Einleitung
Jahr für Jahr werden in Deutschland rund 5 000 Tarifverträge zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften neu verhandelt und unterschrieben. Charakteristisch für die auf Dauer angelegte "antagonistische Kooperation"
Wenn entsprechende Tarifauseinandersetzungen dann noch vom Verhandlungstisch ganz bewusst in die Öffentlichkeit verlagert werden, wenn es zu Arbeitsniederlegungen kommt, welche die Allgemeinheit betreffen, wenn Streiks mediengerecht inszeniert werden und der Konflikt zwischen den Hauptprotagonisten auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zunimmt, wenn sich schließlich prominente Akteure aus Politik und Wirtschaft zu Wort melden, dann erhöhen sich Medienresonanz und öffentliche Aufmerksamkeit nahezu zwangsläufig.
Streiks und deren Resonanzen im Jahr 2006
Wie selten zuvor standen die Tarifauseinandersetzungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden des Dienstleistungssektors im ersten Halbjahr 2006 im medialen Rampenlicht. Dabei kam der skizzierte Zusammenhang zwischen zentralen Nachrichtenwerten wie Konflikthaftigkeit, Betroffenheit, Aktualität, Prominenz und Bildhaftigkeit sowie erhöhter Medienberichterstattung und gesteigertem öffentlichen Interesse gleich mehrfach zum Vorschein. Den Auftakt bildete, von Februar bis Anfang April, der längste Arbeitskampf der Nachkriegsgeschichte im Öffentlichen Dienst. Die fast neunwöchigen, von der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di initiierten Streiks in mehreren Kommunen Deutschlands sorgten nicht nur für fernsehgerechte und für sich sprechende Bilder von verschlossenen Kindergärten und sich auftürmenden Müllsäcken, sie trafen zugleich den Nerv der Bürgerinnen und Bürger, deren Köpfe und Herzen die Gewerkschaft gewinnen wollte, um den öffentlichen Druck auf die Arbeitgeberseite zu erhöhen. Allerdings sank das anfänglich noch weit verbreitete Verständnis dafür, sich seitens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vehement gegen unbezahlte Mehrarbeit zu stemmen und dafür im Arbeitskampf auch das öffentliche Leben teilweise lahm zu legen, insbesondere in den betroffenen Kommunen mit der Dauer des Streiks rapide ab.
Kaum war der Tarifkonflikt im Öffentlichen Dienst beigelegt, eskalierten Mitte April die Ärzteproteste gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung. Ungeachtet der Veränderungen in den Akteurskonstellationen und inhaltlichen Positionen weist der Verlauf der Tarifauseinandersetzungen - oder besser: die Berichterstattung über ebendiese - einschließlich der instrumentellen Mobilisierung öffentlicher Aufmerksamkeit über massenmedial wirksame und bildgewaltige Massenproteste weit reichende Parallelen zu den vorangegangenen Verhandlungen im Öffentlichen Dienst auf. Wiederum sorgten vor allem die durch den Marburger Bund veranlassten bundesweiten Streikaktionen an Universitätskliniken und die Schließungen von Arztpraxen über Wochen hinweg für massenmediale Resonanz und auch hohe öffentliche Unterstützung. So befürworteten im Mai 2006 rund drei Viertel der Bundesbürger das Eintreten des Marburgers Bundes für mehr Gehalt und bessere Arbeitsbedingungen der Ärzte;
Diese jüngsten Beispiele verdeutlichen, dass der Verlauf von Tarifverhandlungen und deren öffentliche Wahrnehmung in hohem Maße massenmedial beeinflusst ist. Schon das Wissen um den allzeit vorhandenen Medienresonanzboden sowie die Möglichkeiten, aber auch Risiken, diesen jederzeit aktivieren zu können, scheinen den Umgang der Tarifparteien untereinander, deren externe, öffentliche wie politische, und auch deren organisationsinterne Kommunikation nachhaltig zu prägen.
Der Dreiklang moderner Gewerkschaftskommunikation
Gewerkschaften agieren, zusammen mit Arbeitgeberverbänden, Parteien, neuen sozialen Bewegungen und sich zusehends vom Einfluss politischer Institutionen "emanzipierenden" Massenmedien, als intermediäre Instanzen politischer Interessens- und Informationsvermittlung.
Primäres Ziel jeglichen gewerkschaftlichen Handelns und Kommunizierens mit externen Adressatenkreisen ist es, die kollektiven Interessen der eigenen Mitgliedschaft gegenüber Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit nicht nur zu vertreten, sondern möglichst weitgehend auch durchzusetzen. Dadurch ist der Konflikt zwischen der Vertretung partikularer Interessen der Gewerkschaftsmitglieder auf der einen Seite und den Interessen der Allgemeinheit, dem oft beschworenen Gemeinwohl, auf der anderen Seite gerade in gesamtgesellschaftlich und volkswirtschaftlich relevanten Bereichen nahezu programmiert. Diesen auszubalancieren, ist die zentrale Aufgabe gewerkschaftlichen Kommunikationsmanagements, also der koordinierten, systematischen und effektiven Gestaltung von Austauschprozessen innerhalb einer Organisation sowie von wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Gewerkschaften und ihren Umwelten.
Mit diesen drei Kommunikationskontexten treffen auch drei unterschiedliche Logiken aufeinander, die von Seiten der Gewerkschaften und deren Repräsentantinnen bzw. Repräsentanten je spezifische Anpassungsleistungen, Strategien und Kompetenzen einfordern. Diesbezüglich bedarf es einer Befriedigung erstens der gewerkschaftsspezifischen Organisations- und Mitgliederlogik, zweitens der Anforderungen politischer Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse sowie drittens der Logiken und Regeln der Massenmedien. Insbesondere letzteren, den auf die Medienöffentlichkeit ausgerichteten Aktivitäten, kommt innerhalb des gewerkschaftlichen Kommunikationsmixes eine herausgehobene und in den vergangenen Jahren auch immer größer werdende Rolle zu. Zurückzuführen ist dies zum einen auf die rasant nachlassenden Bindekräfte der Gewerkschaften selbst, welche sich u.a. in schrumpfenden Mitgliederzahlen, aber auch in sinkenden Akzeptanzwerten niederschlagen,
Um nun die unterschiedlichen internen wie externen Zielgruppen bzw. Teilöffentlichkeiten adäquat ansprechen zu können, bedarf es folglich eines abgestimmten Kommunikationsmanagements, das nicht nur den Spagat zwischen Mitgliederlogik und Medienlogik bewerkstelligt, sondern zugleich die - interne wie externe - Kommunikation als integrativen Bestandteil der politischen Arbeit betrachtet. In diesem Sinne sollten Public und Non-Public Relations idealerweise mit den Political Relations zu einem abgestimmten kommunikativen Dreiklang verschmelzen;
Diesbezüglich scheint es jedoch noch z. T. umfassende Defizite zu geben: Ungeachtet der in den vergangenen Jahren zu beobachtenden sukzessiven Zuwendung zu interaktiven, neuen Medienkanälen (wie Intranet und Internet), ist das gewerkschaftliche Kommunikationsmanagement weiterhin gekennzeichnet durch eine Dominanz der nicht-öffentlichen Binnenkommunikation, eine Vernachlässigung massenmedialer Kanäle zur internen Kommunikation sowie eine weit verbreitete Distanz und Skepsis der Verantwortlichen gegenüber den Handlungsrationalitäten und Erwartungen des Journalismus.
Zwischen Streik und Streit - Die IG Metall
Wie selten zuvor befanden sich die Gewerkschaften im ersten Halbjahr 2003 in einer Orientierungs-, Sinn- und Kommunikationskrise, von der sie sich bis heute nicht vollständig erholt haben. Im Zentrum stand dabei die größte Industriegewerkschaft der Welt, die IG Metall. Deren Führungsspitze hatte, ungeachtet einer zum damaligen Zeitpunkt weit verbreiteten gewerkschaftskritischen Stimmung,
Spannungen zwischen Zwickel und Peters, zwischen "Reformern" und "Traditionalisten", aber auch zwischen Ost- und West-Bezirken rückten in der Folge in den Fokus der massenmedialen Berichterstattung. Was zunächst als routinemäßige, öffentlichkeitswirksame und mediengerechte Inszenierung des legitimen Arbeitskampfmittels "Streik" gedacht war, eskalierte schließlich zu einem "kommunikativen Gau".
Die Tragweite des kommunikativen Misserfolgs, den die IG Metall im ersten Halbjahr 2003 durchlebte, veranschaulicht ein Blick auf die entsprechenden Resonanzen im Journalismus, also ein Blick auf das massenmedial vermittelte Bild.
Besonders deutlich wird dies an den Schwankungen des Personalisierungsgrads der Berichterstattung. Während im Mai und Juni inhaltliche Themen - Tariffragen, Verhandlungsfortschritte, Streikhandlungen und deren Konsequenzen - eindeutig im Fokus der tagesaktuellen Printberichterstattung standen, überwog im "Hitzemonat" Juli offensichtlich die personelle Zuspitzung des Konflikts. Von diesem konnte jedoch keiner der beiden die Medienberichterstattung dominierenden Hauptkontrahenten - Zwickel oder Peters - profitieren. Lediglich der im Streik weitgehend unbeteiligte, sich im Personalstreit zurückhaltende und als Hoffnungsträger auserkorene spätere Vize, Berthold Huber, wurde insgesamt positiv bewertet. Die anderen Spitzenfunktionäre lieferten ein zerstrittenes Bild, das entsprechend journalistisch aufbereitet wurde.
Konsequenterweise fiel denn auch die Gesamttendenz der Berichterstattung über die IG Metall im Jahr 2003 negativ aus: Über 60 Prozent der Beiträge, die sich von Januar bis Oktober mit der IG Metall beschäftigten, vermittelten ein negatives Bild, nur acht Prozent hatten eine positive Botschaft. Dabei verschlechterte sich der Grundton der Berichterstattung bis in den September hinein von Monat zu Monat nahezu kontinuierlich. Zerstritten und "ver-streikt" - das war das mediale Bild der IG Metall im Jahr 2003, das auch auf andere Gewerkschaften ausstrahlte. Kein Wunder, dass angesichts dieser veröffentlichten Meinung nicht nur die bereits anfänglich schwache Zustimmung der Bevölkerung gegenüber den Streikaktivitäten weiter abbröckelte, sondern dass die Gewerkschaften insgesamt in der öffentlichen Meinung in vorher nicht gekanntem Tempo an Ansehen verloren.
War dies auch eine Folge eines mangelhaften Kommunikationsmanagements seitens der Gewerkschaft? In diesem Zusammenhang verweisen Interviews, die mit den vor Ort für die interne und externe Kommunikation Verantwortlichen geführt wurden, sowie eine Analyse entsprechender Strategiepapiere auf folgende Kernbestandteile der kommunikativen Bemühungen der IG Metall im Zusammenhang mit dem Arbeitskampf in den neuen Bundesländern: Bereits Anfang 2003 wurde eine Steuerungsgruppe "Medien- und Öffentlichkeitsarbeit" eingerichtet, die sich aus den Presse- und PR-Referentinnen bzw. -Referenten der vom Streik betroffenen ost- und norddeutschen Bezirke zusammensetzte. Die Koordinierung der Kampagnenaktivitäten erfolgte unter Federführung des Bezirks Berlin-Brandenburg-Sachsen, also außerhalb der IG-Metall-Zentrale in Frankfurt am Main, zu der es auch keine funktionierende Schnittstelle gab. Schließlich lag der Schwerpunkt der Kommunikationsaktivitäten auf der Mobilisierung der eigenen Mitglieder im Osten; über eine Million Euro wurden investiert, um diese mittels Flyern, Plakaten und Inseraten für den Streik zu aktivieren. Vor dem Hintergrund grundlegender Prinzipien erfolgreichen Kommunikationsmanagements zeigen sich hier vor allem folgende Defizite:
Erstens verzichtete die IG Metall im Vorfeld der Tarifverhandlungen und Streikaktivitäten auf eine systematische Situationsanalyse. Zwar sprachen sich die betroffenen Ost-Belegschaften mit großer Mehrheit für einen Arbeitskampf aus. Weitgehend unberücksichtigt blieben jedoch die gesellschaftliche, mediale und innerorganisatorische Akzeptanz gegenüber einem möglichen Streik.
Zweitens fand keine koordinierte Strategiephase statt, in der die Gesamtorganisation auf die Tarifverhandlungen eingeschworen und ein verbindlicher Zeit-, Kosten- und Kampagnenstrategieplan entworfen worden wäre. Vielmehr zeigte sich der IG-Metall-Vorstand und insbesondere der Vorsitzende, Zwickel, von Anfang an nicht von dem Vorhaben Peters' und Düvels überzeugt.
Drittens fehlte es in der Umsetzungsphase an einer integrativen Gesamtstrategie, die den regionalen Arbeitskampf national eingebettet und die Public Relations mit Political Relations verknüpft hätte. Weder marschierte die Organisation "diszipliniert und geschlossen", noch sprach sie "mit einer Stimme". Das Budget für kommunikative Maßnahmen wurde sogar erst unmittelbar vor den Urabstimmungen bewilligt. Auch dann verblieben die Mobilisierungsmaßnahmen der Binnenkommunikation im Fokus der Steuerungsgruppe, während medienorientierte PR-Maßnahmen weitgehend vernachlässigt wurden.
Viertens wurde auch im Nachhinein auf eine systematische Wirkungskontrolle verzichtet, die als Grundlage für zukünftige Tarifauseinandersetzungen und ein langfristig ausgelegtes Kommunikationsmanagement hätte dienen können.
Nimmt man diese Defizite zusammen, wird deutlich, dass die IG Metall den besonderen Herausforderungen, die ein öffentlichkeitswirksamer Streik in modernen Mediengesellschaften an das gewerkschaftliche Kommunikationsmanagement mit sich bringt, im Jahr 2003 nur unzureichend gerecht wurde. Der Kampf um mediale Aufmerksamkeit und öffentliche Unterstützung mündete, nahezu zwangsläufig, in einen kommunikativen Gau, der sich in der veröffentlichten und öffentlichen Meinung niederschlug.
Schlussbemerkungen
Das Extrembeispiel eines misslungenen Kommunikationsmanagements verdeutlicht, wie schwierig es für Gewerkschaften heute ist, die drei skizzierten Kommunikationsarenen des politischen Entscheidungsbereichs, der Mitgliederorganisation und der an Bedeutung gewinnenden massenmedialen Öffentlichkeit aufeinander abzustimmen. Kommunikative Fehlschläge, wie sie die IG Metall 2003 erlebte, sind schließlich nur durch eine sukzessive Professionalisierung der internen wie externen Gewerkschaftskommunikation und eine verstärkte Kopplung entsprechender kommunikativer Stränge zu erreichen. Ein derart integratives, strategisches und langfristig orientiertes Gesamtkonzept könnte, über das Medienereignis "Streik" hinaus, jene Unsicherheiten reduzieren, mit denen sich Gewerkschaften in zunehmendem Maße konfrontiert sehen.
Noch mangelt es allerdings an überzeugenden Reaktionen und Adaptionen gegenüber bröckelnden Mitgliederzahlen, sich emanzipierenden Medien und kritischer werdenden Bürgerinnen und Bürgern. So ist eine entsprechende Neujustierung gewerkschaftlichen Kommunikationsmanagements bisher nur vereinzelt und in Ansätzen zu beobachten. Gerade die IG Metall bemüht sich seit dem Fiasko 2003 intensiv darum, den Faktor "Kommunikation" personell wie finanziell aufzuwerten, öffentliche und politische Beziehungen stärker miteinander zu verzahnen und den dauerhaften, vertrauensbildenden PR- und Medienaktivitäten einen höheren Stellenwert einzuräumen. Der Weg zum "massenmedial jederzeit anschlussfähigen und kommunikativ vernetzten kollektiven Akteur"