Einleitung
Ländliche Räume sind vor allem geprägt von der Landwirtschaft, die bei der Flächennutzung in Deutschland mit einem Anteil von 54 Prozent dominiert.
100 Jahre Fortschritte in der Landwirtschaft und deren Folgen
Die Landwirtschaft des 20. und 21. Jahrhunderts ist durch einen gewaltigen technischen Fortschritt gekennzeichnet, der gleichermaßen die Produktivität des Bodens (so genannte biologisch-technische Fortschritte) und die Produktivität der Arbeit (so genannte mechanisch-technische Fortschritte) steigerte.
Einen eigenen Verlauf nahm die ostdeutsche Landwirtschaft. Dort war bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs agrarischer Großgrundbesitz vorherrschend. Dieser wurde ab 1945 im Zuge der Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone entschädigungslos enteignet und dem Staat bzw. in kleinen Parzellen an so genannte "Neubauern" übertragen. Die neu entstandenen Kleinbauernbetriebe wurden ab 1952 durch Kollektivierung zusammengelegt, so dass die DDR von sehr großen Produktionseinheiten geprägt war. In den siebziger Jahren folgte eine Phase von Konzentration und Spezialisierung, und in den neunziger Jahren die Transformation nach der deutschen Vereinigung. So erlebte der ostdeutsche Agrarsektor innerhalb von 50 Jahren gleich vier fundamentale Strukturbrüche.
Situation der Landwirtschaft heute
Kennzeichnend für die heutige Situation der Landwirtschaft in Deutschland ist deren relativ geringe Bedeutung in Wirtschaft und Gesellschaft. Derzeit ist sie nur noch einer von mehreren Wirtschaftsfaktoren im ländlichen Raum. Zu vernachlässigen ist die Landwirtschaft dennoch nicht, gilt sie doch weiterhin als sehr bedeutsam für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, für den Erhalt der Sozialstruktur und des Kulturerbes ländlicher Räume
Heute bestehen in Deutschland rund 366 000 landwirtschaftliche Betriebe (vgl. Tabelle 2 der PDF-Version). Eine hohe Zahl kleiner Agrarbetriebe, die häufig im Nebenerwerb betrieben werden, steht einer kleinen Zahl großer Betriebe gegenüber: Nur 8 Prozent der Betriebe sind größer als 100 ha, bewirtschaften aber 50 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche Deutschlands. Eine ähnliche Konzentration zeigt sich für die Viehbestände: So hielten im Jahr 2005 4 Prozent der Rinderbetriebe 26 Prozent des gesamten deutschen Milchviehbestandes und 3 Prozent der Betriebe 29 Prozent des Mastschweinebestandes. Das mittlere Einkommen je Landwirt liegt um etwa 9 Prozent unter dem gewerblichen Vergleichslohn, also dem Lohn vergleichbarer Lohn- und Tarifgruppen in der gewerblichen Wirtschaft.
15 Jahre nach der Einigung Deutschlands gibt es immer noch eine deutliche Zweiteilung der Agrarstruktur zwischen West- und Ostdeutschland. Diese äußert sich insbesondere darin, dass die mittlere Größe der ostdeutschen Betriebe diejenige der westdeutschen um mehr als das sechsfache übertrifft (vgl. Tabelle 3 der PDF-Version).
Auch der Arbeitskräftebesatz liegt in ostdeutschen Betrieben deutlich niedriger, und Familienarbeitskräfte kommen zu einem wesentlich geringeren Teil zum Einsatz. Dominieren in Westdeutschland auf 91 Prozent der Fläche Einzelunternehmen, die überwiegend Familienbetriebe sind, so sind in Ostdeutschland auf 75 Prozent der Fläche juristische Personen (vor allem GmbHs und Genossenschaften) und Personengesellschaften (etwa Gesellschaften bürgerlichen Rechts) vorherrschend. Viele dieser Betriebe zeichnen sich hier durch eine sehr effiziente Wirtschaftsweise, große Produktionskapazitäten und ein professionelles Management aus, wodurch sie vergleichsweise konkurrenzkräftig sind. Sie gelten als wirtschaftlich stabil, teilweise sogar prosperierend.
Zukünftige Entwicklung der Landwirtschaft
Die Landwirtschaft wird auch weiterhin einem starken Wandel unterliegen.
Intensivierung, Spezialisierung und Konzentration
Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich die deutsche Landwirtschaft in einer Weise entwickelt, die vielfach mit den Begriffen "Industrialisierung" oder "Produktivismus" umschrieben wird.
Extensivierung, Diversifizierung und Dispersion
Doch gibt es auch einen gegenläufigen Trend, der in der Literatur mit dem Begriff "Post-Produktivismus" umschrieben wird.
Die Landwirtschaft differenziert sich also in Richtung Intensivierung oder Extensivierung bzw. "Produktivismus" oder "Post-Produktivismus" aus. Dabei nimmt die mittlere Betriebsgröße bei beiden Formen stetig zu. Die Größe eines Betriebes lässt jedoch keinen unmittelbaren Schluss auf den Intensitätsgrad der Bewirtschaftung zu. Zum Beispiel finden sich unter den mehrere tausend Hektar großen Betrieben in Ostdeutschland gleichermaßen hoch intensive und extensive Agrarbetriebe.
Neue Märkte: Von der Nahrungsmittel- zur Energiebereitstellung
Stark im Aufwind befindet sich der politisch geförderte Anbau nachwachsender Rohstoffe zur energetischen Nutzung, die so genannte Bioenergienutzung.
Die Nutzung von Bioenergie diversifiziert die Agrarlandschaft und ermöglicht den Absatz neuer landwirtschaftlicher Produkte. Dadurch kann sie positive Beschäftigungseffekte und eine Wertschöpfung für den ländlichen Raum mit sich bringen. Einen beispielhaften Erfolg erzielte etwa die Gegend um Güssing (Österreich). In der Landesstatistik wurde diese noch im Jahr 1988 als ärmste Region Österreichs mit den typischen Merkmalen von Peripherisierung wie fehlende Gewerbe- und Industriebetriebe, hohe Abwanderungsrate, hohe Pendlerzahlen und Aufgabe landwirtschaftlicher Betriebe identifiziert.
Wechselwirkungen zwischen Peripherisierung, Landwirtschaft und Regionalentwicklung
Wie lassen sich die eingangs gestellten Fragen zu den Auswirkungen der Peripherisierung auf die Landwirtschaft und zu deren Beiträgen zur Regionalentwicklung beantworten? Periphere ländliche Räume Ostdeutschlands zeichnen sich vielfach durch eine hoch technologisierte, leistungs- und konkurrenzstarke Landwirtschaft aus. Ein Problem liegt für die Betriebe darin, qualifizierte und motivierte Arbeitskräfte zu finden - ungeachtet dessen, dass die Arbeitslosenrate in peripheren Regionen häufig mehr als 20 Prozent beträgt. Dabei behindert das mit Peripherisierung verbundene negative Image einer Region den möglichen Zuzug auswärtiger Fachkräfte. Eine weitere negative Konsequenz für die Agrarbetriebe ist ein Rückgang an regionaler Kaufkraft und damit der Nachfrage nach Lebensmitteln. Dies hat insbesondere für diejenigen Betriebe Auswirkungen, die sich im Bereich der Qualitätsproduktion und Regionalvermarktung engagieren. Allerdings wird ein großer Teil der Agrarprodukte bereits heute außerhalb der Produktionsregion abgesetzt. Zu erwarten ist, dass die Peripherisierung weiteren Auftrieb für eine überregionale Ausrichtung der Handelsbeziehungen von Betrieben gibt. Angesichts der genannten europäischen und globalen Herausforderungen erscheinen aber die Auswirkungen vonregionaler Peripherisierung auf die großen Landwirtschaftsbetriebe vergleichsweise überschaubar. Auch der Anbau von Bioenergieträgern ist weitgehend unabhängig von der lokalen Nachfrage nach Energie, da Strom und Treibstoffe leicht überregional absetzbar sind. Einzig die Verwertung der in Biogasanlagen anfallenden Heizwärme wird bei rückläufigen ländlichen Bevölkerungszahlen erschwert.
Die Gegenfrage nach den möglichen Beiträgen der Landwirtschaft zur Regionalentwicklung lässt sich nicht eindeutig beantworten. Bislang sind diese eher gering, da die hoch mechanisierte Landwirtschaft nur wenige Arbeitskräfte benötigt, und selbst diese zu einem großen Teil außerhalb der Region oder - im Falle der Saisonaushilfskräfte - aus dem Ausland rekrutiert. Einige Marktfruchtbetriebe in Nordostdeutschland werden sogar vom Ausland aus bewirtschaftet.
An eine zukunftsorientierte Landwirtschaft, die Impulse für die Entwicklung peripherer ländlicher Räume geben kann, wären demzufolge die folgenden Anforderungen zu stellen: Eine zukunftsorientierte Landwirtschaft soll
möglichst hohe Beschäftigungseffekte generieren, die vor Ort befindlichen Ressourcen nutzen und regionale Wirtschaftskreisläufe unterstützen;
innovativ und wirtschaftlich sein und sich idealerweise ohne Fördergelder und Subventionen weitgehend selbst tragen;
die gewachsene Kulturlandschaft erhalten und die Belange des Ressourcenschutzes adäquat berücksichtigen;
zur Erhaltung und Entwicklung regionaler Eigenarten sowie zur Identifikation mit dem Land, seiner Kultur und seinen Traditionen beitragen;
kompatibel mit anderen Landnutzungen sein und alternative Entwicklungspfade nicht behindern.
Tatsächlich finden sich in vielen ländlichen Regionen Pioniere einer nachhaltigen Landbewirtschaftung, die zur regionalen Wertschöpfung, zur Landschaftspflege und zum Erhalt von Dorfgemeinschaften beitragen und damit einer weiteren Peripherisierung entgegenwirken. Als Beispiel aus dem nordostdeutschen Tiefland können etwa der Milchviehbetrieb und die Bauernkäserei Wolters im uckermärkischen Bandelow genannt werden.Auf 735 ha Land wurde eine ehemalige landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft schrittweise modernisiert. Heute hält der konventionell wirtschaftende Betrieb über 500 Milchkühe und 500 Jungrinder und betreibt neben Futterbau auch den Anbau von Raps, Weizen, Gerste und Zuckerrüben. Ein großer Teil der produzierten Milch wird in der eigenen Bauernkäserei zur Spezialität Uckerkaas verarbeitet, die unter der Regionalmarke des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin vermarktet wird. Eine Reihe innovativer Vermarktungsformen vom Internetshop bis zum Hofladen sichert den Absatz. Darüber hinaus baut der Betrieb aktuell unter der Bezeichnung "Q-Regio" ein im Franchisesystem betriebenes Netz von Regionalläden auf. In Zukunft soll eine eigene Biogasanlage den Betrieb mit Strom und Wärme versorgen. So entwickelte sich das Unternehmen mit heute 30 Mitarbeitern zum größten Arbeitgeber im Dorf.
Warum aber sind derartige Erfolgsbeispiele eher eine Ausnahme als die Regel? Zentrales Problem sind die Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft, die aufgrund betriebswirtschaftlicher Zwänge zu einer Reduktion des Arbeitskräftebedarfs führen. Entsprechend haben sich die Beschäftigungseffekte der Landwirtschaft in der Vergangenheit stetig verringert. Vielfach ist die Zahl der landwirtschaftlichen Akteure in vielen ländlichen Räumen bereits so gering, dass die für regionale Entwicklungsaktivitäten notwendige kritische Masse nicht mehr vorhanden ist. Der Abbau von Wettbewerbsbeschränkungen auf dem Weltmarkt dürfte den Rationalisierungsdruck weiter erhöhen. Mittelfristig wird eine rein auf die Erzeugung standardisierter Agrarrohstoffe ausgerichtete Landwirtschaft in Deutschland vermutlich nicht überleben können. Zudem gibt es für die gesamtgesellschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft, etwa im Bereich der Pflege von Kulturlandschaften, bislang nur unterentwickelte Märkte, wodurch sie betriebswirtschaftlich häufig nicht interessant sind.
Um aktiv zur Regionalentwicklung beizutragen, ist die Landwirtschaft also gezwungen, permanent innovativ zu sein, spezialisierte Nischen zu suchen, ihre Produktpalette zu diversifizieren und das "Besondere" ihrer regionaltypischen Produkte gegenüber den globalisierten Agrarprodukten herauszustellen. Insbesondere sind betriebliche Kooperationen aufzubauen und die Verbindungen zu vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen in der Region zu stärken, um größere Teile der Wertschöpfungsketten in den peripheren Regionen zu halten. Daneben sollten die Agrarbetriebe an im klassischen Sinne "außerlandwirtschaftliche" Sektoren anknüpfen und sich dort neue Märkte erschließen: etwa im Bereich der erneuerbaren Energien, in Gastronomie und Tourismus, Naturschutz und Landschaftspflege sowie Gesundheit und Wellness. Gerade in letzteren Bereichen wird dies allerdings nur gelingen, wenn die Gesellschaft die bislang nicht marktfähigen Leistungen der Landwirtschaft - etwa die Bereitstellung von sauberem Wasser, von Biodiversität und von attraktiven Landschaften - gerecht honoriert.