Einleitung
Wenn Kulturwirtschaft als eine Querschnittsbranche beschrieben wird, die sowohl Dienstleistungs- als auch produzierende Bereiche umfasst, so kann sie empirisch abgebildet werden, indem man sich der umfassendsten Systematik bedient, die wirtschaftliche Strukturen beschreibt. Dies ist in Deutschland die Wirtschaftszweigsystematik des Statistischen Bundesamtes (aktuell in der Fassung WZ 2003).
Ein wichtiger Vorteil der Klassifikation besteht darin, dass sie bis zur 4-stelligen Ebene (hier werden 513 Klassen unterschieden) mit der europäischen Systematik NACE
Dabei ist zu beachten, dass einige Kategorien nur zu Teilen berücksichtigt werden und einige Anteile geschätzt werden müssen. Nach diesem Vorgehen kommt man unter Verwendung der Zahlen des Mikrozensus
Für eine Differenzierung dieser pauschalen Erwerbstätigenzahl kann auf eine Analyse Michael Söndermanns vom Arbeitskreis Kulturstatistik zurückgegriffen werden.
In den deutschen Kulturwirtschaftsberichten, die mittlerweile für alle Flächenländer (teilweise auch für Stadtstaaten und einzelne Städte/Regionen) vorliegen, gibt es - anders als bei der Frage nach der Erwerbstätigkeit in der Kulturwirtschaft in Europa - (noch) keine einheitliche Abgrenzung. Daten und Fakten zur Kulturwirtschaft werden aber analog mit Kategorien der Wirtschaftszweigsystematik als Gliederungsgerüst beschrieben. Ausgehend von Nordrhein-Westfalen, dem bei dieser Berichterstattung eine Vorreiterrolle zukommt,
1. Literatur-, Buch- und Pressemarkt
2. Kunstmarkt
3. Film-, TV- und Videowirtschaft
4. Kulturelles Erbe
5. Musikwirtschaft
6. Darstellende Kunst
Diese Gliederung ist etwa im 1. Hessischen Kulturwirtschaftsbericht anzutreffen,
Ein gebräuchliches Verfahren zur Beschreibung der Kulturwirtschaft ist auch die Unterscheidung von sieben marktwirtschaftlichen Branchen:
1. Musikwirtschaft
2. Verlagsgewerbe
3. Kunstmarkt
4. Filmwirtschaft
5. Rundfunkwirtschaft
6. Architektur
7. Designwirtschaft
Als Konsequenz der uneinheitlichen Vorgehensweisen (nämlich Auswahl und Berücksichtigung einschlägiger 5-stelliger Unterklassen und deren Gruppierung zu Teilmärkten)finden sich unterschiedliche Angaben über die Bedeutung der Kulturwirtschaft in Deutschland insgesamt sowie für die einzelnen Teilmärkte. Zwar sind unterschiedliche Abgrenzungen nicht per se problematisch, wenn man daran denkt, dass in einzelnen Bundesländern spezifische kulturwirtschaftliche Aktivitäten Berücksichtigung finden sollen, die in anderen Bundesländern nur geringe Bedeutung haben. Aber die Vergleichbarkeit der Ergebnisse ist eingeschränkt, zumal es (bisher) keinen bundesdeutschen Kulturwirtschaftsbericht gibt.
Insofern ist es zu begrüßen, dass im Rahmen der Beratungen der Länderwirtschaftsministerkonferenz beschlossen wurde, "... erstmals für Deutschland eine gemeinsame Abgrenzung der Kulturwirtschaft auf der Basis der amtlichen Statistik vorzunehmen und Bund, Ländern und Unternehmen als Planungs- und Analyseinstrument zur Verfügung zu stellen".
Um deutlicher auf die erwerbswirtschaftliche Komponente abstellen zu können, hat sich der Arbeitskreis Kulturstatistik - anknüpfend an die in Abbildung 1 der PDF-Version dargestellte EU-Abgrenzung der Kulturwirtschaft - um eine Definition bemüht, die die Kategorien der Wirtschaftszweigsystematik so zusammenfasst, dass sie die Kernbranchen der Kulturwirtschaft in neun Gruppen abbildet:
1. Verlagsgewerbe
2. Filmwirtschaft
3. Rundfunkwirtschaft
4. Musik, visuelle und darstellende Kunst
5. Journalisten/Nachrichtenbüros
6. Museumsshops, Kunstausstellungen
7. Einzelhandel mit Kulturgütern
8. Architekturbüros
9. Designwirtschaft
Beschäftigung und Umsatz
Das Gliederungsgerüst aus Unterklassen der Wirtschaftszweigsystematik lässt sich mit konkreten Zahlenangaben aus unterschiedlichen amtlichen Statistiken füllen.
Interessiert man sich für den Arbeitsmarkt bzw. für die Beschäftigungseffekte, wäre zweifellos (wie schon für den eingangs zitierten Befund im europäischen Kontext) der Begriff der Erwerbstätigkeit geeignet. Hierzu liegen aber in der für Länderwirtschaftsberichte benötigten Tiefe - zum Teil wegen Geheimhaltungsvorbehalten - keine verlässlichen Angaben vor. Beschränkt man sich auf die Abgrenzung aus Abbildung 1 der PDF-Version, nimmt man zudem in Kauf, dass die umfassender abgegrenzte Kulturwirtschaft in den vorliegenden Länderberichten (deren Ausgangspunkt die 5-Steller-Ebene ist) nur teilweise abgebildet wird.
Die Statistik der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (SVB) bietet einen Arbeitsmarktindikator, der tief gegliedert, regional differenzierbar und relativ zeitnah zur Verfügung steht. Er bildet aber nur eine Teilmenge der Erwerbstätigkeit ab.
Auch wenn man die Angaben in der Zusammenschau darstellen will, steht man vor Interpretationsproblemen. Diese resultieren zum einen aus dem Erhebungsverfahren (Ort der Erfassung) und zum anderen aus der nicht einheitlich vorgenommenen Zuordnung zur Wirtschaftszweigsystematik. Darauf kann an dieser Stelle nicht im Detail eingegangen werden.
Werfen wir nach diesen Vorbemerkungen nun einen kurzen Blick auf die Angaben aus dem 1. Hessischen Kulturwirtschaftsbericht. Dieser liefert - wie schon dargelegt - nicht nur Zahlen für Deutschland insgesamt, sondern auch (und zwar basierend auf identischer Abgrenzung) für alle 16 Bundesländer. Zugleich stellt er die weiteste Interpretation von "Kulturwirtschaft" in der aktuellen Diskussion dar.
Demnach waren in Deutschland im Jahr 2000 1,35 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Kulturwirtschaft im weiten Sinne tätig, was 4,9 Prozent der Gesamtbeschäftigten ausmacht. Die Anteile in den Bundesländern bewegen sich dabei zwischen 9,3 (Hamburg) und 3,2 Prozent (Saarland und Sachsen-Anhalt). Gemeint ist dabei der Anteil der Beschäftigten in der Kulturwirtschaft an der Gesamtbeschäftigung des jeweiligen Bundeslandes.
Ein Hinweis ist allerdings ausdrücklich nötig: Beim Indikator sozialversicherungspflichtige Beschäftigung führt die Tatsache, dass ein weiter Kulturwirtschaftsbegriff verwendet wird, dazu, dass die Beschäftigung in vorrangig öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen, sofern diese zu solchen 5-Stellern zählen, die zugleich als kulturwirtschaftlich relevant gelten, automatisch mit erfasst wird. Vergleicht man die gerade genannte Größenordnung von 1,35 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (2000) mit den in Abbildung 2 der PDF-Version ausgewiesenen knapp 450 000 (2003) für die Kulturwirtschaft im Sinne der EU-Abgrenzung, so hat man zwei empirische Befunde zur Bedeutung der Kulturwirtschaft in Deutschland, die immerhin um den Faktor 3 differieren! Noch einmal wird deutlich, wie wichtig es gerade in dieser Diskussion ist, zu erklären, wovon man spricht und welche Indikatoren herangezogen werden. Der eben angebrachte kritische Einwand relativiert sich für die Umsätze: Da öffentlich finanzierte und betriebene Kultureinrichtungen in der Regel nicht umsatzsteuerpflichtig sind, erscheinen konsequenterweise bei den entsprechenden 5-Stellern auch nur die Umsätze der verbleibenden erwerbswirtschaftlich betriebenen, steuerpflichtigen Unternehmen. Vergleicht man hier die Angaben aus dem hessischen Bericht von 204 Milliarden Euro (2000) mit Umsatzangaben nach den neun Kernbranchen der Kulturwirtschaft, wie sie der Arbeitskreis Kulturstatistik abgrenzt (83 Milliarden Euro für 2000),
Hinsichtlich der Anzahl der steuerpflichtigen Unternehmen und Selbstständigen kommt der hessische Bericht zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2000 in Deutschland der Kulturwirtschaft 262 000 oder 9,0 Prozent aller Steuerpflichtigen zuzurechnen waren. Aus dem geringeren Anteil an den Umsätzen (4,9 Prozent) lässt sich bereits ablesen, dass der durchschnittliche Umsatz je Steuerpflichtigen geringer ist als in der Gesamtwirtschaft. Auf diese und andere Fakten zur Kulturwirtschaft in Deutschland wird noch einzugehen sein. Vergleicht man allerdings die hier genannte Zahl von 262 000 Steuerpflichtigen (2000) mit den Angaben aus Abbildung 2 der PDF-Version von 131 000 (2003), so ist dies "nur" (aber zugleich "immer noch") eine Abweichung um den Faktor 2. Aus den obigen Erläuterungen kann darauf geschlossen werden, dass dieser Unterschied tatsächlich im Wesentlichen durch eine weiter gefasste statistische Abgrenzung der Kulturwirtschaft im hessischen Bericht zustande kommt.
Weitere empirische Fakten und qualitative Befunde
Nach dem zuvor Gesagten liegt es nahe, auf eine Angabe konkreter Zahlen etwa zu der Bedeutung einzelner Teilmärkte oder eine Reihung der Bundesländer hinsichtlich ihres kulturwirtschaftlichen Gewichtes zu verzichten. Dies verbietet sich im Rahmen des vorliegenden Aufsatzes allein schon deshalb, weil die Entscheidung für eine bestimmte Abgrenzung zugleich die Entscheidung gegen eine andere bedeuten würde und weil für eine umfassende und vergleichende Gegenüberstellung der Platz fehlt. Ehe abschließend noch auf einige strukturelle Merkmale der Kulturwirtschaft eingegangen wird, die diese vom Durchschnitt gesamtwirtschaftlicher Betrachtungen unterscheiden, sei noch eine Angabe zu einer zentralen ökonomischen Kenngröße gemacht: der Bruttowertschöpfung.
Es sollen nun weitere empirische Fakten aufgeführt werden, die das Bild abrunden. In diversen Länderberichten sind hierzu für unterschiedliche Zeiträume und für unterschiedliche Indikatoren Befunde herausgearbeitet worden, die hier in ihrem wesentlichen Kern angesprochen werden sollen. Auf diese Weise wird ein holzschnittartiges Bild jener Merkmale gezeichnet, die die Kulturwirtschaft als Querschnittsbranche vom Durchschnitt der gesamtwirtschaftlichen Strukturen und Entwicklungen unterscheiden.
Zur Wachstumsdynamik
Von besonderem wirtschaftspolitischen Interesse ist die Wachstumsdynamik der Kulturwirtschaft, hier gemessen an der Umsatzentwicklung. Entsprechende Befunde für die achtziger Jahre stellt bereits der 1. nordrhein-westfälische Bericht heraus. Demnach lag die Wachstumsrate von 1980 bis 1988 mit insgesamt 70 Prozent für die Kulturwirtschaft im weiteren Sinne deutlich über den Werten von Branchen wie dem Maschinenbau (23 Prozent) oder dem Bergbau (9 Prozent) in NRW.
In jüngster Zeit gibt es allerdings gegenläufige Tendenzen. So wird im 2. Hessischen Kulturwirtschaftsbericht festgestellt, dass zwischen 2000 und 2002 die Kulturwirtschaft in Hessen um 14 Prozent an Umsatz einbüßte, während der Vergleich für die Gesamtwirtschaft mit einem Rückgang von knapp 3 Prozent geringer ausfiel.
Dieser kurze Blick auf die Umsatzentwicklung zeigt, dass das überdurchschnittliche Umsatzwachstum, das zunächst den Blick der Wirtschaftspolitik auf die Kulturwirtschaft gelenkt hat, kein "Selbstläufer" war. Allerdings verbergen sich hinter pauschalen Befunden im Detail sehr unterschiedliche Entwicklungen nach Märkten, Kernbereichen, Regionen, aber auch nach Größenklassen der Unternehmen. So ist beispielsweise der für Deutschland dokumentierte Umsatzrückgang insbesondere bei großen Firmen aufgetreten, während sich kleinere gut behaupten oder sogar wachsen konnten.
Eine überdurchschnittliche Wachstumsdynamik ist auch für den Indikator Erwerbstätige in der Logik von Abbildung 2 festzustellen. Demnach stieg im Zeitraum von 1999 bis 2004 die Zahl der Erwerbstätigen in der Kulturwirtschaft um 7,2 Prozent, während sich die Erwerbstätigenzahl in der Gesamtwirtschaft im gleichen Zeitraum um 2 Prozent verringerte. Besonders auffällig war dabei der stark anwachsende Anteil der Selbstständigen bei deutlich langsamerer Entwicklung der abhängig Beschäftigten.
Zur Unternehmensgröße
Ein weiterer Befund betrifft die Größe bzw. die Bedeutung der Unternehmer der Kulturwirtschaft. Generell gilt, dass die Umsätze in der Kulturwirtschaft je Steuerpflichtigen (Unternehmen und Selbstständigen) deutlich geringer ausfallen als für den Durchschnitt der Gesamtwirtschaft.
Zusammenfassend gilt somit, dass Unternehmen der Kulturwirtschaft im Allgemeinen umsatzschwächer und gemessen an der Beschäftigung kleiner sind als Unternehmen im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt. Allerdings bestätigen auch hier Ausnahmen die Regel.
Zur Beschäftigungssituation
Zur Beschäftigungssituation in der Kulturwirtschaft sind einige Ergänzungen erforderlich. Auf den umfassenderen Begriff der Erwerbstätigkeit gegenüber der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung wurde bereits hingewiesen. Der Arbeitsmarkt in der Kulturwirtschaft ist jedoch vielfältiger: In der Kulturwirtschaft haben andere Formen als das (bisher) klassische Vollzeit-Dauerarbeitsverhältnis eine stärkere Bedeutung. Hierunter fallen insbesondere Selbstständige, mithelfende Familienangehörige, die freie Mitarbeit, projektbezogene Arbeit, Praktika und Volontariate. Ebenso sind die Qualifikationsanforderungen und -möglichkeiten für den engeren Kern kulturwirtschaftlicher Tätigkeiten, die auf Kreativität und künstlerischem Talent basieren, häufig anders geartet, als sie dem Angebot betrieblicher und universitärer Ausbildungsgänge entsprechen. Dies kann Chance und Risiko zugleich sein.
Auch im Hinblick auf die Einbindung von Unternehmen und Personen in die Wertschöpfungskette ergeben sich insofern Modifikationen gegenüber klassischen Produktions- und Dienstleistungsbereichen, als vielfach temporäre, projektbezogene Zusammenarbeit für einen Auftrag die typische Art der Leistungserstellung ist. Die genannten Besonderheiten werden in der wissenschaftlichen Diskussion zu der These verdichtet, dass der Kulturwirtschaft insofern eine gewisse Vorreiterrolle zukomme, als dort bereits heute Strukturen und institutionelle Formen der Produktion und Vermarktung bestehen, die sich künftig auch in anderen Teilen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Organisationsformen wiederfinden könnten.