"No number of visits by the officials of the Federal Republic of Germany will bring any reconciliation between the Nama and OvaHerero people on the one hand, and the Federal Republic of Germany on the other hand, without dialogue with the legitimate leaders of the Nama and OvaHerero people."
Das hatte der mittlerweile in den Ruhestand getretene deutsche Botschafter Christian-Matthias Schlaga bereits im Juni 2019 erklärt, als er in einer Rede vor der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Swakopmund ankündigte, die Regierungsverhandlungen zwischen Deutschland und Namibia über den Umgang mit dem Krieg gegen die Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika hätten zu einer fast fertigen "politischen Deklaration" geführt. "Es fehlen nur noch die Beträge", wurde er zitiert.
Warum dann die harsche Reaktion der Nama? In der Presseerklärung ist von Geld nicht die Rede, zumindest nicht unmittelbar. Es geht vielmehr um Fragen der Teilhabe und Repräsentation. Wer darf für wen sprechen, mitverhandeln, auf wessen Zustimmung kommt es an? Und reicht eine freiwillige Zahlung, eine Hilfe, die dem Geber eine herausgehobene Moralität zuweist? Wie gestaltet sich überhaupt das Verhältnis zweier Staaten in derartigen Verhandlungen, in denen einer ein wichtiger Geldgeber des anderen ist und nun historische Schuld eingestehen muss?
Diese Konstellation hat zwischen Deutschland und Namibia immer wieder zu Spannungen geführt, so auch im Juni 2019, als Botschafter Schlaga in seiner bereits zitierten Rede Tansania lobend hervorhob, wo man im Vergleich zu Namibia schon "einen Schritt weiter" sei: "In Tansania (…) wird keine Entschädigung gefordert. Das Land möchte die Kolonialgeschichte vergessen und ein gesundes Verhältnis aufbauen. Sie möchten sehen, dass Deutschland sie weiter unterstützt."
Dass Schlaga diese Rede ausgerechnet in Swakopmund hielt, für viele Sinnbild für das "deutsche" Namibia, und vor der überwiegend von deutschsprachigen Namibier*innen getragenen Wissenschaftlichen Gesellschaft, rührt an einen weiteren verkomplizierenden Faktor: die Existenz einer deutschsprachigen Minderheit in Namibia, die sich bisher mit Blick auf die eigenen Fehler beziehungsweise die ihrer Vorfahren sowie hinsichtlich der Quellen ihres Wohlstands nicht durch besondere Reflexionsbereitschaft hervorgetan hat. Es ergibt sich aber in gewisser Weise aus dem besonderen Verständnis der Beziehung zu Namibia in Deutschland seit der Unabhängigkeit, wie sich überhaupt die gegenwärtige verfahrene Situation auch aus den politischen Verdrängungen in Berlin (und Bonn) über die vergangenen dreißig Jahren ableitet.
Deutschland und Namibia im 21. Jahrhundert
Namibia wurde am 21. März 1990 unabhängig von Südafrika, an das es nach dem Ersten Weltkrieg als Mandat des Völkerbunds übergeben worden war, sodass eine offene Debatte über Kolonialverbrechen erst spät möglich war.
Aufgrund dieser "besonderen Verantwortung" erhielt Namibia in den folgenden drei Jahrzehnten besonders hohe Entwicklungshilfezahlungen aus Deutschland. Diese hatten aber im Ursprung nichts mit den kolonialen Verbrechen zu tun, sondern mit den deutschen "Landsleuten". Als solche begrüßte sie Bundeskanzler Helmut Kohl 1995 während seines Besuchs in Windhuk, nachdem er gegen Vorbehalte der namibischen Regierung einen Empfang für die deutschsprachige Minderheit in Namibia als offiziellen Programmpunkt durchgesetzt hatte. In seiner Rede wies er auf die besonderen Verdienste der Deutschsprachigen bei der Entwicklung des Landes hin. Zu einem Treffen mit den Opfergruppen des Völkermords kam es hingegen nicht.
Auch unter der rot-grünen Bundesregierung änderte sich an der Haltung zu den Fragen der Anerkennung und Wiedergutmachung für den Völkermord nichts. Bundesaußenminister Joschka Fischer fand zwar immer wieder wohltönende Worte über die Verantwortung, die aus Auschwitz erfolge, bezüglich des Genozids an Herero und Nama wollte er "eine entschädigungsrelevante Entschuldigung" aber nicht abgeben.
Einen Kontrapunkt zur offiziellen Position setzte lediglich Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, als sie im August 2004 bei den Gedenkfeierlichkeiten der Herero in Okakarara sagte: "Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde – ein General von Trotha würde dafür heute vor Gericht gebracht und verurteilt." Auf Nachfrage bestätigte sie, dass es sich dabei um eine Entschuldigung handele.
Die Tabuisierung des Genozid-Begriffs durch die deutsche Politik setzte sich fort. Neben offen kolonialapologetischen Positionen, die sich teilweise auf rechtsextreme Propaganda stützten und die Ereignisse an sich infrage stellten,
Erzwungene informelle Anerkennung
Aufgebrochen wurde diese Tabuisierung von offizieller Seite letztendlich durch einen Eklat. Erst als der internationale Druck zu groß wurde, bewegte sich die Bundesregierung – ein Muster, das jenem beim deutschen Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen ähnelt, wo die erinnerungspolitischen Schübe häufig von außen oder von der Zivilgesellschaft erzwungen werden mussten. Im Falle des Völkermords in Deutsch-Südwestafrika vermochten die Opfergesellschaften oder deren staatliche Vertreter*innen aufgrund des globalen Machtungleichgewichts und innerer Uneinigkeit einen solchen Druck jedoch nicht selbst aufzubauen. Dies geschah unabsichtlich erst durch den Deutschen Bundestag, der ab 2015 den osmanischen Völkermord an den Armenier*innen diskutierte.
Mit seinem Bekenntnis zur Bedeutung einer kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit leitete das Parlament eher zufällig eine erinnerungspolitische Wende für die Frage des Umgangs mit Deutschlands kolonialer Vergangenheit ein. Dass der Bundestag bereitwilliger die Anerkennung eines Völkermords eines anderen Staates diskutierte als eines deutschen, blieb ebenso wenig unkommentiert,
Verhandlungen in der Sackgasse
Vier Jahre später stecken die Verhandlungen in einer Sackgasse, viele Herero und Nama fühlen sich zurückgestoßen und ignoriert. Die Ursachen für Letzteres sind vielfältig: die schwierige innenpolitische Situation in Namibia, das Auftreten der deutschen Verhandlungsdelegation, die wenig Gespür oder Interesse für die Sensibilitäten des Themas gerade bei den Nachkommen der Opfer an den Tag gelegt hat, aber auch die Unmöglichkeit, einen grundsätzlichen Verzicht auf Reparationsforderungen als Gegenleistung für eine Anerkennung als Völkermord und eine Entschuldigung durchzusetzen – eine Forderung, der keine namibische Regierungsdelegation nachkommen kann. So ist es wenig überraschend, dass die Frage des Geldes immer noch offen ist.
Es geht aber nicht allein um Reparationszahlungen. Von Anfang an gab es Konflikte darum, wer mit am Verhandlungstisch sitzen dürfe, wer die Vertreter*innen der Herero und Nama sind und wer eigentlich zu den Opfern des Genozids gehört – nur die Herero und Nama oder alle Opfer der deutschen Kolonialherrschaft in Deutsch-Südwestafrika? Dass Letzteres eine ebenso zentrale wie heikle Frage war, hatte sich bereits im Vorfeld abgezeichnet, denn um die Bedeutung des Genozids für die namibische Geschichte und auch um die Frage, ob Namibia Entschuldigung und Wiedergutmachung anstreben sollte, hatte es auch in Namibia lange Streit gegeben – erst 2006 hatte das namibische Parlament beschlossen, sich der Forderung von Herero und Nama anzuschließen
Zwar waren Herero und Nama von Beginn an in die Verhandlungen einbezogen, allerdings waren ihre Vertreter*innen von der namibischen Regierung ausgesucht worden. Direkte Verhandlungen mit selbstgewählten Vertreter*innen der Opfergruppen sollte es nicht geben – auf Wunsch der Bundesregierung, heißt es aus Windhuk, auf Wunsch der namibischen Regierung, heißt es aus Berlin.
Repräsentanz und Reparationen
Repräsentanz und Reparationen waren auch die beiden zentralen Punkte der Klage, die Vertreter von Herero und Nama aus Namibia und aus der Diaspora am 5. Januar 2017 beim US District Court – Southern District of New York, einem US-Bundesgericht, einreichten.
Die Bundesregierung erkannte die Zuständigkeit des Gerichts allerdings nicht an und verzögerte die Prozessprüfung, indem sie Ladefristen verstreichen ließ.
Dies führt zu der absurden Situation, dass deutsche Politiker*innen immer wieder betonen, dass sie mit Herero und Nama sprechen würden, dies aber tatsächlich mit den immer gleichen Gesprächspartner*innen tun. Auf ganz grundsätzlicher Ebene stoßen eben auch das geltende Völkerrecht und die diplomatische Alltagspraxis an ihre Grenzen. Der Umstand, dass Herero und Nama heute als Minderheit in Namibia leben, ist durch Grenzziehung und Völkermord eine direkte Konsequenz des (deutschen) Kolonialismus. Zu seinem Erbe gehört der namibische Nationalstaat. Nun bei der Aufarbeitung dieses Unrechts darauf zu verweisen, dass man nur mit nationalstaatlichen Regierungen verhandle, bestraft die Nachkommen der Kolonisierten erneut. Hier sind neue Wege notwendig, die deutsche Diplomatie verharrt aber immer noch zu sehr im überkommenen Habitus der Überlegenheit.
Entschuldigung und Demut
Anlässlich seines Abschiedsbesuchs bei Staatspräsident Hage Geingob ging der scheidende deutsche Botschafter Schlaga auf die an ihm geübte Kritik ein. "Ich habe mich immer nüchtern und professionell an die Tatsachen gehalten, selbst dann, wenn es Menschen und Berichterstatter gab, die sich von politischen Motiven haben leiten lassen", sagte er in einem Gespräch mit der in Windhuk erscheinenden "Allgemeinen Zeitung".