Mit der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung 1995 wurde am Subsidiaritätsprinzip im deutschen familialistischen Care-Regime festgehalten. Wurde vorher die Pflegeverantwortung den Familien implizit zugewiesen und damit aufgrund des in (West-)Deutschland kulturell wie politisch stark verankerten männlichen Ernährermodells den zumeist nicht erwerbstätigen Frauen, wird familiäre Pflege nun explizit eingefordert.
Aufgrund der steigenden Zahl älterer und hochaltriger Menschen in der Bevölkerung wird der Bedarf an (familiärer) Pflege weiter zunehmen.
Vor diesem Hintergrund werden in diesem Beitrag folgende Fragen beantwortet: Wie hoch ist die Bedeutung von Pflegepersonen, die selbst im erwerbsfähigen Alter sind? Dazu soll geklärt werden, zu welchem Anteil Hilfe- oder Pflegetätigkeiten von Personen im erwerbsfähigen Alter übernommen werden. Haben Männer im erwerbsfähigen Alter ihr Engagement in der familiären Pflege erhöht? Diesbezüglich soll gezeigt werden, wie sich die Zahl der Pflegepersonen im erwerbsfähigen Alter generell, aber auch im Geschlechtervergleich, über die Zeit entwickelt hat. Inwiefern schaffen es Pflegepersonen adult workers zu sein? Hierzu wird zum einen das Erwerbsverhalten, zum anderen aber auch die materielle Situation von Pflegepersonen und Personen, die keine Hilfe- oder Pflegetätigkeiten (im weiteren Textverlauf auch "Nicht-Pflegepersonen" genannt) ausüben, verglichen. Gibt es in Bezug auf diese Indikatoren Geschlechterunterschiede innerhalb der Gruppe der Pflegepersonen, und wenn ja, sind diese über die Zeit konstant geblieben, haben sich diese über die Zeit verstärkt oder gar angeglichen? Zur Beantwortung dieser Fragen werden die Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) von 2001 bis 2017 analysiert.
Bedeutung von familiärer Pflege durch Personen im Erwerbsalter
Bisherige Berechnungen konnten zeigen, dass die Zahl aller Pflegepersonen zwischen 2001 und 2015 von 3,1 auf 4,6 Millionen gestiegen ist.
Haben Männer im erwerbsfähigen Alter ihr Engagement in der familiären Pflege erhöht?
Auch bei der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ist die Zahl der Pflegepersonen – trotz einiger Schwankungen – gestiegen: von 2,2 Millionen 2001 auf 2,7 Millionen 2017. Der Anteil weiblicher Pflegepersonen im erwerbsfähigen Alter an allen erwerbsfähigen Frauen betrug 2001 6 Prozent und 2017 7 Prozent, während der Anteil der männlichen Pflegepersonen an der Gesamtzahl von Männern im erwerbsfähigen Alter zwischen 2001 und 2017 um einen Prozentpunkt von 3 Prozent auf 4 Prozent gestiegen ist. Innerhalb der Gruppe der erwerbsfähigen Pflegepersonen liegt der Anteil der männlichen Pflegepersonen 2001 bei 33 Prozent und 2017 bei 38 Prozent, was darauf hindeutet, dass Frauen im erwerbsfähigen Alter zwar noch immer häufiger Hilfe- oder Pflegetätigkeiten übernehmen, Männer ihre Beteiligung in der familiären Pflege aber nicht nur absolut, sondern auch relativ betrachtet zwischen den beiden Messzeitpunkten erhöht haben.
Abbildung 2: Erwerbstätigenquote von Frauen und Männern im Alter von 17–64 Jahre nach Pflegepersonenstatus und Jahr, Angaben in Prozent (© bpb)
Abbildung 2: Erwerbstätigenquote von Frauen und Männern im Alter von 17–64 Jahre nach Pflegepersonenstatus und Jahr, Angaben in Prozent (© bpb)
Wenngleich die Anzahl von Pflegepersonen im Erwerbsalter gestiegen ist, ist die durchschnittliche Stundenanzahl, die Frauen und Männer im erwerbsfähigen Alter für familiäre Pflege an einem Werktag aufbringen, zwischen 2001 und 2017 gesunken. Haben Frauen 2001 täglich durchschnittlich 3,0 Stunden in Hilfe- oder Pflegetätigkeiten investiert, waren es 2017 nur mehr 2,5 Stunden. Männer pflegten 2001 durchschnittlich 2,2 Stunden pro Werktag, 2017 waren es durchschnittlich 2,0 Stunden. Wie im nächsten Abschnitt ersichtlich wird, könnte ein Grund für die im Durchschnitt gesunkene Zeitaufwendung für familiäre Hilfe- oder Pflegetätigkeiten die gestiegene Erwerbsbeteiligung der Pflegepersonen im Erwerbsalter sein und die damit einhergehenden geringeren zeitlichen Ressourcen zur Ausübung von familiären Hilfe- oder Pflegetätigkeiten.
Pflegepersonen = adult workers?
Zwischen 2001 und 2017 stieg die Erwerbstätigenquote von Pflegepersonen im erwerbsfähigen Alter von 49 auf 71 Prozent bei den Frauen und von 61 auf 70 Prozent bei den Männern in dieser Altersgruppe an (Abbildung 2). Somit vereinbarte 2017 ein höherer Anteil von Pflegepersonen familiäre Pflege und Erwerbstätigkeit als 2001. Der 2001 bestehende Geschlechterunterschied in der Erwerbsbeteiligung von Pflegepersonen war 2017 nicht mehr erkennbar. Die Zahlen verdeutlichen aber auch die Tendenz, dass in dem 17 Jahre währenden Beobachtungszeitraum die Erwerbstätigenquote pflegender Frauen deutlicher gestiegen ist (22 Prozentpunkte) als die der pflegenden Männer (11 Prozentpunkte). Obwohl in beiden Pflegepersonengruppen der Anstieg der Erwerbstätigenquote zwischen 2001 und 2017 höher war als bei der jeweiligen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ohne Hilfe- oder Pflegeverpflichtungen, waren sowohl weibliche als auch männliche Pflegepersonen seltener erwerbstätig als Personen ohne Hilfe- oder Pflegeverpflichtungen, auch wenn dieser Unterschied nicht in allen Jahren des Beobachtungszeitraums statistisch signifikant ist.
Obschon die Erwerbstätigenquote ein wichtiger Indikator dafür ist, um festzustellen, ob Personen am Erwerbsleben teilnehmen und ob sie Zugang zu Erwerbseinkommen haben, verdeckt dieser Indikator die zeitliche Eingebundenheit in die Erwerbstätigkeit. Abbildung 3 zeigt zunächst, dass Frauen weniger Stunden erwerbstätig sind als Männer – unabhängig davon, ob familiäre Hilfe- oder Pflegetätigkeiten ausgeübt werden oder nicht. Dies rührt vor allem daher, dass Teilzeitarbeit unter Frauen weiter verbreitet ist als unter Männern.
Abbildung 3 verweist aber auch darauf, dass Pflegepersonen geringere Wochenarbeitszeiten als Nicht-Pflegepersonen aufweisen. Pflegende Frauen im erwerbsfähigen Alter haben sowohl 2001 als auch 2017 signifikant weniger Zeit auf dem Arbeitsmarkt verbracht als nicht pflegende Frauen im erwerbsfähigen Alter (2001 wie 2017: 29 Stunden versus 33 Stunden). Dieser Unterschied ist vor allem darauf zurückzuführen, dass pflegende Frauen zu beiden Messzeitpunkten signifikant seltener in Vollzeit beschäftigt waren als nicht pflegende Frauen. Männliche Pflegepersonen waren 2001 genauso stark in den Arbeitsmarkt eingebunden wie männliche Nicht-Pflegepersonen. Beide Personengruppen gingen durchschnittlich 44 Stunden in der Woche einer Erwerbsarbeit nach. 2017 waren männliche Pflegepersonen im Durchschnitt signifikant weniger Stunden erwerbstätig als männliche Nicht-Pflegepersonen (40 Stunden versus 42 Stunden), was auf eine geringfügige Ausweitung der Teilzeiterwerbstätigkeit unter männlichen Pflegepersonen zurückzuführen ist.
Abbildung 3: Durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Stunden von Pflegepersonen und Nicht- Pflegepersonen im Alter von 17–64 Jahre nach Jahr, Angaben in arithmetischen Mitteln (© bpb)
Abbildung 3: Durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Stunden von Pflegepersonen und Nicht- Pflegepersonen im Alter von 17–64 Jahre nach Jahr, Angaben in arithmetischen Mitteln (© bpb)
Auch wenn sich die Neigung, einer bezahlten Beschäftigung nachzugehen, von pflegenden Frauen zwischen 2001 und 2017 an die der pflegenden Männer angeglichen hat, bleiben die geschlechtsspezifischen Unterschiede im wöchentlichen Arbeitszeitvolumen zwischen weiblichen und männlichen Pflegepersonen über die Zeit bemerkenswert konstant.
Doch inwiefern gelingt es Pflegepersonen ihre Existenz durch eigene Erwerbsarbeit abzusichern? Die Tabelle bestätigt zunächst, dass – unabhängig davon, ob gepflegt wird oder nicht – Frauen sowohl 2001 als auch 2017 ein geringeres Erwerbseinkommen erzielten als Männer. Darüber hinaus bestehen innerhalb der Geschlechtergruppen nochmals Unterschiede zwischen Pflegepersonen und Nicht-Pflegepersonen. Der durchschnittliche monatliche Bruttolohn von weiblichen Pflegenden lag sowohl 2001 als auch 2017 signifikant unterhalb des durchschnittlichen Bruttomonatslohns nicht pflegender Frauen. Auch privat pflegende Männer erlangten sowohl 2001 als auch 2017 einen durchschnittlich geringeren monatlichen Bruttolohn als nicht pflegende Männer. Die beobachteten Unterschiede im Lohnniveau zwischen Pflegepersonen und Nicht-Pflegepersonen sind hauptsächlich auf das geringere Arbeitszeitvolumen von Pflegepersonen zurückzuführen. Darüber hinaus verdeutlicht die Tabelle, dass, auch wenn das durchschnittliche monatliche Erwerbseinkommen pflegender Frauen zwischen 2001 und 2017 leicht gestiegen ist und jenes der pflegenden Männer leicht gesunken, die durchschnittliche Brutto-Lohnlücke von 1000 Euro zwischen den Geschlechtern im Zeitvergleich substanziell bleibt.
Der Haushalt ist von enormer Wichtigkeit, die Unterschiede in der individuellen materiellen Existenzsicherung zwischen Pflegepersonen und Nicht-Pflegepersonen sowie zwischen weiblichen und männlichen Pflegepersonen auszugleichen. 2001 als auch 2017 unterschieden sich die Haushaltsnettoeinkommen zwischen weiblichen Pflege- und Nicht-Pflegepersonen als auch zwischen männlichen Pflege- und Nicht-Pflegepersonen nicht signifikant. Somit konnten in beiden Jahren sowohl weibliche als auch männliche Pflegepersonen auf ähnlich hohe Haushaltsnettoeinkommen zurückgreifen wie nicht pflegende Frauen oder Männer (Tabelle). Darüber hinaus unterschieden sich 2001 sowohl weibliche als auch männliche Pflegepersonen nicht signifikant in der Armutsbetroffenheit von der jeweiligen nicht pflegenden Geschlechtergruppe. Und auch wenn der Anteil von Personen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltsnettoeinkommens zur Verfügung haben, in allen untersuchten Personengruppen zwischen 2001 und 2017 gestiegen ist, waren weibliche und männliche Pflegepersonen auch 2017 ähnlich häufig von Armut betroffen wie die jeweilige nicht pflegende Geschlechtergruppe. Innerhalb der Gruppe der Pflegepersonen fielen die Geschlechterdifferenzen in den Haushaltsnettoeinkommen als auch in der Armutsbetroffenheit sowohl 2001 als auch 2017 gering aus.