Einleitung
Die durch die Kaperung von Linienflugzeugen verursachten Selbstmordanschläge auf das World Trade Center und das Pentagon, bei denen am 11. September 2001 knapp 3000 Menschen getötet und eines der wichtigsten Symbole des Welthandels zerstört wurden, zählen zu den schwersten und brutalsten Terroranschlägen der Geschichte. Sie wurden vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit qualifiziert; das Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung in Übereinstimmung mit der UNO-Charta wurde in diesem Zusammenhang hervorgehoben.
Auf der Basis dieser Resolutionen haben die USA und ihre Alliierten im Herbst 2001 einen Krieg gegen Afghanistan begonnen, der in relativ kurzer Zeit zum Sturz des Taliban-Regimes geführt hat, dem zu Recht vorgeworfen wurde, das internationale Terrornetzwerk al-Qaida aktiv und wirksam zu unterstützen. Mit dem Sturz der Taliban-Regierung, spätestens aber mit der Einsetzung der Regierung Karsai auf der Basis des "Petersberger Friedensabkommens", d.h. am 5. Dezember 2001, muss dieser durch den Sicherheitsrat autorisierte internationale bewaffnete Konflikt als beendet betrachtet werden.
In der Zwischenzeit haben die USA jedoch begonnen, die Kriegsterminologie auch auf den weltweiten Kampf gegen den globalen Terror der al-Qaida und ihrer Verbündeten auszudehnen. Die Regierung von George W. Bush spricht bewusst vom "Krieg gegen den Terror" und suggeriert damit, dass sich die USA in einem globalen bewaffneten Konflikt mit al-Qaida befänden, auf den die Regeln des Kriegsrechts anwendbar wären. Auch wenn diese Argumentation auf äußerst fragwürdigen und zum Teil wieder formell zurückgezogenen Rechtsgutachten des Justizministeriums beruht, durch keine Sicherheitsrats-Resolution gedeckt ist und vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ausdrücklich zurückgewiesen wurde,
Die Fiktion eines "Kriegs gegen den Terror" dient zum einen dazu, die verfassungsrechtlichen Machtbefugnisse des Präsidenten auf Kosten der anderen beiden Staatsgewalten (Kongress und Gerichtsbarkeit) in einem Maße auszudehnen, das fast diktatorische Züge annimmt und das bewährte System der "checks and balances" untergräbt. Zum anderen wird argumentiert, dass im "Krieg gegen den Terror" nur die Spezialnormen des humanitären Völkerrechts zur Anwendung kämen, wodurch die Geltung anderer völkerrechtlicher Verpflichtungen, insbesondere jene auf Grund internationaler Menschenrechtsverträge, ausgeschlossen sei. Selbst wenn man der Fiktion eines "Kriegs gegen den Terror" folgen wollte, ist auch diese Argumentation durch die einhellige Judikatur internationaler Rechtsinstanzen wie dem Internationalen Gerichtshof (IGH) oder dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen widerlegt. Schon ein kurzer Blick in die so genannten Derogationsklauseln internationaler Menschenrechtsverträge
Auf der Basis dieser völkerrechtlich unhaltbaren und von verschiedenen internationalen Organen immer wieder kritisierten Argumentation hat die Bush-Regierung ein ganzes System von Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus entwickelt, das außerhalb des Rechtsstaats angesiedelt ist und mögliche demokratische oder rechtsstaatliche Kontrollen durch amerikanische oder internationale Instanzen bewusst einschränkt oder gar auszuschalten versucht. Diese häufig als "System Guantánamo" bezeichnete Strategie zielt darauf, ausländische Staatsbürger, die des Terrorismus verdächtigt werden, außerhalb der Rechtsordnung zu stellen, also quasi für vogelfrei zu erklären.
Die Inhaftierung von Menschen ohne gerichtliche Anordnung oder gerichtliche Anklage auf unbestimmte Zeit ("Bis der Krieg gegen den Terror vorbei ist") zum Zweck der durch brutale Verhörmethoden erpressten Erlangung geheimdienstlich interessanter Informationen in einem Militärlager in der Guantánamo-Bucht auf Kuba ist nur der bekannteste Anwendungsfall dieses Systems. Die Ansiedlung dieses Gefangenenlagers außerhalb des Territoriums der USA wurde bewusst gewählt, um die Anwendung der US-Verfassung und internationaler Menschenrechtsstandards zu umgehen. Die irrige (oder irreführende) Annahme, die Garantien der US-Verfassung seien auf Guantánamo nicht anwendbar, wurden schon im Juni 2004 durch den Obersten Gerichtshof der USA im Fall Rasul v. Bush widerlegt.
Zum "System Guantánamo" gehören aber auch die so genannten außerordentlichen "Rendition"-Flüge durch von der CIA gecharterte Privatflugzeuge. Bei dieser vom Sonderermittler des Europarates, Dick Marty, als "globales Spinnennetz" bezeichneten Praxis des US-Geheimdienstes handelt es sich um das Kidnapping und Transportieren von des Terrorismus verdächtigen Menschen zwischen verschiedenen Lagern und Staaten unter bewusster Umgehung aller relevanten menschenrechtlichen Mindeststandards zum Schutz der persönlichen Freiheit, Freizügigkeit und anderer Menschenrechte.
Eine weitere Form der "Auslagerung" der Folter zum Zweck der Umgehung internationaler Menschenrechtsstandards ist die Einbeziehung von privaten Sicherheitsfirmen bei Verhören, wie dies z.B. im berüchtigten US-Lager von Abu Ghraib im Irak nachweislich der Fall war. Auch hier gilt natürlich aus rechtlicher Sicht, dass sich kein Staat durch die Privatisierung von Gefängnissen, Geheimdienst- oder sonstigen Sicherheitskräften seiner völkerrechtlichen Verpflichtung entziehen kann, Häftlinge in menschenwürdiger Weise zu behandeln.
Schließlich gehört zum "System Guantánamo" auch die Existenz geheimer Gefangenenlager der USA. Dass es solche Lager gibt, ist schon durch die bloße Tatsache bewiesen, dass die USA zugeben, gewisse hochrangige al-Qaida-Funktionäre in ihrem Gewahrsam zu haben, deren Aufenthaltsort aber aus Sicherheitsgründen nicht bekannt geben wollen.
Die Relativierung des Folterverbots durch die USA
In Reaktion auf die Anschläge vom 11. September entfaltete sich vor allem in den USA eine rege Diskussion über die Absolutheit des Folterverbots. Mit Extrembeispielen wie dem "ticking bomb"-Szenario wurde versucht, ein Tabu zu brechen. Besonders hervorgetan hat sich dabei der Harvard-Rechtsprofessor Alan Dershowitz, der durch seine wiederholten Folter-Legitimierungsartikel in Zeitungen und wissenschaftlichen Zeitschriften Berühmtheit erlangte. Seine Grundthese ist ebenso einfach wie falsch. Er geht von der Annahme aus, dass die meisten Sicherheitskräfte dieser Welt in bestimmten Extremfällen foltern würden. Folglich wäre es besser, begrenzte Foltermethoden ausdrücklich gesetzlich zuzulassen und unter gerichtliche Kontrolle zu stellen, als dass diese Entscheidungen und Praktiken ohne gesetzliche Regelung und rechtsstaatliche Kontrolle durchgeführt würden. Die Realisierung dieses Vorschlags würde uns unverzüglich ins Mittelalter zurückwerfen, in dem die Folter als Mittel zur Erlangung von Geständnissen detailliert in den damaligen Strafrechtsordnungen niedergelegt war.
In den USA scheinen die Thesen von Dershowitz allerdings auf fruchtbaren Boden zu fallen. Das Justizministerium hat in einer Reihe von zum Teil abenteuerlich argumentierenden und später ausdrücklich wieder zurückgezogenen "Rechtsgutachten" dem Präsidenten und dem Verteidigungsminister vielfältige Argumente geliefert, dass begrenzte Foltermethoden im "Krieg gegen den Terror", solange sie gegen ausländische Staatsbürger außerhalb des Territoriums der USA angewendet werden, im Hinblick auf die US-Verfassung und völkerrechtliche Verpflichtungen der USA zulässig seien und, selbst wenn sie rechtswidrig seien, jedenfalls nicht zu strafrechtlicher Verfolgung führen würden.
Obwohl das "Bybee Memorandum" und ein ähnliches Elaborat aus der Feder von John Yoo, Staatssekretär und Rechtsberater im Justizministerium, im Gefolge des Abu-Ghraib-Skandals offiziell zurückgezogen und am 30. Dezember 2004 durch ein moderateres Rechtsgutachten ersetzt wurde, diente es als Rechtsgrundlage für die beiden berüchtigten "Foltermemoranden" von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, die als Ausnahmen von den üblichen Verhörmethoden der Armee, wie sie im Army Field Manual normiert wurden, die wichtigste "Rechtfertigung" für Folter und Misshandlungen in Guantánamo Bay bis Ende 2005 darstellten. Erst mit dem Detainee Treatment Act vom 31. Dezember 2005, der auf Initiative des republikanischen Senators und Vietnamkrieg-Veteranen John McCain gegen den erbitterten Widerstand von Präsident George W. Bush, Vizepräsident Dick Cheney und CIA-Direktor Porter Goss durchgesetzt wurde, ist erstmals in der Geschichte der USA ein ausdrückliches gesetzliches Verbot aller Formen grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung durch US-Beamte, auch außerhalb des Territoriums der USA, eingeführt worden. Zwar gibt es weiterhin große Unklarheit über die Interpretation dieser im Völkerrecht relativ klaren Begriffe durch die USA,
Der UNO-Bericht zu Guantánamo Bay
Seit der Errichtung des Gefangenenlagers in Guantánamo Bay im Januar 2002 haben verschiedene Sonderberichterstatter und sonstige Experten der UNO-Menschenrechtskommission immer wieder Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen in diesem Lager erhalten und ihre Besorgnis über die Rechtlosigkeit der Häftlinge ausgedrückt. Wie in solchen Fällen allgemein üblich, haben die Experten von der US-Regierung Aufklärung über diese Vorwürfe verlangt, doch diese hat eine Kooperation im Hinblick auf nationale Sicherheitsinteressen und die angebliche Nichtzuständigkeit der UNO bei Menschenrechtsverletzungen im "Krieg" abgelehnt. Folglich sind auch die verschiedenen Ersuchen um eine Zugangsberechtigung zum Zweck der Untersuchung vor Ort unbeantwortet geblieben. Da sich die Vorwürfe über willkürliche Haft, Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren vor einem unabhängigen Gericht, Folter und Misshandlungen in Guantánamo Bay und anderen US-Lagern für des Terrorismus verdächtige Personen, insbesondere in Afghanistan und Irak, häuften, beschlossen alle ca. 40 unabhängigen Experten der Kommission anlässlich ihrer Jahrestagung im Juni 2004, ein dringendes Gesuch an die US-Regierung zu richten, einer Abordnung von vier Experten ein objektives fact-finding vor Ort zu ermöglichen. Da dieses Thema nun auch die Kommission
Die Untersuchung begann im Sommer 2005 mit einem detaillierten Fragebogen an die US-Regierung, der von dieser zwar nicht vollständig, aber doch zu einem guten Teil beantwortet wurde. Die Auswertung der Antworten auf diesen Fragebogen sowie weiterer offizieller US-Dokumente, die den Experten zur Verfügung gestellt oder in der Zwischenzeit auf Grund verschiedener Klagen durch amerikanische Menschenrechtsorganisationen gemäß des Freedom of Information Acts der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, stellt den Kern der primär rechtlichen Analyse des Guantánamo-Berichts dar. Darüber hinaus haben ich in meiner Funktion als UNO-Sonderberichterstatter über Folter und meine vier Kollegen verschiedene Interviews mit ehemaligen Guantánamo-Häftlingen in Großbritannien, Frankreich und Spanien sowie mit deren Anwälten, NGOs und sonstigen Auskunftspersonen in den USA geführt. Während unseres interaktiven Dialogs mit Regierungen in der UNO-Generalversammlung in New York kam es Ende Oktober 2005 zu zwei weiteren Gesprächen mit einer hochrangigen US-Delegation, in deren Verlauf uns eine Einladung des Verteidigungsministeriums für einen Besuch von Guantánamo Bay übermittelt wurde, die allerdings an gewisse Bedingungen geknüpft war. Trotz schwerer Bedenken akzeptierten wir, dass die Einladung nur an drei der fünf Experten adressiert und auf einen einzigen Tag beschränkt war; als Besuchstag wurde der 6. Dezember 2005 festgelegt. Gleichzeitig betonten wir, dass diese Haftinspektion natürlich in vollem Einklang mitden generellen Bedingungen derartiger UNO-Missionen durchgeführt werden müsse, auf deren Einhaltung die USA gegenüber anderen Staaten wie China immer gepocht hatten. Dazu gehört natürlich das Recht, mit allen Häftlingen unbeobachtete Gespräche führen zu können. Da die US-Regierung nicht bereit war, uns Garantien für die Einhaltung dieser für ein objektives fact-finding unabdingbaren Voraussetzung zu geben, mussten wir den Besuch in letzter Minute absagen.
Trotz der Unmöglichkeit einer Untersuchung vor Ort kamen die fünf Experten in ihrem Bericht vom 27. Februar 2006 zu klaren und einstimmigen Ergebnissen,
Entgegen der Rechtsauffassung der USA und in Ermangelung einer entsprechenden
Derogationserklärung durch die US-Regierung sind die durch die USA ratifizierten internationalen Menschenrechtsverträge (insbesondere CCPR und CAT) in Guantánamo Bay voll anwendbar.
Die Inhaftierung der Häftlinge ohne Zugang zu einem unabhängigen Gericht ist willkürlich und verletzt das Recht auf persönliche Freiheit.
Die durch Präsident Bush eingerichteten Militärkommissionen, die für Strafverfahren gegen die eines strafrechtlichen Delikts angeklagten Häftlinge zuständig sind, erfüllen keineswegs die Mindestgarantien eines unabhängigen Gerichts.
Die Versuche der US-Regierung, Folter neu zu definieren, sowie die verbreitete Unsicherheit, welche Verhörmethoden zulässig sind und welche nicht, sind alarmierend.
Die von Verteidigungsminister Rumsfeld ausdrücklich angeordneten Verhörmethoden (Verharren in Stresspositionen, lange Isolationshaft, Ausnutzung individueller Phobien wie Angst vor Hunden, Desorientierung durch das Überstülpen von Kapuzen sowie durch Entzug von Licht, Schlaf, Kleidung und sonstigen Gegenständen, Anhaltung von Häftlingen unter extremen Temperaturen, insbesondere großer Kälte bei gleichzeitigem Entzug von Kleidung und Decken etc.) stellen zumindest erniedrigende Behandlung, in vielen Fällen auch Folter dar.
Exzessive Gewalt während der "Rendition"-Flüge sowie zur Bestrafung nicht-kooperativer Häftlinge einschließlich gewisser Methoden der Zwangsernährung hungerstreikender Häftlinge kann als Folter qualifiziert werden.
"Rendition"-Flüge in Staaten, in denen systematisch gefoltert wird, stellen eine Verletzung des Refoulement-Verbots in Artikel 3 CAT dar.
Gewisse Praktiken und Verhörmethoden verletzen das Recht auf Religionsfreiheit und stellen eine Diskriminierung der Häftlinge auf Grund ihrer moslemischen Religion dar.
Die Haftbedingungen in ihrer Gesamtheit und die völlige Unsicherheit der Häftlinge über die Dauer ihrer Haft und ihr weiteres Schicksal führen zu ernsten psychischen Störungen, Hungerstreiks und Selbstmordversuchen und verletzen daher das Recht der Häftlinge auf Gesundheit.
Diese schweren und systematischen Verletzungen verschiedener Menschenrechte führten zu einer Reihe von einstimmigen und weit reichenden Empfehlungen an die US-Regierung:
die unverzügliche Schließung des Lagers, wobei jene Häftlinge, gegen die Beweise für begangene Straftaten vorliegen (bisher sind lediglich zehn von knapp 500 Personen vor Militärkommissionen angeklagt worden), vor ein unabhängiges Gericht gestellt werden sollten;
die Aufhebung spezieller Verhörmethoden und sofortige Beendigung von Folter und Misshandlung;
die sofortige Einstellung von "Rendition"-Flügen in Staaten, in denen eine ernsthafte Gefahr für die Häftlinge besteht, gefoltert zu werden;
Einrichtung effektiver und unabhängiger Instanzen zur Untersuchung von Foltervorwürfen sowie die Entschädigung von Folteropfern;
Beendigung der Zwangsernährung von hungerstreikenden Häftlingen und Einbeziehung unabhängiger Ärzte;
voller und unbeschränkter Zugang der UNO-Experten nach Guantánamo Bay einschließlich des Rechts, Häftlinge unbeobachtet zu interviewen.
Die US-Regierung reagierte in einer Weise auf unseren Bericht, die man von einer demokratischen Regierung nicht erwartet hätte.
Follow-up
Der am 27. Februar 2006 auf der Homepage des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte veröffentlichte Bericht ist auf ein reges mediales Interesse und auf breite Zustimmung seitens der Wissenschaft, der NGOs, aber auch vieler Repräsentanten internationaler Organisationen und Regierungen gestoßen. Insbesondere haben sich nachUNO-Generalsekretär Kofi Annan und der Hochkommissarin für Menschenrechte, Louise Arbour, auch das EU-Parlament und die Präsidentschaft der EU unserer Forderung nach Schließung des Lagers angeschlossen.
Mit der bloßen Schließung ist das Problem Guantánamo allerdings noch nicht gelöst. Vielmehr bedarf es eines internationalen burden sharing und eines gemeinsamen Aktionsplanes, was mit den derzeit ca. 460 Häftlingen geschehen soll. Dem Vernehmen nach reichen die Beweise über begangene Verbrechen nur bei einer kleinen Minderheit für eine strafrechtliche Anklage. Das bedeutet freilich nicht, dass alle anderen Häftlinge völlig unschuldig oder ungefährlich wären. Bei jenen Häftlingen, die offensichtlich unschuldig und ungefährlich sind, stellt sich die Frage, ob sie in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden können. Da in vielen dieser Länder systematisch gefoltert wird und al-Qaida-Verdächtige natürlich besonders gefährdet sind, scheint eine Ausweisung in diese Länder im Hinblick auf das Refoulement-Verbot unmöglich. Da diese Personen auch nicht notwendigerweise in den USA bleiben können und/oder wollen, müssten Drittländer gefunden werden, die bereit sind, diese Menschen als Flüchtlinge aufzunehmen oder ihnen einen humanitären Aufenthaltstatus zu gewähren. Die schwierigen Verhandlungen über die Aufnahme jener 16 Uiguren, die offensichtlich unschuldig sind, aber nicht nach China zurückgeschickt werden können, zeigen, dass es nicht leicht werden wird, Aufnahmeländer für potenzielle Terroristen zu finden. Obwohl die USA diesbezüglich mit ca. 20 Staaten in Verhandlung getreten sind, hat bisher lediglich Albanien eine Gruppe von fünf Uiguren aufgenommen.
Zur Lösung der angesprochenen Probleme schlage ich folgendes Modell vor:
Die USA sollen autonom entscheiden, welche Häftlinge sie anklagen wollen. Diese sollen vor ein ordentliches US-Bundesstrafgericht (kein Militärgericht) gestellt werden und haben ein Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren, wie jeder Mensch, der einer Straftat verdächtigt und angeklagt wird.
Die UNO sollte eine unabhängige Expertenkommission einsetzen, die über das Schicksal der übrigen Häftlinge entscheiden soll. Zu diesem Zweck sollte sie auf der Basis aller schriftlichen Akten ein persönliches Gespräch mit jedem Häftling in Guantánamo führen.
Häftlinge, deren Auslieferung von ihrem Heimatstaat oder einem Drittstaat zum Zweck der Durchführung eines Strafgerichtsverfahrens oder der Vollstreckung eines bereits gefällten Urteils verlangt wird, sollen an diese Staaten ausgeliefert werden, falls sichergestellt ist, dass sie dort nicht der Gefahr der Folter oder eines offensichtlich unfairen Verfahrens ausgesetzt werden.
Häftlinge, denen auch nach mehreren Jahren Haft undVerhören durch US-Militärs, CIA und FBI keine Straftat vorgeworfen wird, die offensichtlich unschuldig sind, haben ein Recht auf Freilassung aus der Haft und auf Entschädigung gegenüber der US-Regierung.
Jene, die freiwillig in ihre Heimatstaaten zurückkehren wollen und dort nicht der Gefahr der Folter oder einer vergleichbaren schweren Menschenrechtsverletzung ausgesetzt sind, sollten in diese Länder zurückkehren dürfen.
Für alle anderen Häftlinge sollten Drittstaaten gefunden werden, die bereit sind, nach einem fairen Aufteilungsschlüssel ein gewisses Kontingent an Guantánamo-Häftlingen aufzunehmen und ihnen einen Flüchtlings- oder sonstigen Aufenthaltsstatus zu gewähren.
Jene Personen, denen zwar keine Straftat in der Vergangenheit nachgewiesen werden kann, die aber nach Auffassung der Expertenkommission eine unmittelbare Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen, können natürlich jenen Einschränkungen ihrer Menschenrechte unterzogen werden, die nach den Gesetzen des Aufnahmelandes in solchen Fällen vorgesehen sind.
Die UNO sollte nicht nur für die Entscheidung, was mit den Guantánamo-Häftlingen geschehen soll, und für die Auswahl jener Länder verantwortlich sein, die bereit sind, Häftlinge aufzunehmen, sondern sie sollte auch den gesamten Prozess der Repatriierung und Integration in die Heimat- oder Drittstaaten aktiv unterstützen und begleitend beobachten.