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Familiäre Pflege und Erwerbsarbeit | Pflege | bpb.de

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Familiäre Pflege und Erwerbsarbeit Auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Aufteilung?

Ulrike Ehrlich

/ 12 Minuten zu lesen

Männer im erwerbsfähigen Alter haben ihr Engagement in der familiären Pflege erhöht. Frauen im erwerbsfähigen Alter übernehmen aber noch immer häufiger Hilfe- oder Pflegetätigkeiten, leisten diese auch im höheren Zeitumfang und sind dazu im geringeren Umfang erwerbstätig.

Mit der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung 1995 wurde am Subsidiaritätsprinzip im deutschen familialistischen Care-Regime festgehalten. Wurde vorher die Pflegeverantwortung den Familien implizit zugewiesen und damit aufgrund des in (West-)Deutschland kulturell wie politisch stark verankerten männlichen Ernährermodells den zumeist nicht erwerbstätigen Frauen, wird familiäre Pflege nun explizit eingefordert. In Paragraf 3 Sozialgesetzbuch (SGB) XI heißt es: "Die Pflegeversicherung soll mit ihren Leistungen vorrangig die häusliche Pflege und die Pflegebereitschaft der Angehörigen und Nachbarn unterstützen, damit die Pflegebedürftigen möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können. Leistungen der teilstationären Pflege und der Kurzzeitpflege gehen den Leistungen der vollstationären Pflege vor". Die Forderung nach familiärer Pflege spiegelt sich auch in den Zahlen zur Art der Versorgung von Pflegebedürftigen wider. Ende 2017 hatten 3,4 Millionen Menschen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung. Davon wurden 2,6 Millionen (76 Prozent) in ihrem eigenen häuslichen Umfeld, vor allem von Angehörigen oder Freunden, betreut, während 800.000 (24 Prozent) aller pflegebedürftigen Menschen vollstationär in Pflegeheimen betreut wurden. Der tatsächliche Bedarf an (familiärer) Pflege wird jedoch sehr viel höher eingeschätzt, da der Zugang zu den Leistungen aus der Pflegeversicherung auf Personen mit erheblichen Pflegebedarfen beschränkt ist. Allein 2017 wurden 22 Prozent aller gestellten Anträge auf Feststellung von Pflegebedürftigkeit nicht bewilligt, da die Pflegebedarfe der Antragstellenden als zu niedrig eingestuft wurden.

Aufgrund der steigenden Zahl älterer und hochaltriger Menschen in der Bevölkerung wird der Bedarf an (familiärer) Pflege weiter zunehmen. Es ist allerdings mehr als fraglich, ob Frauen auch weiterhin die Hauptverantwortung in der Angehörigenpflege tragen können, da deren zeitlichen Ressourcen für familiäre Hilfe- oder Pflegetätigkeiten durch ihre in den vergangenen Dekaden erhöhte Erwerbsbeteiligung zunehmend begrenzt sind. Darüber hinaus findet der Anstieg der Frauenerwerbsbeteiligung Unterstützung in der deutschen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die sich seit Beginn der 2000er Jahre – im Einklang mit der Europäischen Beschäftigungsstrategie – an den normativen Leitlinien des adult worker model orientiert. Demnach sollen alle Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter, Frauen wie Männer, ihre Existenz durch eigene Erwerbsarbeit sicherstellen. In Verbindung mit dem explizit familialistischen Care-Regime stehen Personen im erwerbsfähigen Alter vor der Herausforderung, zum einen die pflegerische Versorgung von hilfe- oder pflegebedürftigen Angehörigen sicherzustellen, zum anderen adult workers zu sein. Da das Angebot an professioneller Pflege für die Pflegebedarfe in der Bevölkerung nicht ausreichend ist (Stichwort "Pflegenotstand") und die Pflegeversicherungsleistungen die Marktpreise für professionelle Pflege nur zu einem kleinen Teil decken, müssen pflegende Angehörige (im weiteren Textverlauf auch "Pflegepersonen" oder "Pflegende" genannt) die Vereinbarkeit von familiärer Pflege und Beruf zumeist ohne weitreichende professionelle Unterstützung meistern. In diesem Nebeneinander von konträren politischen Zielsetzungen scheint die Vereinbarkeit von familiärer Pflege und Beruf nur umsetzbar, wenn sich auch Männer verstärkt in die Betreuung und Pflege für hilfe- oder pflegebedürftige Angehörige einbringen. Somit stellt sich die Frage, ob sich in Deutschland eine geschlechtergerechte Aufteilung von familiärer Pflege und Erwerbsarbeit über die Zeit etabliert hat.

Vor diesem Hintergrund werden in diesem Beitrag folgende Fragen beantwortet: Wie hoch ist die Bedeutung von Pflegepersonen, die selbst im erwerbsfähigen Alter sind? Dazu soll geklärt werden, zu welchem Anteil Hilfe- oder Pflegetätigkeiten von Personen im erwerbsfähigen Alter übernommen werden. Haben Männer im erwerbsfähigen Alter ihr Engagement in der familiären Pflege erhöht? Diesbezüglich soll gezeigt werden, wie sich die Zahl der Pflegepersonen im erwerbsfähigen Alter generell, aber auch im Geschlechtervergleich, über die Zeit entwickelt hat. Inwiefern schaffen es Pflegepersonen adult workers zu sein? Hierzu wird zum einen das Erwerbsverhalten, zum anderen aber auch die materielle Situation von Pflegepersonen und Personen, die keine Hilfe- oder Pflegetätigkeiten (im weiteren Textverlauf auch "Nicht-Pflegepersonen" genannt) ausüben, verglichen. Gibt es in Bezug auf diese Indikatoren Geschlechterunterschiede innerhalb der Gruppe der Pflegepersonen, und wenn ja, sind diese über die Zeit konstant geblieben, haben sich diese über die Zeit verstärkt oder gar angeglichen? Zur Beantwortung dieser Fragen werden die Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) von 2001 bis 2017 analysiert.

Bedeutung von familiärer Pflege durch Personen im Erwerbsalter

Abbildung 1: Zusammensetzung von Pflegepersonen nach Geschlecht, Altersgruppe und Jahr (© bpb)

Bisherige Berechnungen konnten zeigen, dass die Zahl aller Pflegepersonen zwischen 2001 und 2015 von 3,1 auf 4,6 Millionen gestiegen ist. Abbildung 1 verdeutlicht die Bedeutung von Pflegepersonen im Erwerbsalter innerhalb der Gruppe aller Pflegepersonen. Obschon Frauen und Männer im Rentenalter zu hohen Anteilen pflegen (zusammen 32 Prozent 2001 und 2017), wird ein erheblicher Teil der familiären Pflege von Personen im Erwerbsalter – insbesondere von Frauen – erbracht: Über 40 Prozent aller Pflegepersonen sind Frauen im Alter zwischen 17 und 64 Jahren (44 Prozent 2001 und 42 Prozent 2017). Die Gruppe der pflegenden Männer diesen Alters ist deutlich kleiner (23 Prozent 2001 und 26 Prozent 2017). Trotz der zahlenmäßigen Zunahme ist die Zusammensetzung von Pflegepersonen hinsichtlich Geschlecht und Altersgruppe über die Zeit relativ stabil geblieben. Einzig eine leichte Verschiebung ist auszumachen: Die Gruppe der pflegenden Männer im erwerbsfähigen Alter ist – relativ betrachtet – etwas größer und die der pflegenden Frauen im erwerbsfähigen Alter ist etwas kleiner geworden.

Haben Männer im erwerbsfähigen Alter ihr Engagement in der familiären Pflege erhöht?

Auch bei der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ist die Zahl der Pflegepersonen – trotz einiger Schwankungen – gestiegen: von 2,2 Millionen 2001 auf 2,7 Millionen 2017. Der Anteil weiblicher Pflegepersonen im erwerbsfähigen Alter an allen erwerbsfähigen Frauen betrug 2001 6 Prozent und 2017 7 Prozent, während der Anteil der männlichen Pflegepersonen an der Gesamtzahl von Männern im erwerbsfähigen Alter zwischen 2001 und 2017 um einen Prozentpunkt von 3 Prozent auf 4 Prozent gestiegen ist. Innerhalb der Gruppe der erwerbsfähigen Pflegepersonen liegt der Anteil der männlichen Pflegepersonen 2001 bei 33 Prozent und 2017 bei 38 Prozent, was darauf hindeutet, dass Frauen im erwerbsfähigen Alter zwar noch immer häufiger Hilfe- oder Pflegetätigkeiten übernehmen, Männer ihre Beteiligung in der familiären Pflege aber nicht nur absolut, sondern auch relativ betrachtet zwischen den beiden Messzeitpunkten erhöht haben.

Abbildung 2: Erwerbstätigenquote von Frauen und Männern im Alter von 17–64 Jahre nach Pflegepersonenstatus und Jahr, Angaben in Prozent (© bpb)

Wenngleich die Anzahl von Pflegepersonen im Erwerbsalter gestiegen ist, ist die durchschnittliche Stundenanzahl, die Frauen und Männer im erwerbsfähigen Alter für familiäre Pflege an einem Werktag aufbringen, zwischen 2001 und 2017 gesunken. Haben Frauen 2001 täglich durchschnittlich 3,0 Stunden in Hilfe- oder Pflegetätigkeiten investiert, waren es 2017 nur mehr 2,5 Stunden. Männer pflegten 2001 durchschnittlich 2,2 Stunden pro Werktag, 2017 waren es durchschnittlich 2,0 Stunden. Wie im nächsten Abschnitt ersichtlich wird, könnte ein Grund für die im Durchschnitt gesunkene Zeitaufwendung für familiäre Hilfe- oder Pflegetätigkeiten die gestiegene Erwerbsbeteiligung der Pflegepersonen im Erwerbsalter sein und die damit einhergehenden geringeren zeitlichen Ressourcen zur Ausübung von familiären Hilfe- oder Pflegetätigkeiten.

Pflegepersonen = adult workers?

Zwischen 2001 und 2017 stieg die Erwerbstätigenquote von Pflegepersonen im erwerbsfähigen Alter von 49 auf 71 Prozent bei den Frauen und von 61 auf 70 Prozent bei den Männern in dieser Altersgruppe an (Abbildung 2). Somit vereinbarte 2017 ein höherer Anteil von Pflegepersonen familiäre Pflege und Erwerbstätigkeit als 2001. Der 2001 bestehende Geschlechterunterschied in der Erwerbsbeteiligung von Pflegepersonen war 2017 nicht mehr erkennbar. Die Zahlen verdeutlichen aber auch die Tendenz, dass in dem 17 Jahre währenden Beobachtungszeitraum die Erwerbstätigenquote pflegender Frauen deutlicher gestiegen ist (22 Prozentpunkte) als die der pflegenden Männer (11 Prozentpunkte). Obwohl in beiden Pflegepersonengruppen der Anstieg der Erwerbstätigenquote zwischen 2001 und 2017 höher war als bei der jeweiligen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ohne Hilfe- oder Pflegeverpflichtungen, waren sowohl weibliche als auch männliche Pflegepersonen seltener erwerbstätig als Personen ohne Hilfe- oder Pflegeverpflichtungen, auch wenn dieser Unterschied nicht in allen Jahren des Beobachtungszeitraums statistisch signifikant ist.

Obschon die Erwerbstätigenquote ein wichtiger Indikator dafür ist, um festzustellen, ob Personen am Erwerbsleben teilnehmen und ob sie Zugang zu Erwerbseinkommen haben, verdeckt dieser Indikator die zeitliche Eingebundenheit in die Erwerbstätigkeit. Abbildung 3 zeigt zunächst, dass Frauen weniger Stunden erwerbstätig sind als Männer – unabhängig davon, ob familiäre Hilfe- oder Pflegetätigkeiten ausgeübt werden oder nicht. Dies rührt vor allem daher, dass Teilzeitarbeit unter Frauen weiter verbreitet ist als unter Männern.

Abbildung 3 verweist aber auch darauf, dass Pflegepersonen geringere Wochenarbeitszeiten als Nicht-Pflegepersonen aufweisen. Pflegende Frauen im erwerbsfähigen Alter haben sowohl 2001 als auch 2017 signifikant weniger Zeit auf dem Arbeitsmarkt verbracht als nicht pflegende Frauen im erwerbsfähigen Alter (2001 wie 2017: 29 Stunden versus 33 Stunden). Dieser Unterschied ist vor allem darauf zurückzuführen, dass pflegende Frauen zu beiden Messzeitpunkten signifikant seltener in Vollzeit beschäftigt waren als nicht pflegende Frauen. Männliche Pflegepersonen waren 2001 genauso stark in den Arbeitsmarkt eingebunden wie männliche Nicht-Pflegepersonen. Beide Personengruppen gingen durchschnittlich 44 Stunden in der Woche einer Erwerbsarbeit nach. 2017 waren männliche Pflegepersonen im Durchschnitt signifikant weniger Stunden erwerbstätig als männliche Nicht-Pflegepersonen (40 Stunden versus 42 Stunden), was auf eine geringfügige Ausweitung der Teilzeiterwerbstätigkeit unter männlichen Pflegepersonen zurückzuführen ist.

Abbildung 3: Durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Stunden von Pflegepersonen und Nicht- Pflegepersonen im Alter von 17–64 Jahre nach Jahr, Angaben in arithmetischen Mitteln (© bpb)

Auch wenn sich die Neigung, einer bezahlten Beschäftigung nachzugehen, von pflegenden Frauen zwischen 2001 und 2017 an die der pflegenden Männer angeglichen hat, bleiben die geschlechtsspezifischen Unterschiede im wöchentlichen Arbeitszeitvolumen zwischen weiblichen und männlichen Pflegepersonen über die Zeit bemerkenswert konstant.

Doch inwiefern gelingt es Pflegepersonen ihre Existenz durch eigene Erwerbsarbeit abzusichern? Die Tabelle bestätigt zunächst, dass – unabhängig davon, ob gepflegt wird oder nicht – Frauen sowohl 2001 als auch 2017 ein geringeres Erwerbseinkommen erzielten als Männer. Darüber hinaus bestehen innerhalb der Geschlechtergruppen nochmals Unterschiede zwischen Pflegepersonen und Nicht-Pflegepersonen. Der durchschnittliche monatliche Bruttolohn von weiblichen Pflegenden lag sowohl 2001 als auch 2017 signifikant unterhalb des durchschnittlichen Bruttomonatslohns nicht pflegender Frauen. Auch privat pflegende Männer erlangten sowohl 2001 als auch 2017 einen durchschnittlich geringeren monatlichen Bruttolohn als nicht pflegende Männer. Die beobachteten Unterschiede im Lohnniveau zwischen Pflegepersonen und Nicht-Pflegepersonen sind hauptsächlich auf das geringere Arbeitszeitvolumen von Pflegepersonen zurückzuführen. Darüber hinaus verdeutlicht die Tabelle, dass, auch wenn das durchschnittliche monatliche Erwerbseinkommen pflegender Frauen zwischen 2001 und 2017 leicht gestiegen ist und jenes der pflegenden Männer leicht gesunken, die durchschnittliche Brutto-Lohnlücke von 1000 Euro zwischen den Geschlechtern im Zeitvergleich substanziell bleibt.

Der Haushalt ist von enormer Wichtigkeit, die Unterschiede in der individuellen materiellen Existenzsicherung zwischen Pflegepersonen und Nicht-Pflegepersonen sowie zwischen weiblichen und männlichen Pflegepersonen auszugleichen. 2001 als auch 2017 unterschieden sich die Haushaltsnettoeinkommen zwischen weiblichen Pflege- und Nicht-Pflegepersonen als auch zwischen männlichen Pflege- und Nicht-Pflegepersonen nicht signifikant. Somit konnten in beiden Jahren sowohl weibliche als auch männliche Pflegepersonen auf ähnlich hohe Haushaltsnettoeinkommen zurückgreifen wie nicht pflegende Frauen oder Männer (Tabelle). Darüber hinaus unterschieden sich 2001 sowohl weibliche als auch männliche Pflegepersonen nicht signifikant in der Armutsbetroffenheit von der jeweiligen nicht pflegenden Geschlechtergruppe. Und auch wenn der Anteil von Personen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltsnettoeinkommens zur Verfügung haben, in allen untersuchten Personengruppen zwischen 2001 und 2017 gestiegen ist, waren weibliche und männliche Pflegepersonen auch 2017 ähnlich häufig von Armut betroffen wie die jeweilige nicht pflegende Geschlechtergruppe. Innerhalb der Gruppe der Pflegepersonen fielen die Geschlechterdifferenzen in den Haushaltsnettoeinkommen als auch in der Armutsbetroffenheit sowohl 2001 als auch 2017 gering aus.

Tabelle: Materielle Situation von Pflegepersonen (P) und Nicht-Pflegepersonen (NP) im erwerbsfähigen Alter (17–64 Jahre) nach Geschlecht und Jahr (© bpb)

Insbesondere pflegende Frauen, die von allen untersuchten Personengruppen stets am geringsten in den Arbeitsmarkt integriert waren und das geringste Lohnniveau erzielten, sind auf die Umverteilungsleistung des Haushalts angewiesen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass diese vergleichsweise anteilig am geringsten zum Haushaltserwerbseinkommen beitrugen, aber somit auch vergleichsweise häufiger auf andere Einkommensressourcen zurückgreifen konnten, am wahrscheinlichsten auf einen Partner in der Rolle des Ernährers.

Auf dem Weg, aber noch nicht am Ziel: Warum?

Pflegende Angehörige im erwerbsfähigen Alter waren und sind von enormer Bedeutung für die Aufrechterhaltung der Lebensqualität von hilfe- oder pflegebedürftigen Personen. Zwar haben Männer im erwerbsfähigen Alter ihr Engagement in der familiären Pflege erhöht. Frauen im erwerbsfähigen Alter übernehmen aber noch immer häufiger Hilfe- oder Pflegetätigkeiten und leisten diese auch im höheren Zeitumfang als Männer. Darüber hinaus schaffen es Pflegepersonen seltener als Nicht-Pflegepersonen, und weibliche Pflegepersonen seltener als männliche Pflegepersonen, adult workers zu sein. Zwar haben Pflegepersonen ihre Erwerbsbeteiligung im Beobachtungszeitraum deutlich gesteigert, jedoch waren sie zu allen Messzeitpunkten seltener und im geringeren Umfang erwerbstätig als Nicht-Pflegepersonen. Innerhalb der Gruppe der Pflegepersonen hat sich die Erwerbstätigenquote der Frauen über die Zeit jener der Männer angeglichen. Jedoch kam es zu keiner Annäherung der wöchentlichen Arbeitszeitvolumina. Somit überrascht es auch nicht, dass sowohl Pflegepersonen im Vergleich zu Nicht-Pflegepersonen als auch weibliche Pflegepersonen im Vergleich zu männlichen Pflegepersonen stets ein geringeres Lohnniveau erzielten und deren erwerbsbasierte Existenzsicherung am geringsten ausfällt, was perspektivisch auch negative Auswirkungen auf die erwerbsbasierte Existenzsicherung im Alter haben wird. Eine Existenzsicherung von Pflegepersonen, insbesondere von weiblichen Pflegepersonen, erfolgt nur abgeleitet über die monetäre Umverteilungsleistung des Haushalts. Diese Umverteilungsleistung führt allerdings zu kurz- als auch langfristigen individuellen ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen vom Ernährer des Haushalts. Darüber hinaus kann eine Pufferwirkung des Haushalts schnell verschwinden, wenn sich die Konstellation ändert, beispielsweise durch Trennung oder den Verlust des Partners oder wenn ein zusätzliches Einkommen anderweitig verloren geht.

Warum ist eine geschlechtergerechtere Aufteilung von familiärer Pflege und Erwerbsarbeit also noch nicht erreicht? Zum einen deshalb, weil sich die in Deutschland verankerten explizit familialistischen pflegepolitischen Maßnahmen stärker auf Frauen auswirken, da Fürsorgetätigkeiten qua Tradition eher in ihren Verantwortungsbereich fallen. Zum anderen hat ein solches Care-Regime angesichts resistenter geschlechtsspezifischer Erwerbs- und Lohnunterschiede sowie immer noch bestehender politischer Maßnahmen zur Förderung einer männlichen Ernährerehe (beispielsweise Ehegattensplitting, beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern in der gesetzlichen Krankenkasse) stärkere negative Auswirkungen auf Frauen, da diese aus (haushalts-)ökonomischen Gründen eher familiäre Hilfe- oder Pflegetätigkeiten übernehmen als Männer und ihre Erwerbstätigkeit in Folge von Hilfe- oder Pflegetätigkeiten reduzieren oder sogar aufgeben. Deshalb wird das deutsche Care-Regime auch als "geschlechtsspezifisch diskriminierende Variante des Familialismus" eingestuft, das eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung reproduziert.

Wenn einerseits die Hauptverantwortung für die Versorgung hilfe- oder pflegebedürftiger Personen weiterhin bei den Familien liegen soll und andererseits Frauen wie Männer ihre Existenz durch eigene Erwerbsarbeit absichern sollen und auch immer häufiger wollen und müssen, müssen diese politische Zielsetzungen zusammen gedacht werden und Optionen geschaffen werden, die es ermöglichen, dass familiäre Pflege und Erwerbsarbeit geschlechtergerecht vereinbart werden können. Ein umfassenderes und kostengünstigeres Angebot professioneller Pflegedienstleistungen würde pflegende Angehörige bei der Vereinbarkeit von familiärer Pflege und Erwerbsarbeit entlasten und somit eine individuelle und erwerbsbasierte Existenzsicherung ermöglichen. Ist eine pflegebedingte Teilzeit- oder Vollzeiterwerbsunterbrechung dennoch nötig, sollte eine Lohnersatzleistung nach dem Vorbild des Elterngeldes gewährt werden. Diese würde nicht nur eine gewisse finanzielle Stabilität garantieren, sondern könnte auch ein vielversprechender Weg sein, eine geschlechtergerechtere Aufteilung von familiärer Pflege und Erwerbsarbeit zu erreichen, da so auch Männer zur Übernahme von familiären Hilfe- oder Pflegetätigkeiten motiviert werden könnten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Sigrid Leitner, Varianten von Familialismus: Eine historisch vergleichende Analyse der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken in kontinentaleuropäischen Wohlfahrtsstaaten, Berlin 2013.

  2. Vgl. Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung, 18.12.2018.

  3. Vgl. Johannes Geyer/Erika Schulz, Who cares? Die Bedeutung der informellen Pflege durch Erwerbstätige in Deutschland, in: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, DIW-Wochenbericht 14/2014, S. 294–301.

  4. Vgl. Bundesministerium für Gesundheit, Soziale Pflegeversicherung, 2019, Externer Link: http://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Statistiken/Pflegeversicherung/Antragsstatistik/Erledigung-der-Antraege_1995-2017.pdf.

  5. Siehe dazu den Beitrag von Diana Auth in dieser Ausgabe.

  6. Vgl. Karl Brenke, Wachsende Bedeutung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt, in: DIW-Wochenbericht 5/2015, S. 75–86.

  7. Vgl. Diana Auth/Christina Klenner/Sigrid Leitner, Neue Sorgekonflikte: Die Zumutungen des Adult Worker Model, in: Susanne Völcker/Michèle Amacker (Hrsg.), Prekarisierungen, Arbeit, Sorge und Inklusion, Weinheim–Basel 2015, S. 42–58. In diesem Beitrag werden auch jene Politikfelder genannt, in denen erwerbsfördernde und -fordernde Maßnahmen umgesetzt wurden.

  8. Für eine Übersicht der zu leistenden Gesamteigenanteile zur Finanzierung vollstationärer Pflege vgl. Heinz Rothgang et al., Barmer Pflegereport 2017, Siegburg 2017. Für eine Übersicht der geleisteten Eigenanteile bei einem häuslichen Pflegearrangement vgl. Volker Hielscher/Sabine Kirchen-Peters/Lukas Nock, Pflege in den eigenen vier Wänden, Düsseldorf 2017.

  9. Das SOEP ist eine seit 1984 in West- und ab 1990 auch in Ostdeutschland vorgenommene jährliche Wiederholungsbefragung repräsentativ ausgewählter Privathaushalte und deren Haushaltsmitglieder ab 17 Jahren. Seit 2001 werden Informationen zu geleisteten Hilfe- oder Pflegetätigkeiten über folgende Frage erfasst: "Wie viele Stunden pro Tag entfallen bei Ihnen an einem durchschnittlichen Werktag auf die folgenden Tätigkeiten – Versorgung und Betreuung von pflegebedürftigen Personen?" Befragte, die angeben, mindestens eine Stunde werktäglich für Hilfe- oder Pflegetätigkeiten aufzubringen, werden als Pflegepersonen identifiziert. Damit basiert die hier verwendete Definition von Pflegepersonen auf der Selbsteinschätzung der befragten Personen. Somit werden Pflegepersonen betrachtet, die sowohl Hilfe- oder Pflegetätigkeiten für Personen mit Leistungsbezug aus der Pflegeversicherung erbringen als auch für Personen ohne Leistungsbezug. Allerdings impliziert die werktägliche Eingebundenheit in Hilfe- oder Pflegetätigkeiten von mindestens einer Stunde ein hohes Hilfe- oder Pflegeengagement. Vgl. Jan Goebel et al., The German Socio-Economic Panel Study (SOEP), in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 2/2019, S. 345–360.

  10. Vgl. Heinz Rothgang et al., Barmer Pflegereport 2017, Siegburg 2017. Diese verwendeten zur Erschließung der Pflegepersonenzahl ebenfalls SOEP-Daten. Im Unterschied zu der in diesem Beitrag verwendeten Pflegepersonen-Definition berücksichtigten sie auch jene Pflegepersonen, die ausschließlich am Wochenende pflegten. Etwa 20 Prozent aller Pflegepersonen pflegen nur am Wochenende (eigene Berechnungen).

  11. Vgl. Brenke (Anm. 6).

  12. Vgl. Thomas Schmid/Martina Brandt/Klaus Haberkern, Gendered Support to Older Parents: Do Welfare States Matter?, in: European Journal of Ageing 1/2012, S. 39–50.

  13. Vgl. Sigrid Leitner, Familienpolitik, in: Herbert Obinger/Manfred G. Schmidt (Hrsg.), Handbuch Sozialpolitik, Wiesbaden 2019, S. 739–760.

  14. Vgl. Leitner (Anm. 1); Nadiya Kelle, Combining Employment and Care-Giving: How Differing Care Intensities Influence Employment Patterns Among Middle-Aged Women in Germany, in: Ageing & Society 2018 (online first).

  15. Leitner (Anm. 1), S. 126.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Ulrike Ehrlich für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist promovierte Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA).
E-Mail Link: ulrike.ehrlich@dza.de