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Außenpolitik und internationale Beziehungen Venezuelas

Nikolaus Werz

/ 15 Minuten zu lesen

Venezuela war lange Finanzier lateinamerikanischer Einheitsbestrebungen. Mittlerweile befindet sich das Land mit einem amtierenden Präsidenten und einem von über 50 Staaten anerkannten Interimspräsidenten in einer so noch nicht dagewesenen internationalen Konfliktsituation.

In der Berichterstattung zum Machtkampf zwischen der chavistischen Regierung Nicolás Maduros und der Opposition um den selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guaidó und Leopoldo López, prominentes Gesicht der Proteste 2014 und Gründer der Partei Voluntad Popular, erscheint Venezuela als Spielball fremder Mächte und Objekt eines neuen Kalten Krieges. Dadurch gerät in den Hintergrund, dass das Land nach seiner frühen formalen politischen Unabhängigkeit von Spanien im 19. Jahrhundert durchaus eine eigene außenpolitische Rolle gespielt hat. Aus der Protagonistenrolle Simón Bolívars in der Unabhängigkeitsbewegung begründete sich ein gesamtlateinamerikanisches Anliegen. Es dauerte allerdings bis 1958, also bis zum Übergang von der Diktatur zur präsidentiellen Demokratie, bevor dieser neobolivarianische Konsens und idealistische Grundzug venezolanischer Außenpolitik tatsächlich zum Ausdruck kam. Insbesondere durch steigende Ölpreise eröffneten sich internationale Handlungsspielräume.

Vom Demokratieexport zum "Sozialismus des 21. Jahrhunderts"

Nach dem Sturz des Generals Marcos Pérez Jiménez Anfang 1958 setzte sich der demokratisch gewählte Rómulo Betancourt in seiner Präsidentschaft von 1959 bis 1964 zum Ziel, die Demokratie auch in anderen lateinamerikanischen Ländern zu stärken. Die später als "Betancourt-Doktrin" bezeichnete Konzeption umfasste den Abbruch diplomatischer Beziehungen zu Staaten, in denen nicht gewählte Präsidenten an die Macht gelangten. Betancourt galt vielen als demokratischer Revolutionär, in der Bundesrepublik Deutschland wurde ihm unter anderem die Titelgeschichte im Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" vom 17. Dezember 1958 gewidmet. Sein Demokratieexport richtete sich nicht zuletzt gegen Fidel Castro, den Betancourt und seine Partei, die Acción Democrática (AD), zunächst unterstützt hatten, von dem sie sich aber bald abwandten: Im November 1961 kam es zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Kuba, sie wurden erst Mitte der 1970er Jahre wieder aufgenommen.

An der Gründung der Organisation Erdöl exportierender Staaten (OPEC) war Venezuela beteiligt, die zweite Konferenz der OPEC fand 1961 in Caracas statt. Auf der Nord-Süd-Konferenz in Paris 1975/76 amtierte der Venezolaner Manuel Peréz Guerrero, daheim "Vater der OPEC" genannt, als Co-Präsident. 1976 startete die Sozialistische Internationale mit der Konferenz von Caracas den Versuch, sich nach Lateinamerika und in die sogenannte Dritte Welt auszudehnen; die Organisation Amerikanischer Christdemokraten hatte lange Zeit ihren Sitz in der venezolanischen Hauptstadt. In den 1970er Jahren, als in den meisten südamerikanischen Ländern Diktatoren herrschten, wurde Venezuela zu einem wichtigen Aufnahmeland von Politikern und Schriftstellerinnen wie Isabel Allende aus Chile. Die bis 1998 wechselnden Regierungen zwischen der sozialdemokratisch ausgerichteten AD und dem christlich-sozial orientierten Comité de Organización Política Electoral Independiente präsentierten sich als gemäßigte Fürsprecherinnen von Dritte-Welt-Positionen und unterhielten zugleich gute Beziehungen zu den USA und dem Nachbarland Kolumbien.

Hugo Chávez Amtsantritt 1999 markierte einen Bruch mit der vorherigen Außenpolitik. Er entfaltete eine fieberhafte Reisetätigkeit in Länder der südlichen Hemisphäre, kritisch vermerkt wurden zudem sein überraschender Besuch im Irak bei Saddam Hussein Mitte 2000 und die schnelle Annäherung an Kuba. Mit dem Inselstaat wurde 2000 ein Rahmenvertrag geschlossen, wonach Venezuela täglich 30.000 Barrel Erdöl lieferte – tatsächlich waren es bis zu 100.000. Mit der Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América entstand bis 2004 ein anti-nordamerikanischer Zusammenschluss, der als Gegenpol zu dem vom damaligen US-Präsident George W. Bush propagierten Projekt einer gesamtamerikanischen Freihandelszone gedacht war. Chávez sprach von einer "Demokratie der Völker" und ab 2005 von einem "Sozialismus des 21. Jahrhunderts", attraktiv war eine Kooperation vor allem wegen der großzügigen und parlamentarisch unkontrollierten Vergabepolitik seiner Regierung. Seit dem Amtsantritt von Chávez stiegen die Öleinnahmen kontinuierlich an, es waren mit nahezu 700 Milliarden US-Dollar bis 2008 die höchsten Einnahmen der venezolanischen Geschichte. Sowohl die US-Investitionen als auch die die Importe aus den USA gingen zurück, dagegen blieben die von Venezolanern in den USA deponierten oder investierten Gelder mit 150 Milliarden US-Dollar hoch.

Die venezolanische Hilfe an andere lateinamerikanische Länder – zwischen 1999 und 2006 sollen es zwischen 16 und 25 Milliarden US-Dollar gewesen sein – floss in Wahlkampffinanzierung und an nicht gewählte soziale Bewegungen. Sie bestand teilweise aus politischer Patronage. Selbst zurückhaltende Schätzungen gehen davon aus, dass diese Unterstützung für andere Nationen in der Region weit über der der US Agency for International Development und der Weltbank lag. Fast die Hälfte der neueren venezolanischen Ölexporte basiert zudem auf nicht marktwirtschaftlichen Abmachungen, zum Beispiel in Form einer Rückzahlung durch die Arbeitsleistung von Kubanern in Venezuela.

Neue Verbündete, neue Gegner?

Chávez präsentierte sich als Enfant terrible des internationalen Parketts und Alleinunterhalter mit hoher medialer Wirkung, bei seiner Rede vor der UN-Vollversammlung 2006 bezeichnete er George W. Bush als "Teufel". Gerne stellte er sein bolivarianisches Modell dem US-amerikanischen gegenüber, bevorzugt wurden Beziehungen zu international umstrittenen Ländern gepflegt. So besuchte er seit seinem Amtsantritt neunmal den Iran und unterstützte die Atompolitik des Staates. Chávez veränderte die Außenpolitik grundlegend. Bemerkenswert war dabei seine völlige Überschätzung der eigenen Fähigkeiten. Die Folgen seiner Außenpolitik lassen sich mit Blick auf das transnationale Verhältnis zu denjenigen Staaten nachzeichnen, die historisch gewachsene Beziehungen zu Venezuela aufweisen, aber ebenso anhand derer, die neue Partner der chavistischen Regierung(en) geworden sind.

USA

Von John Maisto, dem US-Botschafter in Caracas von 1997 bis 2000, stammt der Satz, man solle Chávez nicht nach dem beurteilen, was er sage, sondern anhand seiner Taten. Er dachte dabei wohl an die zuverlässigen Öllieferungen in die USA. Diese sogenannte Maisto-Doktrin empfahl also einen gelassenen Umgang mit dem "Kommandanten".

Dieser Interpretation standen andere Positionen gegenüber, beispielsweise die Luis Fleischmans, Sozialwissenschaftler und langjähriger Projektmitarbeiter am Center for Security Policy: Es sei ein Fehler gewesen, Chávez zu unterschätzen. Dieser habe im eigenen Land mit den Milizen parallele Streitkräfte aufgebaut, darüber hinaus mit finanziellen Mitteln eine kontinentale Expansion seiner Revolution angestrebt. Aufgrund der Kooperation mit Drogenkartellen drohe eine "Afghanisierung der Region". Chávez, so Fleischman weiter, habe ein Interesse an failed states gehabt, da er auf dieser Grundlage dann den Übergang zu dem von ihm propagierten "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" einleiten wollte. Er habe die Beziehungen mit arabischen Staaten und Geheimdiensten ausgebaut, was unter anderem in einem ab 2005 wöchentlichen Linienflug nach Damaskus zum Ausdruck gekommen sei, der nach einiger Zeit eingestellt wurde. Befürchtungen von US-Autoren bezogen sich auch auf eventuelle Folgen durch die großzügige Vergabe von venezolanischen Pässen an Migranten aus dem Nahen und Mittleren Osten mit vermeintlich zweifelhaften Absichten im Rahmen der misión identidad.

Statt Chávez ernst zu nehmen, habe man ihn als eine Art Clown betrachtet. So konnte es ihm gelingen, eine Allianz gegen die USA zu schmieden, die am deutlichsten 2005 beim Amerika-Gipfel im argentinischen Mar del Plata zum Ausdruck kam. Dort erlebten die Pläne von US-Präsident Bush für eine Freihandelszone eine empfindliche Niederlage, während Chávez ein publikumswirksamer Auftritt gelang. Lediglich hinsichtlich der venezolanischen Rüstungsimporte übten US-Regierungen erfolgreich Druck auf Israel, Spanien und Brasilien aus, was die Hinwendung der venezolanischen Streitkräfte zu russischen Anbietern gefördert haben könnte. In den USA erfolgte indessen eine Reaktion auf die bolivarianische Politik, denn mit dem Ausbau der Fracking-Industrie gelang es, von Ölimporten unabhängig zu werden.

Unter US-Präsident Donald Trump setzte speziell ab 2018 eine Verschärfung des Tons in der Lateinamerikapolitik ein. Kuba, Nicaragua und Venezuela gelten nun als "Troika der Tyrannei" und "Dreieck des Terrors". Trump erkannte als erster Regierungschef den Übergangspräsidenten Guaidó an und empfing seine Frau Fabiana Rosales Guerrero im Weißen Haus. Nach Medienberichten sollen Trump und US-Außenminister Michael Pompeo indessen ernüchtert sein über die mangelnden Erfolge von Guaidó, während der seit 2018 amtierende nationale Sicherheitsberater John R. Bolton und auch der republikanische Senator Marco Rubio aus Florida weiterhin als Hardliner gelten. Venezuela ist inzwischen für die US-Administration ein Thema unter anderen. Entgegen einzelnen Äußerungen von Bolton erscheint eine militärische Intervention als wenig wahrscheinlich. Ein weiterer wirtschaftlicher Niedergang Venezuelas gilt als Voraussetzung für den angestrebten regime change. Für konservative Kreise in den USA bietet die Maduro-Regierung zudem eine Gelegenheit, um darauf zu verweisen, dass der Sozialismus nicht funktioniert.

Kuba

Kuba hat seit der Revolution 1959 eine internationale Bedeutung erlangt, die weit über die Größe des Inselstaats hinausgeht. In den 1960er und 1970er Jahren förderte Castro Guerillagruppen in mehreren südamerikanischen Ländern, unter anderem in Venezuela, wo sich kurzzeitig auch Régis Debray befand, damals französischer Revolutionär und Weggefährte Ernesto "Che" Guevaras. Mittlerweile geht es der kubanischen Regierung längst nicht mehr um Revolutionsexport, sondern um den eigenen Machterhalt in einer angesichts des durch die Trump-Regierung verschärften Boykotts wirtschaftlich extrem schwierigen Lage.

Nach dem Amtsantritt von Chávez wurden die Beziehungen zu Kuba intensiviert. Ökonomisch besteht bis heute eine Abhängigkeit Kubas von Venezuela, politisch ist es eher umgekehrt. Venezuela übernahm unter anderem die Militärdoktrin eines langen "Volkskrieges" als Widerstand gegen eine etwaige US-Invasion. In Venezuela sollen sich noch 20.000 Kubaner aufhalten. Wie viele von ihnen Lehrer, Ärzte, Krankenschwestern, Sporttrainer oder aber Militärs sind, ist unbekannt. Schätzungen gehen davon aus, dass es zeitweise schon bis zu 40.000 Personen waren. Kubaner sollen die Katasterämter geführt und die Einreise ins Land kontrolliert haben. Ebenso wird angenommen, dass sie den Sicherheitsapparat um Chávez bildeten, und dies auch seinem Nachfolger Nicolás Maduro der Fall ist.

Während es bei Diosdado Cabello, einem der Teilnehmer an dem ersten Putschversuch von Chávez und seit Längerem der zweite Mann des venezolanischen Regimes, Gerüchte gab, er und Teile der Streitkräfte hegten insgeheim Reserven gegenüber dem Castro-Regime, ist Maduro aus kubanischer Sicht der beste Mann für ihre Interessen. Als Mitglied der Liga Socialista kam er 1986 als Stipendiat auf die Insel, seitdem hält er sich häufig dort auf. Adán Chávez, der ältere Bruder des 2013 verstorbenen Präsidenten, ist derzeit wieder venezolanischer Botschafter in Havanna, was die engen Beziehungen der kubanischen Führung zur Familie des Verstorbenen unterstreicht.

Kolumbien

Derzeit bildet Kolumbien das wichtigste Auffangland für emigrierende Venezolaner. Während des Ölbooms in den 1960er und 1970er Jahren wanderten dagegen rund vier Millionen Kolumbianer nach Venezuela ein. Zu den engen kulturellen kamen gute wirtschaftliche Beziehungen, denn bis zur Wirtschaftskrise 2013/14 profitierte Kolumbien von Exporten zu den neureichen Nachbarn. Nichtsdestotrotz war die Lage zwischen den beiden von Bolívar in die Unabhängigkeit geführten Staaten in den vergangenen 20 Jahren häufig durch den Abbruch der diplomatischen Beziehungen gekennzeichnet. Von den konservativen Regierungen Kolumbiens wird den chavistischen Vertretern vorgeworfen, dass sie die nach wie vor aktive Guerillagruppe Ejercito de Liberación Nacional unterstützen würden, die sogar ihr Hauptquartier auf venezolanischem Territorium habe. Im Gegenzug hätten kampferfahrene Guerilleros Mitglieder venezolanischer Milizen ausgebildet. Nicht zuletzt die hohe Anzahl von US-Dollars in der venezolanischen Gesellschaft deutet zudem darauf hin, dass kolumbianische Guerillagruppen Venezuela als Durchgangsland zur Ausfuhr von Drogen nutzten.

Daher hat die amtierende kolumbianische Regierung Interesse an einem Regimewechsel im Nachbarland. Das Anfang 2019 gegründete Foro para el Progreso de América del Sur, dem als treibende Kräfte Kolumbien, Chile und Brasilien angehören, erkennt die Maduro-Regierung nicht an. Im Unterschied zur Union Südamerikanischer Nationen, die zwischen 2004 und 2011 vor allem von den damaligen linksnationalistischen Präsidenten gefördert wurde, gehören ihr weitgehend konservativ-liberale Regierungen an; Bolivien und Uruguay haben bisher nur als Beobachter teilgenommen.

Russland

Chávez besuchte 2001 erstmals Russland. Ihn und den russischen Präsidenten Wladimir Putin verband die Ablehnung einer von den USA beherrschten, unipolaren Welt. Das Land wird seitdem vom venezolanischen Regime als Partner im selbstproklamierten antiimperialistischen Kampf angesehen, auch wenn Russland sich selbst keine antiimperialistische Identität zugeschrieben hat. Seit 2005 wurden Rüstungsverträge abgeschlossen, darüber hinaus begann eine Zusammenarbeit im Energiesektor. Der russische Staat und Energiekonzerne wie Rosneft sollen in den vergangenen zwölf Jahren mehr als 17 Milliarden US-Dollar in Form von Krediten und Investitionen nach Venezuela gegeben haben. Damit entwickelte sich das Ölland zum wichtigsten russischen Partner in Südamerika.

Während die NATO sich der Ukraine annäherte, forcierte Russland geopolitische Aktivitäten in Lateinamerika. 2008 fanden gemeinsame Militärmanöver in venezolanischen Gewässern statt. 2009 gehörte Venezuela zu den wenigen Staaten, die sich im Sezessionskonflikt um die georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien der russischen Entscheidung anschlossen und die Unabhängigkeit anerkannten. Zwischen 2012 und 2017 stammten 69 Prozent der venezolanischen Waffenimporte aus Russland. 2017 stimmte Russland einer Refinanzierung der Schulden zu und verschob den Beginn von Rückzahlungen in das Jahr 2023. 2019 wurden Militärberater nach Venezuela entsandt, von denen die meisten aber nach russischen Angaben zur Jahresmitte wieder zurückkehrten. Enge Beziehungen zu einzelnen Ländern der westlichen Hemisphäre – wie Kuba, Nicaragua und Venezuela – eröffnen für Russland Möglichkeiten, einen eigenen Großmachtstatus zu postulieren.

China

China folgt im Falle Venezuelas seinem vergleichsweise wenig ausgebauten politischen Profil in Lateinamerika, baut zugleich aber die wirtschaftlichen und kommerziellen Beziehungen aus. In dem Maße, wie venezolanische oder nordamerikanische Firmen das Land verließen, erfolgten dort chinesische Investitionen. Das Interesse konzentrierte sich vor allem auf die Energieversorgung. Bis zu 20 Prozent der chinesischen Ölimporte sollten zeitweise von dort gekommen sein, was Venezuela – neben Mexiko, Brasilien und Argentinien – für China zu einem strategischen Partner macht. Über das Ausmaß der tatsächlichen Beziehungen und den Inhalt der vielen Verträge liegen unterschiedliche und insgesamt ungenaue Informationen vor. Da die chavistischen Regierungen Schulden angehäuft haben, ist China vor allem daran interessiert, dass irgendwann Rückzahlungen erfolgen. Die chinesische Präsenz im Lande wurde in jüngster Zeit auf das notwendige Maß reduziert, um die bestehenden Ansprüche aufrechtzuerhalten.

Spanien

Wegen der historisch gewachsenen Beziehungen, unter anderem zu den Kanarischen Inseln, sowie der hohen Zahl von venezolanischen Immigranten, spielt der venezolanische Konflikt in Spanien eine innenpolitische Rolle. In Spanien leben sowohl venezolanische Exilpolitiker und Familienmitglieder Oppositioneller als auch Familienmitglieder amtierender Minister der Maduro-Regierung. Im spanischen Wahlkampf 2019 warf die konservativ-liberale Opposition der Regierung der Partido Socialista Obrero Español (PSOE) vor, Maduro zu wohlwollend gegenüberzustehen. Möglicherweise hat diese Vorwahlsituation auch dazu beigetragen, dass der spanische Regierungschef Pedro Sánchez auf eine schnelle Anerkennung von Guaidó drängte, zumal dessen Partei Voluntad Popular ebenso wie Sánchez’ PSOE der Sozialistischen Internationalen angehört.

Ausblick

Entgegen den hochtrabenden Ankündigungen von Chávez und Maduro hat sich die außenpolitische Bedeutung Venezuelas reduziert. Vom Befürworter und großzügigen Financier einer lateinamerikanischen Einheit ist das Land zum Bittsteller in Russland und China geworden, wo amtierende Politiker einen Schuldenaufschub zu erreichen versuchen. Die vorherigen Verbündeten USA und Kolumbien wurden zu Gegnern. In verschiedenen internationalen Organisationen, beispielsweise der Organisation Amerikanischer Staaten, ist Venezuela nicht mehr vertreten. Berichte wie der der Hohen Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Michelle Bachelet, stellen der Regierungspolitik mit Blick auf die politischen und sozialen Menschenrechte ein miserables Zeugnis aus.

Juan Guaidó hat indessen die im In- und Ausland geweckten Erwartungen nicht einlösen können. In Teilen der internationalen Medien wurde suggeriert, dass schnelle Veränderungen stattfinden würden, wobei unklar bleibt, ob dies aus mangelnder Kenntnis der innervenezolanischen Kräfteverhältnisse geschah, oder ob die ausländischen Beobachter dem vor allem von der US-Regierung favorisierten und der internationalen Presse vermittelten Trend hin zu einem sich abzeichnenden Regimewechsel folgten. So dominierte die Ansicht, dass es nur der Neuwahlen und eines Wechsels an der Regierung bedürfe, um eine neue Phase einzuleiten. Dabei wurde verkannt, dass Maduros Regierungspartei bei freien und fairen Wahlen mit einem moderaten Kandidaten ein gutes Ergebnis erzielen könnte und damit weiter am politischen Geschehen beteiligt wäre. Nach wie vor halten sich zudem Projektionen, wonach der "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" vor allem Opfer einer gegenrevolutionären Offensive der USA und ihrer Verbündeten geworden sei. Dies vertritt die venezolanische Regierung, aber auch die russische Regierung und ein Teil der südlichen Länder. Für die russische Regierung ist der Bestand des amtierenden Regimes wichtig, um – wie im Falle Syriens – zu zeigen, dass ihre Verbündeten sich halten können.

International stellt Venezuela mit einer amtierenden Regierung um Präsident Maduro und einem von über 50 Staaten anerkannten Interimspräsidenten Guaidó eine so noch nicht dagewesene Situation dar. Den Gegnern Maduros ist es gelungen, eine im Lande seit 2002 vorhandene Pattsituation mit einer von persönlichen Differenzen geprägten Opposition auf der einen und einem zunehmend autoritär agierenden Regime auf der anderen Seite auf die internationale Ebene zu verlagern. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass sich durch die massive Emigration die Zahl der Teilnehmer an den großen und seit Langem andauernden Demonstrationen reduziert hat.

Über vier Millionen Venezolaner haben das Land schon verlassen, nach Schätzungen könnte die Zahl in den kommenden Jahren auf acht Millionen anwachsen. Die Migrationsfrage ist der Hauptgrund für das gemeinsame Handeln der lateinamerikanischen Regierungen und ihrer Zusammenarbeit mit den USA, Kanada sowie verschiedenen europäischen Ländern. So gründete sich 2017 in der peruanischen Hauptstadt die Lima-Gruppe als ein multilaterales Bündnis, das die Wiederwahl von Maduro 2018 nicht anerkannte und eine Wiederherstellung der Demokratie anstrebt. Die 14 lateinamerikanischen Mitglieder – 15. Mitglied ist Kanada – sind nicht immer einer Meinung, vor allem Mexiko vertritt häufig eine eigene Position. Neben den Migrationsbewegungen, die mittlerweile ein innenpolitisches Thema in mehreren Staaten darstellen, dürfte die Tatsache, dass derzeit konservativ-liberale Regierungen in der Region dominieren, ein weiterer Grund für die Existenz dieses lockeren Zusammenschlusses sein. Paradoxerweise stabilisiert die massive Migration aber das venezolanische Regime: Teile der Opposition wandern aus, gleichzeitig tragen die Rücküberweisungen zugunsten der verbliebenen Familienmitglieder zur Linderung der sozialen Lage bei. Wie hoch der Schaden durch die Abwanderung von Humankapital ausfällt, lässt sich noch gar nicht abschätzen.

Venezuela scheint sich zu einem Fall zu entwickeln, bei dem die Internationalisierung eines Konfliktes und das Auftreten weiterer Akteure nicht zu einer Lösung, sondern zunächst zu weiteren Komplikationen beitragen. Allerdings entsteht durch den seit 2019 von den USA betriebenen Boykott ein zusätzlicher Handlungsdruck, denn nur wenige Länder lassen sich noch auf Geschäfte mit der staatlichen venezolanischen Ölfirma ein. Seit Anfang 2019 sanken die Ölexporte um 40 Prozent. Mitte Mai 2019 reisten Vertreter der venezolanischen Opposition zu Verhandlungen mit Vertretern der Maduro-Regierung nach Norwegen. Norwegen schien als Vermittler geeignet, da es bereits bei den Friedensverhandlungen mit Kolumbien eine wichtige Rolle spielte und Guaidó nicht als Übergangspräsidenten anerkannte. Ende Juni wurden die Gespräche auf Barbados fortgesetzt. Die Handlungsmöglichkeiten der lateinamerikanischen Länder, die sich in der Lima-Gruppe zusammengeschlossen haben, sehen sich nicht nur durch potenzielle Differenzen begrenzt, sondern auch durch die nachlassenden ökonomischen Möglichkeiten. Ein weiterer schwer einschätzbarer Faktor bleibt die Organisierte Kriminalität im Drogen- und Rohstoffsektor Venezuelas, die an einem Fortbestand staatsfreier Räume und damit an der jetzigen Lage interessiert ist. Hinzu kommt, dass die Hinterlassenschaften der Krise tiefgreifend sind: In wirtschaftlicher Hinsicht muss Venezuela als eine Post-Konflikt-Gesellschaft eingeschätzt werden; die anstehenden Aufbauarbeiten sind enorm, zumal die Erwartungshaltung der Bevölkerung in einem Ölland hoch ist.

Zwischen Regime und Opposition hat sich Mitte 2019 ein "Gleichgewicht der Schwäche" etabliert. Auch ein miserabel funktionierendes Ölland verfügt noch über Ressourcen, hinzu treten die Erwartungen und Begehrlichkeiten alter und neuer Freunde. So verdichten sich mehrere Krisensymptome: erstens die Entwicklungsprobleme eines vermeintlich reichen Landes, die Chávez mit Rezepten aus dem Jahrhundert der Unabhängigkeitsbewegung und einem rhetorischen Antiimperialismus zu lösen versuchte; zweitens der Mangel an Demokratie, die von 1958 bis 1998 trotz sozialer Ungleichheit im Rahmen einer repräsentativen Verfassung funktioniert hatte; und drittens die Herausforderungen einer multipolaren Welt, die die bolivarianischen Regierungen ab 1999 mitgestalten wollten, in der sie aber immer weiter von externen Kräften und einem Neoextraktivismus abhängig wurden. Bei den laufenden Verhandlungen könnte sich die ab 1958 erkennbare Tendenz zu politischen Pakten als landesspezifischer Vorzug erweisen. Bei einem nicht tragfähigen Kompromiss würden die vorhandenen Entwicklungsprobleme allerdings in veränderter Form weiterbestehen.

ist Politikwissenschaftler und emeritierter Professor für Vergleichende Regierungslehre der Universität Rostock. E-Mail Link: nikolaus.werz@uni-rostock.de