department grundsätzlich bereit ist.
Mit einer solchen Entwicklung ist auch deshalb nicht zu rechnen, weil die Chinapolitik der USA seit dem Ende des Kalten Krieges so weitgehend Teil des innenpolitischen Diskurses geworden ist, dass eine substanzielle "strategische Partnerschaft" weiterhin ausgeschlossen scheint. Dabei ist es wechselnden Administrationen zwar immer wieder gelungen, größere Ausschläge in den bilateralen Beziehungen aufzufangen, aber nur als Ergebnis schwieriger interner Kompromisse, und die Frequenz der Ausschläge hat zwischen dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 und dem "EP-3-Zwischenfall" 2001 ständig zugenommen.
Momentan ist eine solche Entwicklung angesichts anhaltender amerikanischer Dominanz und der Bedeutung des amerikanischen Markts für Chinas Wirtschaftswachstum, anhaltender Probleme der USA am Golf und wachsender Widersprüche des chinesischen Entwicklungsweges eher unwahrscheinlich. Robert Zoellick hat darauf hingewiesen, dass Peking vor dem Hintergrund neuer Interdependenzen und heimischer Probleme seine Position gegenüber Washington, der weltweiten Demokratie und dem weltweiten Kapitalismus noch nicht abschließend festgelegt, aber seine Entwicklungsstrategie an die "Vernetzung mit der modernen Welt" geknüpft hat. Gleichzeitig sind sich State Department und Pentagon dahingehend einig, dass der Kampf der Kommunistischen Partei um den Machterhalt Risiken mit sich bringt und dass sich China insgesamt an einem "strategischen Scheideweg" befindet.
Das Risiko besteht folglich eher in den jeweiligen internen Dynamiken als in den Schwierigkeiten beider Seiten, dem bilateralen Verhältnis einen tragfähigen Rahmen zu geben. Dabei bleibt ein nichtdemokratisches China schwerer berechenbar als die demokratischen USA. Sollte es in der Volksrepublik infolge eskalierender innerer Konflikte zu nationalistischen Ausbrüchen kommen, müsste Washington mangels multilateraler Alternativen wohl militärisch intervenieren. Das Dilemma besteht in dem Umstand, dass Nationalismus erfahrungsgemäß auch ein Ergebnis von Demokratisierung sein kann. Weil es aber seit dem Ende des Kalten Krieges ebenso erfahrungsgemäß früher oder später zu Demokratisierungsprozessen kommt, würde es hier einer multilateralen Einbettung bedürfen. Dafür wäre mangels Alternativen wiederum die transatlantische Wertegemeinschaft die einzige tragfähige Grundlage. Insofern bliebe diese und nicht das unruhige amerikanisch-chinesische Paar die "wichtigste Beziehung" auf der Welt.