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Ein Brückenschlag zwischen "altem" und "neuem" Europa

Crister S. Garrett

/ 17 Minuten zu lesen

Die europäisch-amerikanischen Beziehungen stehen an einem Wendepunkt. Bundeskanzlerin Angela Merkel kann es gelingen, die bestehenden Spannungen abzubauen - wenn sie dabei auf enge transatlantische Zusammenarbeit setzt.

Einleitung

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Münchner Sicherheitskonferenz zu Jahresbeginn erklärte, es sei an der Zeit, dem Iran deutlich zu machen, welche Formen internationalen Verhaltens inakzeptabel sind, zog sie eine historische Parallele zu den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts und dem, was in Deutschland und Europa hätte verhindert werden können, wenn die internationale Gemeinschaft in dieser Zeit entschlossener gehandelt hätte.

William Cohen, früherer Senator von Maine, Verteidigungsminister unter Bill Clinton und ein gemäßigter Republikaner, bewertete die Bemerkungen Merkels folgendermaßen: "In Tonfall, Inhalt und Substanz haben wir von der deutschen Delegation bei dieser Konferenz eine andere Botschaft empfangen als jene, an die wir uns in den vergangenen Jahren gewöhnt hatten."

Hinter sich gelassen hat man jedenfalls jene harsche Sprache auf dem Höhepunkt der Spannungen über eine mögliche Irak-Invasion, als in der Bush-Administration vor drei Jahren von einem "alten" und einem "neuen" Europa die Rede war und davon gesprochen wurde, "Deutschland zu ignorieren". Es wird in Zukunft gewiss keine Rückkehr zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen geben, wie sie vor dem 11. September existierten, und erst recht nicht wie am Ende des Kalten Krieges.

Wahrscheinlich werden wir die deutsch-amerikanischen und die europäisch-amerikanischen Beziehungen vor einem neuen Hintergrund sehen, der sich aus den Entwicklungen in jüngerer Zeit ergibt. Möglicherweise werden wir sogar Zeugen eines symbolischen und substanziellen "Brückenschlags" zwischen dem "alten" und dem "neuen" Europa, der die deutsch-amerikanischen Beziehungen in einen neuen Kontext stellt und den transatlantischen Bindungen neuen Auftrieb verleiht.

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Susanne Laux (Königswinter).

Veränderungen im politischen Umfeld

Im vergangenen Jahr gab es ernüchternde und strategische Entwicklungen, die Amerikaner, Deutsche und Europäer zu einer Neueinschätzung ihrer transatlantischen Politik bewogen haben. Der Iran hat zur Vernichtung Israels aufgerufen und scheint entschlossen, ein Nuklearprogramm aufzubauen, das auf den Besitz von Atomwaffen hinausläuft; Russland hat in seiner Auseinandersetzung mit der Ukraine über die Lieferung von Erdgas gezeigt, dass es bereit ist, eine Einschüchterungspolitik gegenüber seinen Nachbarstaaten einzusetzen; London hat die Tötung unschuldiger Bürger durch Terroristen ertragen müssen - dies alles und der "Kampf der Kulturen", der nach der Veröffentlichung provokanter Karikaturen durch die dänische Zeitung Jyllands Posten die muslimische und transatlantische Welt erschüttert, haben zu einer neuen Wertschätzung der transatlantischen Allianz und ihrer Bedeutung für Europa und die Vereinigten Staaten beigetragen.

Auch der im Herbst 2005 erfolgte Kanzlerwechsel in Deutschland hat zu Veränderungen geführt. Beobachter in Washington haben die ersten Signale und Schritte der neuen Regierung in Berlin mit großem Interesse verfolgt. Die Konservativen quittierten den Amtseid, den Bundeskanzlerin Merkel mit der Formel "So wahr mir Gott helfe" leistete, und die Aussage in ihrer Antrittsrede, Deutschland müsse "mehr Freiheit wagen", mit Zustimmung. Als sie bei ihrem Besuch in der amerikanischen Hauptstadt im Januar betonte, dass die europäische Integration unter ihrer Regierung nur vor dem Hintergrund der transatlantischen Zusammenarbeit fortgeführt werde, wurde Merkel von Demokraten und Republikanern lebhaft gefeiert. Einige der schärfsten Kritiker Deutschlands in den USA sahen sich durch Merkels Besuch zu der Schlussfolgerung veranlasst, in den deutsch-amerikanischen Beziehungen könne nun ein neues Kapitel aufgeschlagen werden.

Auch für die gegenwärtige amerikanische Regierung unter George W. Bush hat sich das politische Umfeld im vergangenen Jahr beträchtlich gewandelt. Zum Auftakt seiner zweiten Amtszeit im Januar 2005 betonte Bush in seiner Antrittsrede, Amerika werde die Fackel der Freiheit auch weiterhin in alle Winkel der Welt tragen. Kühne Pläne für innenpolitische Reformen wurden angekündigt (so zum Beispiel bezüglich des amerikanischen Rentensystems und der sozialen Absicherung). Von diesen grandiosen internationalen und nationalen Ambitionen ist allerdings herzlich wenig geblieben - derzeit kämpft die Bush-Regierung um die Unterstützung der amerikanischen Wähler. Sinkende Werte in den Meinungsumfragen erinnern Bush daran, dass die Amerikaner den Präsidenten ein zweites Mal gewählt haben, weil sie von ihm mehr Sicherheit und Stabilität erwarteten - sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht als auch, was die Verhinderung von Terroranschlägen auf amerikanischem Boden angeht. Was die Wähler nicht wollen, sind weitere innen- und außenpolitische Turbulenzen.

Das im vergangenen Jahr entstandene neue Umfeld in den europäisch-amerikanischen Beziehungen animierte die US-Regierung, nach einem Höchstmaß an Konsens mit ihren europäischen Verbündeten zu suchen. Und dieses neue Umfeld hat auch dazu geführt, dass sich die Europäer untereinander über die Verteidigung von Grundfreiheiten gegen Intoleranz und Einschüchterung abstimmen. Es wird wieder über die Notwendigkeit diskutiert, kulturelle Werte und politische Traditionen auf nationaler Ebene zu stärken. Die Ereignisse des vergangenen Jahres haben die außenpolitische Rhetorik der USA gedämpft und die europäische Haltung zu Themen wie Freiheit und Sicherheit geschärft.

Grenzen des neuen Umfeldes

Natürlich muss festgehalten werden, dass es nicht so schlecht um die transatlantischen Beziehungen bestellt war, wie die täglichen Zeitungsüberschriften vielleicht suggeriert haben. Die Handelsbeziehungen zwischen Europa und Amerika haben noch nie zuvor in der Geschichte derart floriert wie heute, die deutschen Exporte in die Vereinigten Staaten befinden sich auf einem Höchststand. Deutsche Unternehmen sind eifrig dabei, amerikanische Partnergesellschaften aufzukaufen, und doch ist in den USA keine Rede davon, dass sich "deutsche Wanderheuschrecken" auf amerikanischen Landschaften niederließen. Auch sind die Amerikaner zutiefst dankbar für den umfassenden Beitrag, den die Deutschen im Kampf gegen die Taliban in Afghanistan und gegen den Terror in anderen Teilen der Welt leisten.

Betont werden muss allerdings auch, dass diese Beziehungen noch keine neue "politische Welt" geschaffen haben. Noch immer muss die Bush-Administration auch jenen Teil ihrer Wählerschaft ansprechen, der eindeutige Aussagen über die Verbreitung der Freiheit in der Welt und einen nachhaltigen Wandel in internationalen Institutionen wie den Vereinten Nationen erwartet. Deshalb macht die Bush-Administration einerseits deutlich, dass sie ein neues Kapitel der Zusammenarbeit mit ihren europäischen Verbündeten anstrebt (dies begann bereits während des Besuchs des Präsidenten in Europa im Februar 2005). Sie scheut andererseits nicht davor zurück, eine neue Initiative für eine auf Veränderung ausgerichtete, eine "transformative" Außenpolitik bei der Aufstellung ihrer globalen Agenda anzukündigen.

Natürlich ist auch der Bush-Regierung klar, dass Bundeskanzlerin Merkel vor einem eigenen innenpolitischen Hintergrund agiert. Beobachter in den USA haben sehr wohl bemerkt, dass Angela Merkel im zurückliegenden Wahlkampf vom damaligen Kanzler Schröder in der Wählergunst nicht "überflügelt" werden konnte, indem er (wenn auch indirekt) die "antiamerikanische Karte" ausspielte. Gelassen nahm Bush dabei zur Kenntnis, dass die Bundesregierung auch unter Angela Merkel ihre politische Unabhängigkeit von Washington unter Beweis stellte - so etwa Merkels deutliche Anmerkungen zum Gefangenenlager in Guantanamo.

Das Ende des Kalten Krieges und die fortschreitende europäische Integration hat in Deutschland eine neue politische Kultur entstehen lassen, die in nationale und europäische Interessen eingebettet ist und weniger vom früheren Weltbild der Besatzung und der Bipolarität bestimmt wird. Diese Neuausrichtung wurde jüngst von amerikanischer Seite anerkannt, als US-Außenministerin Condoleezza Rice ankündigte, einen beträchtlichen Teil ihres diplomatischen Personals aus Deutschland abzuziehen. Derzeit, so ihre Argumentation, hätten die USA in Deutschland, einem Land mit 80 Millionen Einwohnern, so viele Diplomaten stationiert wie in Indien, einem Land mit mehr als einer Milliarde Menschen.

Mit Sicherheit sehen Amerikaner aller politischen Couleur auch potenzielle Konflikte mit Europa. Wie sollte die beste Strategie bezüglich des Iran und dessen Nuklearprogramm aussehen? Wie entschieden sollte man gegenüber Russland auftreten und dessen Bestrebungen, seinen regionalen Einfluss selbst gegen den Willen der Nachbarstaaten auszudehnen? Wie sieht die richtige Mischung von Engagement und Entschlossenheit aus, um China in die internationale Staatengemeinschaft zu integrieren? Expertengruppen und hohe Beamte aus Berlin, Brüssel und Washington arbeiten konstruktiv und in enger Abstimmung an diesen und anderen Problemen, um transatlantische Strategien zu deren Lösung zu entwickeln. Diese "Technokratie" findet wiederum im Kontext von "Demokratie" statt. Auf beiden Seiten des Atlantiks wurde schon oft versucht, die von Natur aus komplexen Entscheidungen zu "vereinfachen", damit politische Profile und stabile Regierungen errichtet werden können.

Tatsächlich war die amerikanische Reaktion auf die transatlantischen Herausforderungen unserer Zeit komplexer als häufig dargestellt. Die amerikanische Außenpolitik lässt sich nicht, wie in Deutschland und anderen europäischen Ländern häufig geschehen, auf Allgemeinplätze wie "Isolation", "Indifferenz" oder "Expansion und Imperialismus" reduzieren. Viel stärker wurde die amerikanische Europapolitik unter George W. Bush (und unter Bill Clinton) von vier unterschiedlichen, miteinander verwandten Variablen bestimmt: Wahlen, Wählerschaften, politischen Ereignissen und dem Streben nach einem neuen Gleichgewicht in den transatlantischen Beziehungen. Betrachtet man diese Variablen in ihrer Gesamtheit, kann man von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Präsidentschaften sprechen, welche die transatlantische Politik seit dem Ende des Kalten Krieges geprägt haben.

Bill Clinton und George W. Bush

Der frühere US-Präsident Bill Clinton und seine Ehefrau, die jetzige Senatorin Hillary Clinton, genießen in Deutschland fast schon den Status von Berühmtheiten; sie haben ihre Memoiren veröffentlicht, die in Deutschland zu Bestsellern wurden. Diese Entwicklung wird teilweise von der Distanz gefördert, die viele Deutsche zum gegenwärtigen US-Präsidenten und zu dessen Politik empfinden. Heute wird häufig übersehen, dass die transatlantischen Beziehungen auch während Bill Clintons Präsidentschaft unterschiedliche Phasen durchlaufen haben.

Clinton profilierte sich 1992 bei den Präsidentschaftswahlen gegen George Bush sen. durch eine harsche Kritik am Präsidenten sowie an dessen außenpolitischem Kurs, der vor allem in Bezug auf China und den Balkan auf Vermittlung mit den Europäern setzte. Ganz offen rügte Clinton die fehlende europäische Entschlossenheit, das Morden auf dem Balkan zu beenden, und Europas lauwarme Reaktion auf die Menschenrechtsverletzungen in China. Clintons Bemerkungen zielten darauf ab, die progressiven Demokraten zu mobilisieren - jene Wählerklientel, auf die er zum Gewinn der Präsidentschaftswahlen angewiesen war. Progressive Demokraten, wie etwa der frühere Präsident Jimmy Carter, glaubten fest an die Bedeutung moralischer Grundsätze in der Außenpolitik, vor allem, wenn es um Menschenrechte geht. Clinton neigte in außenpolitischen Fragen eher dazu, vorsichtig zu agieren; er gehörte dem anderen Flügel seiner Partei an, den gemäßigten oder New Democrats. Nach den Wahlen war die scharfe Rhetorik Clintons zunächst einer der bestimmenden Faktoren der transatlantischen Politik. Dies ließ bereits viele Europäer von einer neuen "amerikanischen Arroganz" und einer "Cowboy-Mentalität" im Weißen Haus sprechen.

Der amtierende Präsident George W. Bush musste sich bei den Wahlen des Jahres 2000 seinerseits profilieren, indem er die eigene, sich ebenfalls auf zwei Flügel aufteilende republikanische Klientel ansprach. Den gemäßigten Republikanern, denen auch sein Vater zugerechnet wurde, versprach Bush, eine moderate Außenpolitik zu verfolgen, die jene Art des nation building vermeiden werde, welche das Weiße Haus unter Clinton/Gore in Haiti, Somalia und anderswo betrieben habe. Den so genannten Neokonservativen sagte Bush hingegen die Verfolgung nationaler Interessen auf direkter und robuster Art zu.

Die frühe Phase der Präsidentschaft Bushs blieb der Rhetorik des Wahlkampfs verhaftet. Die erste Auslandsreise des Präsidenten führte diesen nicht in die "große" Politik nach Moskau, sondern zur Pflege der nachbarschaftlichen Beziehungen nach Mexiko. Gleichzeitig kündigte Bush sein Nein zum Klimaprotokoll von Kyoto und zum Internationalen Strafgerichtshof an. Angesichts dieses Appells an die neokonservative Basis schüttelten erneut viele Europäer den Kopf und sprachen von einer "Arroganz der amerikanischen Macht".

Bestimmte politische Ereignisse beeinflussten beide Präsidentschaften und deren transatlantische Politik. Unter Clinton rückte die deftige Rhetorik über den "Kampf gegen das Böse" auf dem Balkan langsam in den Hintergrund. Er wollte stattdessen gemeinsam mit den Europäern eine Strategie ausarbeiten, um den Konflikt einzudämmen. Spürbare amerikanische Verluste wollte er vermeiden. Angesichts des enormen Handelsumfangs der USA mit China und seines Versprechens, er werde sich "auf die Wirtschaft konzentrieren wie ein Laser", nahm Clinton auch seine Kritik an der europäischen Chinapolitik Schritt für Schritt zurück.

Während seiner Präsidentschaft erlebte Clinton allerdings auch keinen "11. September". Es gab in seiner Amtszeit zwar Terroranschläge (1993 auch auf das World Trade Center), jedoch nicht in einer Größenordnung, die die nationale Sicherheit in ihren Grundfesten erschütterte. Nach dem 11. September erzielte Präsident Bush mit seinen Maßnahmen gegen die Taliban in Afghanistan noch einen weitgehenden Konsens mit der transatlantischen Gemeinschaft. Auch in Deutschland gab es zunächst große Unterstützung. Das Ausmaß der Terroranschläge trug jedoch dazu bei, dass Bush den Neokonservativen in seiner republikanischen Koalition mehr und mehr nachgab. In ihrem Interesse lag auch die Invasion des Iraks, um künftigen Terroranschlägen zuvorzukommen. Eine vorsichtige, konservative Außenpolitik wandelte sich so zu einer kühnen und "transformativen" Außenpolitik.

Beide Präsidenten, Bill Clinton und George W. Bush, suchten am Ende nach einem neuen Gleichgewicht in ihrer transatlantischen Politik. Ihren vielleicht deutlichsten Ausdruck fand diese Zusammenarbeit 1999 in der Amtszeit Clintons in der Verständigung mit Frankreich und Deutschland, die Bombardierung serbischer Ziele im Kosovo durch die NATO auch ohne ein entsprechendes Mandat des UN-Sicherheitsrates zu genehmigen. Dies erforderte eine Neuinterpretation des NATO-Vertrages, der Beziehungen der NATO zu den Vereinten Nationen (UN) und dessen, was bei der "Territorialverteidigung" erlaubt war. Es war eine Neuinterpretation des Völkerrechts, die ein präventives Vorgehen zur Vermeidung weiteren Blutvergießens auf dem Balkan einschloss. In dem Maße, in dem die Kosten seiner robusten Rhetorik und seiner außenpolitischen Verpflichtungen deutlich werden, sucht auch Präsident Bush - vor allem im Nahen Osten - nach einem neuen Gleichgewicht mit seinen europäischen Verbündeten.

Natürlich gibt es hinsichtlich der europäisch-amerikanischen Beziehungen klare Unterschiede zwischen Clinton und Bush. Clinton trug 1995 dazu bei, eine Neue Transatlantische Agenda ins Leben zu rufen, die dazu beitragen sollte, jene Verstimmung in den europäisch-amerikanischen Beziehungen zu beheben, die bis dahin in seiner Präsidentschaft augenfällig war. George W. Bush ist einerseits ganz sicher gewillt, ein neues grand design vorzulegen (die Greater Middle East Initiative), andererseits wird er etwas Ähnliches wohl kaum im transatlantischen Kontext unternehmen. Das ist allein schon angesichts des von ihm kultivierten Images des "texanischen Stolzes" und vor dem Hintergrund der angespannten Beziehungen in den vergangenen beiden Jahren unwahrscheinlich. Clinton und Bush nahmen in der transatlantischen Politik aber auch ähnliche Positionen ein - insbesondere als beide Präsidenten versuchten, eine Regierungsmehrheit aus jenen Wählerschaften zu bilden, welche die Kultur der amerikanischen Außenpolitik bestimmen. Dies sind im Wesentlichen vier außenpolitische Gruppierungen: progressive und gemäßigte Demokraten, neokonservative und gemäßigte Republikaner.

Wie Steven Kull, ein langjähriger Beobachter der öffentlichen Meinung in Amerika, festgestellt hat, gibt es in den USA eine breite Unterstützung für die internationale Staatengemeinschaft und das Völkerrecht. Viele Amerikaner sehen es aber auch als gerechtfertigt an, sich unter bestimmten Umständen über internationale Gesetze hinwegzusetzen. Deshalb sprechen sowohl die progressiven Demokraten als auch die neokonservativen Republikaner von einer "bedingten Souveränität" bzw. dem Recht der internationalen Gemeinschaft, die Souveränität eines Staates bei Vorliegen eines zwingenden Grundes einzuschränken (wie etwa bei Menschenrechtsverletzungen oder der Ausbreitung des Terrorismus).

Die gemäßigten Republikaner und Demokraten sind zurückhaltender, wenn es um eine "revisionistische" Außenpolitik geht. Sie scheuen mit Sicherheit nicht vor dem Einsatz von Gewalt zurück. Doch als wichtigstes Instrument zur Förderung der internationalen Stabilität und des Vertrauens in die amerikanische Politik gilt die Suche nach einem diplomatischen Konsens. Diese gemäßigten Kräfte sind es, die den Großteil der engagierten Transatlantiker in den USA stellen. Sie haben aber auch erkennbar besorgt auf die jüngeren Entwicklungen in der deutschen und europäischen Transatlantikpolitik reagiert.

Gemäßigte Transatlantiker

Die gemäßigten Transatlantiker spiegeln die breite Mitte der politischen Kultur Amerikas wider, der politischen Karrieren und der politischen Analyse. Bezogen auf politische Karrieren steht dafür etwa Hillary Clinton, die bei der Münchner Sicherheitskonferenz (2005) über die zentrale Bedeutung der deutsch-amerikanischen und der europäisch-amerikanischen Beziehungen insgesamt für die amerikanischen Interessen und die weltweite Stabilität sprach. Dafür steht auch John McCain, Senator von Arizona, der bei der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz einen neuen Tonfall und eine neue Qualität in den deutsch-amerikanischen Beziehungen begrüßte. Zu dieser breiten Mitte gehören auch weithin respektierte Wissenschaftler wie Adam Posen vom Institute for International Economics, der die Bedeutung Deutschlands für die amerikanischen Interessen auf fast schon klinische Art und Weise analysiert; oder Stephen Szabo, ein in seinen Einschätzungen sehr besonnener Beobachter der deutsch-amerikanischen Kontakte, für den die Zukunft der bilateralen Beziehungen nicht von Pessimismus oder Optimismus bestimmt wird, sondern "viel eher eine Frage von Realismus darstellt".

Derartige Analysen unterstreichen die Bedeutung Deutschlands und Europas für die amerikanischen Interessen, aber auch den auf Ausgleich ausgerichteten Ansatz, den die Vereinigten Staaten in transatlantischen Fragen verfolgen müssen und der seit mindestens drei Jahrzehnten zur Tradition der gemäßigten Transatlantiker gehört. Dabei sind auch die gemäßigten Transatlantiker nicht davor zurückgescheut, die europäische Politik sehr kritisch zu beurteilen; natürlich haben auch die Europäer im Gegenzug den Amerikanern vorgeworfen, unsensibel oder arrogant zu sein. Diese Wortwechsel haben in europäisch-amerikanischen Angelegenheiten eine lange Tradition.

Die unterschiedlichen Facetten transatlantischer Spannungen werden vielleicht von niemandem besser verkörpert als von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Ihm "verdanken" wir nicht nur die Unterscheidung zwischen einem "alten" und einem "neuen" Europa, sondern auch den Gedanken, dass den transatlantischen Interessen der USA mit diesem "neuen" Europa möglicherweise künftig besser gedient sei. Zu einem frühen Zeitpunkt seiner Karriere diente Rumsfeld in der von gemäßigten Republikanern gestellten Regierung unter Richard Nixon als US-Botschafter bei der NATO (1973 - 74), wo er seine Laufbahn als überzeugter Transatlantiker begann. Während der größten Spannungen bei der Bildung einer Koalition zur Invasion des Iraks stichelte Rumsfeld 30 Jahre später, dass nur ein "neues" Europa gewillt sei, die Vereinigten Staaten zu unterstützen. Bestimmte Verbündete wollte Rumsfeld damit provozieren, und das ist ihm mit Sicherheit auch gelungen. Aber wie Rumsfeld bei den beiden vergangenen Sicherheitskonferenzen in München betont hat: Dieses Kapitel der transatlantischen Beziehungen ist weitgehend abgeschlossen.

Merkels Monnetismus

Andere gemäßigte Transatlantiker waren weniger "diplomatisch" als der "neue" Donald Rumsfeld, wenn es in jüngerer Zeit darum ging, die US-Politik Deutschlands und Europas zu beurteilen. Dies trifft vor allem auf jene Winkelzüge zu, die Deutschland und Frankreich in ihren strategischen Beziehungen zu China und Russland vollzogen haben. Dass Frankreich eine besondere Beziehung zu China und Russland sucht, um eine multipolare Welt zu fördern, ist nichts Neues. Charles de Gaulle hat dies bereits in den sechziger Jahren getan. Neu war hingegen, dass Deutschland bereit war, sich daran zu beteiligen und de facto einen "deutschen Gaullismus" zu praktizieren.

Dies war für die gemäßigten Transatlantiker in den Vereinigten Staaten alarmierend. Über China hat Adam Posen geschrieben: "Wenn die politischen Spannungen zwischen der einen Seite des Pazifiks und der anderen steigen, haben die Regierenden in Europa oftmals nichts Besseres zu tun, als eifrig nach Peking zu reisen und Airbus-Verträge abzuschließen. Dies zeigt nicht nur ein Auseinanderklaffen der Wahrnehmung der Bedrohung, sondern es zeigt auch schieren Opportunismus." Die gemäßigten Transatlantiker in den USA, Demokraten wie Republikaner, stimmen vor allem mit Posens Einschätzung überein, wenn es um die mögliche Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China geht - ein Politikwechsel, der von der französischen und der rot-grünen Bundesregierung offen betrieben wurde.

Aus Sicht der gemäßigten Transatlantiker erreichten die besonderen Beziehungen zwischen Paris, Berlin und Moskau ihren vielleicht heikelsten Punkt mit der Ankündigung, dass der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder dem Aufsichtsrat des russischen Energiekonzerns Gazprom beitreten werde. Die politisch unabhängige Tageszeitung Washington Post titelte "Gerhard Schröders Ausverkauf" und meinte, die Entscheidung des Ex-Kanzlers, "seinen Job bei der deutschen Regierung gegen einen Job bei der russischen Regierung einzutauschen, sollte bei den deutschen Wählern Fragen aufwerfen über die Beziehungen ihres Landes zu Russland".

Eine gaullistische Politik ist jedoch nicht nur ein Instrument, mit dem Frankreich oder irgendein anderer Staat seinen weltweiten Einfluss mittels strategischer Beziehungen beispielsweise zu Moskau oder Peking auf Kosten der USA zu stärken versucht. Sie ist auch ein nationales Instrument, um durch amerikakritische Argumente innenpolitische Machtkoalitionen zu schmieden. Der wiederholte Einsatz solcher Argumente bei den letzten beiden Bundestagswahlen verlieh der deutschen Politik und den deutsch-amerikanischen Beziehungen eine neue Qualität. Stephen Szabo hat es so zusammengefasst: "Die Gefahr bleibt bestehen, dass in Deutschlandein tiefer Antiamerikanismus Wurzeln schlägt, der über politische Unterschiede hinausgeht und bis zu einer Entfremdung reicht, die noch stärkere Besorgnis erregt."

Es ist ein großer Unterschied, ob man die "antiamerikanische Karte" ausspielt oder einfach seine Bedenken ausdrückt und die amerikanische Politik kritisch beurteilt. Deshalb haben die gemäßigten Transatlantiker in den USA auch besonnen auf die Bemerkungen zu Guantanamo reagiert, die Angela Merkel direkt vor ihrem USA-Besuch geäußert hat - Bemerkungen übrigens, die viele dieser Gemäßigten, egal ob Hillary Clinton oder John McCain, unterstützen. Von der breiten politischen Klasse und den gemäßigten Kräften in Washington ist Angela Merkel so herzlich aufgenommen worden, weil sie unmissverständlich eine Abkehr von der aufkommenden gaullistischen politischen Kultur in Deutschland signalisiert hat. Stattdessen vertritt sie eine Vision der europäischen und transatlantischen Angelegenheiten, die von Jean Monnet entworfen wurde.

Bereits während des Zweiten Weltkriegs zeigten sich die ersten Spannungen zwischen der europäischen Vision de Gaulles und Monnets. Jean Monnet war im Weißen Haus ein willkommener Gast und verhandelte mit der Roosevelt-Administration über die Zukunft Europas. Dass Monnet französische und europäische Interessen vertrat, war für die Amerikaner kein Problem. Er sprach sich mit seinen amerikanischen Verbündeten dabei aber auf eine Art und Weise ab, die Vertrauen schuf. In genau diese Tradition stellte sich Angela Merkel, als sie davon sprach, die europäische Integration auf dem Fundament der transatlantischen Zusammenarbeit aufbauen zu wollen. Wie zurückhaltend die Amerikaner auch immer auf die europäische Integration und Europas wachsende Rolle in der Welt reagiert haben - entscheidend war, ob es dabei um eine gaullistische Agenda oder die Vision von Jean Monnet ging. Im Allgemeinen haben die Amerikaner die europäische Integration nachhaltig unterstützt (angefangen beim Marshall-Plan), weil sie von Monnets Argument überzeugt waren, dass die regionale Stabilität Europas von zentraler Bedeutung für die internationale Stabilität sei. Weniger zuversichtlich stimmte die Amerikaner eine europäische Integration im Sinne de Gaulles, welche die amerikanische Machtposition herauszufordern schien.

Merkels "Strategie à la Monnet" lieferte auch den Hintergrund für einen Brückenschlag zwischen "altem" und "neuem" Europa. Donald Rumsfelds Unterscheidung bezog sich auf die Bereitschaft einiger europäischer Staaten, die Irak-Politik von Präsident Bush zu unterstützen. Der Ausgangspunkt hierfür war der so genannte "Brief der Sieben" vom Januar 2003, in dem sich führende Politiker aus sieben EU-Staaten für eine militärische Intervention im Irak aussprachen. Unterzeichnet wurde der Brief zum Beispiel von Vaclav Havel, dem damaligen Präsidenten der Tschechischen Republik. Auch als im Irak keine Massenvernichtungswaffen gefunden werden konnten, erklärte Havel, dass der Sturz des Tyrannen Hussein richtig gewesen sei. Andere Politiker aus Osteuropa, die sich in der kommunistischen Ära im Freiheitskampf engagiert hatten, argumentierten ähnlich, etwa Adam Michnik aus Polen. Wenn Bundeskanzlerin Merkel davon spricht, "mehr Freiheit wagen zu wollen", dann zollt sie diesem Teil der europäischen Geschichte und seiner Bedeutung für die europäische Integration ihre Anerkennung.

Schon zu Beginn ihrer Amtszeit hat Bundeskanzlerin Merkel signalisiert, dass sie mit ihrer Politik keinen gaullistischen "Dreiklang" zwischen Berlin, Moskau und Paris auf Kosten mittel- und osteuropäischer Interessen anstrebt. Sie hat stattdessen signalisiert, dass sie die unterschiedlichen Teile Europas miteinander verbinden möchte - in enger transatlantischer Zusammenarbeit. Mit dieser Politik kann Deutschland eine konstruktivere Rolle dabei spielen, den transatlantischen Raum neu - und zwar von Washington bis Warschau - zu fassen, wodurch die europäische Integration weiter gefördert werden könnte. Vollzieht sie sich nach Monnet'schem Muster, ist diese ein wichtiges Ziel amerikanischer Politik, egal, ob die US-Regierung von Demokraten oder Republikanern gestellt wird. Merkel ist durchaus in der Lage, sowohl die eigenen nationalen Interessen zu verteidigen als auch eine neue Strategie zu verfolgen, bei der sie die europäische Integration fördert und die Spaltungen innerhalb des Kontinents bzw. zwischen Europa und den USA verkleinert.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zitiert nach "Frau Merkels Gespür für Stil", in: Süddeutsche Zeitung vom 6.2. 2006.

  2. Vgl. Victorino Matus, Angela in America: Germany's New Chancellor Gets a Warm White House Welcome, in: The Weekly Standard vom 30.1. 2006.

  3. Vgl. Dan Hamilton/Joseph Quinlan, Partners in Prosperity, Washington 2004.

  4. Vgl. die Rede von Außenministerin Condoleezza Rice an der Georgetown Universität in Washington D.C., in der sie am 18. Januar 2006 die neue "Transformational Diplomacy Initiative" ankündigte.

  5. Vgl. Schröder, the Underdog, Plays an Old Card With a New Face: Iran, in: New York Times vom 16.8. 2005.

  6. Vgl. Bob Woodward, Plan of Attack, New York 2004.

  7. Oder je nach Standpunkt des Betrachters zu einer revolutionären; vgl. Ivo Daalder/James Lindsay, America Unbound: The Bush Revolution in Foreign Policy, Washington 2003.

  8. Vgl. Steven Kull, Vox Americani, in: Foreign Policy, September/Oktober (2001).

  9. Vgl. Adam Posen, Amerika kann deutsche Führungskraft gebrauchen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3.1. 2006.

  10. So Szabo in einer im Internet geführten Debatte des American Institute for Contemporary German Studies (AICGS). Vgl. www.aicgs.org. Szabos Analyse findet sich in ausführlicherer Form in: Parting Ways: The Crisis in German-American Relations, Washington 2004.

  11. Vgl. A. Posen (Anm. 9).

  12. Washington Post vom 13.12. 2005.

  13. Vgl. die Internet-Debatte des AICGS (Anm. 10).

  14. Vgl. das Interview mit Adam Michnik in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 6.2. 2004.

Ph.D., geb. 1962, DAAD-Professor for American and InternationalStudies, Institute for American Studies, Universität Leipzig, Beethovenstraße15, 04107 Leipzig.
E-Mail: E-Mail Link: crister.garrett@uni-leipzig.de