Einleitung
Als Unternehmer und Verbandsfunktionäre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begannen, über den Wiederaufbau ihrer Organisationen nachzudenken, orientierten sie sich an dem vertrauten, seit dem Kaiserreich eingespielten Muster: Ohne größere Debatten fingen sie an, die gewohnte und aus ihrer Sicht bewährte dreigliedrige Verbandsorganisation, wie sie bis 1933 bestanden hatte - also Verbände mit wirtschaftspolitischen, sozialpolitischen und regionalwirtschaftlich-öffentlichen Aufgaben-, wieder zu errichten.
Sie gerieten dabei jedoch - zumindest anfangs - in Konflikt mit den Besatzungsbehörden, die entweder keinerlei Einmischung in ihre Politik duldeten oder auf Änderungen der Organisationsform oder der Zuständigkeiten drängten, die den jeweiligen heimischen Verbandssystemen entsprachen oder negative Erkenntnisse widerspiegelten, die sie von den deutschen Wirtschaftsorganisationen im Laufe des Krieges gewonnen hatten.
Für die im Entstehen begriffenen Verbände kam es deshalb darauf an, ihr Verhältnis zu diesen Stellen zu klären und auf deren Wünsche und Erwartungen zu reagieren - genau in der gleichen Weise, wie sie es seit jeher gegenüber staatlichen Stellen getan hatten und unmittelbar nach dem Krieg, in Ermangelung deutscher staatlicher Strukturen, gegenüber den Besatzungsbehörden tun mussten. Um diese Beziehung zwischen Unternehmerverbänden und Staat, um den Wandel, dem sie unterworfen war, aber auch um Elemente der Kontinuität, geht es in folgendem Beitrag. Diese Beziehung kann im Wesentlichen entweder pluralistisch oder korporatistisch organisiert sein.
Mit dem Begriff "Pluralismus" wird, stark vereinfacht, ein System vielfältiger, konkurrierender und autonomer Interessenartikulation und -vermittlung bezeichnet. "Korporatismus" bedeutet hingegen, dass der Staat bestimmte einflussreiche Interessengruppen in institutionalisierter Form in den politischen Entscheidungsprozess einbezieht; als "klassischer Fall" gilt die Zusammenarbeit von Staat, Unternehmerverbänden und Gewerkschaften.
Angesichts der Zahl von gegenwärtig über tausend bundesweit, regional oder nach Industriezweigen organisierten Verbänden konzentriert sich die Betrachtung des Verhältnisses zwischen Unternehmerverbänden und Staat auf die so genannten Dach- oder Spitzenorganisationen sowie auf einige einflussreiche Branchenverbände: also auf den "Bundesverband der Deutschen Industrie" (BDI), die "Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände" (BDA) und den "Deutschen Industrie- und Handelskammertag" (DIHK, bis Juni 2001 DIHT - Deutscher Industrie- und Handelstag) sowie auf deren Vorläuferorganisationen.
Unternehmerverbände und Staat bis 1945
Die Ursprünge des heutigen Verbandswesens lassen sich bis in das frühe 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Staatliche Instanzen spielten dabei von Anfang an eine entscheidende Rolle: Entweder wirkten sie bei der Gründung der ersten Vereinigungen mit, oder Unternehmer und Kaufleute schlossen sich zusammen, um ihre Interessen gegenüber diesen Instanzen besser zu Gehör bringen zu können. Entsprechend ihrem Verhältnis zum Staat lassen sich Vereinigungen, die auch öffentlich-rechtliche Aufgaben übernahmen und deshalb von staatlicher Seite besondere Förderung erfuhren, und staatsunabhängige, "freie" Interessenvertretungen unterscheiden.
Auf die Zentralisierung der Staatsgewalt im Zuge der Reichseinigung 1871 und den mit der zwei Jahre später einsetzenden tief greifenden Wirtschaftskrise einhergehenden Anstieg staatlicher Interventionen in das Wirtschaftsleben reagierten die "freien" Verbände 1876 mit der Gründung des " Centralverbands Deutscher Industrieller" (CDI). Dort gaben die Schwer- und die Textilindustrie mit einem auf die Abschirmung der heimischen Märkte zielenden Programm den Ton an. Zusammen mit den entsprechenden Branchenverbänden versuchte der CDI, mittels publizitätsträchtiger Kundgebungen, Eingaben an die befassten Ministerien oder direkter Kontakte mit Regierungsvertretern bis hinauf zum Reichskanzler seine Ziele durchzusetzen. Da die Verbände den staatlichen Stellen ihren wirtschaftlichen Sachverstand und statistisches Material anboten, stießen sie dort auch in wachsendem Maße auf Gehör, wie nicht zuletzt der zollpolitische Kurswechsel der Reichsregierung im Jahr 1879 vom Freihandel zum Protektionismus eindrucksvoll verdeutlichte. Stärker freihändlerisch eingestellte verarbeitende Industriezweige, die einen hohen Anteil an kleinen und mittelgroßen Betrieben aufwiesen und eher im Süden und Südosten des Deutschen Reiches beheimatet waren, wurden in den folgenden Jahren im Centralverband mehr und mehr an den Rand gedrängt und schlossen sich deshalb 1895 zum "Bund der Industriellen" zusammen.
Eine engere Zusammenarbeit der rivalisierenden "freien" Verbände kam erst während des Ersten Weltkriegs im "Kriegsausschuss der Deutschen Industrie" zustande.
Bei Kriegsende herrschte zunächst große Unsicherheit über die Zukunft der kapitalistischen, auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln gründenden und durch den Markt regulierten Wirtschaftsordnung und damit zugleich über das Schicksal der Unternehmer und ihrer Organisationen. Da die Regierung in der Zeit der revolutionären Unruhen als verlässlicher Partner ausfiel, verbündeten sich führende Großindustrielle - zunächst unter Umgehung ihrer Verbände - mit den Gewerkschaften. Beide Seiten einte das Ziel, weitergehenden revolutionären Bestrebungen durch sozialpolitische Verbesserungen wie die Einführung des Achtstundentags zuvorzukommen. Diese "Zentralarbeitsgemeinschaft" wird oft als Paradebeispiel für den deutschen Korporatismus angesehen. Dass diese Deutung zutrifft, erscheint allerdings zweifelhaft, da der Staat als Garant der zwischen Unternehmern und Gewerkschaften getroffenen Vereinbarungen fehlte und die Unternehmerverbände das aus der Not geborene Bündnis nur halbherzig trugen, ehe es 1924 endgültig zerbrach.
Das Verhältnis zum Staat erfuhr in den Jahren der Weimarer Republik keine grundlegenden Veränderungen: Zwar verloren die Unternehmerorganisationen ihren privilegierten Zugang, zumindest solange Sozialdemokraten an der Regierung beteiligt waren, und die per Verfassung garantierte Koalitionsfreiheit schützte auch die Gewerkschaften. Auf die gewachsene Bedeutung des Parlaments reagierten sie mit verstärktem Lobbying gegenüber den bürgerlich-liberalen und national-konservativen Parteien. Aber es fehlte auch nicht an Möglichkeiten, direkte Kontakte zur Regierung herzustellen, nicht zuletzt durch die gängige Praxis, ehemalige hohe Beamte als Geschäftsführer einzustellen. Demgegenüber spielte der Reichswirtschaftsrat, ursprünglich als eine Art "Wirtschaftsparlament" geplant, keine nennenswerte Rolle. Von größerer Bedeutung als Ausdruck korporatistischer Konfliktregulierung war die staatliche Zwangsschlichtung, also die Möglichkeit eines von der Regierung bestellten Schlichters, einen Tarifstreit per Dekret zu beenden.
Auf den ersten Blick scheint es, als habe die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur tief greifende Veränderungen für die Verbandsstrukturen zur Folge gehabt. So wurden beispielsweise die sozialpolitischen Unternehmerorganisationen gemeinsam mit den "Vertretungen" der Arbeiter und Angestellten in die "Deutsche Arbeitsfront" eingegliedert, und die wirtschaftspolitischen Industrieverbände wurden auf Reichs- und Branchenebene nach einem kurzen "ständischen" Experiment in "Reichs-" bzw. "Wirtschaftsgruppen" reorganisiert, mit sechs anderen Reichsgruppen in einer "Reichswirtschaftskammer" zusammengefasst und formal dem Reichswirtschaftsministerium unterstellt. Schließlich setzte die Regierung neue organisatorische Richtlinien durch, nämlich Ausschließlichkeit, das heißt, für jeden Industriezweig war nur eine Organisation erlaubt, ferner die Zwangsmitgliedschaft aller Unternehmen der jeweiligen Branche und das Führerprinzip.
Reorganisation auf alten Pfaden 1945 bis 1950
Diesen Sachverstand wollten auch die westlichen Besatzungsbehörden nutzen. So enthoben beispielsweise die Briten die Wirtschaftsgruppen zwar ihrer Aufgaben, gestatteten aber zugleich die Gründung neuer Organisationen, sofern diese auf den Grundsatz der Zwangsmitgliedschaft verzichteten und sich lediglich um "unpolitische" Angelegenheiten kümmerten. Als erste Unternehmervertretungen konstituierten sich jedoch die Industrie- und Handelskammern, deren lokaler oder regionaler Einzugsbereich oft mit den Verwaltungsbezirken der Militärregierung übereinstimmte; als weiterer Vorzug gegenüber den Wirtschaftsgruppen kam hinzu, dass sie im "Dritten Reich" eher im Hintergrund agiert hatten. In der britischen und in der französischen Zone durften sie sogar ihre öffentlich-rechtlichen Zuständigkeiten behalten, während die Amerikaner auf privatrechtlichen Vereinigungen ohne Zwangsmitgliedschaft bestanden. Die von alliierter Seite gewünschten Schrittmacherdienste beim Aufbau von Fachverbänden konnten die Kammern indes nicht leisten, weil die Leitungsstäbe der Wirtschaftsgruppen mit Erfolg versuchten, direkte Kontakte zu den Besatzungsbehörden zu knüpfen.
Von Spätsommer 1945 an wurden in der britischen Zone bereits "freie" Verbände für alle wichtigen Industriezweige entsprechend den neuen, von der Militärregierung vorgegebenen Grundsätzen gegründet. Da in den Geschäftsführungen zunächst "vielfach die gleichen Damen und Herren wie vor 1945" tätig waren,
Das zweite Problem, das es nach dem Ende des Krieges zu lösen galt, war das der Organisation des Verbandssystems. Nachdem nahezu gleichzeitig Industrie- und Handelskammern und autonome wirtschaftspolitische Verbände gegründet worden waren, harrte nur noch die Frage der sozialpolitischen Zuständigkeiten auf eine Antwort. Bei dem gescheiterten Versuch zur Gründung eines Dachverbands vom August 1946 war auch darüber diskutiert worden, und eine Zweidrittelmehrheit der Anwesenden hatte sich gegen eine entsprechende Ausweitung des Aufgabenbereichs der Wirtschaftsverbände ausgesprochen. Eine definitive Entscheidung stand zwar noch aus, aber mit dem Aufbau der ersten Arbeitgebervereinigungen auf regionaler oder Branchenebene wurden bereits die Weichen in Richtung Rückkehr zum vertrauten, dreigliedrigen System gestellt.
Verbände und Staat in der Bundesrepublik
Das Verhältnis der Unternehmerverbände zum Staat in der 40jährigen Geschichte der "alten" Bundesrepublik wies zwei Charakteristika auf: Zum einen fällt das Bemühen der Verbände auf, gegenüber dem Staat ihre Autonomie zu wahren; zum anderen hing die Qualität dieses Verhältnisses davon ab, ob "bürgerliche" Parteien oder die Sozialdemokratie die Regierung stellten bzw. dominierten. Von einer "Herrschaft der Verbände", wie sie Theodor Eschenburg Mitte der fünfziger Jahre befürchtet hatte,
In den fünfziger Jahren standen eine Reihe wichtiger wirtschafts- und sozialpolitischer Entscheidungen an, und die Interessenvertretungen der Unternehmer, allen voran der BDI, bemühten sich nach Kräften und in teilweise ausgesprochen "hemdsärmeliger" Art, darauf Einfluss zu nehmen. Schon im Frühjahr 1950 beschwerte sich etwa Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard über den Geschäftsführer des BDI, weil dessen Briefe und Auftreten den Anschein erweckten, "als ob die Geschäftsführung des BDI berufen sei, das Wirtschaftsministerium zu führen".
Mit der Bildung der Großen Koalition Mitte der sechziger Jahre gingen die Zeiten eines gewissermaßen prinzipiellen Einverständnisses mit der Regierung in Fragen der Wirtschafts- und Ordnungspolitik - mit Abstrichen auch der Sozialpolitik - zu Ende. Nicht zufällig wuchs deshalb das Interesse der Unternehmerverbände, ihre Beziehungen zur christlich-sozialdemokratischen Regierung und insbesondere zum sozialdemokratischen Wirtschaftsminister Karl Schiller neu zu regeln. Die Möglichkeit dazu bot die "Konzertierte Aktion", die gemäß Stabilitätsgesetz vom Mai 1967 die Voraussetzungen für ein gleichzeitiges, aufeinander abgestimmtes Verhalten der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmerverbände schaffen sollte, indem wirtschafts- und sozialpolitische Orientierungsdaten erörtert wurden. Schon bald regte sich auf Unternehmerseite Widerstand gegen eine Ausweitung der Beratungsthemen und insbesondere gegen die Versuche des Wirtschaftsministers, den so genannten Lohnleitlinien ein höheres Maß an Verbindlichkeit beizumessen, als dies nach Ansicht der Arbeitgeber - und der Gewerkschaften - mit der Tarifautonomie verträglich war. Bereits anderthalb Jahre nach Beginn der "Konzertierten Aktion", im Herbst 1968, stand für den BDI deshalb fest, dass der Versuch, sie auf Dauer "zu einem institutionalisierten Beratungsgremium der Bundesregierung auszubauen (...), nicht zweckmäßig" sei.
Daran änderte sich auch in späteren Zeiten nichts, mochte es auch wiederholt Anläufe zur Wiederbelebung korporatistischer Verfahren und Instanzen geben. Weder der "soziale Trialog" Mitte der achtziger Jahre noch die verschiedenen Anläufe zu einem "Bündnis für Arbeit" seit den späten neunziger Jahren waren von Erfolg gekrönt.
Auswirkungen der Deutschen Einheit
Die im Zuge des Einigungsprozesses auftauchende Frage nach den Perspektiven der Unternehmerverbände im vereinten Deutschland hätte durchaus zu einer Revision der bisherigen Strukturen führen können, zumal die Verbände in der "alten" Bundesrepublik keineswegs unumstritten waren. Der Wunsch von Unternehmen, Kosten zu sparen, eine sinkende "Bindungsbereitschaft" in der jüngeren Unternehmergeneration oder die geringe "Transparenz von Verbandsleistungen, vor allem des formellen und informellen Lobbying für die Unternehmen", äußerten sich in einer zunehmenden Neigung zur Verbandsflucht.
Wie ist dieses bemerkenswerte Beharrungsvermögen zu erklären, warum scheiterten die Versuche zu einer Fusion insbesondere der wirtschafts- und der sozialpolitischen Verbände, von einigen Ausnahmen auf Landesebene abgesehen? Ludolf von Wartenberg, Hauptgeschäftsführer und Präsidiumsmitglied des BDI, verwies anlässlich des 50-jährigen Jubiläums seines Verbands auf die "bewährte Arbeitsteilung" zwischen BDI, BDA und DIHT: In einer "pluralen Mediendemokratie" sei eine "stark zentralisierte wirtschaftspolitische Interessenvertretung weniger schlagkräftig" als eine "optimierte Zusammenarbeit der Spitzenverbände mit ihrer unterschiedlichen Klientel". Außerdem kooperiere man bereits eng mit den beiden anderen Verbänden und verspreche sich überdies vom "Bezug des gemeinsamen Hauses" in Berlin eine Stärkung der "vorhandenen Synergien".
In der Rückschau weist das unternehmerische Verbandswesen in Deutschland tatsächlich ein erstaunlich hohes Maß an Kontinuität auf, und zwar vor allem mit Blick auf die "Drei-Säulen-Struktur", aber auch im Verhältnis zum Staat, in dem sich "pluralistische" und "korporatistische" Phasen zwar abwechselten, aber Erstere letztlich doch deutlich dominierten. Erstaunlich mutet diese Kontinuität nicht zuletzt deshalb an, weil sie der ansonsten gerne betonten Bereitschaft der Unternehmer widerspricht, neue Wege auszuprobieren. Ob die bewährten Pfade angesichts neuer Herausforderungen nicht doch verlassen werden müssen, bleibt abzuwarten.