Einleitung
Den Berichten von Menschenrechtsorganisationen zufolge ist Folter eine weit verbreitete Praxis. In mehr als der Hälfte der Staaten findet Folter statt; in mehr als einem Drittel der Staaten wird sie systematisch und regelmäßig eingesetzt. Dennoch ist der langjährige politische Einsatz gegen die Folter nicht ohne Ergebnisse geblieben:
Dies hat praktisch-institutionelle Konsequenzen. Auf der Grundlage des Paktes über bürgerliche und politische Rechte von 1966 sowie der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen von 1984 sind Überwachungsmechanismen entstanden, die die von den Staaten periodisch vorzulegenden Berichte überprüfen und außerdem Individualbeschwerden bearbeiten. Sie bilden wichtige Anlaufstellen auch für die Arbeit nichtstaatlicher Menschenrechtsorganisationen, die ihrerseits eine unersetzliche Rolle bei der öffentlichen Thematisierung von Foltervorwürfen innehaben. Auf der Ebene des Europarats können Menschen, die Folter erlitten haben oder die befürchten, gefoltert zu werden, den Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anrufen und auf diese Weise etwa bei drohender Foltergefahr Schutz gegen Abschiebung erwirken. Der europäische Anti-Folter-Ausschuss besucht Haftanstalten und andere Orte, in denen Menschen gegen ihren Willen festgehalten werden; mit seinen kritischen Hinweisen und Empfehlungen trägt der Ausschuss dazu bei, die Voraussetzungen für die Prävention von Folter zu verbessern. Ein solcher Präventivmechanismus ist auch im Zusatzprotokoll zur Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen von 2002 vorgesehen, das im Juni 2006 in Kraft getreten ist. Schließlich sei der Internationale Strafgerichtshof erwähnt, der im Rahmen der Bestrafung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit u.a. für die Ahndung von Folter zuständig ist.
Obwohl in Sachen Folterverbot Anspruch und Wirklichkeit nach wie vor weit auseinander klaffen, gibt es - dies sollte die (unvollständige) Aufzählung einiger Mechanismen deutlich machen - doch institutionelle Fortschritte im Kampf gegen die Folter. Möglich waren und sind sie nur auf einer festen normativen Grundlage, nämlich dem klaren Verbot der Folter. Im Vergleich zu anderen Menschenrechtsnormen ist dieses Verbot besonders streng formuliert: Sowohl in den Menschenrechtsübereinkommen der Vereinten Nationen als auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention und in anderen regionalen Abkommen gilt das Folterverbot ohne jede Einschränkung; es ist ein absolutes Verbot. Das Folterverbot gehört zu den wenigen "notstandsfesten" Menschenrechtsnormen, die auch in Notstandssituationen ohne Abstriche oder Ausnahmen eingehalten werden müssen. Exemplarisch zitiert sei aus der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen, die in Artikel 2 klarstellt: "Außergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand, dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden."
Diese unbedingte Geltung des Folterverbots wird unterdessen zunehmend in Frage gestellt. Dies geschieht auch in demokratisch verfassten Gesellschaften wie Deutschland. Dass Plädoyers für eine Relativierung des Folterverbots in der deutschen Öffentlichkeit durchaus starke Resonanz finden können, hat die Diskussion um das Verhalten des damaligen Vizepräsidenten der Frankfurter Polizei, Wolfgang Daschner, gezeigt, der im Herbst 2002 einem Kindesentführer Folter angedroht hatte, um ihm Informationen über das Versteck des (wie sich herausstellen sollte: damals bereits ermordeten) Kindes abzuzwingen. Politiker aus unterschiedlichen Parteien und einzelne hohe Repräsentanten der Justiz brachten nach Bekanntwerden dieses Vorfalls spontan Verständnis oder Zustimmung für das Vorgehen Daschners zum Ausdruck. Noch deutlichere Töne waren in zahlreichen Leserbriefen zu vernehmen, in denen nicht selten offene Bewunderung für die Haltung des Polizei-Vizepräsidenten anklang. Der Strafprozess gegen Daschner vor dem Frankfurter Landgericht endete im Dezember 2004 mit einem milden Urteil, nämlich einer Verwarnung mit Strafvorbehalt, bekräftigte zugleich aber das absolute Folterverbot.
In der wissenschaftlichen, insbesondere der rechtswissenschaftlichen Fachdiskussion stehen Überlegungen in Richtung einer möglichen Zulassung von Folter zwar nach wie vor für eine Minderheitsposition; immerhin sind sie aber schon bis in die quasi-offizielle Kommentierung des Grundgesetzes vorgedrungen.
Das "ticking bomb"-Szenario
Im Hintergrund der aktuellen Debatte um das Verbot der Folter steht vor allem die Angst vor terroristischer Bedrohung, die mit den Anschlägen von Madrid und London auch unmittelbar europäischen Boden erreicht hat. Diejenigen, die für eine Lockerung des Folterverbots eintreten, berufen sich deshalb zumeist auf eine mittlerweile verschärfte sicherheitspolitische Lage. Dabei betonen sie, dass die Folter für äußerste Notfälle vorbehalten sein soll, in denen angesichts einer unmittelbaren Bedrohung andere Möglichkeiten für den Schutz menschlichen Lebens nicht zur Verfügung stünden.
Diese Position vertritt in der deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur seit mehreren Jahren Winfried Brugger.
Die Suggestivkraft dieses "ticking bomb"-Szenarios beruht darauf, dass sich offenbar viele Menschen in die Lage eines diensthabenden Polizeibeamten hineinversetzen können, der unter dem Druck der geschilderten Extremsituation Folter anordnen würde. Zu beachten ist allerdings, dass es Brugger nicht um die Bewertung individuellen menschlichen Verhaltens in möglichen Dilemma-Situationen, sondern um die Legitimität staatlichen Handelns in Notstandsfällen geht. Um für den Kampf mit terroristischen Verbrechern gerüstet zu sein, braucht der Staat nach Bruggers Überzeugung neue und erweiterte Eingriffsbefugnisse - bis hin zu der Option, in bestimmten Fällen Folter anwenden zu können. Die Möglichkeit des Einsatzes von Folter ist in Bruggers Argumentation somit von vornherein mehr als nur eine theoretische Denkmöglichkeit in einer vielleicht unabsehbaren existenziellen Extremsituation; sie wird - dies macht die politische Brisanz seiner Überlegungen aus - zu einer Handlungsoption, auf die der Staat sich aktiv vorbereiten solle.
Brugger weiß um die rechtspolitischen Risiken seiner Forderung. Deshalb will er den Einsatz von Folter auf Grenzfälle beschränken. Die Folter soll, wie er versichert, eine Ausnahme bleiben. Im Kontext staatlichen Handelns ist die für eine bestimmte Situation ausdrücklich ermöglichte Ausnahme indessen von vornherein mehr als eine bloße Ausnahme: Sie wird sofort zum Präzedenzfall, der über die konkrete Situation hinaus auf andere, mehr oder weniger ähnlich gelagerte Fälle verweist. Die Logik der Argumentation mit Grenzsituationen führt zwangsläufig dazu, die im Blick auf einen bestimmten vorstellbaren Grenzfall eröffneten Sonderbefugnisse auf immer wieder neue - gleichsam benachbarte - Grenzfälle auszuweiten. Aus dem einen Grenzfall wird auf diese Weise schließlich ein ganzer Grenzbereich, in dem Folter um der Gefahrenabwehr willen zulässig sein soll. In der Sonderregelung für einen Ausnahmefall ist insofern angelegt, dass eine Zone des Sonderrechts entsteht, in dem das Folterverbot außer Kraft gesetzt ist. Bruggers Gedankengang mündet denn auch nicht zufällig in das Plädoyer für die "Spezifizierung und Herausnahme einer Fallgruppe, in der das absolute Folterverbot zu widersinnigen und ungerechten Ergebnissen (...) führen würde"
Die Grenzen dieser virtuellen Zone des Sonderrechts lassen sich nicht präzise bestimmen. Es spricht indes alles für die Vermutung, dass es sich, sarkastisch formuliert, um eine "Wachstumszone" handeln würde, in der sich die Trennlinie zwischen Erlaubtem und (noch) Nicht-Erlaubtem unter dem Postulat der Gefahrenabwehr immer wieder verschieben dürfte. Dies gilt nicht nur im Blick auf mögliche Fallkonstellationen, sondern auch im Blick auf die Intensität der Foltermaßnahmen (die in den von Brugger und anderen entworfenen Szenarien erstaunlicherweise nirgends näher diskutiert wird). Wenn der abstrakte Primat staatlicher Gefahrenabwehr die mit dem Folterverbot gezogene Grenzlinie erst einmal aufgelöst hat, gibt es buchstäblich kein Halten mehr. Denn warum sollte man das Argument, mit dem Maßnahmen wie massiver Schlaf- und Nahrungsentzug begründet werden, nicht auch für den Einsatz von Elektroschocks heranziehen können? Und warum sollte die Begründung, die man für das Einschüchtern potenzieller Terroristen durch Hunde gefunden hat, nicht auch für die Auslösung von Ertrinkenspanik durch Untertauchen des Kopfes unter Wasser gelten?
Die Vorstellung, Folter erlauben und zugleich in rechtsstaatlichen Schranken halten zu können, ist in sich widersprüchlich. Sie muss schon daran scheitern, dass der abstrakte Primat der Gefahrenabwehr, unter dem man einem potenziellen Terroristen die Daumenschrauben ansetzt, im Falle von Aussageverweigerung dazu treiben wird, die Schraube immer weiter zu drehen. Jenseits des Folterverbots gibt es keine plausible Grenzlinie mehr, die dem Druck einer einseitigen Politik der Gefahrenabwehr standhalten könnte.
Die Kategorie des "Feindstrafrechts"
Während sich Brugger für die rechtsstaatlich kontrollierte Zulassung von Folter einsetzt (was einen Widerspruch in sich bedeutet), hat der Bonner Strafrechtsprofessor Günther Jakobs eine Kategorie in die Debatte eingeführt, mit der ganz offen Zonen der Rechtlosigkeit geschaffen werden. Jakobs unterscheidet zwischen Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht.
Die Kategorie des "Feindstrafrechts" entspricht der Sache nach dem Begriff des "unlawful enemy combatant", den die US-Administration für die Internierten in Guantanamo Bay geprägt hat, um ihnen sowohl den völkerrechtlichen Status von Kriegsgefangenen abzusprechen als auch den Schutz des Strafrechts beziehungsweise des Strafprozessrechts vorzuenthalten. Tatsächlich macht sich Jakobs dafür stark, Terroristen und andere fundamentale Staatsgegner nicht mit Mitteln des Strafrechts zu bekämpfen, weil dadurch "dem Staat eine Bindung auferlegt wird - eben die Notwendigkeit, den Täter als Person zu respektieren -, die gegenüber einem Terroristen, der die Erwartung generell personalen Verhaltens gerade nicht rechtfertigt, schlechthin unangemessen ist"
Die rechtliche Anerkennung als Person, die im Bürgerstrafrecht auch dem mutmaßlichen oder verurteilten Straftäter zuerkannt wird, gilt nach Jakobs im Falle des Feindstrafrechts gerade nicht. Mehr noch: Dem vermeintlichen Feind die Qualität einer Rechtsperson abzusprechen, sei für den Staat in der Krise nicht nur erlaubt, sondern zugunsten eines von Jakobs unterstellten vorrangigen Bürgerrechts auf Sicherheit sogar geboten. "Wer keine hinreichende Sicherheit personalen Verhaltens leistet, kann nicht nur nicht erwarten, noch als Person behandelt zu werden, sondern der Staat darf ihn auch nicht mehr als Person behandeln, weil er ansonsten das Recht auf Sicherheit der anderen Personen verletzen würde."
Wenn der Staat nach Jakobs gegenüber dem "Feind" keinerlei rechtliche Bindungen beachten muss, verliert konsequenterweise auch das Folterverbot seinen rechtlichen Status. Die Tatsache, dass Jakobs sich nicht näher zum Thema Folter äußert, ist insofern alles andere als beruhigend. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Folter für Jakobs - jedenfalls bei der Anwendung des Feindstrafrechts - von vornherein überhaupt kein rechtliches Problem mehr darstellt. Die Art und Weise, wie der Staat mit inhaftierten mutmaßlichen Terroristen umzugehen hat, wird damit zur Sache freien Ermessens. Es mag nach Jakobs pragmatische Gründe dafür geben, auf Folter zu verzichten - zum Beispiel, um den "Feind" nicht unnötig zu reizen. Ein rechtliches Verbot der Folter hat im Rahmen des Feindstrafrechts hingegen keinen Ort mehr.
In der Zone der Rechtlosigkeit, die durch das Feindstrafrecht geschaffen wird, ist der Einsatz von Folter keine Ausnahme mehr, sondern - systematisch gesehen - eine jederzeit verfügbare Option, über die man gar nicht mehr reden muss. Dies deckt sich mit der Praxis vieler Staaten, in denen Folter typischerweise nicht förmlich geregelt wird (wie Brugger dies für Grenzfälle postuliert), sondern in staatlich geschaffenen Zonen der Rechtlosigkeit unausgesprochene Billigung erfährt.
Jakobs geht offenbar davon aus, dass das Feindstrafrecht nur gegenüber Terroristen und anderen Totalgegnern des Staates zur Anwendung kommt. Es stellt sich die Frage, woher er diese Gewissheit nimmt. Woher weiß der Staat, wer seine "Feinde" sind? Wie lässt sich verhindern, dass gewöhnliche Kriminelle oder unschuldige Menschen versehentlich in die Mühlen des Feindstrafrechts geraten? Wer entscheidet nach welchen Kriterien, wann das Bürgerstrafrecht und wann das Feindstrafrecht gelten soll? Die Brisanz dieser Fragen besteht nicht zuletzt darin, dass im Feindstrafrecht konsequenterweise auch das Prinzip der Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt ist. Wenn der Staat aber jedem Menschen, den er für seinen "Feind" hält, die Unschuldsvermutung vorenthalten kann, dann verliert die Unschuldsvermutung generell ihre Geltung. Dasselbe gilt auch für die anderen Grundrechte, die zum Gegenstand sicherheitspolitischer Ermessensentscheidungen werden. Niemand kann sich folglich mehr sicher sein, dass der Staat ihn als Person achtet und ihm gegenüber rechtsstaatliche Prinzipien einhält. Mit anderen Worten: Die Rechtlosigkeit, die zunächst nur die "Feinde" treffen soll, bleibt kein Bereich an der Grenze des Staates, sondern durchzieht zwangsläufig das Ganze des Staates, der damit in seiner normativen Grundstruktur verändert wird.
Folter und Menschenwürde
Es gibt pragmatische Gründe dafür, am absoluten Folterverbot festzuhalten, weil sonst ein Dammbruch droht, der den Rechtsstaat als Ganzes beschädigen würde. Das pragmatische Dammbruch-Argument allein ist aber noch nicht tragfähig. Die Überlegung, dass sich jenseits des Folterverbots keine plausibel begründbaren Grenzziehungen formulieren lassen, verweist vielmehr auf das eigentlich tragende prinzipielle Argument, nämlich die Achtung der Menschenwürde als die Grundlage von Moral und Recht.
Die Missachtung der Menschenwürde, die bei jeder schweren Menschenrechtsverletzung stattfindet, ist im Falle der Folter besonders gravierend, zielt die Folter doch darauf ab, den Willen eines Menschen zu brechen und damit seine Subjektqualität unmittelbar zu negieren. Wie sonst vielleicht nur im Falle der Versklavung wird der Mensch in der Folter restlos verdinglicht, das heißt zur willkürlich benutzbaren Sache herabgewürdigt. Die Folter verfolgt das Ziel, den Willen des Betroffenen zu brechen und ihn - auf ein hilfloses Bündel von Schmerz, Angst und Scham reduziert - als Mittel zur Informationsgewinnung, Einschüchterung oder Demoralisierung zu missbrauchen. Gleichzeitig bleibt das Bewusstsein des Menschen erhalten: Er erlebt die eigene Totalverdinglichung und soll genau daran zerbrechen.
Kants Formulierung des kategorischen Imperativs, nämlich die unbedingte Forderung, so zu handeln, "dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst",
Die Menschenwürde aber ist das Fundament aller moralischen und rechtlichen Verbindlichkeiten. Ohne Achtung der Würde - der eigenen Würde und der Menschenwürde der anderen - können normative Verbindlichkeiten zwischen Menschen weder entstehen noch aufrechterhalten werden. Die Achtung der Menschenwürde ist deshalb nicht nur eine Norm neben anderen Normen; vielmehr bildet sie die Grundlage moralischer und rechtlicher Normen überhaupt und damit zugleich die Basis des Rechtsstaats. Die Vorstellung, dass es jenseits des Folterverbots moralische oder rechtliche Kriterien geben könnte, mit denen man die Folter einerseits erlauben und andererseits zugleich in Grenzen halten könnte, ist daher absurd. Der Schritt zur Folter führt so gesehen nicht nur zu einem Dammbruch; es ist der Schritt in ein rechtsstaatliches Niemandsland, in dem keine Möglichkeit mehr besteht, überhaupt noch wirksame Dämme gegen staatliche Willkür zu errichten.
Dies gilt selbst im Blick auf eine hypothetische Fallkonstellation, bei der staatlich eingesetzte Folter die einzige Chance bieten würde, um die Folter durch Dritte - etwa die drohende Folter einer durch Terroristen entführten Geisel - zu verhindern. Nicht einmal die Schutzpflicht des Staates zugunsten der von Dritten bedrohten Menschenwürde erlaubt Maßnahmen, durch die der Staat die Achtung der Menschenwürde aufkündigen würde.
Das Folterverbot ergibt sich aus der inneren Logik des Rechtsstaats. Ein Rechtsstaat kann sich deshalb unter keinen Umständen darauf einlassen, den Einsatz von Folter zu erlauben. Allenfalls denkbar ist, dass der Staat zum Beispiel gegenüber einem Polizeibeamten, der in einer tatsächlich eingetretenen, ausweglosen Konfliktsituation zu Mitteln der Folter gegriffen hat, rückblickend auf Strafe verzichtet. Aber auch hier ist Vorsicht angezeigt. Es darf nicht dazu kommen, dass durch einen voreiligen Strafverzicht der Eindruck erweckt wird, der Staat würde den Einsatz von Folter stillschweigend doch billigen oder gar ermutigen (wie dies in vielen Staaten der Welt der Fall ist). Wer Folter anwendet oder ihren Einsatz befiehlt, muss deshalb wissen, dass er dafür in jedem Fall vor Gericht gestellt wird; dies schreibt auch die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen bindend vor. Nur ein öffentlicher Strafprozess kann die Frage klären, ob tatsächlich eine tragische Dilemma-Situation vorgelegen hat, in der die Anwendung von Folter zwar nicht gerechtfertigt wäre (dies ist prinzipiell unmöglich), vielleicht aber im konkreten Fall straffrei bleiben kann.
Bei Fragen, in denen die Menschenwürde auf dem Spiel steht, sind für einen Rechtsstaat Klarheit und Konsequenz geboten. Der Staat darf es nicht dazu kommen lassen, dass ein in der Theorie aufrechterhaltenes Folterverbot praktisch ins Leere läuft, weil den Sicherheitsorganen für den Fall der Fälle indirekt Straffreiheit signalisiert wird. Er darf es nicht zulassen, dass das Folterverbot durch sophistische Sprachregelungen unterminiert wird, die dazu dienen, die Grenzlinie zu verschieben oder zu verwischen. Schließlich kann es sich der Rechtsstaat auch nicht leisten, dass unter Berufung auf mögliche oder tatsächliche Notlagen eine Grauzone entsteht, in der das Folterverbot nicht mehr unbedingt gilt. Die Ächtung der Folter muss unzweideutig sein.
In einem Rechtsstaat steht auch die Sicherheitspolitik stets im Dienst der Menschenrechte. Damit sind staatlichem Handeln Grenzen gesetzt, deren strikte Beachtung zugleich aber auch die Legitimität des Staates stärkt. Deshalb wäre es falsch, Sicherheit und Menschenrechte abstrakt gegeneinander auszuspielen.