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Die Chinapolitik der USA

Kay Möller

/ 17 Minuten zu lesen

Die Chinapolitik der USA hat seit 2001 vier Phasen durchlaufen: halbherzige Konfrontation, halbherzige Kooperation, Vernachlässigung und drohender Orientierungsverlust. Wenn die US-Administration keine praktikable Strategie entwickelt, könnten Lobbygruppen die Chinapolitik negativ beeinflussen.

Einleitung

China akzeptiert mittlerweile, dass die USA die einzige Supermacht der Welt sind, und es kann damit umgehen, aber die USA sind sich noch unschlüssig, wie sich Chinas Rolle entwickeln wird, so Lu Yiyi vom Royal Institute of International Affairs in London. Kurz vor einem Chinabesuch appellierte US-Präsident Bush im November 2005 im japanischen Kyoto an die Volksrepublik, sich politisch zu öffnen und sich dabei an Taiwan ein Beispiel zu nehmen.



Zuvor hatte der amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld Pekings Aufrüstung als Bedrohung nicht nur für Taiwan, sondern für das pazifische Asien und "viele Weltregionen" bezeichnet, während republikanische und demokratische Kongressabgeordnete angesichts eines dramatisch anwachsenden Defizits im Handel mit China nach Sanktionen riefen. Mit den Handels- und Demokratieproblemen, der Taiwanfrage und der chinesischen Sicherheitspolitik sind vier Themen angerissen, welche die Beziehungen zwischen den USA und ihrem "Partner für Diplomatie" seit dem Beginn der wirtschaftlichen Öffnung der Volksrepublik und seit Ende des Kalten Krieges zunehmend negativ geprägt haben.

Auf amerikanischer Seite hatte das Verhältnis seit dem Amtsantritt von George W. Bush vier Phasen durchlaufen: halbherzige Konfrontation, halbherzige Kooperation, Vernachlässigung und drohender Orientierungsverlust. Für den letzteren sind einander widersprechende Chinabilder in den USA verantwortlich, für die wiederum Widersprüche des "Aufstiegs" der Volksrepublik reichlich Munition liefern. Zu Beginn seiner Amtszeit hatte Bush das Verhältnis als "strategischen Wettbewerb" charakterisiert und sich damit von der "strategischen Partnerschaft" distanziert, die sein Vorgänger, US-Präsident Bill Clinton, 1997 gemeinsam mit dem damaligen chinesischen Staats- und Parteichef Jiang Zemin ausgerufen hatte. Tatsächlich hätte Peking dieses Etikett eher von Bush verdient als von Clinton, denn erst nach dem 11.September 2001 initiierten beide Seiten im Kampf gegen den Terror und in den diplomatischen Bemühungen um eine Lösung des nordkoreanischen Atomproblems eine weitreichende Kooperation.

Ebenfalls 2001 verpflichtete sich China mit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) auf eine verifizierbare Fortsetzung ihrer Politik der wirtschaftlichen Öffnung und erfüllte damit ein amerikanisches Anliegen. Angesichts dieser Entwicklungen sprach Bushs damaliger Außenminister Colin Powell 2003 vom "besten Stand der Beziehungen seit 1972". Daneben hat sich Bush anders als Clinton nie ausdrücklich zu einer "Einbindung" (engagement) Chinas bekannt, den Druck auf Peking in strittigen Fragen erhöht und es konsequent abgelehnt, etwa die Militärbeziehungen der USA zu Taiwan bilateral zur Debatte zu stellen. Wenn beide Seiten ihre Beziehungen mittlerweile mit den Adjektiven "offen, konstruktiv und kooperativ" beschreiben, ist das auch Ausdruck ihrer anhaltenden Ungewissheit über die Motive des anderen.

Aus chinesischer Sicht stand die Taiwanfrage spätestens im Zentrum dieser Beziehungen, seit US-Präsident Richard Nixon anlässlich seines Besuchs in Shanghai am 27. Februar 1972 offiziell zur Kenntnis genommen hatte, "dass alle Chinesen auf beiden Seiten der Taiwan-Straße davon ausgehen, dass es nur ein China gibt und dass Taiwan ein Teil Chinas ist". Sieben Jahre später hatte die Carter-Administration Peking als "einzig legitime Regierung Chinas" anerkannt und alle amtlichen Beziehungen zu Taiwan abgebrochen. Gleichzeitig legte man mit dem Taiwan Relations Act inneramerikanische Rechtsgrundlagen für die anhaltende Belieferung Taiwans mit "Defensivwaffen" und militärische Hilfen im Krisenfall, was seit 2001 auch die Möglichkeit atomarer Präventivschläge einschließt. Wie alle seine Vorgänger seit Dwight D. Eisenhower musste auch Bush Jr. erkennen, dass sich die USA wegen Taiwan ständig am Rande eines bewaffneten Konflikts mit der Volksrepublik bewegten. Anders als Eisenhower hatte Bush allerdings mit einem China zu tun, das nach Auffassung vieler Beobachter selbst auf dem Weg zur "Weltmacht" war, und dies zu einer Zeit, als Washingtons militärische Kräfte weitgehend im Irak gebunden waren. Vor diesem Hintergrund und angesichts einer erfolgreichen internationalen Imagekampagne Pekings ist Vernachlässigung für die USA heute keine Option mehr. Weil man aber noch nicht weiß, was die Option ist, gelingt es inneramerikanischen Interessengruppen immer wieder, den auch unter Bush aufrechterhaltenen Grundkonsens über die Notwendigkeit eines positiven Verhältnisses ins Wanken zu bringen.

Handel mit China

Der amerikanische Chinahandel ist von 5Mrd. (1980) auf 231 Mrd. US-Dollar (2004) angewachsen. Die Volksrepublik ist heute der drittwichtigste Handelspartner der USA, und der Austausch mit China wächst schneller als mit jedem vergleichbaren Land. Gleichzeitig ist das amerikanische Handelsbilanzdefizit nach eigenen Angaben von 6Mrd. (1985) auf 161,9 Mrd. US-Dollar (2004) angewachsen und beläuft sich damit auf etwa ein Viertel des weltweiten Defizits der USA. Hatte Washington dieses Ungleichgewicht lange in Kauf genommen, weil man in Peking von den Exporterlösen amerikanische Staatsanleihen kaufte und so das Haushaltsdefizit der Administration finanzieren half, so klagen mittlerweile nicht nur amerikanische Unternehmer in den USA, sondern auch amerikanische Investoren in China über die Wirtschaftspolitik der Volksrepublik, während Sicherheitspolitiker die Motive der chinesischen Devisenpolitik hinterfragen bzw. darauf verweisen, dass China seine spektakulär wachsenden Einnahmen u.a. in die Modernisierung der Volksbefreiungsarmee (VBA) investiert. Dabei verwischt sich die früher gelegentlich zu beobachtende Rollenverteilung zwischen dem "Bad Cop"-Kongress und der "Good Cop"-Administration.

Die Handelsprobleme der vergangenen Jahre beziehen sich auf Umfang und Zunahme des Defizits, Pekings Währungspolitik, die von vielen Kongressmitgliedern für den unausgewogenen Handel und den Verlust amerikanischer Arbeitsplätze verantwortlich gemacht wird, eine unzulängliche Implementierung des WTO-Abkommens durch die Volksrepublik und diffuse Ängste vor Chinas "Aufstieg" zur Weltwirtschaftsmacht. Versuche, diese Probleme bilateral zu lösen, haben bisher nur zu sektoralen und provisorischen Ergebnissen geführt.

Während viele amerikanische Politiker und Wirtschaftsvertreter die chinesische Währung auch nach Einführung eines "managed float" im Juli 2005 für bis zu 40 Prozent unterbewertet halten, hat die Bush-Administration bisher darauf verzichtet, von einer "Manipulation" zu sprechen, und sich stattdessen in ihren bilateralen Kontakten für eine weitere Flexibilisierung eingesetzt. Demgegenüberbeharrt China auf einem graduellen Prozess, legte aber auch anlässlich des Bush-Besuchs keinen Zeitplan vor.

Im Dezember 2004 veröffentlichte der Handelsbeauftragte der Administration einen dritten Bericht über Chinas Implementierung der WTO-Verpflichtungen. Darin wurden der Volksrepublik zwar "eindrucksvolle Bemühungen" bescheinigt, gleichzeitig betonte man aber, dass diese "in keiner Weise ausreichend und nicht immer zufriedenstellend" ausgefallen waren. Dabei wurden unsichtbare Handelshemmnisse auf Gebieten wie Landwirtschaft, Dienstleistungen und Direktvertrieb angeführt. Im Oktober 2005 machte Washington bei der WTO ein Verfahren wegen Produktpiraterie gegen Peking anhängig. Nimmt man sensationalistische Berichte über Chinas Energie-, Technologie- und Devisenpolitik sowie diplomatische Bodengewinne der Volksrepublik in "Amerikas (lateinamerikanischem) Hinterhof" hinzu, so ergibt sich eine Gemengelage aus ökonomischen und sicherheitspolitischen Erwägungen, bei der die Verfechter einer "Einbindung" Pekings in die Defensive geraten. Dabei deutet sich insofern ein Teufelskreis an, als die USA sowohl durch eine Auslagerung eigener Produktionssegmente nach China als auch durch ihre Beschränkung von Hochtechnologieexporten selbst zu der handelspolitischen Schieflage beitragen.

Menschenrechte und Demokratie

Bushs Kyoto-Appell für eine politische Öffnung Chinas war eine rhetorische Konzession an eine heimische "Menschenrechtsallianz" aus Nichtregierungsorganisationen und der religiösen Rechten, welche die unentschlossene Chinapolitik der Administration und die ideologischen Präferenzen des Präsidenten genutzt hat, um ihren Einfluss auszubauen. Peking hatte einer Demokratisierung in Erwartung steigenden Drucks kurz vor Bushs Besuch eine amtliche Absage erteilt, und Staats- und Parteichef Hu Jintao ließ sich diesbezüglich mit seinem Gast auf keine längere Debatte ein. Bush selbst hatte kurz vor seiner Reise den Dalai Lama empfangen und besuchte in Peking den Gottesdienst einer anerkannten protestantischen Gemeinde.

Washington hatte das Menschenrechtsthema nach dem 11. September 2001 heruntergespielt und China für seine Mitwirkung an der internationalen Antiterror-Koalition mit der Kategorisierung einer islamistisch-separatistischen Gruppe in der Unruheprovinz Sinkiang als "terroristisch" belohnt. Allerdings verzeichnete das State Department seither Versuche der chinesischen Regierung, Antiterrorismus als Vorwand für eine verschärfte Unterdrückung ethnischer Minderheiten zu nutzen und bescheinigte Peking insgesamt eine mangelnde Beachtung der Menschenrechte. 2002 bzw. 2004 setzte China seinen bilateralen Menschenrechtsdialog mit den USA aus, weil diese in der Menschenrechtskommission der VN kritische Resolutionsentwürfe eingebracht hatten. 2003 und 2005 verzichtete Washington unter Hinweis auf "einige Verbesserungen" bzw. "bedeutsame Schritte" auf die Einbringung eines Entwurfs. 2005 erfüllte China die langjährige amerikanische Forderung nach Einladung des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen für Folter, reagierte aber nicht nur nicht auf eine von der Administration überreichte Liste politischer Gefangener, sondern ließ noch kurz vor Bushs Besuch weitere Dissidenten festnehmen. Gleichzeitig präsentierten Menschenrechtsorganisationen in den USA neue Belege für Zwangsabtreibungen in China. Hu Jintao erklärte sich während des Bush-Besuchs zu einem neuen Dialog über Menschenrechte und Demokratie bereit.

In Washington geht unterdessen das Gespenst vom "Aufstieg" eines nichtdemokratischen China um. Diese Sorge schlug sich vor dem Kyoto-Appell des Präsidenten zweimal (im März 2005 durch Condoleezza Rice und im Oktober 2005 durch Donald Rumsfeld) in direkten Aufforderungen an die chinesische Führung nieder, eine politische Öffnung einzuleiten. Indem Bush seinen Appell außerhalb der Volksrepublik lancierte, signalisierte er eine gewisse Flexibilität, die allerdings an Fortschritte auf seiner sonstigen Agenda geknüpft war.

Sicherheitspolitische Beziehungen

Chinas Mitwirkung an Bushs internationaler Koalition gegen den Terrorismus hat zwar zu einer polizeilichen und nachrichtendienstlichen, nicht aber zu einer militärischen Zusammenarbeit mit den USA geführt. Die USA haben China seit dem 11. September 2001 mit einem faktischen Ring aus Allianzen und militärischen Partnerschaften umgeben, und wenn sich Peking seither von Zentralasien bis Lateinamerika um eine Stärkung seiner diplomatischen Präsenz bemüht hat, dann auch, um aus dieser Umzingelung auszubrechen. Gleichzeitig wurde Chinas anfängliche Hoffnung enttäuscht, Washington könne sein implizites Containment der Volksrepublik mittels geplanter Raketenabwehrsysteme oder intensivierter Militärbeziehungen zu Taiwan oder Japan im Interesse des gemeinsamen antiterroristischen Kampfs zurückfahren. Anders als Clinton ließ sich Bush in dieser Hinsicht auf keine Diskussion mit Peking ein. Ähnlich wie Clinton musste Bush aber erkennen, dass die Koreanische Halbinsel und die Taiwan-Straße nur mit chinesischer Hilfe zu stabilisieren waren.

China drohte den USA für den Fall einer Dislozierung amerikanischer Raketenabwehrsysteme mit einem weiteren Ausbau der eigenen Raketenwaffe und im Falle einer Einbeziehung oder Abdeckung Taiwans anscheinend sogar mit anhaltender eigener Raketenproliferation. Washington verhängte zwischen 2001 und 2004 dreizehnmal Sanktionen gegen chinesische Firmen und Organisationen, die ballistische Raketen, Lenkraketen oder Chemiewaffen an Pakistan, den Iran und andere Staaten geliefert hatten. Vor diesem Hintergrund veröffentlichte die Volksrepublik 2002 Richtlinien für den Export von Raketentechnologien und biologischen Komponenten und arbeitete mit der Bush-Administration in begrenztem Umfang bei der Verhinderung des Exports chemischer Komponenten nach Nordkorea zusammen.

Ende 2002 nahm das Pentagon die verteidigungspolitischen Konsultationen mit der Volksbefreiungsarmee (VBA) wieder auf, die nach dem sogenannten "EP-3-Zwischenfall" vom 1. April 2001 abgebrochen worden waren, bei dem es über die Notlandung eines amerikanischen Aufklärungsflugzeuges auf der chinesischen Insel Hainan zu Spannungen gekommen war. Allerdings behielt sich Rumsfeld die Genehmigung hochrangiger Kontakte weiterhin vor. Im Oktober 2005 besuchte Rumsfeld selbst China.

Republikanische Kritik an den von der Clinton-Administration 1997 initiierten Konsultationen hatte vor allem einer mangelnden Bereitschaft der VBA zu Transparenz und Gegenseitigkeit gegolten (Rumsfeld erhielt in China Gelegenheit zu einem Besuch im Hauptquartier der strategischen Raketenwaffe. Gleichzeitig blieb ihm der Zugang zum nationalen Kommando-Hauptquartier in der Nähe von Peking versagt). Der amerikanische Verteidigungsminister verlangte deshalb eine Offenlegung aller Militärausgaben der Volksrepublik; ein Ansinnen, das seine Gesprächspartner von sich wiesen. Darüber hinaus forderte Rumsfeld China auf, sich stärker für eine friedliche Welt zu engagieren - ein Motiv, das Präsident Bush im November selbst aufgreifen sollte.

Schließlich äußerte sich die amerikanische Seite irritiert über Chinas Interesse an regionalen Organisationen, welche die USA ausschließen, Chinas Weigerung, amerikanische Beobachter zu Manövern mit Dritten zuzulassen und Pekings teils erfolgreiche Versuche, zentralasiatische Staaten zur Schließung von Stützpunkten zu bewegen, die Washington dort im Gefolge des 11. September 2001 eröffnet hatte. In keiner dieser Fragen kam es zu einer Annäherung der Standpunkte.

Wenn die Volksrepublik es ablehnte, ihre regionalen Militärbeziehungen mit der Bush-Administration zu erörtern, dann nicht zuletzt, weil diese umgekehrt ebenso verfuhr. Ähnlich wie sein Mentor George Shultz 1982, engagiert sich auch Rumsfeld selbst für eine Stärkung der amerikanisch-japanischen Allianz und bezieht diese ausdrücklich auf eine "destabilisierende Aufrüstung" durch Dritte. In der weiteren Region haben die USA Militärbeziehungen zu Australien, Indien, Indonesien und Vietnam aus- bzw. aufgebaut. 2005 sprach Außenministerin Rice von einer "Gemeinschaft der Demokratien" mit einer Kerngruppe bestehend aus Tokyo, Canberra, Delhi und Washington. Derlei Gedankenspiele waren nicht zuletzt Reaktionen auf eine neue chinesische Regionaldiplomatie. Während die Bush-Administration am Golf abgelenkt war, hatte Peking Südkoreas Entspannungspolitik gegenüber Nordkorea unterstützt und mit der Gemeinschaft Südostasiatischer Staaten (ASEAN) ein Freihandelsabkommen geschlossen. 2004 engagierte sich China gemeinsam mit Südkorea und der ASEAN für die Gründung einer Ostasiatischen Gemeinschaft (EAC) unter Ausschluss der USA, und erst in letzter Minute gelang es dem amerikanischen Verbündeten Australien, seine Einbeziehung sicherzustellen und so eine drohende Isolierung Japans zu verhindern.

Gewissermaßen auf halbem Weg zwischen EAC und "Gemeinschaft der Demokratien" verständigten sich Washington, Peking, Tokyo, Moskau, Pyöngyang und Seoul im Kontext der Sechsparteiengespräche um das nordkoreanische Atomproblem im September 2005 auf die langfristige Schaffung eines nordostasiatischen Sicherheitsforums, mit dessen Hilfe "China und Russland in eine regionale Sicherheitsordnung integriert werden (könnten), ohne (dabei) die Sicherheit Japans, Südkoreas und der USA zu opfern". Voraussetzungen für diese neue Verankerung der amerikanischen Militärpräsenz im Pazifik sind allerdings eine Lösung des Nordkoreaproblems und eine Stabilisierung des Status quo in der Taiwan-Straße.

Die USA-Taiwan-Beziehungen

Die amerikanisch-taiwanesischen Beziehungen haben sich unter Bush zu einer de facto-Allianz entwickelt, wobei nur noch gemeinsame Manöver fehlen. Die USA bleiben nicht nur Taiwans wichtigster Waffenlieferant; sie haben auch die bilateralen Militärbeziehungen ausgebaut und die Interoperabilität der beiden Streitkräfte verbessert. Dabei muss sich Washington gleichzeitig mit Chinas wachsendem wirtschaftlichen und militärischen Potenzial und einer demokratisch gewählten taiwanesischen Führung auseinander setzen, die sich angesichts dieses Potenzials zu einer Bekräftigung der separaten Existenz der Inselrepublik genötigt sieht.

Die USA haben auf das Dilemma in den vergangenen Jahren auf viererlei Weise reagiert: Bekräftigung ihrer traditionellen "ein-China-Politik" (bei der Taiwans Rolle offen bleibt), Bekräftigung ihrer de facto-Sicherheitsgarantie nach Maßgabe des Taiwan Relations Act, Unterstützung taiwanesischer Bemühungen um Beobachterstatus in der Weltgesundheitsorganisation sowie Einwirken auf Taipei mit dem Ziel, Provokationen gegenüber Peking zu vermeiden. Letzteres führte dazu, dass Bush seinen taiwanesischen Kollegen Chen Shuibian 2003 öffentlich im Beisein des chinesischen Premierministers kritisierte, weil dieser Verfassungsänderungen mittels Volksabstimmungen angekündigt hatte. Colin Powell wies 2004 zusätzlich darauf hin, dass Taiwan kein souveräner Staat sei. Als die Volksrepublik im März 2005 ein "Anti-Sezessionsgesetz" verabschiedete, in dem sie eine Gewaltdrohung gegen Taiwan bekräftigte und rechtlich verbindlich machte, fiel die Reaktion der USA relativ zurückhaltend aus.

Gleichzeitig wies das Pentagon darauf hin, dass sich "das Gleichgewicht der Kräfte in der Taiwan-Straße angesichts von Chinas anhaltendem Wirtschaftswachstum, zunehmenden diplomatischen Einflusses und Verbesserungen der militärischen Fähigkeiten der VBA verschiebt". Während die Volksrepublik weiterhin nicht erwarten kann, die USA in einem großangelegten Konflikt zu besiegen und auch nach Pentagon-Meinung weiter nicht über hinreichende Kapazitäten für eine Invasion der Insel verfügt, konzentriert sie ihre Aufrüstung auf technologische Nischen, in denen man der Siebten Flotte größtmöglichen Schaden zufügen will. Die letzte Beinahe-Konfrontation liegt zehn Jahre zurück und erbrachte Belege für die Fähigkeit der VBA, eine partielle Seeblockade über Taiwan zu verhängen. Seither hat Peking die Zahl seiner auf taiwanesische Ziele programmierten Kurzstreckenraketen von 50 auf über 700 erhöht. Sowohl die Raketenabwehrprogramme der Bush-Administration als auch ihre Pläne für eine Umstrukturierung vorwärts stationierter amerikanischer Streitkräfte haben eindeutige Taiwan-Bezüge.

Den USA ist es bisher gelungen, eine Aufhebung des EU-Embargos auf Rüstungsexporte nach China zu verhindern und Japan zu einer Identifizierung der Taiwanfrage als "gemeinsames strategisches Anliegen" zu bewegen, aber weder in Asien noch in Europa könnten die USA im Falle einer Eskalation auf nennenswerten Rückhalt zählen. Sie haben deshalb Interesse signalisiert, auf einen Vorschlag der Clinton-Administration aus dem Jahr 1999 zurückzukommen, demzufolge sich Peking und Taipei in sogenannten "Interimsabkommen" auf einen Gewaltverzicht im chinesischen und auf einen Verzicht auf eine Formalisierung der Unabhängigkeit im taiwanesischen Fall verständigen sollten. Es bleibt abzuwarten, wie aktiv sich die amerikanische Diplomatie dieses Anliegen zu Eigen macht; man kann aber wohl davon ausgehen, dass weder China noch Taiwan größere Einwände gegen diese Art der Vermittlung hätten.

Anteilseigner oder Mitbieter?

Wie andere außenpolitische Strategien auch, endete Clintons "Einbindungs"-Politik mit seiner Administration. Republikanische Kreise (wie auch konservative politische Kreise in China) hatten diese für unverbindlich und unausgewogen befunden und liebäugelten 2001 vorübergehend mit einer Strategie der "Eindämmung" (containment), bevor sie auch diese angesichts der einhergehenden Risiken aufgaben. Seither haben Washington und Peking improvisiert, ihr Verhältnis zwar als "wichtigstes auf der Welt" bezeichnet, aber anstatt daraus gemeinsame Folgerungen zu ziehen, einander weiter wie zwei Boxer mit mangelnder Übersicht über den Ring umkreist. Dabei verlagerte sich der Wettbewerb zwischen Supermacht und Herausforderer zunehmend auf die Beziehungen beider zu Dritten. So hat etwa die weitgehende Kontrolle der Golfregion und der Seewege zum Golf durch die USA die chinesische Führung veranlasst, die Beziehungen zu afrikanischen, lateinamerikanischen und anderen Ölproduzenten auszubauen.

In den USA (und vermutlich auch in China) nutzten innenpolitische Interessengruppen die Phase des amerikanischen Desinteresses zu einer verstärkten Einflussnahme auf die Politik. Um sich nicht weiter in die Ecke drängen zu lassen, skizzierte der stellvertretende Außenminister der Bush-Administration Robert Zoellick im September 2005 eine neue Chinastrategie. In Anknüpfung an den früheren Außenminister Colin Powell forderte Zoellick Peking auf, sich bei der Gestaltung des künftigen internationalen Systems als "Anteilseigner" (stakeholder) zu sehen. Dabei erwähnte er die Notwendigkeit einer verstärkten Zusammenarbeit bei der Lösung der nordkoreanischen und iranischen Atomprobleme, der Bekämpfung des Terrorismus, der humanitären Krise im Sudan, innerhalb der transpazifischen Dialograhmen Asian Regional Forum (ARF) und Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC) sowie bei der "friedlichen Lösung von Differenzen mit Taiwan" und der Aufarbeitung historischer Probleme mit Japan. Bei derselben Gelegenheit betonte auch er die Notwendigkeit einer politischen Öffnung der Volksrepublik.

Zoellick knüpfte damit nicht nur an Powell an, sondern implizit auch an Empfehlungen der Rand-Corporation aus dem Jahr 1999, China so lange mit Hilfe einer congagement- (bzw. hedging-) Strategie daran zu hindern, in Ostasien nach Hegemonie zu streben "und die Regeln des internationalen Systems zu seinem Vorteil zu verändern", bis für die Kooperations- oder Konfrontationswilligkeit der Volksrepublik eindeutige Indizien vorlägen. Bush hat die "stakeholder"-Terminologie übernommen und will dabei anscheinend die Komplexe Syrien, Sudan, Iran und Birma zu Testfällen machen. Um die Kooperationsmöglichkeiten auszuloten, haben die USA und China 2005 einen halbjährlichen strategischen Dialog auf der Ebene stellvertretender Außenminister aufgenommen.

Allerdings ist "congagement" weniger ein Mittelweg zwischen "Einbindung" und "Eindämmung" als eine Aufforderung zum Einreihen, wobei eine unausgesprochene containment-Drohung für den Fall des Scheiterns aufrechterhalten bleibt. Dieses "Einreihen" fällt China traditionell schwerer als anderen. Um aus chinesischer Sicht attraktiv zu sein, müsste die Aufforderung um materielle Anreize angereichert werden, wozu man im State Department grundsätzlich bereit ist. Das Problem ist, dass solche Anreize in der Vergangenheit häufig aus Technologietransfers bestanden, zu denen die Bush-Administration insgesamt nur in Maßen bereit ist. Insofern sich hier etwa im Bereich der Energiepolitik neue Bündnisse ankündigen, dürfte Washington auf einer strikten Gegenseitigkeit beharren. Dabei könnte sich Europa nach schlechten Erfahrungen auf den Gebieten der internationalen Umwelt- und Strafrechtspolitik sowie angesichts einer chinesisch-amerikanischen de facto-Kooperation bei der Reform bzw. Nichtreform der Vereinten Nationen selbst als globaler "stakeholder" ausgegrenzt fühlen. Weil allerdings die Motive Chinas und der USA in diesen Fragen selten deckungsgleich sind und einander häufig latent widersprechen, ist kaum damit zu rechnen, dass Zbigniew Brzenzinskis "östlicher Anker" demnächst eine heimliche Renaissance erlebt.

Mit einer solchen Entwicklung ist auch deshalb nicht zu rechnen, weil die Chinapolitik der USA seit dem Ende des Kalten Krieges so weitgehend Teil des innenpolitischen Diskurses geworden ist, dass eine substanzielle "strategische Partnerschaft" weiterhin ausgeschlossen scheint. Dabei ist es wechselnden Administrationen zwar immer wieder gelungen, größere Ausschläge in den bilateralen Beziehungen aufzufangen, aber nur als Ergebnis schwieriger interner Kompromisse, und die Frequenz der Ausschläge hat zwischen dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 und dem "EP-3-Zwischenfall" 2001 ständig zugenommen.

Momentan ist eine solche Entwicklung angesichts anhaltender amerikanischer Dominanz und der Bedeutung des amerikanischen Markts für Chinas Wirtschaftswachstum, anhaltender Probleme der USA am Golf und wachsender Widersprüche des chinesischen Entwicklungsweges eher unwahrscheinlich. Robert Zoellick hat darauf hingewiesen, dass Peking vor dem Hintergrund neuer Interdependenzen und heimischer Probleme seine Position gegenüber Washington, der weltweiten Demokratie und dem weltweiten Kapitalismus noch nicht abschließend festgelegt, aber seine Entwicklungsstrategie an die "Vernetzung mit der modernen Welt" geknüpft hat. Gleichzeitig sind sich State Department und Pentagon dahingehend einig, dass der Kampf der Kommunistischen Partei um den Machterhalt Risiken mit sich bringt und dass sich China insgesamt an einem "strategischen Scheideweg" befindet.

Das Risiko besteht folglich eher in den jeweiligen internen Dynamiken als in den Schwierigkeiten beider Seiten, dem bilateralen Verhältnis einen tragfähigen Rahmen zu geben. Dabei bleibt ein nichtdemokratisches China schwerer berechenbar als die demokratischen USA. Sollte es in der Volksrepublik infolge eskalierender innerer Konflikte zu nationalistischen Ausbrüchen kommen, müsste Washington mangels multilateraler Alternativen wohl militärisch intervenieren. Das Dilemma besteht in dem Umstand, dass Nationalismus erfahrungsgemäß auch ein Ergebnis von Demokratisierung sein kann. Weil es aber seit dem Ende des Kalten Krieges ebenso erfahrungsgemäß früher oder später zu Demokratisierungsprozessen kommt, würde es hier einer multilateralen Einbettung bedürfen. Dafür wäre mangels Alternativen wiederum die transatlantische Wertegemeinschaft die einzige tragfähige Grundlage. Insofern bliebe diese und nicht das unruhige amerikanisch-chinesische Paar die "wichtigste Beziehung" auf der Welt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Patrick Goodenough, Citing Taiwan as a Model, Bush Prods China on Democracy, in: CNS News vom 16. 11. 2005.

  2. Rumsfeld Questions China's Military Buildup, Washington (Usinfo), 4. 6. 2005. Dabei bezog sich Rumsfeld vornehmlich auf die Modernisierung der chinesischen Raketenwaffe.

  3. Bush Calls US, China, "Partners in Diplomacy", Washington (State Department), 9. 12. 2003.

  4. Vgl. Jianwei Wang, China Reconsidered: America's Changing Perceptions, in: E-Notes (Washington: Foreign Policy Research Institute), 16. 7. 2003.

  5. US-China Ties in Best Shape since 1972, Powell Says, in: Kyodo vom 9. 9. 2003.

  6. Bush Visit to China Reaffirms Constructive Ties: US Official, in: People's Daily Online vom 28. 2. 2002.

  7. Shanghai-Kommuniqué, Washington (State Department), 27. 2. 1972.

  8. Joint Communiqué on the Establishment of Diplomatic Relations between the United States of America and the People's Republic of China, 1. 1. 1979.

  9. Special Briefing on Nuclear Posture Review, Washington (Department of Defence), 9. 1. 2002.

  10. Vgl. Christopher Swann, The Clock Ticks in Washington as Friends Drift away, in: Financial Times vom 14. 4. 2005, S. 13.

  11. Vgl. William Mathews, Congress Worries that West Arms China, in: Defense News vom 18. 4. 2005, S. 1/6.

  12. Vgl. Caroline Daniel, Bush Sings from Different Song Sheet to China, in: Financial Times vom 21. 11. 2005, S. 3.

  13. Bush Adopts New Strategy on China, in: Oxford Analytica vom 18. 11. 2005.

  14. Vgl. David E. Sanger, China Yields Little to Bush in Beijing, in: International Herald Tribune vom 21. 11. 2005, S. 1/4.

  15. China: Uighur Prisoner Released, Critical Resolution Abandoned, in: Human Rights News vom 18. 3. 2005; Rice Discusses North Korea, Arms Sales, and Democracy, in: Taipei Times vom 22. 3. 2004, S. 1.

  16. Vgl. China Labels Stanford Researcher "International Spy" for Exposing Forced Abortion Policy, in: Lifesite vom 26. 8. 2005.

  17. Vgl. Shirley A. Kan, China and Proliferation of Weapons of Mass Destruction and Missiles: Policy Issues, Washington (Congressional Research Service), 9.12. 2004, S. 25.

  18. Vgl. Kurt Campbell/Richard Weitz, The Limits of US-China Military Cooperation: Lessons from 1995 - 1999,in: The Washington Quarterly, 29 (Winter 2005/6) 1, S. 183.

  19. Vgl. USA besorgt über Aufrüstung in China, in: Handelsblatt vom 19. 10. 2005, S. 9.

  20. Jay Solomon, US Takes China Policy in Two Directions, in: Wall Street Journal vom 17. 11. 2005, S. 2.

  21. Ellen Bork, Asia Awaits America's Vision for Cooperation, in: Financial Times vom 29. 7. 2005, S. 13.

  22. New Frontier for US-Japan Security Relations, Washington (Atlantic Council/Mansfield Centre/Research Institute for Peace and Security), February 2002, S. 4.

  23. State Department Briefing, Washington (Usinfo), 8.3. 2005.

  24. The Military Power of the People's Republic of China, Washington (Department of Defence), 2005, S. 6.

  25. Vgl. Edward Cody, US Forces Realign in Pacific to Counter China's New Might, in: Wall Street Journal vom 19. 9. 2005, S. 3.

  26. James Brooke, Japan's Ties to China: Strong Trade, Shaky Policies, in: New York Times vom 22. 2. 2005 (online).

  27. Wen: US-China Relations Most Important in World, in: Cable News Network vom 12. 12. 2003.

  28. Vgl. Danny Gittings, General Zhu Goes Ballistic, in: Wall Street Journal vom 18. 7. 2005, S. 9.

  29. Vgl. Robert B. Zoellick, Whither China: From Membership to Responsibility? Remarks to National Committee on US-China Relations, New York, 21. 9. 2005, www.state.gov/s/d/rem/53682.htm (16.3. 2006).

  30. Zalmay Khalizad et al., The United States and a Rising China, Santa Monica (Rand Corporation) 1999.

  31. So der Asiendirektor im Nationalen Sicherheitsrat, Michael Green. Bush in China for Talks on Security, Trade, Bird Flu, in: Agence France-Presse vom 19. 11. 2005.

  32. Vgl. Ian Bremmer, The Panda Hedgers, in: International Herald Tribune vom 5. 10. 2005, S. 6.

  33. Zbigniew Brzezinski, A Geostrategy for Eurasia, in: Foreign Affairs, 76 (September/October 1997) 5.

  34. R. Zoellick (Anm. 29).

Dr. phil., geb. 1955; wiss. Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ludwigkirchplatz 3-4, 10719 Berlin.
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