"Magda macht das schon" ist der Titel einer von RTL ausgestrahlten Fernseh-Soap, die die alltäglichen Probleme einer im Haushalt arbeitenden polnischstämmigen Pflege- und Betreuungskraft aufgreift. Als Unterhaltungsformat funktioniert das deswegen, weil vermutlich jedem/r ZuschauerIn die angesprochene Form der Pflege- und Betreuungsarbeit durch "Polinnen" (auch "24-Stunden-Pflege" genannt) ohnehin bekannt ist. Damit kann die Serie, ebenso wie die Tatsache, dass die Institution Stiftung Warentest Vermittlungsdienstleister in diesem Bereich testet,
Entwicklung des Marktes
Mittlerweile hat sich der ehemalige Schwarzmarkt deutlich erweitert und zu einem gewissen Grad formalisiert. Das zeigt sich unter anderem anhand eines relativ jungen Geschäftsfeldes an privaten Vermittlungs- und Entsendeunternehmen. Implizit haben sich die MigrantInnen neben den sorgenden Angehörigen, ambulanten und stationären Diensten zu einer tragenden Säule der pflegerischen Versorgung (in einem weiten Begriffsverständnis von Pflege) entwickelt, ohne dass dies bislang politisch-regulativ eine adäquate Beachtung gefunden hat.
In der wissenschaftlichen Literatur wird seit einigen Jahren nicht mehr von der "24-Stunden-Pflege" gesprochen, um nicht weiterhin ein Bild mitzutransportieren, das den Einsatz rund um die Uhr normalisiert. Hingegen ist nun die Rede von "Live-ins", dem englischen Ausdruck für Personen in häuslichen Dienstleistungen, die permanent im Privathaushalt anwesend sind, da sie dort nicht nur arbeiten, sondern vorübergehend auch wohnen. Diese Arbeitsverhältnisse existieren bereits seit den 1990er Jahren, als mit dem Fall der Mauer und der anschließenden großen gesellschaftlichen Transformation in den Ostblockstaaten dort viele Arbeitsplätze verloren gingen. Informelle Migrationsbewegungen waren eine Strategie der Menschen dieser Regionen, die auf einen stetig wachsenden Bedarf an häuslicher Betreuung und Pflege in Haushalten in den einkommensstarken westlichen Staaten der Europäischen Union stießen.
Charakteristisch für diese Gruppen an (vorwiegend weiblichen) ArbeiterInnen ist, dass sie über private Netzwerke oder professionalisierte Vermittlungsunternehmen mit deutschen KundInnen in Kontakt gebracht werden, die in der Regel auf Grundlage von Portfolios dem Arbeitsverhältnis zustimmen. Nachdem Ankunftsort und -zeit, Dauer des Einsatzes und Vergütung vereinbart sind, verbringen die Live-ins in der Regel einige Wochen bis Monate in einem einzigen Haushalt und kümmern sich dort um die alltäglichen Belange im Sinne von Hauswirtschaft, (Grund-)Pflege, Mobilisation und Ansprache.
Ein Großteil der Pflegebedürftigen, die durch Live-ins unterstützt werden, ist auch als pflegebedürftig im Sinne des Sozialgesetzbuchs (SGB) XI anerkannt. Sie beziehen somit Pflegegeld aus der Pflegeversicherung, das nicht selten Teil der Finanzierungsstruktur für die Live-ins ist. Daher wird oftmals von Live-ins im Sinne von "Pflege" gesprochen. Ihr Tätigkeitsspektrum ist allerdings auch stark von Aufgaben der Hauswirtschaft und Betreuung geprägt, weshalb der Pflegebegriff hier weit gefasst wird. Zunehmend sind Live-ins auch mit demenziellen Krankheitsbildern konfrontiert. Die genannten Einsatzbereiche in ihrer Gesamtheit zeigen, welch immenses Potenzial für eine strukturelle physische und psychische Überforderung in diesen häuslichen Arbeitsverhältnissen liegt, weswegen die Frage der Regulierung der Arbeitszeiten so wichtig ist.
Da diese Form der häuslichen personenbezogenen Dienstleistungen lange Jahre im informellen Markt gehandelt wurde und bis heute keine Registrierung der tatsächlichen Arbeitsverhältnisse dieser Art erfolgt, bleiben zur Erfassung der Größe des Phänomens nur Schätzungen. Diese liegen im Mittel bei etwa 300.000 Mittel- und Osteuropäerinnen. Dabei ist zu beachten, dass durch den Wechsel der Live-ins pro Haushaltsstelle mit in der Regel mindestens zwei Live-ins zu rechnen sind, wovon immer nur eine gerade anwesend ist. Verglichen mit der Anzahl der im Haushalt betreuten und nach SGB XI anerkannten Pflegebedürftigen im Jahr 2014 in Deutschland, würde demnach gut jeder zwölfte Pflegehaushalt eine Live-in beschäftigen.
Rechtlicher Rahmen
Derzeit bedeutet die ständige Anwesenheit von Live-ins im Privathaushalt in Deutschland immer auch Konflikte mit den geltenden Gesetzen zum Schutz von ArbeitnehmerInnen.
Ohnehin ist die Gruppe der Live-ins zu sehr unterschiedlichen rechtlichen Bedingungen hier tätig.
Im Arbeitgebermodell ist die rechtliche Anbindung an das deutsche Arbeitsrecht und Arbeitszeitgesetz am eindeutigsten. Dieses ist zuständig für die Live-ins als im Privathaushalt angestellte Haushaltshilfen, deren Vergütung ebenfalls seit Januar 2017 dem allgemeinen Mindestlohn unterliegt. Es müssen Arbeits-, aber auch Ruhezeiten vertraglich vereinbart und formal eingehalten werden.
Die Möglichkeit der innereuropäischen Entsendung von Arbeitskräften auf Grundlage der Entsenderichtlinie 96/71/EG hat in den vergangenen Jahren eine zunehmende Anzahl der Anbieter sogenannter 24-Stunden-Pflege genutzt. In diesem Rechtsmodell sind die Live-ins bei einem Arbeitgeber im Heimatland angestellt
Im Selbstständigenmodell ist das Weisungsrecht des arbeitgebenden Haushaltes aufgehoben zugunsten der freien Aufgaben- und Zeiteinteilung durch die selbstständigen Betreuungskräfte. Ort, Zeit und Ausführung der Dienstleistungserbringung müssen diese frei wählen, was genauso zu Konflikten mit der Gesetzgebung führt: Denn liegt nicht entsprechend viel Handlungsspielraum bei den selbstständigen Betreuungskräften vor, handelt es sich um Scheinselbstständigkeit, für die hohe Bußgelder fällig sind. Zwar besagt ein Gerichtsurteil, dass die sogenannte 24-Stunden-Betreuung durchaus als selbstständige Tätigkeit ausführbar ist, doch maßgeblich bleibt der Einzelfall und damit bestehen Risiken für Vermittlungs- und Entsendeunternehmen wie auch für Haushalte. Dieses Modell ist zwar nicht ganz so verbreitet wie die Entsendung, gewinnt aber für die Branche zunehmend an Bedeutung.
Schließlich ist das informelle Arbeitsverhältnis ("Schwarzarbeit") zu nennen, in dem keinerlei schriftliche Vertragsgrundlagen auf die juristischen Rechte und Pflichten der Beteiligten hinweisen, weswegen dieses offensichtlich das risikoreichste ist. Dennoch geht die Branche davon aus, dass weiterhin ein Großteil der bestehenden Arbeitsverhältnisse dem informellen Segment zuzuzählen ist.
Forschungsperspektiven
Die Anzahl von Forschungsarbeiten zu Live-ins hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, und viele Facetten der Migrations- und Arbeitsrealitäten sind mittlerweile bekannt. Dennoch ist nicht zu unterschätzen, dass es sich um einen Arbeits- beziehungsweise Dienstleistungsmarkt handelt, der über Jahre entlang von nationaler und EU-Gesetzgebung seine Erscheinung auch stark verändert hat.
Den Anfang dieses grauen Live-in-Marktes als Schwarzmarkt und als Teil einer entstehenden innereuropäischen (Pendel-)Migrationsbewegung von Ost nach West noch vor dem EU-Beitritt vieler mittel- und osteuropäischer Staaten 2004 beschreiben frühe Publikationen.
Ein weiterer Forschungsstrang, der auch an internationale Debatten zu in Privathaushalten verrichteten Arbeitsverhältnissen (domestic work) anschließt, beleuchtet die Arbeitsrealitäten der Live-ins und beschreibt eine im Zuge der vergeschlechtlichten internationalen Arbeitsteilung entstandene strukturelle Prekarität in sowohl der rechtlichen als auch der tätigkeitsbasierten Bilanz dieser Form von häuslichen Arbeitsverhältnissen. Befunde dieser Art weisen Überschneidungen zu anderen Sorge-Arbeitsverhältnissen in Privathaushalten wie Reinigungskräften oder Au Pairs auf
Das Phänomen Live-ins in Deutschland ist auch in einem größeren globalen Zusammenhang der Weitergabe von Sorgearbeit an Dritte zu sehen: "Versorgungsketten" (ursprünglich im Englischen als care chains benannt) spannen sich rund um den Globus und produzieren neben dem reinen Lohnerwerbs für die ArbeiterInnen, der in Form von Remissionen (Geldzahlungen) an die Herkunftsländer der MigrantInnen zurückfließt und zum Teil deren Volkswirtschaften zugutekommt, gleichsam enorme soziale Kosten, die von den MigrantInnen und ihren Familien allein getragen werden müssen.
Neue Akteure
Jüngere Forschungen wenden sich insbesondere dem neuen Markt privater Vermittlungs- und Entsendeunternehmen zu. Die EU-Osterweiterung brachte die Möglichkeit mit sich, dass Arbeitskräfte aus EU-Mitgliedstaaten wie Polen, Bulgarien oder Rumänien in Deutschland arbeiten können. Insbesondere zwischen Deutschland und Polen ist in diesem Zuge eine regelrechte "Entsende-Industrie" rund um die Live-in-Betreuung entstanden: Private Vermittlungs- und Entsende-Unternehmen für Live-ins aus Mittel- und Osteuropa sind neue Akteure auf einem transnationalen Sorgemarkt.
Studien gehen inzwischen von rund 300 privatwirtschaftlichen Vermittlungsagenturen allein in Deutschland aus, die trotz gegenwärtig offensichtlicher Regulierungslücken versuchen, ein "legales" Geschäftsmodell zu etablieren. Das unternehmerische Feld ist dabei eher heterogen, sowohl was die Unternehmensgröße, das für die Vermittlung genutzte Rechtsmodell, damit verbundene weitere Geschäftsfelder, insbesondere aber, was die unternehmerisch-strategische Ausrichtung betrifft. Einer Gruppe von Pionieren der Branche,
Diesem Grundproblem versuchen in Deutschland wie in Österreich einige Regionalstellen der kirchlichen Wohlfahrtsverbände entgegen zu wirken, indem sie in Deutschland im Rahmen des Arbeitgebermodells, in Österreich im Rahmen der dort gültigen Selbstständigkeit Live-in-Betreuungskräfte vermitteln und diese sowie die Familien für die Zeit der Anstellung bestmöglich vorbereiten und begleiten (CariFair, FairCare und Caritas Wien). Aber auch hier sind den Kontrollen der geleisteten Arbeit Grenzen gesetzt, wenngleich deutlich mehr Supervisionsangebote und Ansprechpersonen erreichbar sind.
Damit werben allerdings auch die an Qualität orientierten Vermittlungsdienstleister und ihre Verbände VHBP (Verband für häusliche Betreuung und Pflege) und BHSB (Bundesverband häusliche Seniorenbetreuung), die sich über Selbstverpflichtungen und eigene "Qualitätsstandards" als legale Alternative zum Schwarzmarkt darstellen und den Live-in-Markt umkrempeln wollen. Sie haben nationale und transnationale Unternehmensverbände gegründet und versuchen, über Lobbyarbeit und politische Aufklärung Rechtssicherheit für die Live-in-Branche zu erwirken.
Ausblick: Zeit für politische Antworten
Auch wenn ein kleiner Teil der Unternehmen sich als Vorreiter über Verbände für eine bessere Rechtssicherheit und gewisse Qualitätsstandards durch unternehmerische Selbstverpflichtungen einsetzt, gibt es mannigfaltige Hinweise darauf, dass Kernprobleme der Überlastung und Überforderung von migrantischen Pflegekräften – und damit einhergehend auch Risiken für die Pflegebedürftigen – durch zaghafte Ansätze der "Selbstregulierung" nicht zu lösen sind. Es sind also politische Antworten gefragt, doch keine der in der Diskussion befindlichen Optionen vermag vollständig zu überzeugen.
Soll Deutschland den österreichischen Weg der regulierten Selbstständigkeit gehen, wie die deutschen Agenturverbände sich dies wünschen? Mehr Rechtssicherheit ist zwar positiv für alle Beteiligten. Die Forschung zu Österreich zeigt jedoch auch: Das Kernproblem überlanger, ethisch nur schwer vertretbarer Arbeitszeiten und unzureichender Qualifikationen, die zu Versorgungsrisiken beitragen, bekommt man dadurch nicht in den Griff. Stattdessen werden ethisch prekäre Konstellationen möglicherweise sogar noch mit einer staatlichen Förderung belohnt.
Alle anderen Optionen, ob sie nun auf einer stärker regulierten und kontrollierten Entsendung oder auf einem (bürokratisch vereinfachten) Anstellungsverhältnis beruhen, bedeuten jedoch, von der Idee einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch eine einzige Person – und damit nicht nur vom Begriff, sondern auch vom Konzept der "24-Stunden-Pflege" – dezidiert Abstand zu nehmen. Denn auf legale Weise gibt es im Angestellten- und Entsendemodell keinen Weg, die Einhaltung von Arbeitszeitmindeststandards zu umgehen.
Eine jüngst diskutierte Option liegt auch darin, ausschließlich (solche) relativ "faire(n)" Konstellationen mit einer staatlichen Förderung zu versehen und an weitere Qualitätsanforderungen zu knüpfen. Dies würde Schwarzmarktlösungen vergleichsweise weniger attraktiv machen. Es gibt im Rahmen des SGB XI durchaus erste Ansatzpunkte (insbesondere über den §45a SGB XI, der Angebote zur Unterstützung im Alltag regelt) unter bestimmten Voraussetzungen, die auf Landesebene konkretisiert werden,
Eine dritte Möglichkeit besteht schließlich darin, den Markt weiter sich selbst zu überlassen, da keine einfache Regulierungslösung auf der Hand liegt. Da der Pflegebedarf und damit die Nachfrage sehr hoch ist, ist davon auszugehen, dass der graue Markt sich weiter ausdehnen und aufgrund des knapper werdenden Arbeitskräfteangebots "weiter nach Osten", auch in Nicht-EU-Länder verlagern wird. Für die Pflegebedürftigen und die für sie sorgenden MigrantInnen wäre dies aus einer nachhaltigen Perspektive vermutlich die schlechteste, für die privaten Vermittlungs- und Entsendeunternehmen mit den schlechtesten Praktiken vermutlich die beste Option.