Pflege zielt darauf ab, Menschen mit Pflegebedarf zu betreuen,
Warum ist Sexualität wichtig?
Sexuelles Wohlbefinden ist für die meisten Menschen ein Grundbedürfnis. Denn Sexualität erfüllt vier wichtige Funktionen.
Lustfunktion: Sexuelle Aktivitäten unterschiedlichster Art lassen körperliches und seelisches Vergnügen, Sinnlichkeit, Erregung und Entspannung empfinden, und zwar in einer Intensität und Qualität, wie sie andere Aktivitäten kaum vermitteln können.
Beziehungsfunktion: In der Partnersexualität werden zwischenmenschliche Nähe, Intimität, Verbundenheit und Geborgenheit auf einer existenziellen Ebene buchstäblich hautnah erfahrbar.
Identitätsfunktion: Sexualität vermittelt Bestätigung der eigenen geschlechtlichen und sexuellen Identität.
Fruchtbarkeitsfunktion: Sexualität ermöglicht biologische Fortpflanzung und umfasst darüber hinaus weitere schöpferische Dimensionen. So können sexuelle Aktivitäten transzendentes und spirituelles Erleben hervorbringen und stärken, etwa eine Verbundenheit mit allem Lebendigen oder mit einem göttlichen Prinzip.
Menschen unterscheiden sich darin, welche Aspekte der Sexualität für sie besonders wichtig sind und wie sie diese im Laufe ihres Lebens gestalten. Eine erfüllende Sexualität ist keinesfalls nur den jungen, gesunden, schönen und fitten Menschen vorbehalten, auch wenn das in den Medien oft so erscheinen mag. Empirische Studien zeigen, dass Sexualität für die meisten Menschen über die gesamte Lebensspanne hinweg bedeutsam ist und diese Bedeutung auch im hohen und höchsten Lebensalter sowie bei kurz- oder langfristigem Pflegebedarf besteht.
Die große Bedeutung selbstbestimmt ausgelebter Sexualität wird nicht zuletzt von der Weltgesundheitsorganisation anerkannt, indem sie Wohlbefinden als Teil der Gesundheit und sexuelles Wohlbefinden als ausdrücklichen Bestandteil Sexueller Gesundheit definiert.
Warum muss sich die Pflege um sexuelles Wohlbefinden kümmern?
Menschen, die kurz- und insbesondere langfristig auf Pflege angewiesen sind, haben vor dem Hintergrund der international anerkannten Menschenrechte sowie der UN-Behindertenrechtskonvention – genau wie alle anderen Menschen auch – ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und Teilhabe.
Sex nicht als Tabu zu behandeln, sondern die professionelle Pflege bewusst an sexualfreundlichen Werten zu orientieren, ist durchaus mit kirchlichen, karitativen und humanistischen Werten vereinbar. Aktuelle Pflegekonzepte und Qualitätshandbücher von Einrichtungen der Behinderten- und Altenhilfe integrieren denn auch zunehmend sexualfreundliche Leitlinien zum Umgang mit Sexualität. So hält das "Qualitätshandbuch der Seniorenheime des Landkreises Oder-Spree" (dort anzufordern) ausdrücklich die Rechte der Betreuten auf selbstbestimmte Sexualität fest, benennt dabei konkret unter anderem Selbstbefriedigung, gegen- und gleichgeschlechtliche sexuelle Kontakte, Pornografie und Sexualassistenz. Gleichzeitig wird detailliert festgelegt, dass und wie die Intim- und Privatsphäre der Betreuten zu achten und wie damit umzugehen ist, wenn Pflegehandlungen ungeplant sexuelle Erregung auslösen.
Auch die Pflegeforschung treibt die Enttabuisierung von Sexualität stark voran.
Verbesserung der sexuellen Aufklärung und Beratung: Auch in einer medial scheinbar übersexualisierten Gesellschaft ist das Thematisieren individueller sexueller Erfahrungen und Bedürfnisse in allen gesellschaftlichen Bereichen nach wie vor ausgesprochen schwierig. Das betrifft auch Medizin und Pflege. Viele Menschen erhalten im Zuge von kurz- oder langfristiger Pflege bis heute nicht die notwendige sexualbezogene Aufklärung und Beratung. Egal ob es um Krebs oder Neurodermitis, um Depression oder Querschnittlähmung, um Autismus oder Risikoschwangerschaft, um Bluthochdruck, Diabetes oder Demenz geht: Welche Auswirkungen auf die Sexualität zu erwarten sind und wie mit diesen Effekten individuell sowie als Paar beziehungsweise als Familie erfolgreich umzugehen ist, welche Hilfsangebote es bei spezifischen sexuellen Problemen gibt, all das wird bis heute viel zu selten besprochen und/oder es fehlt der Zugang zu vorhandenen spezialisierten Sexualberatungsstellen. Dadurch entstehen vermeidbare Belastungen und Risiken und werden gleichzeitig Chancen auf sexuelles Wohlbefinden verpasst.
Verbesserung der praktischen Unterstützung für selbstbestimmtes Ausdrücken und Ausleben ihrer Sexualitäten: Insbesondere Menschen mit langfristigem Pflegebedarf sind in ihrer Autonomie im Alltag stark eingeschränkt. Ihre sexuelle Selbstbestimmung und Teilhabe wird wesentlich durch die Bedingungen der Pflege definiert und nicht selten begrenzt. Denn selbst wenn sie gut aufgeklärt sind, können sie sexuellen Aktivitäten meist nur nachgehen, wenn ihnen in Pflegekontexten auf Wunsch aktive Unterstützung zur Verfügung steht, etwa beim Zugang zu Hilfsmitteln, Räumen und Kontakten, und wenn gleichzeitig für Schutz vor sexueller Gewalt und Grenzüberschreitungen gesorgt wird.
Sexualität in der Pflege als Grenzüberschreitung
Zum Menschenrecht auf selbstbestimmte Sexualität gehören Schutzrechte. Im Kontext der Pflege geht es vor allem um zwei Aspekte von Schutz: um den Schutz vor sexueller Gewalt und um den Schutz Anderer vor eigenem sexuell unangemessenen Verhalten.
Schutz vor sexueller Gewalt
In der Pflege- und Gewaltforschung ist empirisch belegt, dass Menschen mit Pflegebedarf einem deutlich erhöhten Risiko sexueller Viktimisierung ausgesetzt sind. Das gilt in besonders starkem Maße für Mädchen und Frauen mit körperlichen und sogenannten geistigen Behinderungen: Sie werden zwei- bis dreimal so oft sexuell viktimisiert wie Frauen der Allgemeinbevölkerung.
Besonders vulnerabel sind zudem Kinder und Jugendliche mit Pflegebedarf sowie vermutlich auch geschlechter-diverse Personen. Auch wenn Männer deutlich seltener sexuell viktimisiert werden als Frauen, berichten Männer mit Behinderungen in nennenswertem Umfang von widerfahrener sexueller Gewalt.
Schutz Anderer vor eigenem sexuell unangemessenen Verhalten
Pflegebedürftige Menschen mit Entwicklungsstörungen und Lernschwierigkeiten haben häufig ein "normgerechtes" Sexualverhalten nicht gelernt und fallen deswegen durch unangemessen erscheinendes Verhalten auf. Auch Menschen mit Demenzerkrankungen werden nicht selten als sexuell enthemmt wahrgenommen:
Sexualität in der Pflege als Lebenslust
Sexualität in der Pflege zu enttabuisieren und für besseren Schutz vor Grenzüberschreitungen und Gewalt zu sorgen, ist das eine. Aktiv für eine sexualfreundliche Umgebung zu sorgen, in der sexuelle Bedürfnisse tatsächlich ausgedrückt und positiv im Sinne von Lebenslust ausgelebt werden können, ist das andere. Hier ist Assistenz gefordert, die im Pflegealltag ganz unterschiedliche Unterstützungsleistungen umfasst, und nicht gänzlich an externe Dienste ausgelagert werden kann.
Recht auf Solosexualität
Solosexualität (Selbstbefriedigung, Masturbation) als lust- und liebevoller Umgang mit dem eigenen Körper und den eigenen sexuellen Gedanken und Gefühlen kann die eingangs beschriebenen Lust-, Identitäts- und Fruchtbarkeitsfunktionen von Sexualität erfüllen und über Erinnerungen und Fantasien indirekt auch die Beziehungsfunktion ansprechen.
In Pflegeeinrichtungen kann Solosexualität nur genossen werden, wenn die notwendigen Rückzugsorte und -zeiten im Pflegeplan berücksichtigt sind und gewünschte Hilfsmittel wie erotische und pornografische Materialien oder Sexspielzeuge beschafft und genutzt werden können. Im Sinne sexueller Selbstbestimmung sollten moralische Vorstellungen des Pflegepersonals nicht die Selbstbefriedigung der Gepflegten reglementieren, sofern diese in angemessenem Rahmen stattfindet. Sexualpädagogische Fachkräfte können hier begleitend tätig sein, die Pflegenden entlasten und mit den Gepflegten individuell passende Handlungsspielräume für die jeweiligen körperlichen Gegebenheiten erarbeiten.
Für Menschen, die körperlich nicht in der Lage sind, sich selbst sinnlich zu stimulieren oder zu befriedigen, kommen spezielle Assistenzkräfte und Assistenztechnologien infrage, um sexuelle Autonomie und Teilhabe zu sichern. So sind Fachkräfte für Sexualbegleitung
Recht auf Partnersexualität
Bestehen für Menschen mit Pflegebedarf oftmals schon beträchtliche Hürden beim Ausleben von Solosexualität, so sind diese im Hinblick auf Partnersexualität meist noch sehr viel höher. Verschiedene Konstellationen sind zu unterscheiden, in denen Pflegekräfte gefragt sind, Barrieren und Hürden für die Betreuten aktiv abzubauen:
Wenn der Pflegefall im Verlauf einer bestehenden Paarbeziehung eintritt, geht es darum, dem Paar die notwendige Sexualberatung für die Anpassung an die neue Situation bereitzustellen und in der Einrichtung ungestörte Zweisamkeit zu ermöglichen (etwa ein Übernachtungsbesuch).
Für Menschen mit Pflegebedarf, die alleinstehend sind (z.B. ältere Menschen nach Verwitwung; junge Menschen mit schweren Behinderungen), stellen Wohneinrichtungen und Werkstätten meist die wichtigsten Kontaktmärkte dar. Einrichtungen müssen wiederum für ein sexualfreundliches Klima sorgen (z.B. Bereitstellung von Pflegedoppelbetten und von einem "Snoezelraum", der für sinnliche Erfahrungen allein oder zu zweit eingerichtet ist). Gleichzeitig ist die Einvernehmlichkeit der sexuellen Kontakte sicherzustellen. Es gilt, das Pflegepersonal zu schulen und sexuelle Bildung und Beratung für die Gepflegten anzubieten. Außerhalb von Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe können, je nach geistigen und körperlichen Möglichkeiten, die üblichen Wege der Offline- und Online-Partnersuche beschritten werden, etwa über Tanzveranstaltungen, Singletreffs und Datingapps. Es gibt einige auf Menschen mit Beeinträchtigungen spezialisierte Online-Datingbörsen und Singletreffs.
Für Menschen mit Pflegebedarf, die sich dauerhaft keine sexuellen Kontakte organisieren können, ist Sexualbegleitung eine Option.
Manche Menschen mit Pflegebedarf bevorzugen anstelle von Sexualbegleitung die reguläre Prostitution . Die Branche wiederum stellt sich zunehmend auf den demografischen Wandel ein, akzeptiert Menschen mit Pflegebedarf und wirbt mit barrierefreien Tantra-Studios und Bordellen. Die Inanspruchnahme legaler Prostitution darf im Sinne gleichberechtigter sexueller Teilhabe Menschen mit Pflegebedarf nicht vorenthalten werden. Einrichtungen, Pflegeteams und pflegende Angehörige unterscheiden sich aber bislang stark darin, ob sie Besuche von Sexdienstleistenden erlauben beziehungsweise den Besuch entsprechender Betriebe unterstützen oder nicht. Dahinter stehen nicht selten infantilisierende Stereotype, denen gemäß Menschen im höheren Alter oder mit Behinderungen allenfalls ein Wunsch nach "Kuscheln" zugestanden wird, nicht aber das Verlangen nach dem gesamten Spektrum sexueller Verhaltensweisen.
Recht auf Vielfalt sexuellen Selbstausdrucks
Wenn von sexualfreundlichen Bedingungen in der Pflege gesprochen wird, dann ist es wichtig, ein vielfältiges Bild von geschlechtlichen und sexuellen Identitäten vor Augen zu haben. Je nach kulturellem, religiösem, familiärem und lebensgeschichtlichem Hintergrund hat jeder Mensch ganz individuelle sexuelle Wünsche und Ausdrucksformen. Deswegen gilt es, bevormundende und rigide Vorstellungen von "richtiger Sexualität" zu vermeiden.
Besondere sexuelle Vorlieben und Fetische, die manche Menschen ein Leben lang begleiten, sind auch bei Pflegebedürftigkeit (weiterhin) präsent. Sie sind aus menschenrechtlicher Perspektive anzuerkennen und nicht moralisch zu verurteilen. Während eine akzeptierende und unterstützende professionelle Haltung gegenüber ungewöhnlichen sexuellen Spielarten in Psychologie und Medizin inzwischen als kink friendliness beziehungsweise kink awareness eingefordert und gefördert wird,
Die Pflegeprofession hat indessen bereits begonnen, Sexualität weiter zu denken als Heterosexualität und Cis-Geschlechtlichkeit und somit queer friendliness zu entwickeln: Lesbische, schwule, bisexuelle, trans* und intergeschlechtliche (LSBT*I) Menschen sind mit einem Bevölkerungsanteil von rund 10 Prozent eine nicht vernachlässigbare Bevölkerungsgruppe, die zudem besonders stark auf professionelle Pflege angewiesen ist.
Recht auf reproduktive Selbstbestimmung
Zum Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gehört aus menschenrechtlicher Perspektive auch das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung. Auch wenn dieses Menschenrecht durch die UN-Behindertenrechtskonvention nochmals ausdrücklich für alle Menschen bekräftigt wurde, wird Menschen mit Behinderungen selbstbestimmte Familienplanung sehr oft immer noch vorenthalten:
Fazit und Handlungsempfehlungen für die Politik
Sexualität in der Pflege hat sich in den vergangenen Jahren vom Tabu zu einem in Forschung, Praxis und breiter Öffentlichkeit immer stärker beachteten und differenzierter reflektierten Themengebiet entwickelt. Dass aus menschenrechtlicher Perspektive alle Menschen mit Pflegebedarf dieselben sexuellen Schutzrechte und dieselben sexuellen Freiheitsrechte genießen wie andere Menschen auch, ist heute unbestritten. Dennoch besteht die dringende Notwendigkeit, bei der demografisch wachsenden Gruppe von Menschen mit krankheits-, behinderungs- oder altersbedingtem Pflegebedarf mehr für den Schutz vor sexueller Gewalt und mehr für die Freiheit zu selbstbestimmtem und vielfältigem sexuellen Ausdruck zu tun. Hierfür sind nachhaltige und integrale Maßnahmen bei den Diensten und Einrichtungen der Krankenpflege sowie der Alten- und Behindertenhilfe notwendig, und zwar auf drei Ebenen:
Die Institution muss für sich ein einrichtungsspezifisch ausgestaltetes, sexualfreundliches Leitbild und Konzept erarbeiten, das die sexuellen Schutz- und Freiheitsrechte der von ihr Betreuten gleichermaßen berücksichtigt. Reine Schutzkonzepte, die nur auf die Gewaltprävention ausgerichtet sind, greifen zu kurz. Zu fordern sind Konzepte, die den Schutz vor sexueller Gewalt mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung vereinen.
Professionell Pflegende benötigen ausreichende und wiederholte Aus-, Fort- und Weiterbildung zu Fragen von Sexualität, damit sie ihre Moralvorstellungen und inneren Barrieren reflektieren lernen. Das wiederum ist notwendig, um die eigene Haltung zu klären, sexualfreundliche Handlungsweisen zu erlernen, sich selbst wahrnehmen und abgrenzen, und sich fachlich sicher zu fühlen. Zudem muss es in Supervisionen sowie in Team- und Fallbesprechungen regelmäßig die Gelegenheit geben, aufkommende sexuelle Fragen lösungsorientiert zu erörtern. Dabei geht es um die Fürsorge für die Gepflegten und einen respektvollen Umgang mit ihren sexuellen Grenzen und Bedürfnissen. Und es geht um die Selbstfürsorge der überwiegend weiblichen Pflegenden, die sich im Pflegealltag nicht selten vor sexuellen Grenzverletzungen schützen müssen. Ein sexualfreundlicher Ansatz beachtet die Rechte aller Beteiligten und spielt sie nicht gegeneinander aus.
Menschen mit Pflegebedarf bedürfen im Sinne von Empowerment flächendeckender inklusiver sowie migrations-, kultur- und diversitätssensibler sexueller Bildung, um ihre individuellen sexuellen Anliegen artikulieren und vertreten zu können. Je nach Grad der vorliegenden Autonomieeinschränkungen brauchen Menschen mit Pflegebedarf zudem spezialisierte sexuelle Assistenzkräfte und Assistenztechnologien, um erzwungener sexueller Abstinenz zu entgehen. In Einrichtungen sollte es darüber hinaus Partizipationskonzepte geben, damit eine Mitbestimmung über sexuelle und sonstige Lebensbedingungen möglich ist und nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden wird.
Es besteht kein Zweifel, dass dieses Vorgehen zweckmäßig ist, im Einklang mit der Rechtslage und dem bisherigen Forschungsstand steht sowie bei Pflegenden und Gepflegten prinzipiell auf Zustimmung stößt. Ergänzend zu den genannten Veränderungen in der professionellen Pflege ist auch eine Verbesserung der Fortbildungs- und Beratungsinfrastruktur für informell Pflegende notwendig, damit sie die Sexualitäten der von ihnen in häuslichen Settings Gepflegten sachgerecht begleiten können.
Politischer Gestaltungsbedarf besteht insofern, als all diese Maßnahmen nicht umsonst zu bekommen sind. Es müssen Rahmenbedingungen für die jeweilige Finanzierung in unterschiedlichen Politikfeldern geschaffen werden:
Institutionen sollten vor dem Hintergrund der sexuellen Schutz- und Freiheitsrechte pflegebedürftiger Menschen zur Entwicklung, Umsetzung und regelmäßigen Evaluierung eines jeweils einrichtungsspezifischen, umfassenden sexualpädagogischen Konzepts verpflichtet werden. Für diesen fortlaufenden Prozess, der Beratungen, Fortbildungen und Supervisionen einschließt, muss den Institutionen die entsprechende Finanzierung bereitgestellt werden.
Ausbildungsstätten und Hochschulen sollte es ermöglicht werden, das Thema Sexualität im Pflegekontext nachhaltig in den Rahmenlehrplänen für Pflegeberufe zu verankern. An Hochschulen muss zudem die Forschung in diesem Feld unterstützt werden, etwa durch Förderlinien für neue interdisziplinäre Professuren und Forschungsprojekte. Ein Ansatzpunkt ist die Schnittstelle von Sexual-, Pflege- und Technikforschung, beispielsweise für die menschengerechte Entwicklung sexueller Assistenztechnologien, die autonome Selbstbefriedigung ermöglichen und auch die Partnersexualität bei körperlichen Beeinträchtigungen unterstützen können.
Menschen mit Pflegebedarf sind zur Wahrnehmung ihrer sexuellen Schutz- und Freiheitsrechte auf umfassende sexuelle Bildung angewiesen. Der Zugang zu entsprechenden sexuellen Bildungsangeboten sowie zu sexuellen Beratungsangeboten muss dementsprechend organisatorisch und finanziell gesichert werden – und zwar unabhängig davon, ob sie zu Hause oder in Einrichtungen leben. Regelmäßige aufsuchende Sexualberatung ist bei Weitem nicht überall selbstverständlich und muss finanziert werden. Über Sexualberatung hinaus benötigen Menschen mit Pflegebedarf zur tatsächlichen sexuellen Teilhabe entsprechende finanzielle Mittel, etwa um sich Angebote aus dem Bereich der Sexualtechnologien, der Sexualbegleitung oder Sexarbeit leisten zu können. Insbesondere bei Menschen, denen ohne sexuelle Assistenzkräfte oder Assistenztechnologien keinerlei autonome sexuelle Aktivität möglich ist, und die gleichzeitig nicht über ausreichende eigene finanzielle Mittel verfügen, bedeutet die bisherige Verweigerung jeglicher Kostenübernahme,
Trotz knapper öffentlicher Kassen und drohendem Pflegenotstand darf Sexualität in der Pflege nicht verdrängt oder als vermeintliches "Luxusproblem" abgetan werden. Denn: "Sex ist mehr als Sex": Sexualität berührt mit ihren Lust-, Beziehungs-, Identitäts- und Fruchtbarkeitsdimensionen zentrale Aspekte des Menschseins und der Lebensqualität.