In vielen Bereichen des Sozial- und Gesundheitswesen hat die Einführung wettbewerblicher Strukturen umfassende Veränderungen hervorgebracht, auch in der ambulanten Pflege. Neben die Angebote der freien Wohlfahrtspflege sind private Dienstleistungsanbieter gerückt, mit stetig wachsenden Marktanteilen.
Dieser Beitrag ergänzt die bisherige Diskussion, in der vorrangig mit der Versorgungsqualität und den Arbeitsbedingungen in der Pflege argumentiert wird,
Die Befunde stützen sich auf 30 qualitative Leitfadeninterviews mit Inhaber*innen ambulanter Pflegedienste, die zwischen 2011 und 2016 in Berlin und zwei weiteren deutschen Großstädten geführt wurden.
Nach einem kurzen Überblick über die Entwicklung der ambulanten Pflege und den spezifischen Rahmenbedingungen für die Unternehmensführung erfolgt eine typisierende Darstellung der in der empirischen Erhebung angetroffenen Motivstrukturen und Handlungsmustern von Inhaber*innen ambulanter Pflegedienste. Anschließend werden diese Ergebnisse vor dem Hintergrund der politisch gesetzten Rahmenbedingungen der ambulanten Pflege diskutiert.
Entwicklungstendenzen in der ambulanten Pflege
Ambulante Pflegedienste ermöglichen pflegebedürftigen Personen den Verbleib im häuslichen Umfeld, auch dann, wenn deren Angehörige die Versorgung nicht (alleine) übernehmen können. Wer sich nach einem ambulanten Pflegedienst umschaut, wird zumindest in den Großstädten auf eine erstaunliche Bandbreite stoßen, auf ein vielfältiges Angebot. Neben kulturspezifischen Pflegediensten mit und ohne religiöser Symbolik gibt es Dienste, die sich an das LGBTI*-Milieu richten, es gibt welche, deren reduziert-erlesene Webseitengestaltung eine vermeintlich wohlhabende(re) Klientel ansprechen soll, daneben solche, die stärker den herzlich-familiären Charakter der zu erwartenden Pflege vermitteln wollen. Es scheint, als habe der Prozess der Individualisierung von Lebensstilen nun auch das Alter und die Lebensphase der Pflegebedürftigkeit erreicht.
Der Pflegestatistik zufolge gab es 2017 etwa 14.100 ambulante Pflegedienste in Deutschland. Diese betreuen insgesamt 830.000 pflegebedürftige Personen.
Ohne eine Betrachtung der Betriebsgrößen würde jedoch ein verzerrter Eindruck von der Bedeutung der privaten Anbieter entstehen: Private Pflegedienste sind gemessen an der von ihnen betreuten Personenzahl kleiner als die Dienste freigemeinnütziger Träger. Sie versorgen im Durchschnitt 46 Pflegebedürftige, die Dienste freigemeinnütziger Träger hingegen durchschnittlich 84 Personen.
Auch eine Betrachtung der Betriebsgröße anhand der Beschäftigtenanzahl (gemessen in Vollzeitstellen) unterstreicht diesen Unterschied: Die Dienste freigemeinnütziger Träger haben im Schnitt 20,1 Beschäftigte, Dienste in privater Trägerschaft durchschnittlich 15,4.
Rahmenbedingungen für ambulante Pflegedienste
Pflegedienste agieren auf einem Markt, der maßgeblich durch die Pflegegesetzgebung und die Vergütungsstrukturen der öffentlichen Kostenträger strukturiert ist.
Unternehmerische Spielräume bestehen hingegen in der Ausrichtung des Leistungsangebots. Durch die Kombination von medizinischen – über die Krankenkassen zu finanzierenden – Leistungen, bei denen das Prinzip der bedarfsdeckenden Vollfinanzierung gilt (die aber verordnungspflichtig sind und durch die Medizinischen Dienste der Krankenkassen (MDKs) bewilligt werden müssen), und jenen nur als budgetierte Leistung abrechenbaren Pflegeleistungen nach Sozialgesetzbuch (SGB) XI, die einen Eigenanteil der Pflegenehmer erfordern, sind erstens die Spezialisierung auf bestimmte Marktsegmente und Kundenbereiche und zweitens unterschiedliche Ertragslagen möglich. Weitere Handlungsspielräume auf Seiten der Betriebe betreffen Fragen des Personaleinsatzes. Entlang der Differenzierung von hauswirtschaftlichen und pflegerischen Tätigkeiten bieten sich Spielräume zur internen Tätigkeits- und Entlohnungsdifferenzierung und eröffnen Möglichkeiten zur Arbeitsverdichtung und zum Lohndumping. Dennoch sind typische Unabwägbarkeiten und Unsicherheiten von Märkten, die das wirtschaftliche Handeln allgemein und den selbstständigen Erwerb typischerweise kennzeichnen, aufgrund der hohen Regulierungsdichte und der stabilen Nachfrage nach Pflegeleistungen hier nicht so stark gegeben. Es besteht eine hohe Informationsdichte bezüglich der betrieblichen Organisationsstrukturen und des Preisniveaus der Konkurrenz. Der Gesetzgeber hat neben dem Interesse am Wettbewerb zur Kostendeckelung der pflegerischen Versorgung ein Interesse an der Einhaltung von Standards zur Sicherung des Versorgungsniveaus. Der gesamte Pflegebereich unterliegt einem starken Kostendruck, der durch die politische Strategie der Kostendeckelung im Gesundheitssektor hervorgerufen wird. Für den selbstständigen Erwerb in der ambulanten Pflege ist insofern von ambivalenten Marktbedingungen auszugehen: Trotz der Existenz von qualifikationsbezogenen Zugangskontrollen besteht kein umfassender Konkurrenzschutz. Die Anbieter*innen verfügen mit den Versorgungsverträgen zwar über eine Dienstleistungskonzession, tragen selbst jedoch das unternehmerische Risiko der Auslastung. Diese ist vor dem Hintergrund der hohen Nachfrage nach ambulanten Pflegeleistungen aktuell nicht problematisch. Zudem zeichnet sich eine tendenzielle Abhängigkeit von den MDKs und deren Bewilligungspraxis ab. Wie wird unter den bestehenden Bedingungen die unternehmerische Praxis gestaltet?
Handlungsmuster von Pflegeunternehmer*innen
Als Ergebnis unserer qualitativen Studien ist festzuhalten: So vielfältig wie das Angebot ambulanter Pflegedienste erscheint, so wenig lässt sich ein einheitliches Handlungsmuster, das über das komplette Sample hinweg auftritt, identifizieren. Bezogen auf die von uns untersuchte Stichprobe
Fürsorgeorientierung/Pflegeethik
Kennzeichnend für diese Kategorie sind eine hohe Orientierung am Pflegeethos, eine niedrige Marktprofessionalität und das Fehlen einer Wachstumsorientierung. Den Inhaber*innen, deren Handlungen am Ziel der Fürsorge ausgerichtet sind, ist eine ausgeprägte Orientierung am Patient*innenwohl zu eigen. Diese tritt hier gemeinsam mit einer nur niedrigen Marktprofessionalität auf. Dies äußert sich daran, dass dezidierte marktbezogene Strategien, beispielsweise gezieltes Marketing oder ein Leistungsangebot, das über die grundpflegerischen und hauswirtschaftlichen Leistungen hinausgeht, ausbleiben. Ursächlich hierfür ist ein Verständnis der ambulanten Pflege als ein durch die Sozialgesetzgebung geordnetes Handlungsfeld, das nur beschränkte unternehmerische Freiheiten und Risiken aufweist. Vor diesem Verständnis wird die Unternehmensgründung als wenig riskantes Vorhaben angelegt, mit einem nur niedrigen Finanzmitteleinsatz. Im Fokus der Selbstständigkeit steht die Verwirklichung pflegerischer Standards und eine klientenorientierte Perspektive. Jegliche Tätigkeiten, die nicht patientenorientiert erfolgen, werden als für die Unternehmensführung zwar notwendige, aber ihrem Kern nach fremde Tätigkeiten betrachtet. Die Betriebsinhaber*innen betrachten ihre Arbeit als einen Beitrag zur öffentlichen pflegerischen Versorgung. Es gibt keine Wachstumsorientierung und wenig Interesse an der Unternehmensentwicklung. Die hohe Regulationsdichte des Pflegemarktes wird von diesem primär berufsethisch motiviertem Teil der Anbieter*innen als Versprechen zur professionellen Autonomie interpretiert, als Möglichkeit, vorrangig klientenorientiert zu handeln.
Marktprofessionalität
Im Kontrast dazu handeln die Angehörigen der Kategorie "Marktprofessionalität" mit einem dezidierten Blick auf die Bedingungen und Herausforderungen des ambulanten Pflegemarktes. Pflege wird als eine anspruchsvolle, eine Berufsausbildung erfordernde Arbeit verstanden, weshalb eine genaue Kenntnis der die ambulante Pflege ordnenden rechtlichen Vorgaben und Finanzierungsbedingungen die Grundlage ihrer unternehmerischen Praxis bildet. Auch hier bildet das Patient*innenwohl den Anlass der Unternehmensgründung, hier wird es jedoch herangezogen, um die Verantwortung für die Unternehmensführung zu begründen. Die "Marktprofessionellen" kreisen, gleichwohl Angehörige der pflegerischen Berufe, in ihrem Handeln als Inhaber*innen um die betrieblichen Möglichkeiten, die Einhaltung von pflegerischen Qualitätsstandards unter den gegebenen finanziellen Spielräumen zu realisieren. Sie schlagen hierzu den Weg der doppelten Spezialisierung ein: einerseits erfolgt eine Spezialisierung des Angebots im Sinne einer Nischenstrategie, wobei es häufig Leistungen nach SGB V sind, mit denen der Großteil des Umsatzes gemacht wird, da diese über die Krankenkassen voll finanziert werden. Die Spezialisierung erfolgt zudem intern auf die Unternehmensführung bezogen, vorrangig bezogen auf das Personalmanagement. In diesen Betrieben gibt es bewusste Strategien für den Umgang mit der Belegschaft, über die gesetzlich geforderten Qualifizierungsstandards hinaus. Zentralen Unterschied zur ersten Kategorie bildet neben dem Betriebs- der Marktbezug: Wird innerhalb der Kategorie "Fürsorge" die marktförmige Organisation der ambulanten Pflege weitestgehend ausgeblendet, entwickeln die Angehörigen dieser Kategorie explizite marktbezogene Strategien. Diese betreffen neben der schon genannten Spezialisierung des Dienstleistungsangebots und der bewussten Positionierung des eigenen Betriebs mittels aufwändigem Marketing auch den Informationsaustausch und die Kooperation mit anderen Betriebsinhaber*innen zum Zwecke des Interessenhandelns, beispielsweise zur Stärkung der Verhandlungsposition der ambulanten Pflegedienste gegenüber dem Pflegekassenverband oder zur Verbesserung der gesellschaftlichen Zuschreibungen an die Pflegearbeit.
Wachstumsorientierung
Auch für dieses Handlungsmuster ist der Marktbezug zentral. Bereits der Eintritt in den Pflegemarkt erfolgt hier aus unternehmerischen Kalkül und ist von beachtlichen finanziellen Investitionen geprägt. Die steigende Nachfrage nach Pflegeleistungen aufgrund des demografischen Wandels bildet Anlass für ein unternehmerisches Engagement in der ambulanten Pflege, aufgrund der hohen Informationsdichte über das Verhalten der Konkurrenz wird die Unternehmensgründung und die Ausrichtung des Dienstleistungsangebot planerisch-kalkulierend in Bezug auf eine bestimmte Klientel von Pflegebedürftigen angelegt. Hier stoßen wir auf ein ausgeprägtes Interesse am Unternehmenswachstum, es geht weniger um das Erfüllen selbstgestellter pflegerischer Ansprüche. Gleichwohl dienen auch hier die durch den Gesetzgeber gesetzten Standards zur Sicherung der Pflegequalität als Richtschnur für die Personalbemessung. Die Ausrichtung auf Wachstumsziele geht hier einher mit der Bereitschaft beziehungsweise dem Vermögen zur flexiblen Anpassung des Dienstleistungsangebots an wechselnde Marktlagen, so wechselte beispielsweise ein im Untersuchungszeitraum wiederholt befragter Pflegedienst sein Spezialisierungsprofil, was auch mit einem Personalwechsel verbunden war.
Ambivalente Bedingungen für Fürsorge
Die Entwicklung der ambulanten Pflege ist durch Verschiebungen in der Anbieter*innenstruktur gekennzeichnet: In dem vormals von Trägern der freien Wohlfahrtspflege dominierten Sektor stellen mittlerweile die überwiegend kleinbetrieblich strukturierten privaten Anbieter*innen die Mehrheit. Dabei zeichnet sich ab, dass diese aus einer Zwischenstellung heraus agieren. Einerseits handeln sie auf Basis von Versorgungsverträgen und bieten die öffentliche Dienstleistung "Pflege" nach politisch definierten beziehungsweise verhandelten Standards und Bedingungen an. Andererseits befinden sie sich als Marktakteure im zwischenbetrieblichen Wettbewerb; ihre selbstständige Erwerbstätigkeit birgt die üblichen Risiken (Auslastung, Einkommenssicherung), wenn auch unter den Bedingungen eines hochgradig regulierten Marktes und einer wachsenden Nachfrage. Gegenüber den medizinischen Akteuren und den öffentlichen Kostenträgern befinden sich die ambulanten Pflegedienste in einer untergeordneten Position, sie können über den Umfang der angebotenen Leistungen und über die Ausgestaltung der Pflege nicht allein entscheiden. Hinzu kommt, dass Pflegeleistungen gesellschaftlich nach wie vor als familiäre Sorgearbeit gerahmt werden und als einfache Tätigkeit aus dem Spektrum des weiblichen Arbeitsvermögens gelten.
Wie die Interviews mit Inhaber*innen von ambulanten Pflegediensten zeigen, stellen die der ambulanten Pflege eigenen Ambivalenzen sowie insbesondere deren Finanzierungsbedingungen spezifische Herausforderungen an die Betriebsführung. Die Integration ökonomischer Kalküle ist auf dem Pflegemarkt notwendig; sie wird, wie die Untersuchung zeigte, jedoch nicht von allen privaten Akteur*innen in der gleichen Weise erfüllt. Während eine Gruppe privater Anbieter*innen die bestehenden Planungssicherheiten strategisch zur Angebots- und Betriebsentwicklung nutzt, wird von einer anderen Gruppe die Erfordernis, die Betriebsführung an kaufmännischen Aspekten auszurichten, als tätigkeitsfremd angesehen und weitestgehend abgelehnt. Es wäre jedoch verkürzt, die ausbleibenden Marktstrategien dieser Anbieter*innengruppe lediglich als individuelles Versäumnis zu betrachten. Ähnlich wie aus Untersuchungen zu Künstler*innen und Kreativen bekannt,
Das Vorhandensein eines derartigen Handlungsmusters verweist auf die in der Pflegegesetzgebung angelegte Tendenz, die Pflegearbeit als etwas Außerökonomisches zu behandeln. Damit wird die gesellschaftliche Zuschreibung an Pflege als eine private, familiäre und weibliche "Arbeit aus Liebe"