Einleitung
Was wie eine Banalität klingt, ist ein Kernsatz im Selbstverständnis eines pluralistischen Gemeinwesens: Verbände sind für die Funktionsfähigkeit politischer Systeme unverzichtbar.
Das Vorurteil, Verbände würden politische Institutionen, Prozesse und Akteure zu einem Spielball organisierter Interessen degradieren, lässt sich nur schwer aus der Welt schaffen.
Neben den gesellschaftlichen Skeptizismus sind zusätzliche Probleme getreten: Die Bereitschaft zu ehrenamtlichem und bürgerschaftlichem
Funktionskatalog
Laut Pluralismustheorie liegt die Bedeutung von Verbänden für ein politisches System in der Repräsentation gesellschaftlicher Vielfalt.
Interessenaggregation
Unter Interessenaggregation wird die Bündelung einer Vielzahl heterogener Forderungen zu einheitlichen verbandspolitischen Zielen und programmatischen Aussagen verstanden.
Einerseits bedeutet dies eine erhebliche Einschränkung der Verbandsaktivität. Der Verband ist stets auf der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner innerhalb seiner Organisation. Andererseits bietet dieser Mechanismus zugleich einen wirksamen Schutz gegen schwer integrierbare Einzelinteressen von Untergruppen.
Die Aggregation von Interessen wird öffentlich kaum wahrgenommen. Dabei handelt es sich hier um eine Vorbedingung für die Verbandsarbeit überhaupt. Kernaufgabe der Aggregation ist die Auswahl einer eindeutig bestimmbaren Position aus den Einzelmeinungen, Wünschen, Bedürfnissen und Forderungen eines Interessenspektrums. Einerseits geschieht dies durch Bündelung, also die Zusammenfassung ähnlicher Interessen. Andererseits werden Forderungen auch komprimiert, auf ihre Kerninhalte reduziert. Auf diese Weise erreicht der Verband eine eindeutige sachliche Position, die er nun nach außen vertreten kann. In der Regel wird die Gesamtheit der aggregierten Positionen programmatisch zusammengefasst.
Aggregation ist aber auch hilfreich für die Entscheidungsfähigkeit der Adressaten im politischen System. Nur klar bestimmbaren Positionen und Forderungen können eindeutige Maßnahmen zugeordnet werden. So fungiert die Aggregation von Interessen als Schutzmechanismus des politischen Systems vor Überlastung. Würden Verbände diese Funktion nicht erfüllen, wären unzählige (einander widersprechende) Einzelforderungen gegenüber dem Entscheidungssystem die Folge. Die Befriedung gesellschaftlicher Konflikte durch politische Steuerungsmaßnahmen wäre vor diesem Hintergrund nur schwer möglich.
Interessenselektion
Selektion bezeichnet die aus der Aggregation resultierenden Wirkungen der Verbände auf das politische System. Um die beschriebene Überlastung des Systems zu verhindern, sind Filtermechanismen vonnöten, mit deren Hilfe eine Vorauswahl getroffen wird.
Verbände erfüllen diese Funktion, indem sie nur diejenigen Interessen vertreten, die realistisch durchsetzbar sind. Mit Selektion ist damit zunächst einmal ein Problem der verbandsinternen Willensbildung gemeint. Darunter ist zu verstehen, dass unterschiedliche Interessen auf einen Minimalkonsens zu bringen sind. Selektion ist daher die Findung eines Kompromisses, die Kanalisierung von eventuell divergierenden Forderungen im eigenen Interessenspektrum.
Dazu gehört auch der systematische Ausschluss von Extrem- und Minderheitsmeinungen. Verbände wählen Forderungen aus, die sie einerseits als besonders wichtig erachten, andererseits zu einem bestimmten Zeitpunkt für optimal durchsetzbar halten. Aus diesem Grund entwerfen sie Prioritätenlisten und verfolgen kurz-, mittel- oder langfristige Ziele. Durch öffentliche Thematisierung können sie bestimmte eigene Anliegen auf die Tagesordnung setzen. Je eher ein Verband dazu in der Lage ist, die politische Diskussion innerhalb und außerhalb des Parlamentes mitzubestimmen, desto erfolgreicher wird die verbandliche Arbeit sein. Mindestens ebenso wichtig ist die Fähigkeit, breite gesellschaftliche Diskussionen in den Medien zu verhindern oder aber Begriffe überhaupt zu besetzen.
Andererseits kommt diese Filterfunktion aber auch den Adressaten der Verbandspolitik zu: Amtsinhaber sind für an sie herangetragene Wünsche unterschiedlich empfänglich. Abgeordnete etwa haben selektiven Kontakt mit ausgesuchten Verbandsvertretern: Sie wählen aus, welche Interessen in ihrem Wahlkreis besonders berücksichtigt werden sollten. Es handelt sich dabei jedoch nicht um rein subjektive Selektionsleistungen. Die Ausrichtung an bestimmten Interessen bedeutet - im Gegenteil - immer auch eine Vereinfachung der gesellschaftlichen Realität. So garantieren Verbände den ungehinderten Kommunikationsfluss zwischen Staat und Gesellschaft. Aus diesem Grund können sich die staatlichen Institutionen nicht einfach durch den Ausschluss bestimmter Gruppen vor Überfrachtung schützen. Vielmehr müssen sie durch eine institutionalisierte und demokratisch legitimierte Form der Informationsauswahl Selektionsleistungen erbringen. Selektion kann mit negativen Folgen behaftet sein. Neben dauerhaftem Ausschluss kann sie auch zu einer Monopolisierung und Privilegierung von Interessen führen. Verbände wirken deshalb zugleich als "gate keeper" im politischen System. Denn die Handlungsfähigkeit des politischen Systems liegt ebenso in ihrem eigenen Interesse, wie die Monopolisierung und dauerhafte Exklusion von Interessen ihr entgegenstehen. Aus der Art und Weise, wie Verbände diese Funktion erfüllen, lässt sich der demokratische Zustand einer Gesellschaft ablesen.
Interessenartikulation
Artikulation bedeutet die Umformung von latenten in manifeste Interessen. Verbände wenden sich zur Durchsetzung der Mitgliederinteressen mit Forderungen an das zentrale politische Entscheidungssystem. In diesem Sinne leiten sie die Interessen der Mitglieder zunächst einmal lediglich weiter. Weitaus häufiger aber müssen Einzelinteressen des Verbandes erst einmal in konkrete Aussagen umformuliert werden. Allgemeine Einstellungen werden auf diesem Wege zu kollektiven Verhaltenserwartungen verdichtet. Dies geschieht entweder auf dem Wege der öffentlichen Diskussion oder durch den direkten Zugang zur für die Sachentscheidung zuständigen Stelle im Staatsapparat.
In dieser Funktion wird deutlich, dass Verbände Sachwalter ihrer Mitglieder sind. Sie versuchen, auf der Basis eines "generalisierten Mandats" deren Interessen vorzutragen und durchzusetzen. Insofern sind die Verbände auch als soziale Mechanismen zu betrachten: Sie machen auf Problemlagen aufmerksam, formulieren latente Interessen und machen diese öffentlich. Die Kommunikationsströme verlaufen innerhalb des Verbands aber nicht automatisch von unten nach oben. Nicht selten beruht die Formulierung der Verbandsziele auf der Initiative der Führungsgremien, die unter den Mitgliedern für ihre Vorschläge werben. Auf diese Weise werden die Mitglieder für spezifische Themen überhaupt erst sensibilisiert.
Artikulation ist innerhalb eines Verbandes ein hoch komplexer Vorgang. In seinem Verlauf initiiert, formuliert und transportiert die Führungsspitze eines Verbands Interessen. Der jeweilige Verband weist dabei umso mehr Durchsetzungsfähigkeit auf, je höher sein Organisationsgrad ist.
Artikulation ist noch am ehesten beobachtbar. Mit der stets wachsenden Bedeutung der medialen Inszenierung von verbandlichen Forderungen nimmt diese Tendenz zu. Spezifische Begriffe wie "pressure group" oder "Lobbyismus" deuten darauf hin, dass die Öffentlichkeit vor allen Dingen auf diese Funktion von Verbänden rekurriert, wenn es darum geht, den Charakter von Interessengruppen zu beschreiben.
Integration
Verbände wirken außerdem an der langfristigen Integration der Bürgerinnen und Bürger in den Staat mit. Neben den primären (Familie, "peer-group") und sekundären Integrationsinstanzen (Vorschule, Schule) bilden Verbände zusammen mit Parteien und Kirchen eine dritte Form politischer Integration.
Die Integrationsfunktion ergibt sich aus dem Zusammenspiel der bisherigen Funktionen. Werden diese zufriedenstellend erfüllt, so ist auch eine adäquate politische Integration der Vielzahl an Interessen gewährleistet. Verbände schaffen politisch-kulturellen Nährboden und bieten eine Vielzahl an Partizipationsmöglichkeiten. Damit ist auch politischer Ausgrenzung und subjektivem Empfinden der Machtlosigkeit ein Riegel vorgeschoben.
Insofern ist die Integrationsfunktion für die Befriedung von Gesellschaften elementar. Integration wird auch dadurch erzielt, dass sich die Mitgliedschaften von organisierten Interessen milieuübergreifend überlappen und so als Verbindungsglied fungieren. So kann das politische System höchstmögliche Integrationskraft entfalten und seine Grenzen stabilisieren.
Partizipation
Verbände bieten die Chance zur politischen Teilhabe und damit letztlich auch zu Information und Kommunikation.
Der demokratiepraktische Wert liegt auf der Hand: Nicht nur Verbände, die den Regierungskurs unterstützen, tragen zur Legitimation des politischen Systems bei. Auch der Opposition nahe stehende Organisationen, die sich mit Forderungen an die Akteure des politischen Systems wenden, erkennen seine grundsätzliche Legitimation an.
Sozioökonomische Selbstregulierung
Mit sozioökonomischer Selbstregulierung ist die Tatsache gemeint, dass es Politikbereiche gibt, in denen der Staat Aufgaben an Verbände delegiert hat (Wirtschaft, Gesundheit).
Der Staat wird dadurch erheblich entlastet. Besonders deutlich wird die entlastende Funktion verbandlicher Aktivität in der Tarifautonomie.
Legitimation
Legitimation ist die "Generalfunktion" unter den Verbandsfunktionen. Die Legitimation politischen oder sozialen Handelns ist in Demokratien mit transparenten Entscheidungsprozessen verknüpft. Verbände erfüllen diese Funktion, indem sie zentralen gesellschaftlichen Forderungen Ausdruck verleihen. Die staatlichen Institutionen ihrerseits sind zur Einhaltung der demokratischen Spielregeln verpflichtet. Legitim sind dementsprechend nur solche Maßnahmen und Eingriffe, die durch demokratisch legitimierte Mandatsträger demokratisch und rechtsstaatlich getroffen und beschlossen werden. Eine entscheidende Legitimationsstütze erhalten staatliche Institutionen vor allem dadurch, dass sie zur wichtigsten Instanz der Gewährleistung der Lebensgrundlagen aller Bürger geworden sind (Bildung, innere und äußere Sicherheit, Rahmenbedingungen für Wirtschaftswachstum). Umgekehrt würde ein Staat, der diese Funktionen nicht mehr wahrnehmen kann, nicht mehr auf die Anerkennung der Legitimität seiner Eingriffe und Forderungen (Wehr- oder Zivildienst, Steuererhebung, Sozialabgaben) durch die Bürger vertrauen können. In diesem Sinne besteht die staatliche Legitimation sowohl aus der Effizienz seiner Maßnahmen als auch der gleichzeitigen Einhaltung demokratischer Spielregeln durch ihn selbst. Darüber hinaus gilt für staatliche Entscheidungen und Maßnahmen das Prinzip der allgemeinen Verbindlichkeit. Dieses ist nur durchzusetzen, wenn sich die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger unterstützend hinter die staatlichen Eingriffe stellt.
Gerade hier spielen die Verbände eine entscheidende Rolle. Ist die Verfahrenslegitimität des demokratischen Staates einmal anerkannt, wird seine Effizienz in den Mittelpunkt gerückt. Einen nicht hinterfragbaren, allumfassenden Gestaltungsanspruch wie in totalitären Systemen gibt es im demokratischen Staat nicht. Er muss seine Eingriffe begründen und durch wohlfahrtsstaatliche und am Gemeinwohl orientierte Maßnahmen für die Loyalität der Bürger sorgen.
Die Verbände wirken an dieser Stelle als Repräsentanten spezieller Bevölkerungsgruppen entscheidend mit. Sie ermöglichen es dem Individuum, auch abseits der Wahlurne auf die Formulierung von Politik Einfluss zu nehmen. Außerdem wird in täglicher Verbandsarbeit sichergestellt, dass politische Entscheidungen nicht fernab konkreter Lebenssituationen der Menschen getroffen werden. Solange eine gesellschaftliche Gruppe eine reelle Chance sieht, den eigenen Forderungen erfolgreich Nachdruck zu verleihen, stellt sie die Legitimität des politischen Systems nicht in Frage. Insofern verdeutlichen verbandliche Forderungskataloge an staatliche Instanzen eine enge Bindung an die Gegebenheiten des politischen Systems. Diese Forderungen sind Ausdruck der Akzeptanz seiner demokratischen Spielregeln und Spiegelbild des Vertrauens in die Effektivität seiner Prozesse.
Fazit und Zusammenfassung
In jeglicher der genannten Funktionen ist die besondere Bedeutung der Kommunikation dominant. Verbände wirken wie kommunizierende Röhren zwischen Gesetzgeber, Verwaltung und den von den staatlichen Maßnahmen betroffenen Bürgerinnen und Bürgern.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Funktionen von Verbänden daher erkennbar nicht nur Selbstzweck sind, nicht nur dem Verband dienen, sondern wichtige Bedeutung für den demokratischen Prozess haben. Der Wahrnehmung ihrer Funktionen steht allerdings der eingangs beschriebene gesellschaftliche Skeptizismus mitunter im Wege. So ist den Verbänden selbst stark daran gelegen, ihr schlechtes Image nachhaltig zu verändern.