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Medienereignis "Streik" | Medienfreiheit | bpb.de

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Medienereignis "Streik"

Jens Tenscher

/ 16 Minuten zu lesen

Streiks gelten nicht nur im Rahmen von Tarifvereinbarungen als Ausnahmesituationen, sie stellen auch das gewerkschaftliche Kommunikationsmanagement vor besondere Herausforderungen.

Einleitung

Jahr für Jahr werden in Deutschland rund 5 000 Tarifverträge zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften neu verhandelt und unterschrieben. Charakteristisch für die auf Dauer angelegte "antagonistische Kooperation" der Tarifpartner in Deutschland ist, dass die weit überwiegende Mehrheit ihrer Verhandlungen vergleichsweise "lautlos", arbeitskampffrei, hinter verschlossenen Türen, fern öffentlichen Interesses und bar jeglicher massenmedialer Aufmerksamkeit abläuft. Die große Ausnahme von dieser Regel stellen indes Tarifauseinandersetzungen in den so genannten "Leitbranchen" dar, namentlich der Metall- und Elektroindustrie und dem Öffentlichen Dienst. Diesen ist nicht zuletzt aufgrund ihrer volkswirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Relevanz eine erhöhte massenmediale Zuwendung und Berichterstattung garantiert.



Wenn entsprechende Tarifauseinandersetzungen dann noch vom Verhandlungstisch ganz bewusst in die Öffentlichkeit verlagert werden, wenn es zu Arbeitsniederlegungen kommt, welche die Allgemeinheit betreffen, wenn Streiks mediengerecht inszeniert werden und der Konflikt zwischen den Hauptprotagonisten auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zunimmt, wenn sich schließlich prominente Akteure aus Politik und Wirtschaft zu Wort melden, dann erhöhen sich Medienresonanz und öffentliche Aufmerksamkeit nahezu zwangsläufig. Mit dem Gang in die (Medien)Öffentlichkeit verändern sich aber nicht nur die kommunikativen Ansprüche an und Handlungsrationalitäten für intermediäre Akteure, wie sie Verbände, Gewerkschaften, aber auch Parteien und neue soziale Bewegungen darstellen, nachhaltig. Zugleich wächst für diese die Herausforderung, dem Spagat zwischen den Logiken und Erwartungen der Mediengesellschaft einerseits und den Notwendigkeiten und Bedürfnissen der öffentlichkeitsfernen Binnenkommunikation andererseits dauerhaft gerecht zu werden. Welche Fallstricke sich dabei für Gewerkschaften im Allgemeinen und insbesondere zu Zeiten öffentlich ausgetragener Tarifauseinandersetzungen auftun, soll im Folgenden geklärt werden.

Streiks und deren Resonanzen im Jahr 2006

Wie selten zuvor standen die Tarifauseinandersetzungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden des Dienstleistungssektors im ersten Halbjahr 2006 im medialen Rampenlicht. Dabei kam der skizzierte Zusammenhang zwischen zentralen Nachrichtenwerten wie Konflikthaftigkeit, Betroffenheit, Aktualität, Prominenz und Bildhaftigkeit sowie erhöhter Medienberichterstattung und gesteigertem öffentlichen Interesse gleich mehrfach zum Vorschein. Den Auftakt bildete, von Februar bis Anfang April, der längste Arbeitskampf der Nachkriegsgeschichte im Öffentlichen Dienst. Die fast neunwöchigen, von der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di initiierten Streiks in mehreren Kommunen Deutschlands sorgten nicht nur für fernsehgerechte und für sich sprechende Bilder von verschlossenen Kindergärten und sich auftürmenden Müllsäcken, sie trafen zugleich den Nerv der Bürgerinnen und Bürger, deren Köpfe und Herzen die Gewerkschaft gewinnen wollte, um den öffentlichen Druck auf die Arbeitgeberseite zu erhöhen. Allerdings sank das anfänglich noch weit verbreitete Verständnis dafür, sich seitens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vehement gegen unbezahlte Mehrarbeit zu stemmen und dafür im Arbeitskampf auch das öffentliche Leben teilweise lahm zu legen, insbesondere in den betroffenen Kommunen mit der Dauer des Streiks rapide ab. Damit schwand auch der von Gewerkschaftsseite bewusst aktivierte öffentliche Druck auf das Arbeitgeberlager. Hier spielten nicht nur die durch die Arbeitsniederlegungen bedingten unmittelbaren Belastungen für den Einzelnen eine Rolle. Auch wuchs das Unverständnis gegenüber den bereits aus früheren Tarifverhandlungen bekannten und massenmedial erneuerten Vorstellungen von ritualisierten "Scheingefechten" zwischen vermeintlich kompromissunwilligen Gewerkschafts- und Arbeitgebervertretern innerhalb kürzester Zeit. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die allseits bekannten Nachrichtenbilder und immer gleich lautenden O-Töne im Anschluss an ergebnislos verlaufene Marathonsitzungen.

Kaum war der Tarifkonflikt im Öffentlichen Dienst beigelegt, eskalierten Mitte April die Ärzteproteste gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung. Ungeachtet der Veränderungen in den Akteurskonstellationen und inhaltlichen Positionen weist der Verlauf der Tarifauseinandersetzungen - oder besser: die Berichterstattung über ebendiese - einschließlich der instrumentellen Mobilisierung öffentlicher Aufmerksamkeit über massenmedial wirksame und bildgewaltige Massenproteste weit reichende Parallelen zu den vorangegangenen Verhandlungen im Öffentlichen Dienst auf. Wiederum sorgten vor allem die durch den Marburger Bund veranlassten bundesweiten Streikaktionen an Universitätskliniken und die Schließungen von Arztpraxen über Wochen hinweg für massenmediale Resonanz und auch hohe öffentliche Unterstützung. So befürworteten im Mai 2006 rund drei Viertel der Bundesbürger das Eintreten des Marburgers Bundes für mehr Gehalt und bessere Arbeitsbedingungen der Ärzte; dies ist für Deutschland - einem Land, in dem Streiks keine große Tradition haben und nur selten auf überdurchschnittliche Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen - ein außergewöhnlich hoher Wert. Erst nach der Tarifeinigung bei den Universitätsärzten Mitte Juni 2006 und mit der Verlagerung des Tarifkonflikts auf die kommunale Ebene verschwand dieser schließlich langsam von der Bildfläche und aus dem öffentlichen Bewusstsein.

Diese jüngsten Beispiele verdeutlichen, dass der Verlauf von Tarifverhandlungen und deren öffentliche Wahrnehmung in hohem Maße massenmedial beeinflusst ist. Schon das Wissen um den allzeit vorhandenen Medienresonanzboden sowie die Möglichkeiten, aber auch Risiken, diesen jederzeit aktivieren zu können, scheinen den Umgang der Tarifparteien untereinander, deren externe, öffentliche wie politische, und auch deren organisationsinterne Kommunikation nachhaltig zu prägen. Dabei stellt sich in zunehmendem Maße die Frage, wie es Gewerkschaften gelingt, den internen wie externen Herausforderungen an ein modernes Kommunikationsmanagement gerecht zu werden. Welchen Spagat sie diesbezüglich dauerhaft zu bewältigen haben und wie der Dreiklang moderner Gewerkschaftskommunikation idealiter tönt, soll im Folgenden geklärt werden.

Der Dreiklang moderner Gewerkschaftskommunikation

Gewerkschaften agieren, zusammen mit Arbeitgeberverbänden, Parteien, neuen sozialen Bewegungen und sich zusehends vom Einfluss politischer Institutionen "emanzipierenden" Massenmedien, als intermediäre Instanzen politischer Interessens- und Informationsvermittlung. Dabei sind ihre Handlungen dauerhaft eingebettet in den Kontext des öffentlichen politischen Raums, d.h. in zunehmendem Maße auch gekoppelt an die Erwartungen und Restriktionen der massenmedialen Öffentlichkeit. In der "Medienarena" treten Gewerkschaften in erster Linie als Sprecher der abhängig Beschäftigten im Kontext von branchenspezifischen Diskursen über arbeitsmarkt-, sozial- und tarifpolitische Fragen auf. Grundvoraussetzung hierfür ist ihre organisatorische Verfasstheit. Diese ermöglicht es Gewerkschaften nicht nur, latent vorhandene wirtschaftliche, soziale und politische Interessensdispositionen ihrer Mitglieder zu generieren, sondern überdies zunächst diffuse Stimmungen zu zentralen Forderungen und Erwartungen zu bündeln, um sie schließlich gegenüber den relevanten Adressatengruppen zu artikulieren. In diesem Zusammenhang lassen sich vier zentrale Zielgruppen gewerkschaftlicher Interessensvermittlung benennen: die eigenen Mitglieder, konkurrierende Interessenorganisationen, allen voran die Arbeitgeberverbände, kollektive Akteure des politisch-administrativen Systems (Parteien, Parlamente, Regierungen, Bürokratien) sowie die allgemeine Öffentlichkeit, also Massenmedien, Bürgerinnen und Bürger.

Primäres Ziel jeglichen gewerkschaftlichen Handelns und Kommunizierens mit externen Adressatenkreisen ist es, die kollektiven Interessen der eigenen Mitgliedschaft gegenüber Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit nicht nur zu vertreten, sondern möglichst weitgehend auch durchzusetzen. Dadurch ist der Konflikt zwischen der Vertretung partikularer Interessen der Gewerkschaftsmitglieder auf der einen Seite und den Interessen der Allgemeinheit, dem oft beschworenen Gemeinwohl, auf der anderen Seite gerade in gesamtgesellschaftlich und volkswirtschaftlich relevanten Bereichen nahezu programmiert. Diesen auszubalancieren, ist die zentrale Aufgabe gewerkschaftlichen Kommunikationsmanagements, also der koordinierten, systematischen und effektiven Gestaltung von Austauschprozessen innerhalb einer Organisation sowie von wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Gewerkschaften und ihren Umwelten. In diesem Zusammenhang stehen Gewerkschaften in modernen Mediengesellschaften zunehmend vor der Herausforderung, ihre nach den genannten Zielgruppen divergierenden Aktivitäten in drei unterschiedlichen Kommunikationskontexten in Einklang zu bringen. Zu unterscheiden sind diesbezüglich: - die auf die eigenen Mitglieder gerichtete Binnenkommunikation, die sich zum einen auf nicht-öffentliche, parteiinterne Kanäle stützt (z.B. Mitgliederzeitschriften, Intranet), zum anderen auf die Kapazitäten der massenmedial vermittelten Ansprache über Rundfunk-, Print- und neue Medien baut. Primäres Ziel binnenkommunikativer Aktivitäten ist dabei immer die Integration der Mitglieder, die Stärkung des nicht zuletzt in Tarifauseinandersetzungen nötigen Zusammenhalts sowie die Mobilisierung der Gewerkschaftsbasis im Rahmen von Arbeitskämpfen. - die externe Kommunikation im Rahmen von Verhandlungsprozessen mit Tarifpartnern einerseits und von Vermittlungsprozessen gegenüber den kollektiven Akteuren des politisch-administrativen Systems andererseits. Dieser Kommunikationskreis umfasst im Routinefall alle nicht-öffentlichen, internen Aktivitäten des "klassischen" Lobbyings. In "Ausnahmesituationen", wie sie u.a. Tarifverhandlungen in gesellschaftlich wichtigen Branchen darstellen, wird die externe Kommunikation jedoch durch die massenmedial wirksame, öffentliche Interessenartikulation ergänzt. Quasi über die Bande der Medienberichterstattung soll so öffentlicher Druck ("pressure") auf die eigentlich gemeinten Adressaten aufgebaut werden. Voraussetzung hierfür ist, dass das gewerkschaftliche Kommunikationsmanagement auf die Darstellungslogiken und -erwartungen der Massenmedien reagiert und entsprechend nachrichtenwerte Ereignisse (wie z.B. bildgewaltige Streiks oder konfliktwillige Gewerkschaftsfunktionäre) inszeniert. - Schließlich ist die massenmedial orientierte, externe Kommunikation nicht nur ein an Relevanz gewinnendes "Hilfsmittel", um die eigenen Mitglieder, Tarifpartner und Akteure des politisch-administrativen Systems erreichen zu können, sondern sie erfüllt zugleich eine originäre Funktion im Austauschprozess zwischen Gewerkschaften und ihren öffentlichen Umwelten, d.h. dem Journalismus, den Bürgerinnen und Bürgern sowie spezifischen Zielgruppen. Damit gewinnt die öffentliche Gewerkschaftskommunikation insofern an Bedeutung, als sie zur dauerhaften Vertrauensbildung und Legitimierung von Gewerkschaften in demokratischen Gesellschaften unverzichtbar ist.

Mit diesen drei Kommunikationskontexten treffen auch drei unterschiedliche Logiken aufeinander, die von Seiten der Gewerkschaften und deren Repräsentantinnen bzw. Repräsentanten je spezifische Anpassungsleistungen, Strategien und Kompetenzen einfordern. Diesbezüglich bedarf es einer Befriedigung erstens der gewerkschaftsspezifischen Organisations- und Mitgliederlogik, zweitens der Anforderungen politischer Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse sowie drittens der Logiken und Regeln der Massenmedien. Insbesondere letzteren, den auf die Medienöffentlichkeit ausgerichteten Aktivitäten, kommt innerhalb des gewerkschaftlichen Kommunikationsmixes eine herausgehobene und in den vergangenen Jahren auch immer größer werdende Rolle zu. Zurückzuführen ist dies zum einen auf die rasant nachlassenden Bindekräfte der Gewerkschaften selbst, welche sich u.a. in schrumpfenden Mitgliederzahlen, aber auch in sinkenden Akzeptanzwerten niederschlagen, und zum anderen auf den zeitgleichen Aufschwung der Massenmedien, die für viele Bürgerinnen und Bürger, und damit auch Gewerkschaftsmitglieder, immer mehr zur Orientierung im politischen und gesellschaftlichen Raum dienen.

Um nun die unterschiedlichen internen wie externen Zielgruppen bzw. Teilöffentlichkeiten adäquat ansprechen zu können, bedarf es folglich eines abgestimmten Kommunikationsmanagements, das nicht nur den Spagat zwischen Mitgliederlogik und Medienlogik bewerkstelligt, sondern zugleich die - interne wie externe - Kommunikation als integrativen Bestandteil der politischen Arbeit betrachtet. In diesem Sinne sollten Public und Non-Public Relations idealerweise mit den Political Relations zu einem abgestimmten kommunikativen Dreiklang verschmelzen; und das nicht nur in Hochphasen der Gewerkschaftskommunikation, wie sie Tarifverhandlungen darstellen, sondern dauerhaft.

Diesbezüglich scheint es jedoch noch z. T. umfassende Defizite zu geben: Ungeachtet der in den vergangenen Jahren zu beobachtenden sukzessiven Zuwendung zu interaktiven, neuen Medienkanälen (wie Intranet und Internet), ist das gewerkschaftliche Kommunikationsmanagement weiterhin gekennzeichnet durch eine Dominanz der nicht-öffentlichen Binnenkommunikation, eine Vernachlässigung massenmedialer Kanäle zur internen Kommunikation sowie eine weit verbreitete Distanz und Skepsis der Verantwortlichen gegenüber den Handlungsrationalitäten und Erwartungen des Journalismus. Die Folge: Nur selten gelingt es den Gewerkschaften, sich im Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber konkurrierenden Akteuren zu behaupten oder gar zu profilieren. Entsprechend verweisen Langzeitstudien zum Medienbild der Gewerkschaften auf deren in vielerlei Hinsicht verzerrte öffentliche Präsenz: So wird in deutschen Tageszeitungen und in Fernsehnachrichtensendungen schon seit Jahren nicht nur relativ wenig über Gewerkschaften berichtet, die Medienberichterstattung konzentriert sich zudem auf einige konfliktreiche Ereignisse, vor allem auf Tarifstreitigkeiten und innergewerkschaftliche Auseinandersetzungen, eine geringe Anzahl an Hauptgewerkschaften (IG Metall, Ver.di und DGB) und eine Handvoll prominenter Gewerkschaftsfunktionäre. Offensichtlich gelingt es weder den Gewerkschaften insgesamt noch einzelnen Gewerkschaften, sich dauerhaft, in positiver Art und Weise, personenunabhängig und außerhalb von Konfliktsituationen in der Medienöffentlichkeit darzustellen. Damit teilen sie das (Medien)Schicksal anderer intermediärer Instanzen, insbesondere von Parteien. Gerade vor dem Hintergrund ihrer "Demontage" liegt denn auch die Vermutung nahe, die sinkenden Vertrauens- und Imagewerte von Gewerkschaften auf Defizite im Kommunikationsmanagement einerseits und der Medienberichterstattung andererseits zurückzuführen. Dieser Annahme soll im Folgenden am Beispiel der öffentlichen Vermittlung des Arbeitskampfes in der ostdeutschen Metall-Branche im Jahr 2003 nachgegangen werden.

Zwischen Streik und Streit - Die IG Metall

Wie selten zuvor befanden sich die Gewerkschaften im ersten Halbjahr 2003 in einer Orientierungs-, Sinn- und Kommunikationskrise, von der sie sich bis heute nicht vollständig erholt haben. Im Zentrum stand dabei die größte Industriegewerkschaft der Welt, die IG Metall. Deren Führungsspitze hatte, ungeachtet einer zum damaligen Zeitpunkt weit verbreiteten gewerkschaftskritischen Stimmung, die Tarifverhandlungen in der ostdeutschen Metallbranche dazu nutzen wollen, die 35-Stunden-Woche flächendeckend einzuführen und damit die Angleichung der Arbeits- und Lebensverhältnisse in Ost und West voranzutreiben. Nach vierwöchigen Streiks mussten die Gespräche jedoch ergebnislos abgebrochen werden; ein Unikum in der deutschen Gewerkschaftsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Zugleich löste die Streikniederlage den Startschuss für eine öffentlich ausgetragene "Schlammschlacht" zwischen dem damaligen IG-Metall-Vorsitzenden Klaus Zwickel und seinem als Nachfolger auserkorenen Vize, Jürgen Peters, aus. Dieser hätte, so Zwickel, als Verantwortlicher für die Tarifpolitik "autistisch wie Honecker" gehandelt, und trage - zusammen mit dem Vorsitzenden des Streik führenden Bezirks Berlin-Brandenburg-Sachsen, Hasso Düvel - die alleinige Verantwortung für die gescheiterten Tarifverhandlungen.

Spannungen zwischen Zwickel und Peters, zwischen "Reformern" und "Traditionalisten", aber auch zwischen Ost- und West-Bezirken rückten in der Folge in den Fokus der massenmedialen Berichterstattung. Was zunächst als routinemäßige, öffentlichkeitswirksame und mediengerechte Inszenierung des legitimen Arbeitskampfmittels "Streik" gedacht war, eskalierte schließlich zu einem "kommunikativen Gau". Dieser stürzte nicht nur die IG Metall in eine umfassende Identitäts- und Führungskrise, an der die Wahl Peters' und des baden-württembergischen Bezirksleiters, Berthold Huber, zum neuen Führungstandem Ende August 2003 wenig ändern konnte. Sie führte auch zu beträchtlichen Image- und Vertrauensverlusten, die auf andere Gewerkschaften ausstrahlten.

Die Tragweite des kommunikativen Misserfolgs, den die IG Metall im ersten Halbjahr 2003 durchlebte, veranschaulicht ein Blick auf die entsprechenden Resonanzen im Journalismus, also ein Blick auf das massenmedial vermittelte Bild. Diesbezüglich stieg die mediale Präsenz, weitgehend unabhängig von der Mediengattung (überregionale oder ostdeutsche Tageszeitung, Wochenzeitung oder Zeitschrift), nahezu kontinuierlich von Januar bis Juli. Der Berichterstattungshöhepunkt wurde jedoch nicht, wie es aus Sicht einer erfolgreich verlaufenen Kommunikationskampagne zu erhoffen gewesen wäre, im Streikmonat Juni, sondern erst nach dem Streikende, dem 28. Juni, erreicht - mithin dem Beginn der öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen zwischen Zwickel und Peters. Nach dem Rücktritt Zwickels Ende Juli verschwand die IG Metall dagegen wieder weitgehend aus den Gazetten. Offenkundig schlagen sich in diesem steten Auf und plötzlichen Ab der Berichterstattung mediale Aufmerksamkeitszyklen nieder, die an die Nachrichtenfaktoren "Konflikthaftigkeit", "Überraschung", "Visualisierbarkeit" und - vor allem - "Prominenz" gekoppelt sind.

Besonders deutlich wird dies an den Schwankungen des Personalisierungsgrads der Berichterstattung. Während im Mai und Juni inhaltliche Themen - Tariffragen, Verhandlungsfortschritte, Streikhandlungen und deren Konsequenzen - eindeutig im Fokus der tagesaktuellen Printberichterstattung standen, überwog im "Hitzemonat" Juli offensichtlich die personelle Zuspitzung des Konflikts. Von diesem konnte jedoch keiner der beiden die Medienberichterstattung dominierenden Hauptkontrahenten - Zwickel oder Peters - profitieren. Lediglich der im Streik weitgehend unbeteiligte, sich im Personalstreit zurückhaltende und als Hoffnungsträger auserkorene spätere Vize, Berthold Huber, wurde insgesamt positiv bewertet. Die anderen Spitzenfunktionäre lieferten ein zerstrittenes Bild, das entsprechend journalistisch aufbereitet wurde.

Konsequenterweise fiel denn auch die Gesamttendenz der Berichterstattung über die IG Metall im Jahr 2003 negativ aus: Über 60 Prozent der Beiträge, die sich von Januar bis Oktober mit der IG Metall beschäftigten, vermittelten ein negatives Bild, nur acht Prozent hatten eine positive Botschaft. Dabei verschlechterte sich der Grundton der Berichterstattung bis in den September hinein von Monat zu Monat nahezu kontinuierlich. Zerstritten und "ver-streikt" - das war das mediale Bild der IG Metall im Jahr 2003, das auch auf andere Gewerkschaften ausstrahlte. Kein Wunder, dass angesichts dieser veröffentlichten Meinung nicht nur die bereits anfänglich schwache Zustimmung der Bevölkerung gegenüber den Streikaktivitäten weiter abbröckelte, sondern dass die Gewerkschaften insgesamt in der öffentlichen Meinung in vorher nicht gekanntem Tempo an Ansehen verloren. Aus dem Aufmerksamkeitsbonus, den der IG-Metall-Streik zunächst genoss, wurde demzufolge schnell ein Berichterstattungsmalus.

War dies auch eine Folge eines mangelhaften Kommunikationsmanagements seitens der Gewerkschaft? In diesem Zusammenhang verweisen Interviews, die mit den vor Ort für die interne und externe Kommunikation Verantwortlichen geführt wurden, sowie eine Analyse entsprechender Strategiepapiere auf folgende Kernbestandteile der kommunikativen Bemühungen der IG Metall im Zusammenhang mit dem Arbeitskampf in den neuen Bundesländern: Bereits Anfang 2003 wurde eine Steuerungsgruppe "Medien- und Öffentlichkeitsarbeit" eingerichtet, die sich aus den Presse- und PR-Referentinnen bzw. -Referenten der vom Streik betroffenen ost- und norddeutschen Bezirke zusammensetzte. Die Koordinierung der Kampagnenaktivitäten erfolgte unter Federführung des Bezirks Berlin-Brandenburg-Sachsen, also außerhalb der IG-Metall-Zentrale in Frankfurt am Main, zu der es auch keine funktionierende Schnittstelle gab. Schließlich lag der Schwerpunkt der Kommunikationsaktivitäten auf der Mobilisierung der eigenen Mitglieder im Osten; über eine Million Euro wurden investiert, um diese mittels Flyern, Plakaten und Inseraten für den Streik zu aktivieren. Vor dem Hintergrund grundlegender Prinzipien erfolgreichen Kommunikationsmanagements zeigen sich hier vor allem folgende Defizite:

Erstens verzichtete die IG Metall im Vorfeld der Tarifverhandlungen und Streikaktivitäten auf eine systematische Situationsanalyse. Zwar sprachen sich die betroffenen Ost-Belegschaften mit großer Mehrheit für einen Arbeitskampf aus. Weitgehend unberücksichtigt blieben jedoch die gesellschaftliche, mediale und innerorganisatorische Akzeptanz gegenüber einem möglichen Streik.

Zweitens fand keine koordinierte Strategiephase statt, in der die Gesamtorganisation auf die Tarifverhandlungen eingeschworen und ein verbindlicher Zeit-, Kosten- und Kampagnenstrategieplan entworfen worden wäre. Vielmehr zeigte sich der IG-Metall-Vorstand und insbesondere der Vorsitzende, Zwickel, von Anfang an nicht von dem Vorhaben Peters' und Düvels überzeugt.

Drittens fehlte es in der Umsetzungsphase an einer integrativen Gesamtstrategie, die den regionalen Arbeitskampf national eingebettet und die Public Relations mit Political Relations verknüpft hätte. Weder marschierte die Organisation "diszipliniert und geschlossen", noch sprach sie "mit einer Stimme". Das Budget für kommunikative Maßnahmen wurde sogar erst unmittelbar vor den Urabstimmungen bewilligt. Auch dann verblieben die Mobilisierungsmaßnahmen der Binnenkommunikation im Fokus der Steuerungsgruppe, während medienorientierte PR-Maßnahmen weitgehend vernachlässigt wurden.

Viertens wurde auch im Nachhinein auf eine systematische Wirkungskontrolle verzichtet, die als Grundlage für zukünftige Tarifauseinandersetzungen und ein langfristig ausgelegtes Kommunikationsmanagement hätte dienen können.

Nimmt man diese Defizite zusammen, wird deutlich, dass die IG Metall den besonderen Herausforderungen, die ein öffentlichkeitswirksamer Streik in modernen Mediengesellschaften an das gewerkschaftliche Kommunikationsmanagement mit sich bringt, im Jahr 2003 nur unzureichend gerecht wurde. Der Kampf um mediale Aufmerksamkeit und öffentliche Unterstützung mündete, nahezu zwangsläufig, in einen kommunikativen Gau, der sich in der veröffentlichten und öffentlichen Meinung niederschlug.

Schlussbemerkungen

Das Extrembeispiel eines misslungenen Kommunikationsmanagements verdeutlicht, wie schwierig es für Gewerkschaften heute ist, die drei skizzierten Kommunikationsarenen des politischen Entscheidungsbereichs, der Mitgliederorganisation und der an Bedeutung gewinnenden massenmedialen Öffentlichkeit aufeinander abzustimmen. Kommunikative Fehlschläge, wie sie die IG Metall 2003 erlebte, sind schließlich nur durch eine sukzessive Professionalisierung der internen wie externen Gewerkschaftskommunikation und eine verstärkte Kopplung entsprechender kommunikativer Stränge zu erreichen. Ein derart integratives, strategisches und langfristig orientiertes Gesamtkonzept könnte, über das Medienereignis "Streik" hinaus, jene Unsicherheiten reduzieren, mit denen sich Gewerkschaften in zunehmendem Maße konfrontiert sehen.

Noch mangelt es allerdings an überzeugenden Reaktionen und Adaptionen gegenüber bröckelnden Mitgliederzahlen, sich emanzipierenden Medien und kritischer werdenden Bürgerinnen und Bürgern. So ist eine entsprechende Neujustierung gewerkschaftlichen Kommunikationsmanagements bisher nur vereinzelt und in Ansätzen zu beobachten. Gerade die IG Metall bemüht sich seit dem Fiasko 2003 intensiv darum, den Faktor "Kommunikation" personell wie finanziell aufzuwerten, öffentliche und politische Beziehungen stärker miteinander zu verzahnen und den dauerhaften, vertrauensbildenden PR- und Medienaktivitäten einen höheren Stellenwert einzuräumen. Der Weg zum "massenmedial jederzeit anschlussfähigen und kommunikativ vernetzten kollektiven Akteur" scheint somit eingeschlagen. Um zukünftig eine proaktive, präsente und erfolgreiche Rolle in der Mediengesellschaft spielen zu können, müssen jedoch noch eine Fülle an organisationsspezifischen, strukturellen wie kulturellen Hindernissen überwunden werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Peter Kappelhoff, Rational Choice, Macht und korporative Organisation der Gesellschaft, in: Günther Ortmann/Jörg Sydow/Klaus Türk (Hrsg.), Theorien der Organisation, Wiesbaden 2000, S. 234.

  2. Vgl. Hans-Jürgen Arlt, Einmischen, mitreden, durchsetzen. Gewerkschaftliche Interessenvertretung im Interaktionsfeld von Politik und Medien, in: Ulrich Sarcinelli/Jens Tenscher (Hrsg.), Machtdarstellung und Darstellungsmacht. Beiträge zu Theorie und Praxis moderner Politikvermittlung, Baden-Baden 2003, S. 118f.

  3. Vgl. Bernhard Weßels, Gewerkschaften in der Mediengesellschaft, in: Wolfgang Schroeder/ders. (Hrsg.), Die Gewerkschaften in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 2003, S. 323 - 341.

  4. Vgl. Infratest dimap, Deutschlandtrend Februar 2006, Berlin 2006; Forschungsgruppe Wahlen, Politbarometer März 2006, Mannheim 2006.

  5. Vgl. Forschungsgruppe Wahlen, Politbarometer Mai 2006, Mannheim 2006.

  6. Vgl. Friedhelm Boll, Streik und Aussperrung, in: W.Schroeder/B. Weßels (Anm. 3), S. 478 - 509.

  7. Vgl. Bernhard Weßels/Wolfgang Schroeder, Gewerkschaften in der Mediengesellschaft. Medienlogik und Mitgliederlogik, in: Sozialwissenschaftliche Informationen, 31 (2002) 3, S. 57 - 62.

  8. Vgl. Dieter Rucht, Parteien, Verbände und Bewegungen als Systeme politischer Interessenvermittlung, in: Oskar Niedermayer/Richard Stöss (Hrsg.), Stand und Perspektiven der Parteienforschung in Deutschland, Opladen 1993, S. 251 - 275; Hans-Jürgen Arlt/Otfried Jarren, Mehr PR wagen? Über Agitation, Öffentlichkeitswandel und Gewerkschaftsreform, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, (1996) 5, 299 - 308.

  9. Vgl. Ralf Hackenbroch, Verbändekommunikation, in: Otfried Jarren/Ulrich Sarcinelli/Ulrich Saxer (Hrsg.), Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch mit Lexikonteil, Opladen-Wiesbaden 1998, S. 482 - 488.

  10. Vgl. Jens Tenscher, Professionalisierung der Politikvermittlung. Politikvermittlungsexperten im Spannungsfeld von Politik und Massenmedien, Wiesbaden 2003, S. 73ff.

  11. Vgl. Hans-Jürgen Arlt, 1998, Kommunikation, Öffentlichkeit, Öffentlichkeitsarbeit. PR von gestern, PR für morgen - Das Beispiel Gewerkschaft, Opladen-Wiesbaden 1998.

  12. Vgl. B. Weßels/W. Schroeder (Anm. 7), S. 61.

  13. Vgl. Lothar Funk, Der neue Strukturwandel. Herausforderungen und Chance für die Gewerkschaften, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), (2003) 47 - 48, S. 14 - 22.

  14. Vgl. H.-J. Arlt/O. Jarren (Anm. 8), S. 206.

  15. Vgl. Tina Hüttl/Alexander Meschnig, Der Verlust der kulturellen Hegemonie. Gewerkschaften im Spiegel der Printmedien. Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf 2004.

  16. Vgl. ebd.; o.V., IG Metall verliert TV-Hoheit, in: Media Tenor Forschungsbericht, (2005) 150, S. 62f.

  17. Vgl. Hans Mathias Kepplinger, Die Demontage der Politik in der Informationsgesellschaft, Freiburg i. Br.-München 1998.

  18. Vgl. Jupp Legrand, Von der Streik-Niederlage zur Programm-Debatte, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, (2003) 8 - 9.

  19. Zit. nach o. V., Die Selbst-Demontage, in: Der Spiegel vom 7. 7. 2003.

  20. J. Legrand (Anm. 18).

  21. Vgl. Hans-Jürgen Arlt, Zerrbild oder Spiegelbild? Gewerkschaften in aktuellen Umfragen und veröffentlichter Meinung, Vortrag gehalten am 20. 10. 2004 im Rahmen der Ver.di-Veranstaltungsreihe "sicht.weisen".

  22. Hierzu wurde eine umfassende Inhaltsanalyse der auf die IG Metall bezogenen Berichterstattung einer repräsentativen Stichprobe (jeder zweite Artikel) von sechs überregionalen Tageszeitungen (taz, FR, SZ, FAZ, Handelsblatt, Bild), drei ostdeutschen Tageszeitungen (Berliner Zeitung, Freie Presse Chemnitz, Märkische Allgemeine), zwei Wochenzeitungen (Zeit, Wirtschaftswoche) und drei Zeitschriften (Spiegel, Stern, Focus) für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Oktober 2003 durchgeführt (Anzahl der Artikel insgesamt: 504). Die Verlässlichkeit der Befunde wurde mittels zweier so genannter Reliabilitätstests überprüft. Die Ergebnisse für die hier genutzten Variablen pendeln zwischen 0.84 und 1.0 (Holstis R), was für eine hohe Zuverlässigkeit der Codierung spricht.

  23. Die weitgehend unspektakuläre Wahl Peters' auf dem vorgezogenen Gewerkschaftstag Ende August 2003, die der IG-Metall-Krise ein öffentliches Ende setzen sollte, wurde dagegen kaum mehr massenmedial wahrgenommen.

  24. Vgl. o.V., Falscher Streik zur falschen Zeit. Analyse der Berichterstattung über die Gewerkschaften in den tonangebenden Medien 1999 - 2003, in: Medien Tenor Forschungsbericht, (2003) 134, S. 80 - 83.

  25. Vgl. H.-J. Arlt/O. Jarren (Anm. 8), S. 206.

Dr. phil., geb. 1969; Juniorprofessor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Politische Soziologie an der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau, Institut für Sozialwissenschaften, Kaufhausgasse 9, 76829 Landau.
E-Mail: E-Mail Link: tenscher@uni-landau.de