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Fürsorge aus Marktkalkül? Handlungsmuster und Motive von Unternehmer*innen der ambulanten Altenpflege

Lena Schürmann

/ 13 Minuten zu lesen

In vielen Bereichen des Sozial- und Gesundheitswesens hat die Einführung wettbewerblicher Strukturen umfassende Veränderungen hervorgebracht, auch in der ambulanten Pflege. Formen vorrangig ökonomische Kalküle das Handeln? Oder steht das Patient*innenwohl im Zentrum?

In vielen Bereichen des Sozial- und Gesundheitswesen hat die Einführung wettbewerblicher Strukturen umfassende Veränderungen hervorgebracht, auch in der ambulanten Pflege. Neben die Angebote der freien Wohlfahrtspflege sind private Dienstleistungsanbieter gerückt, mit stetig wachsenden Marktanteilen. In der Debatte über "Care" wird diese Entwicklung als "Vermarktlichung" von Sorgearbeit kritisch diskutiert. Angenommen wird einerseits, dass es unter den Bedingungen einer marktförmigen Organisation von Sorgearbeiten zu einer Kollision der ethischen Prinzipien fürsorglicher Praxis mit marktwirtschaftlichen Logiken komme. Die Ökonomisierung von Sorgearbeit durch privatwirtschaftliche Care-Angebote wird dabei als Ausdruck eines "neoliberalen Credo[s angesehen], möglichst alle Bereiche profitorientiert über den Markt abzuwickeln". Demgegenüber wird Sorgearbeiten eine nur begrenzte Kommodifizierbarkeit zugestanden. Es wird argumentiert, dass die Entfaltung von Fürsorge "eine nicht durch Marktlogiken dominierte Privatheit" voraussetzt. Andere Positionen im Diskurs betonen die Erfordernis, Pflegearbeiten zu professionalisieren, oder fordern deren Einschluss in das System der Erwerbsarbeit und daran geknüpfte soziale Rechte.

Dieser Beitrag ergänzt die bisherige Diskussion, in der vorrangig mit der Versorgungsqualität und den Arbeitsbedingungen in der Pflege argumentiert wird, aus qualitativ empirischer Perspektive und mit Blick auf bislang wenig betrachtete Akteur*innen: den Inhaber*innen ambulanter Pflegedienste. Präsentiert werden Ergebnisse zweier Forschungsprojekte, in denen untersucht wurde, wie sich aus Sicht der Betriebsinhaber*innen Fürsorge- und Markterfordernisse zueinander verhalten und sich gestalten lassen. Formen vorrangig ökonomische Kalküle das Handeln der Pflegedienstinhaber*innen? Oder steht auch in der wirtschaftlichen Selbstständigkeit das Patient*innenwohl im Zentrum? Kurz: An welcher Relevanz und welchen Zielen ist die unternehmerische Praxis orientiert, und welche Motive liegen der Eröffnung eines Pflegedienstes zugrunde?

Die Befunde stützen sich auf 30 qualitative Leitfadeninterviews mit Inhaber*innen ambulanter Pflegedienste, die zwischen 2011 und 2016 in Berlin und zwei weiteren deutschen Großstädten geführt wurden. Die Auswertung erfolgte fallkontrastierend, wobei im Zentrum die Frage nach dem Selbstverständnis der Inhaber*innen, ihren Handlungsorientierungen und unternehmerischen Strategien stand. Aussagen über die von den Diensten realisierte Pflegequalität können anhand der vorliegenden Daten nicht getroffen werden, gleiches gilt für die Beschäftigungsbedingungen.

Nach einem kurzen Überblick über die Entwicklung der ambulanten Pflege und den spezifischen Rahmenbedingungen für die Unternehmensführung erfolgt eine typisierende Darstellung der in der empirischen Erhebung angetroffenen Motivstrukturen und Handlungsmustern von Inhaber*innen ambulanter Pflegedienste. Anschließend werden diese Ergebnisse vor dem Hintergrund der politisch gesetzten Rahmenbedingungen der ambulanten Pflege diskutiert.

Entwicklungstendenzen in der ambulanten Pflege

Ambulante Pflegedienste ermöglichen pflegebedürftigen Personen den Verbleib im häuslichen Umfeld, auch dann, wenn deren Angehörige die Versorgung nicht (alleine) übernehmen können. Wer sich nach einem ambulanten Pflegedienst umschaut, wird zumindest in den Großstädten auf eine erstaunliche Bandbreite stoßen, auf ein vielfältiges Angebot. Neben kulturspezifischen Pflegediensten mit und ohne religiöser Symbolik gibt es Dienste, die sich an das LGBTI*-Milieu richten, es gibt welche, deren reduziert-erlesene Webseitengestaltung eine vermeintlich wohlhabende(re) Klientel ansprechen soll, daneben solche, die stärker den herzlich-familiären Charakter der zu erwartenden Pflege vermitteln wollen. Es scheint, als habe der Prozess der Individualisierung von Lebensstilen nun auch das Alter und die Lebensphase der Pflegebedürftigkeit erreicht.

Der Pflegestatistik zufolge gab es 2017 etwa 14.100 ambulante Pflegedienste in Deutschland. Diese betreuen insgesamt 830.000 pflegebedürftige Personen. Die Mehrzahl der ambulanten Dienste befindet sich in privater Trägerschaft (66 Prozent). Die privaten Dienste decken mittlerweile einen großen Anteil an der ambulanten pflegerischen Versorgung ab: 51,6 Prozent der ambulant versorgten Pflegebedürftigen werden von den insgesamt 9.243 privaten Pflegediensten versorgt. Sichtbar werden zwei ineinander verzahnte Entwicklungen: erstens, ein allgemeiner Zuwachs der Pflegedienste. Seit 1999 ist deren Anzahl von 10.600 auf 14.100 angestiegen. In diesem Zusammenhang ist, zweitens, auch die Zahl der privaten Dienste kontinuierlich gestiegen, von 5.504 im Jahr 1999 auf 9.243 im Jahr 2019, wohingegen die Anzahl der durch freigemeinnützige Träger betriebenen Dienste kontinuierlich zurückgegangen ist, von 5.103 auf 4.615 im gleichen Zeitraum.

Ohne eine Betrachtung der Betriebsgrößen würde jedoch ein verzerrter Eindruck von der Bedeutung der privaten Anbieter entstehen: Private Pflegedienste sind gemessen an der von ihnen betreuten Personenzahl kleiner als die Dienste freigemeinnütziger Träger. Sie versorgen im Durchschnitt 46 Pflegebedürftige, die Dienste freigemeinnütziger Träger hingegen durchschnittlich 84 Personen.

Auch eine Betrachtung der Betriebsgröße anhand der Beschäftigtenanzahl (gemessen in Vollzeitstellen) unterstreicht diesen Unterschied: Die Dienste freigemeinnütziger Träger haben im Schnitt 20,1 Beschäftigte, Dienste in privater Trägerschaft durchschnittlich 15,4. Werden die Betriebe nach Mitarbeiter*innenzahlen gruppiert, ergibt sich folgendes Bild: Dienste in privater Trägerschaft sind häufig kleiner als die Sozialstationen der freigemeinnützigen Träger: 45 Prozent der privaten Anbieter beschäftigen weniger als zehn Mitarbeiter*innen. Die besondere Bedeutung der kleinbetrieblichen Struktur für den Bereich der privaten Anbieter wird auch daran ersichtlich, dass sich 85 Prozent der Dienste mit bis zu vier Beschäftigten in privater Hand befinden. Vor dem Hintergrund einer steigenden Nachfrage nach ambulanten Pflegeleistungen und einem deutlichen Anstieg der Anbieterzahlen insgesamt zeigt sich in Bezug auf den Beschäftigungsumfang der ambulanten Dienste im Zeitverlauf folgende Entwicklung: 1998 wiesen die Dienste mit bis zu vier Beschäftigten einen Anteil von insgesamt 17 Prozent auf; dieser ist bis 2016 auf 9 Prozent abgesunken. Dagegen verzeichnen die größeren Dienste mit über 20 Beschäftigten einen Bedeutungszuwachs: von 19 Prozent 1998 auf 28 Prozent 2016.

Rahmenbedingungen für ambulante Pflegedienste

Pflegedienste agieren auf einem Markt, der maßgeblich durch die Pflegegesetzgebung und die Vergütungsstrukturen der öffentlichen Kostenträger strukturiert ist. In der Folge ist die unternehmerische Autonomie der Inhaber*innen ambulanter Dienste in zentralen Aspekten beschränkt. Wie auf professionellen Märkten üblich, ist der Marktzugang kontrolliert, zur Eröffnung eines Pflegedienstes und zum Abschluss eines Versorgungsvertrags mit dem Pflege- und Krankenkassenverband müssen bestimmte Standards in punkto Qualifikation und Beschäftigungsumfang erfüllt sein, ebenso wie eine gewisse Erreichbarkeit (Öffnungszeiten, Geschäftsräume). Die Vergütung erfolgt weitestgehend standardisiert anhand von Versorgungsverträgen, daher bestehen kaum Spielräume bei der Preissetzung, lediglich bei zusätzlichen und privat zu finanzierenden Leistungen. Auch die Grundsätze der Personalrekrutierung und des Arbeitskräfteeinsatzes werden durch die Regularien der Pflegegesetzgebung zur Sicherung der Versorgungsqualität weitgehend geordnet. Die Abrechnungsvorschriften sind kleinteilig und detailliert ausformuliert und umfassen Anforderungen des Qualitätsmanagements sowie Dokumentationspflichten nach jedem Einsatz in der häuslichen Umgebung des Pflegenehmers. Es gibt detaillierte Bestimmungen darüber, wie der zeitliche Umfang für einzelne Pflegeleistungen anzusetzen ist (und welche Ausnahmen hiervon, auch bezüglich des Personalschlüssels möglich sind), sodass Betriebe in Abhängigkeit von der Abrechenbarkeit der durch sie geleisteten Arbeit ihre Einsatzplanung weitestgehend an diesen Vorschriften ausrichten.

Unternehmerische Spielräume bestehen hingegen in der Ausrichtung des Leistungsangebots. Durch die Kombination von medizinischen – über die Krankenkassen zu finanzierenden – Leistungen, bei denen das Prinzip der bedarfsdeckenden Vollfinanzierung gilt (die aber verordnungspflichtig sind und durch die Medizinischen Dienste der Krankenkassen (MDKs) bewilligt werden müssen), und jenen nur als budgetierte Leistung abrechenbaren Pflegeleistungen nach Sozialgesetzbuch (SGB) XI, die einen Eigenanteil der Pflegenehmer erfordern, sind erstens die Spezialisierung auf bestimmte Marktsegmente und Kundenbereiche und zweitens unterschiedliche Ertragslagen möglich. Weitere Handlungsspielräume auf Seiten der Betriebe betreffen Fragen des Personaleinsatzes. Entlang der Differenzierung von hauswirtschaftlichen und pflegerischen Tätigkeiten bieten sich Spielräume zur internen Tätigkeits- und Entlohnungsdifferenzierung und eröffnen Möglichkeiten zur Arbeitsverdichtung und zum Lohndumping. Dennoch sind typische Unabwägbarkeiten und Unsicherheiten von Märkten, die das wirtschaftliche Handeln allgemein und den selbstständigen Erwerb typischerweise kennzeichnen, aufgrund der hohen Regulierungsdichte und der stabilen Nachfrage nach Pflegeleistungen hier nicht so stark gegeben. Es besteht eine hohe Informationsdichte bezüglich der betrieblichen Organisationsstrukturen und des Preisniveaus der Konkurrenz. Der Gesetzgeber hat neben dem Interesse am Wettbewerb zur Kostendeckelung der pflegerischen Versorgung ein Interesse an der Einhaltung von Standards zur Sicherung des Versorgungsniveaus. Der gesamte Pflegebereich unterliegt einem starken Kostendruck, der durch die politische Strategie der Kostendeckelung im Gesundheitssektor hervorgerufen wird. Für den selbstständigen Erwerb in der ambulanten Pflege ist insofern von ambivalenten Marktbedingungen auszugehen: Trotz der Existenz von qualifikationsbezogenen Zugangskontrollen besteht kein umfassender Konkurrenzschutz. Die Anbieter*innen verfügen mit den Versorgungsverträgen zwar über eine Dienstleistungskonzession, tragen selbst jedoch das unternehmerische Risiko der Auslastung. Diese ist vor dem Hintergrund der hohen Nachfrage nach ambulanten Pflegeleistungen aktuell nicht problematisch. Zudem zeichnet sich eine tendenzielle Abhängigkeit von den MDKs und deren Bewilligungspraxis ab. Wie wird unter den bestehenden Bedingungen die unternehmerische Praxis gestaltet?

Handlungsmuster von Pflegeunternehmer*innen

Als Ergebnis unserer qualitativen Studien ist festzuhalten: So vielfältig wie das Angebot ambulanter Pflegedienste erscheint, so wenig lässt sich ein einheitliches Handlungsmuster, das über das komplette Sample hinweg auftritt, identifizieren. Bezogen auf die von uns untersuchte Stichprobe waren die folgenden drei Kategorien für die Ausdifferenzierung der von den Inhaber*innen ambulanter Dienste ausgebildeten Handlungsmuster relevant: Fürsorge, Marktprofessionalität und Wachstum.

Fürsorgeorientierung/Pflegeethik

Kennzeichnend für diese Kategorie sind eine hohe Orientierung am Pflegeethos, eine niedrige Marktprofessionalität und das Fehlen einer Wachstumsorientierung. Den Inhaber*innen, deren Handlungen am Ziel der Fürsorge ausgerichtet sind, ist eine ausgeprägte Orientierung am Patient*innenwohl zu eigen. Diese tritt hier gemeinsam mit einer nur niedrigen Marktprofessionalität auf. Dies äußert sich daran, dass dezidierte marktbezogene Strategien, beispielsweise gezieltes Marketing oder ein Leistungsangebot, das über die grundpflegerischen und hauswirtschaftlichen Leistungen hinausgeht, ausbleiben. Ursächlich hierfür ist ein Verständnis der ambulanten Pflege als ein durch die Sozialgesetzgebung geordnetes Handlungsfeld, das nur beschränkte unternehmerische Freiheiten und Risiken aufweist. Vor diesem Verständnis wird die Unternehmensgründung als wenig riskantes Vorhaben angelegt, mit einem nur niedrigen Finanzmitteleinsatz. Im Fokus der Selbstständigkeit steht die Verwirklichung pflegerischer Standards und eine klientenorientierte Perspektive. Jegliche Tätigkeiten, die nicht patientenorientiert erfolgen, werden als für die Unternehmensführung zwar notwendige, aber ihrem Kern nach fremde Tätigkeiten betrachtet. Die Betriebsinhaber*innen betrachten ihre Arbeit als einen Beitrag zur öffentlichen pflegerischen Versorgung. Es gibt keine Wachstumsorientierung und wenig Interesse an der Unternehmensentwicklung. Die hohe Regulationsdichte des Pflegemarktes wird von diesem primär berufsethisch motiviertem Teil der Anbieter*innen als Versprechen zur professionellen Autonomie interpretiert, als Möglichkeit, vorrangig klientenorientiert zu handeln.

Marktprofessionalität

Im Kontrast dazu handeln die Angehörigen der Kategorie "Marktprofessionalität" mit einem dezidierten Blick auf die Bedingungen und Herausforderungen des ambulanten Pflegemarktes. Pflege wird als eine anspruchsvolle, eine Berufsausbildung erfordernde Arbeit verstanden, weshalb eine genaue Kenntnis der die ambulante Pflege ordnenden rechtlichen Vorgaben und Finanzierungsbedingungen die Grundlage ihrer unternehmerischen Praxis bildet. Auch hier bildet das Patient*innenwohl den Anlass der Unternehmensgründung, hier wird es jedoch herangezogen, um die Verantwortung für die Unternehmensführung zu begründen. Die "Marktprofessionellen" kreisen, gleichwohl Angehörige der pflegerischen Berufe, in ihrem Handeln als Inhaber*innen um die betrieblichen Möglichkeiten, die Einhaltung von pflegerischen Qualitätsstandards unter den gegebenen finanziellen Spielräumen zu realisieren. Sie schlagen hierzu den Weg der doppelten Spezialisierung ein: einerseits erfolgt eine Spezialisierung des Angebots im Sinne einer Nischenstrategie, wobei es häufig Leistungen nach SGB V sind, mit denen der Großteil des Umsatzes gemacht wird, da diese über die Krankenkassen voll finanziert werden. Die Spezialisierung erfolgt zudem intern auf die Unternehmensführung bezogen, vorrangig bezogen auf das Personalmanagement. In diesen Betrieben gibt es bewusste Strategien für den Umgang mit der Belegschaft, über die gesetzlich geforderten Qualifizierungsstandards hinaus. Zentralen Unterschied zur ersten Kategorie bildet neben dem Betriebs- der Marktbezug: Wird innerhalb der Kategorie "Fürsorge" die marktförmige Organisation der ambulanten Pflege weitestgehend ausgeblendet, entwickeln die Angehörigen dieser Kategorie explizite marktbezogene Strategien. Diese betreffen neben der schon genannten Spezialisierung des Dienstleistungsangebots und der bewussten Positionierung des eigenen Betriebs mittels aufwändigem Marketing auch den Informationsaustausch und die Kooperation mit anderen Betriebsinhaber*innen zum Zwecke des Interessenhandelns, beispielsweise zur Stärkung der Verhandlungsposition der ambulanten Pflegedienste gegenüber dem Pflegekassenverband oder zur Verbesserung der gesellschaftlichen Zuschreibungen an die Pflegearbeit.

Wachstumsorientierung

Auch für dieses Handlungsmuster ist der Marktbezug zentral. Bereits der Eintritt in den Pflegemarkt erfolgt hier aus unternehmerischen Kalkül und ist von beachtlichen finanziellen Investitionen geprägt. Die steigende Nachfrage nach Pflegeleistungen aufgrund des demografischen Wandels bildet Anlass für ein unternehmerisches Engagement in der ambulanten Pflege, aufgrund der hohen Informationsdichte über das Verhalten der Konkurrenz wird die Unternehmensgründung und die Ausrichtung des Dienstleistungsangebot planerisch-kalkulierend in Bezug auf eine bestimmte Klientel von Pflegebedürftigen angelegt. Hier stoßen wir auf ein ausgeprägtes Interesse am Unternehmenswachstum, es geht weniger um das Erfüllen selbstgestellter pflegerischer Ansprüche. Gleichwohl dienen auch hier die durch den Gesetzgeber gesetzten Standards zur Sicherung der Pflegequalität als Richtschnur für die Personalbemessung. Die Ausrichtung auf Wachstumsziele geht hier einher mit der Bereitschaft beziehungsweise dem Vermögen zur flexiblen Anpassung des Dienstleistungsangebots an wechselnde Marktlagen, so wechselte beispielsweise ein im Untersuchungszeitraum wiederholt befragter Pflegedienst sein Spezialisierungsprofil, was auch mit einem Personalwechsel verbunden war.

Ambivalente Bedingungen für Fürsorge

Die Entwicklung der ambulanten Pflege ist durch Verschiebungen in der Anbieter*innenstruktur gekennzeichnet: In dem vormals von Trägern der freien Wohlfahrtspflege dominierten Sektor stellen mittlerweile die überwiegend kleinbetrieblich strukturierten privaten Anbieter*innen die Mehrheit. Dabei zeichnet sich ab, dass diese aus einer Zwischenstellung heraus agieren. Einerseits handeln sie auf Basis von Versorgungsverträgen und bieten die öffentliche Dienstleistung "Pflege" nach politisch definierten beziehungsweise verhandelten Standards und Bedingungen an. Andererseits befinden sie sich als Marktakteure im zwischenbetrieblichen Wettbewerb; ihre selbstständige Erwerbstätigkeit birgt die üblichen Risiken (Auslastung, Einkommenssicherung), wenn auch unter den Bedingungen eines hochgradig regulierten Marktes und einer wachsenden Nachfrage. Gegenüber den medizinischen Akteuren und den öffentlichen Kostenträgern befinden sich die ambulanten Pflegedienste in einer untergeordneten Position, sie können über den Umfang der angebotenen Leistungen und über die Ausgestaltung der Pflege nicht allein entscheiden. Hinzu kommt, dass Pflegeleistungen gesellschaftlich nach wie vor als familiäre Sorgearbeit gerahmt werden und als einfache Tätigkeit aus dem Spektrum des weiblichen Arbeitsvermögens gelten.

Wie die Interviews mit Inhaber*innen von ambulanten Pflegediensten zeigen, stellen die der ambulanten Pflege eigenen Ambivalenzen sowie insbesondere deren Finanzierungsbedingungen spezifische Herausforderungen an die Betriebsführung. Die Integration ökonomischer Kalküle ist auf dem Pflegemarkt notwendig; sie wird, wie die Untersuchung zeigte, jedoch nicht von allen privaten Akteur*innen in der gleichen Weise erfüllt. Während eine Gruppe privater Anbieter*innen die bestehenden Planungssicherheiten strategisch zur Angebots- und Betriebsentwicklung nutzt, wird von einer anderen Gruppe die Erfordernis, die Betriebsführung an kaufmännischen Aspekten auszurichten, als tätigkeitsfremd angesehen und weitestgehend abgelehnt. Es wäre jedoch verkürzt, die ausbleibenden Marktstrategien dieser Anbieter*innengruppe lediglich als individuelles Versäumnis zu betrachten. Ähnlich wie aus Untersuchungen zu Künstler*innen und Kreativen bekannt, ist diese Demonstration von Marktferne Ausdruck und Code eines gesteigerten Berufsethos, sich der Unterwerfung unter Marktlogiken explizit zu verweigern.

Das Vorhandensein eines derartigen Handlungsmusters verweist auf die in der Pflegegesetzgebung angelegte Tendenz, die Pflegearbeit als etwas Außerökonomisches zu behandeln. Damit wird die gesellschaftliche Zuschreibung an Pflege als eine private, familiäre und weibliche "Arbeit aus Liebe" fortgeschrieben. Die Zuschreibung speist sich aus der "Herkunft" der professionellen Pflege aus der familialen Reproduktionsarbeit und verlängert die geschlechtsbezogene Be- und Entwertung in den Markt. Sie hat die anhaltend geringe Entlohnung von Pflegearbeit zur Folge und hinterlässt auch im Selbstverständnis der Pflegenden und Anbieter*innen ambulanter Pflege ihre Spuren. So scheinen insbesondere die berufsethisch motivierten Anbieter*innen in ihrer Fürsorgeorientierung auf dem schmalen Grat zwischen fachlicher Distanziertheit und familialer Vertrautheit/Intimität befangen zu sein, was häufig zulasten eines Perspektivwechsels hin zu den betriebswirtschaftlichen Anforderungen geht. Unter den gegebenen Finanzierungsbedingungen von Pflegearbeit erscheint dieser jedoch unerlässlich. Denn auch die professionelle Führung des Unternehmens ist für die Entfaltung der fachlichen Professionalität der Pflegenden eine notwendige Bedingung guter Pflege.

Fussnoten

Fußnoten

  1. In der ambulanten pflegerischen Versorgung beträgt der Anteil der privaten Dienste 51,6 Prozent. Vgl. Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik. Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung. Ländervergleich – Pflegebedürftige 2017, Wiesbaden 2018, S. 11.

  2. Gabriele Winker, Soziale Reproduktion in der Krise – Care Revolution als Perspektive, in: Das Argument 3/2011, S. 333–344.

  3. Karin Jurczyk, Care in der Krise? Neue Fragen zu familialer Arbeit, in: Ursula Apitzsch/Marianne Schmidbaur (Hrsg.), Care und Migration. Die Ent-Sorgung menschlicher Reproduktionsarbeit entlang von Geschlechter- und Armutsgrenzen, Opladen–Farmington Hills 2010, S. 60.

  4. Vgl. u.a. Hildegard Theobald, Pflegepolitik, Sorgetätigkeiten und Ungleichheit: Europäische Perspektiven, in: Sozialer Fortschritt 2/2010, S. 31–39; Joan Tronto, Feminist Democratic Ethics of Care and Global Care Workers. Citizenship and Responsibility, in: Rianne Mahon/Fiona Robinson (Hrsg.), Feminist Ethics and Social Policy, Vancouver–Toronto 2011, S. 162–177.

  5. Vgl. u.a. Hildegard Theobald/Marta Szebehely/Maren Preuß, Arbeitsbedingungen in der Altenpflege, Berlin 2013.

  6. Das Forschungsprojekt "Der Erfolg selbständiger Frauen – Gründungsverläufe zwischen Familie und Ökonomie" wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung von 2011 bis 2014 gefördert. Die Projektleitung lag bei Prof. Dr. Claudia Gather, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Das Forschungsprojekt "Berliner Forum ambulante private Pflegedienste" wurde von 2015 bis 2017 durch das Institut für angewandte Forschung als Forschungskooperation zwischen der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und der Alice Salomon Hochschule Berlin (ASH) gefördert. Neben Claudia Gather war auch Prof. Dr. Maria Castro Varela für die ASH in der Projektleitung. Susan Ulbricht und Heinz Zipprian waren gemeinsam mit der Verfasserin als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen tätig.

  7. Claudia Gather/Lena Schürmann, "Jetzt reichts. Dann machen wir unseren eigenen Pflegedienst auf". Selbständige in der Pflegebranche – Unternehmertum zwischen Fürsorge und Markt, in: Feministische Studien 2/2013, S. 225–239.

  8. Vgl. Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2017. Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung. Deutschlandergebnisse, Wiesbaden 2018, S. 16.

  9. Vgl. Statistisches Bundesamt (Anm. 1).

  10. Vgl. Lena Schürmann,Unternehmerische Akteure auf Wohlfahrtsmärkten: Private ambulante Pflegedienste im Spannungsfeld zwischen Fürsorge und Wettbewerb. in: AIS Studien 2/2016, S. 75–95, hier S. 83; Statistisches Bundesamt (Anm. 9).

  11. Ebd., S. 22.

  12. Vgl. Ulrich Schneekloth et al., Abschlussbericht. Studie zur Wirkung des Pflege Neuausrichtungs-Gesetz (PNG) und des ersten Pflegestärkungsgesetzes (PSG I) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit, München 2017, S. 176.

  13. Vgl. ebd., S. 176.

  14. Vgl. ebd.

  15. Vgl. ebd., S. 175.

  16. Vgl. Schürmann (Anm. 11).

  17. Aufgrund der Freiwilligkeit an der Studienteilnahme sind keine repräsentativen Aussagen über die Motive der privaten Dienstanbieter*innen in ihrer Gesamtheit möglich.

  18. Vgl. Alexandra Manske, Zwischen verzauberter und entzauberter Arbeit – Selbständige in der Designbranche. in: AIS Studien 2/2016, S. 6–21.

  19. Gisela Bock/Barbara Duden, Arbeit aus Liebe – Liebe als Arbeit: Zur Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus, in: Gruppe Berliner Dozentinnen (Hrsg.), I: Frauen und Wissenschaft. Beiträge zur 1. Sommeruniversität für Frauen, Berlin 1977, S. 118–199.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Lena Schürmann für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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vertritt zurzeit die Professur "Soziologie der Arbeit und der Geschlechterverhältnisse" an der Humboldt-Universität zu Berlin.
E-Mail Link: lena.schuermann@hu-berlin.de