"So lange ich Reichskanzler bin, treiben wir keine Kolonialpolitik", hielt Otto von Bismarck 1881 kategorisch fest. Drei Jahre später stieg das Deutsche Reich dann doch in den "Scramble for Africa" ein und erwarb das bald drittgrößte Kolonialreich nach dem britischen und dem französischen, mit Territorien in West-, Südwest- und Ostafrika sowie in Nordostchina und im Pazifik. Nach drei Jahrzehnten, in denen Deutschland den kolonialen Praktiken der anderen Imperialmächte in nichts nachstand, endete die deutsche Mitgliedschaft im Kreis der Weltreiche ähnlich rasch wie sie begann: Im Laufe des Ersten Weltkrieges wurden die deutschen Kolonien von den Alliierten erobert, und mit dem Versailler Vertrag musste Deutschland sie 1919 abtreten.
Das Ende des deutschen Kolonialreichs war jedoch in erster Linie ein formales. Die Fremdherrschaft in den ehemaligen Kolonien, die der frisch gegründete Völkerbund als Mandatsgebiete anderen europäischen und aufstrebenden Imperialmächten überantwortete, setzte sich fort, und das Deutsche Reich betrieb weiterhin Kolonialpolitik und unterhielt asymmetrische Handelsbeziehungen zu seinen ehemaligen Überseegebieten. Kolonial geprägte Denk- und Wahrnehmungsmuster überdauerten auch jenseits kolonialrevisionistischer Diskurse in der deutschen Gesellschaft und wirken zum Teil bis heute nach.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die deutsche Kolonialgeschichte im öffentlichen Erinnerungshaushalt lange von der NS-Zeit überlagert. Mit der immer stärker werdenden globalen Verflechtung und der Etablierung postkolonialer Perspektiven in den Wissenschaften hat die kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit auch in Deutschland zugenommen. Derzeit erfolgt sie im Zuge der Debatte um die Rückgabe von Kunstobjekten und menschlichen Überresten aus den ehemaligen Kolonien in bislang ungekannter Intensität. Auch hundert Jahre "danach" ist die deutsche Kolonialgeschichte keineswegs abgeschlossen.