Der deutsche Kolonialismus hat tiefe Spuren in den städtischen Räumen hinterlassen. Denkmäler, Straßennamen, Gebäude und Institutionen sind Teil der kolonialen Topografie unserer Städte. Die kolonialen Bezüge sind nur manchmal noch sichtbar, zum Beispiel bei Denkmälern oder Straßennamen. Häufiger sind sie unsichtbar, teils, weil ihre materiellen Manifestationen im Krieg zerstört wurden, teils, weil ihr kolonialer Ursprung oder Zusammenhang vergessen, ignoriert oder von anderen, nachkolonialen Erzählungen und Zuordnungen überlagert wurde. Hier sind zum Beispiel Museen, Universitäten, Zoos und Botanische Gärten als Orte kolonialer Wissensproduktion und Vermittlung zu erwähnen.
Die Frage des Umgangs mit diesen Spuren der deutschen Kolonialgeschichte wird seit einiger Zeit vielerorts mit zunehmender Intensität diskutiert, meist ausgehend von zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich für eine kritische Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialismus einsetzen. Als bedeutender, aber vernachlässigter Teil der deutschen Geschichte soll die Art und Weise, wie wir uns an ihn erinnern, verändert werden: Bislang weitgehend unbeachtete Aspekte der Kolonialgeschichte wie der vielfache Widerstand gegen die deutsche Kolonialmacht, gegen koloniale und rassistische Gewalt, sowie die Auswirkungen und Spätfolgen des Kolonialismus nicht nur in den ehemaligen Kolonien, sondern auch in Deutschland, sollen Teil der Erinnerungskultur und damit des kollektiven Bewusstseins werden. Wie schwierig sich die Debatten zum Teil gestalten, soll im Folgenden anhand einiger Beispiele aufgezeigt werden.
(Anti-)koloniale Denkmäler
Kolonialdenkmäler hatten vor allem nach dem Ersten Weltkrieg, dessen Ende für das Deutsche Reich mit dem Verlust seiner Kolonien einherging, die Funktion, das Erinnern an das überseeische "Weltreich" wach zu halten. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren nicht nur alle kolonialen Ambitionen erloschen, sondern war auch ein Teil der Kolonialdenkmäler im Bombenkrieg zerstört worden. In der DDR wurden nach 1945 alle noch erhaltenen Denkmäler abgetragen, um sich vom deutschen kolonialen Erbe zu distanzieren.
Ein Beispiel dafür ist heute das größte ursprüngliche Kolonialdenkmal Deutschlands, das sich in Bremen befindet. Das "Kolonial-Ehrenmal" wurde nach einem Entwurf des Bildhauers Fritz Behn errichtet und 1932 eingeweiht. Es besteht aus einem aus Klinkersteinen gemauerten Elefanten, der auf einer 15 mal 11 Meter umfassenden und eineinhalb Meter hohen Sockelstufe steht. Das Monument erreicht eine Gesamthöhe von 10 Metern. Im Unterbau befindet sich eine Krypta mit einem steinernen Tisch, auf dem ein Buch mit den 1490 Namen der im Ersten Weltkrieg in den Kolonien gefallenen deutschen Soldaten lag. Am Sockel war die Inschrift "Unsere Kolonien" angebracht, wenngleich diese 1932 schon seit 14 Jahren Vergangenheit waren.
Der Bremer Elefant gehört zu den Denkmälern, die durch "Umsemantisierung" einen Prozess der Umwidmung zum antikolonialen Denkmal durchlaufen haben.
Am Beispiel der sogenannten Askari-Reliefs in Hamburg zeigt sich, wie schwer der kritische Umgang mit kolonialen Denkmälern fällt. Die Reliefs waren 1939 durch Walter von Ruckteschell, Bildhauer und im Ersten Weltkrieg Adjutant Paul von Lettow-Vorbecks in der "Schutztruppe" Deutsch-Ostafrikas, geschaffen worden. Die Figurengruppen, die einen weißen Schutztruppen-Offizier mit Schwarzen Soldaten
Im Mai 2002 trat der Jenfelder Kulturkreis mit der Absicht auf den Plan, die Reliefs in unmittelbarer Nachbarschaft der ehemaligen Kaserne wieder dauerhaft öffentlich zu präsentieren. Zusammen mit dem Tansania-Pavillon der Expo 2000 sollte das Ensemble als "Tansania-Park" die langen Beziehungen zwischen Deutschland und Tansania ehren und der Völkerverständigung dienen. Unterstützt wurde das Projekt durch die Lokalpolitik und den Hamburger Honorarkonsul der Republik Tansania. Bald regte sich Widerstand gegen diesen Plan. Kritisiert wurde, dass eine Auseinandersetzung mit dem historischen Kontext des Denkmals unterblieben sei und somit koloniale Machtstrukturen in einem öffentlichen Erinnerungsraum implementiert werden sollten. Die deutsche Kolonialzeit solle erneut glorifiziert und der Park zu einer "Pilgerstätte der Ewiggestrigen" gemacht werden.
Als der Hamburger Senat im August 2002 die Aufstellung des Askari-Denkmals genehmigte, brach erneut eine heftige Debatte los. Die Befürworter*innen des Projekts zögerten nicht, auf die angeblich positive Rolle der Deutschen als Kolonialherren in Tansania hinzuweisen. Im Laufe der Diskussion errichtete der Jenfelder Kulturkreis das Denkmal, ohne die Öffentlichkeit zu informieren. Es wurde entschieden, den "Tansania-Park" in einer Zeremonie in Anwesenheit des damaligen Premierministers von Tansania, Frederick T. Sumaye, zu eröffnen. In den Tagen vor der geplanten Eröffnung intensivierten sich die Proteste, und die Kritiker*innen des Projekts wiesen auf die Hunderttausenden Opfer der deutschen Kolonialherrschaft in Afrika hin, denen im "Tansania-Park" in keiner Weise gedacht werden sollte.
Kurz vor der Eröffnung des Parks, am 4. September 2003, verhängten Vertreter*innen verschiedener Organisationen den Schriftzug "Lettow-Vorbeck-Kaserne" und brachten stattdessen den Schriftzug "Mohamed Hussein Bayume [sic!] Park" an. Bayume Mohamed Hussein hatte als Kindersoldat im Ersten Weltkrieg in der deutschen Schutztruppe von Deutsch-Ostafrika gekämpft und war später im KZ Sachsenhausen ums Leben gekommen. Zwar wurde das Schild innerhalb von zwei Stunden durch das Bezirksamt wieder entfernt, die Proteste bewirkten aber, dass Tansanias Präsident Benjamin William Mkapa seinen Premier anwies, nicht an der Eröffnung des "Tansania-Parks" teilzunehmen, und sich auch die Hamburger Politiker*innen zurückzogen. Die Eröffnung wurde schließlich vom Senat abgesagt.
Als Beispiel für einen unkommentierten Fortbestand eines Kolonialdenkmals kann die Grabstätte Hermann von Wissmanns auf dem Kölner Melatenfriedhof angeführt werden,
Straßennamen
Auch Straßennamen sind Erinnerungsorte im öffentlichen Raum. Nicht nur in der Stadt, sondern auch in der Geschichte dienen sie der Orientierung: Historisch bedeutsame Ereignisse, Orte und Personen werden mit Straßennamen in der kollektiven Erinnerung gewürdigt. Benennt man eine Straße zum Beispiel nach einer Persönlichkeit, tut man dies, um ihren Namen zu ehren und an die Verdienste der Person zu erinnern. Historische Ereignisse werden durch die Benennung in die Gegenwart getragen.
In Deutschland gibt es in vielen Städten Straßennamen mit Bezügen zur Kolonialgeschichte. Manche dieser Straßen erhielten ihre Bezeichnungen noch während der Kolonialzeit, andere wurden in der NS-Zeit benannt. Koloniale Akteure beziehungsweise Täter, die besonders häufig durch Straßenbenennungen geehrt wurden, sind Carl Peters,
Seit dem Ende der 1980er Jahre ist der Umgang mit diesen Straßennamen in einzelnen Städten immer wieder Thema. Meist drehen sich die Diskussionen um das Für und Wider erklärender Tafeln oder einer Umbenennung der betroffenen Straßen. Insbesondere wenn es um Umbenennungen geht, kommt es immer wieder zu heftigen Kontroversen für und gegen das Vergessen beziehungsweise Erinnern.
Straßenumbenennungen hat es in der deutschen Vergangenheit immer wieder gegeben, etwa nach 1945, nach der Wiedervereinigung oder, um Dopplungen zu vermeiden, als Folge von Eingemeindungen. Widerstand gab es in diesen Fällen wenig oder keinen. Vollkommen anders stellt sich der Sachverhalt bei Straßennamen mit kolonialen Bezügen dar. Als Argument nicht nur gegen Umbenennungen, sondern gegen eine kritische Auseinandersetzung mit den Namen wird insbesondere auf "Unwissen/Unkenntnis" verwiesen. Da man ohnehin nicht mehr wisse, wer die Person, was das Ereignis, wo der Ort sei, und alles schon so lange zurückliege, seien diese Namen unproblematisch, und man müsse sich auch nicht mit ihren Hintergründen beschäftigen. Wissenslücken werden positiv gewertet, weil sie Auseinandersetzungen überflüssig machen.
Auch äußern sich im Rahmen von Umbenennungsdiskussionen immer wieder nach wie vor bestehende romantisierende oder verklärende Perspektiven auf den Kolonialismus: So schlimm sei dieser nicht gewesen und habe für die Menschen in den Kolonien auch sein Gutes gehabt. Eine weitere Deutung ist, dass die kolonialen Straßennamen sogar Solidarität mit den Opfern kolonialer Herrschaft demonstrieren.
Vor allem von in den Straßen angesiedelten Wirtschaftsunternehmen und Geschäften, aber auch von Privatpersonen wird der wirtschaftliche und finanzielle Aufwand beziehungsweise Schaden einer Umbenennung häufig vehement vorgebracht. Das finanzielle Argument überzeugt allerdings nur teilweise, da für die Änderung von Ausweispapieren in solchen Fällen keine Kosten anfallen und es im Ermessen der Städte oder Stadtbezirke steht, weitere Kosten zu übernehmen. Häufig werden in diesem Zusammenhang auch Forderungen laut, bestimmte Namen einfach umzuwidmen, um mögliche finanzielle Schäden zu vermeiden. So wurde 1986 etwa die Petersallee in Berlin umgewidmet und soll seitdem an Hans Peters, Jurist, Politiker und Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, erinnern.
Wiederholt wird bei Umbenennungsdiskussionen der Vorwurf laut, man wolle Geschichte ungeschehen machen oder verändern. Dass dieser Vorwurf durchaus berechtigt sein kann, zeigt sich an einigen bereits erfolgten Umbenennungen, die sich durch Unkenntnis, Desinteresse und Beliebigkeit auszeichnen.
Im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialvergangenheit ist es jedoch wichtig, bei Umbenennungen die historischen Bezüge zur deutschen Kolonialzeit zu erhalten. Wie langwierig und problematisch sich Umbenennungsprozesse unter dieser Prämisse gestalten können, lässt sich am Beispiel des zum Bezirk Berlin-Mitte gehörenden "Afrikanischen Viertels" demonstrieren. Beginnt man mit der Umwidmung der Petersallee, ziehen sich die Diskussionen über einen angemessenen Umgang mit den Straßennamen des Viertels seit mehr als drei Jahrzehnten hin. Auf Initiative von "Berlin Postkolonial" und Aktivist*innen wie Mnyaka Sururu Mboro und Israel Kaunatjike kam es vor einigen Jahren erneut zu einer Debatte über die Straßennamen. Die Aktivist*innen forderten eine Umkehr der Perspektive bei den zu wählenden neuen Namen. Unter der rot-rot-grünen Bezirksregierung wurde schließlich die Umbenennung von Lüderitzstraße, Nachtigalplatz und Petersallee beschlossen. Die Bevölkerung konnte Namensvorschläge einreichen, die eingesetzte erste Auswahljury scheiterte aus verschiedenen Gründen, und ein neu einberufenes Expert*innengremium wählte schließlich drei Namen aus, die auch verabschiedet wurden. Die Umbenennungen wurden im Amtsblatt für Berlin veröffentlicht, und es gab die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen. Dies ist inzwischen mehr als 500 Mal passiert. Diese Widersprüche müssen nun einzeln beschieden werden, um Klagen vor dem Verwaltungsgericht zu ermöglichen. Bis alle Verfahren beendet sind, befinden sich die Umbenennungen im Zustand des "schwebenden Unwirksamseins" und können de facto nicht umgesetzt werden.
Stadt dekolonisieren
Seit einigen Jahren machen immer mehr zivilgesellschaftliche Gruppierungen und postkoloniale Initiativen über koloniale Spuren im städtischen Raum hinaus auf die Notwendigkeit einer Dekolonisation der Städte aufmerksam. Man kann hier von einer Erinnerungspolitik "von unten" sprechen.
Zum Teil spektakuläre Interventionen im öffentlichen Raum haben eine neue Öffentlichkeit für die koloniale Erinnerungsproblematik geschaffen. Beispielhaft erwähnt werden kann hier die Aufstellung des ursprünglich im Hafen von Dar es Salaam in Tansania errichteten sogenannten Wissmann-Denkmals, das über Jahrzehnte im Depot der Bergedorfer Sternwarte in Hamburg eingelagert war, auf der Überseebrücke im Hamburger Hafen durch die Künstlerin Jokinen 2004. Das 14-monatige Projekt war begleitet von zahlreichen Veranstaltungen und einem Webforum, auf dem Interessierte über das Denkmal und dessen Zukunft sowie über den Umgang mit der kolonialen Vergangenheit debattieren konnten.
Ein weiteres Beispiel ist das Filmprojekt "Recolonize Cologne" von Kanak TV, das 2006 die symbolische Inbesitznahme eines Teils der Kölner Fußgängerzone durch einen fiktiven Kameruner König dokumentierte. Der Film erzählt die deutsche Kolonialvergangenheit aus Kameruner Perspektive und verbindet die Kolonialgeschichte mit dem aktuellen Kampf um globale Bewegungsfreiheit, Flucht und Migration. In einer Rahmenhandlung kommt ein "König aus Kamerun" am zentralen Neumarkt in Köln an und wird von seinen "Untertanen" auf einer Sänfte die Einkaufsstraße entlang getragen. Am Übergang zur nächsten Fußgängerzone steckt der König ein Stück Land ab, um es zu "re-kolonisieren" und gleichzeitig auf koloniale Aneignungsprozesse in Kamerun aufmerksam zu machen. Die Passanten werden aufgefordert, dem König zu huldigen. Schließlich wird das Stück Land der Weltbürgerschaft übereignet. Als Symbol dieser Weltbürgerschaft werden Kartoffeln an die Passanten verteilt. Der Film hat durch seine weite Verbreitung einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht, durch den die symbolische Aneignung des Kölner Raums über die eigentliche Intervention hinaus erhalten geblieben ist.
Bei der Dekolonisation des städtischen Raums dürfte Hamburg eine Pionierrolle gespielt haben. Bereits Mitte der 1980er Jahre entstand an der Universität Hamburg eine studentische Arbeitsgruppe, die eine Stadtrundfahrt zum Thema "Hamburg – Dritte Welt" entwickelte und dabei vor allem auf die Rolle Hamburgs im deutschen Kolonialismus hinwies.