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(Not) Made in Germany? | Gaming | bpb.de

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(Not) Made in Germany? Annäherungen an die deutsche Digitalspielbranche

Felix Zimmermann

/ 19 Minuten zu lesen

Deutschland ist der wichtigste europäische Absatzmarkt für digitale Spiele. Die deutsche Branche profitiert jedoch nur zu einem kleinen Teil davon. In den vergangenen Jahren hat sie aber an Stellenwert gewonnen und erfreut sich wachsender politischer Unterstützung

Computer- und Videospiele beziehungsweise "digitale Spiele" – so der wissenschaftliche Begriff – sind ein globales Phänomen. Wenn in diesem Beitrag also nach dem Stellenwert digitaler Spiele und der Digitalspielbranche in Deutschland gefragt wird, dann ist die deutsche stets als Teil einer internationalen Branche zu betrachten. Spielehersteller wie Activision Blizzard, Electronic Arts oder Ubisoft produzieren mittlerweile weltweit und zunehmend aufwändig. Digitale Spiele werden häufig parallel in mehreren Studios auf verschiedenen Kontinenten entwickelt, und die Produktionskosten einzelner Spieltitel können durchaus mehrere hundert Millionen US-Dollar betragen. Mit genauen Zahlen zu Produktions- und Marketingbudgets halten sich die maßgeblichen Akteur*innen der Branche in der Regel zwar zurück; einen Eindruck vom Ausmaß der prominenten Großproduktionen vermitteln aber die Meldungen immer neuer Umsatzerfolge, die den Einspielergebnissen von Hollywood-Filmproduktionen in nichts nachstehen: So spielte beispielsweise das Wildwest-Adventure-Game "Red Dead Redemption 2" im Oktober 2018 in nur drei Tagen über 725 Millionen US-Dollar ein – das bis dahin zweiterfolgreichste Release eines Unterhaltungsproduktes überhaupt und überboten nur von einem weiteren Spiel, "Grand Theft Auto V", das 2013 in den ersten drei Tagen nach seiner Veröffentlichung sogar über eine Milliarde US-Dollar eingebracht hatte.

Wie lässt sich die deutsche Digitalspielbranche in diesen internationalen Kontext einordnen? Zwischen Leuchtturmprojekten wie "Grand Theft Auto" und ersten Programmierversuchen am heimischen Rechner gibt es zahllose Ausprägungen digitaler Spiele, die auch ohne Millionenbudgets Impulse setzen und zu einer großen Spieler*innenschaft gelangen können. Auch aus Deutschland kommen solche Spiele, die von multinationalen Teams aus Designer*innen, Produzent*innen, Grafiker*innen, Programmierer*innen, Autor*innen, Komponist*innen und Tester*innen erstellt werden (im Folgenden schlicht zusammengefasst als Entwickler*innen) – und auch hierzulande hat die Branche in den vergangenen Jahren sowohl kulturell als auch wirtschaftlich und politisch deutlich an Bedeutung gewonnen.

Zur Annäherung an die Digitalspielbranche werde ich zunächst einen Überblick über die zentralen Akteur*innen geben und beschreiben, wie bestimmte Diskurse die deutsche Digitalspiellandschaft geprägt haben. Anschließend werde ich auf die wirtschaftliche (und damit politische) Bedeutung der Games-Branche eingehen und Deutschland als Produktionsstandort und Umsatzmarkt für digitale Spiele näher beleuchten, um abschließend einen kurzen Ausblick zu geben.

Maßgebliche Player und Arenen

Das Gravitationszentrum der deutschen wie der globalen Digitalspielbranche sind die Spieler*innen selbst, die durch ihre kontinuierlich steigende Zahl für eine zunehmende gesellschaftliche Durchdringung und wachsende Bedeutung des Mediums sorgen. Dem Jahresreport 2018 der deutschen Games-Branche zufolge spielen 42 Prozent der Deutschen mindestens "gelegentlich" digitale Spiele, 35 Prozent "regelmäßig".

Abbildung 1: Nutzer*innen von Computer- und Videospielen, die mindestens "gelegentlich" spielen, 2018 (© Jahresreport der deutschen Games-Branche 2018, S. 8, Berechnungen auf Grundlage des GfK Consumer Panels (2016/2017; n = 25 000); eigene Darstellung.)

Das entspricht rund 34 Millionen Spieler*innen, von denen – entgegen dem gängigen Klischee von fast ausschließlich männlichen Gamern – 47 Prozent weiblich sind. Auch die Angaben zum Alter der Spieler*innen entsprechen nicht dem verbreiteten Vorurteil, dass digitale Spiele vor allem von Kindern und Jugendlichen genutzt werden: Im Schnitt sind Spieler*innen in Deutschland 36,1 Jahre alt, und die Über-50-Jährigen, die sogenannten silver gamer, stellen mit einem Anteil von 28 Prozent beziehungsweise 9,5 Millionen Menschen sogar die größte Altersgruppe. Zum Vergleich: Der Anteil der 10- bis 19-Jährigen, der 20- bis 29-Jährigen, der 30- bis 39-Jährigen und der 40- bis 49-Jährigen liegt jeweils bei 15 bis 17 Prozent (Abbildung 1). Was die beliebtesten Spiele-Plattformen angeht, sind mobile Geräte weiter auf dem Vormarsch: Inzwischen wird häufiger auf Smartphones gespielt als auf PCs.

Weitere wichtige Akteur*innen sind die Produzent*innen von Spielen. In Deutschland sind über 11.700 Beschäftigte bei Entwickler*innen und Publishern tätig, verteilt auf 524 Unternehmen. Zählt man Beschäftigte bei Dienstleistern, im Handel, bei Bildungseinrichtungen, Medien und im öffentlichen Sektor mit Bezug zur Games-Branche hinzu, kommt man auf über 28.700 Menschen, die ihren Lebensunterhalt in diesem Sektor verdienen. Am stetig wachsenden Umsatz auf dem deutschen Games-Markt, der inzwischen über drei Milliarden Euro schwer ist, partizipieren deutsche Publisher und Entwickler*innen indes nur zu einem geringen Anteil. Lange Zeit wurde die Digitalspielbranche in Deutschland von zwei Lobbyverbänden vertreten, dem Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) und dem (in der Eigenbezeichnung großgeschriebenen) GAME – Bundesverband der deutschen Games-Branche. Anfang 2018 wurde schließlich eine Fusion dieser beiden Verbände vollzogen, die vier Jahre zuvor noch gescheitert war. Die Interessen großer Teile der deutschen Digitalspielbranche werden nun durch den (in der Eigenbezeichnung kleingeschriebenen) game – Verband der deutschen Games-Branche vertreten. Eigenen Angaben zufolge zählt der Verband über 230 Mitglieder, "darunter Entwickler, Publisher, eSports-Veranstalter, Bildungseinrichtungen und Dienstleister". In der Besetzung des Vorstands aus Vertreter*innen einiger Global Player sowie von kleinen und mittelgroßen deutschen Studios zeigt sich eine neue Stoßrichtung der Branche in Deutschland, die unabhängig von Größe und finanzieller Ausstattung der jeweiligen Studios als Einheit auftreten möchte, um ihren Forderungen in den politischen Zentren des Landes mehr Gehör zu verschaffen.

Game ist Gesellschafter der für die Altersfreigaben zuständigen Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) und der Stiftung Digitale Spielekultur sowie Träger der jährlichen Messe "Gamescom" und des Deutschen Computerspielpreises (DCP). Letzterer wurde erstmals 2009 zur Förderung der deutschen Games-Branche ausgelobt und zunächst gemeinsam mit dem beziehungsweise der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien verliehen, seit 2014 mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Im kommenden Jahr wird der DCP erstmals mit dem Bundespresseamt veranstaltet, womit er noch näher ans Kanzleramt heranrückt. Dennoch vertritt Game letztlich nicht die gesamte Digitalspielbranche: Als Zusammenschluss von Unternehmen vertritt der Verband vor allem Arbeitgeber- und nicht Arbeitnehmerinteressen. Als Wirtschaftsverband ist er damit etwa vergleichbar mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Um in diesem Bild zu bleiben: Einen gleichwertigen Verband deutscher Schriftsteller*innen für die deutsche Digitalspielbranche, der sich stärker für künstlerische, arbeits- oder verwertungsrechtliche Interessen von Berufsgruppen in der Branche einsetzen könnte, gibt es bislang nicht.

Auch der deutsche Digitalspieljournalismus hat sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. Mittlerweile können Spieler*innen aus diversen, unterschiedlich ausgerichteten journalistischen Formaten wählen, die sich im Spannungsfeld zwischen sogenanntem new und old games journalism bewegen, das heißt zwischen stärker subjektivierenden Erlebnisberichten und objektivierenden Produktrezensionen. Zu den wichtigsten Lesemedien gehören das Magazin "Gamestar", das Bookazine "WASD", das Online-Magazin "Games Wirtschaft" und das "Gain Magazin". Außerdem gibt es eine wachsende Zahl an Podcasts verschiedener Stoßrichtungen, darunter langjährige Vertreter wie "Insert Moin" oder das kulturwissenschaftliche Format "Pixeldiskurs". Die bis Ende 2014 auf dem Musiksender MTV ausgestrahlte Fernsehsendung "Game One" ist im Livestream-Kanal Rocket Beans TV aufgegangen, der rund um die Uhr auf verschiedenen Online-Plattformen sendet. Auch in den klassischen Print- und Online-Medien von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" über "Spiegel Online" bis zu "Die Zeit" werden digitale Spiele inzwischen besprochen, obgleich noch immer weitaus seltener als etwa Literatur oder Kinofilme. Im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt es seit 2016 das Magazin "Game Two", das im Auftrag von ARD und ZDF produziert und auf Rocket Beans TV und Youtube ausgestrahlt wird, zudem die Sendung "Art of Gaming" auf dem deutsch-französischen Kultursender Arte.

Zwar nicht im Sinne einer journalistisch vermittelten, kritischen Öffentlichkeit, dafür aber umso einflussreicher sind vor allem Youtuber*innen und Streamer*innen, die sich mit digitalen Spielen auseinandersetzen. Ein beliebtes Format sind die sogenannten Let’s-play-Videos, in denen Spieler*innen ihre Spieldurchläufe aufzeichnen und dabei direkt kommentieren. Über Plattformen wie Youtube oder Twitch finden solche Videos Tausende Zuschauer*innen. Einer der ersten deutschen Youtuber, der erheblichen Anteil am Erfolg solcher Videos hatte und hat, ist Erik Range, bekannt unter dem Pseudonym Gronkh, der mit 4,8 Millionen Abonnent*innen auf Youtube der reichweitenstärkste Let’s-Player Deutschlands ist. Ihre Reichweite macht die erfolgreichsten Streamer*innen auch für die Branche interessant: Mittlerweile werden sie häufig direkt von Publishern angefragt, um als Influencer*innen Spiele auf ihren Kanälen zu präsentieren.

Darüber hinaus finden Spieler*innen in Deutschland eine breite Event- und Festivalkultur zum Thema digitale Spiele vor. Weltweit bekannt ist die jährliche Messe "Gamescom" in Köln, deren Besucher*innenzahlen seit ihrer Gründung 2009 von 245.000 auf 370.000 im Jahr 2018 gestiegen sind. Gemessen an ihrer Ausstellungsfläche und Besucher*innenzahl ist die "Gamescom" die weltweit größte Messe für digitale Spiele, auf der es auch eine "Indie Arena Booth" gibt, in der kleine Entwickler*innenstudios ihre Spiele ausstellen können. Daneben gibt es einige, auch international renommierte Digitalspielfestivals in Deutschland, die sich auch und besonders den künstlerischen Ausprägungen des Mediums widmen. Zu nennen wäre hier beispielsweise das Festival "Play" in Hamburg, die "A Maze" im Rahmen der "Games Week Berlin" oder das "Next Level Festival" an wechselnden Standorten, zuletzt in Düsseldorf. Diese Festivals stehen stellvertretend für eine in Deutschland wachsende und international sehr gut vernetzte Szene an Entwickler*innen, die sich abseits kommerzieller Interessen mit digitalen Spielen als Form künstlerischen Ausdrucks auseinandersetzen.

In den vergangenen Jahren lässt sich zudem eine vermehrte museale und archivalische Praxis in Verbindung mit digitalen Spielen beobachten. Den Anfang machte bereits 1997 das Computerspielemuseum Berlin, das sich mit zahlreichen Wechselausstellungen, einer Dauerausstellung, Veranstaltungen und pädagogischen Angeboten dafür einsetzt, einem breiten Publikum "die Kultur und Geschichte von digitalen Spielen (…) zu vermitteln" und auf diesem Wege "das Verständnis von digitalen interaktiven Unterhaltungsmedien zu vertiefen und so die Medienkompetenz zu erhöhen". Das Museum ist zudem Partner der ebenfalls in Berlin beheimateten Internationalen Computerspielesammlung, deren Datenbank im April 2019 online gegangen ist und die zur weltweit größten Sammlung digitaler Spiele ausgebaut werden soll. Anfang 2019 kündigte die Direktorin des Deutschen Literaturarchivs Marbach schließlich an, künftig ebenfalls digitale Spiele sammeln zu wollen – zumindest solche, "die in hohem Maße Erzählstrukturen enthalten" –, da es sich bei Games "um die nächste mediale Stufe von Literatur" handele.

Vom "Killerspiel" zum "Kulturgut"

Die Diskussion um den Status des digitalen Spiels als Kulturgut, die durch die Ankündigung des Literaturarchivs neu angefacht wurde, schwelt bereits seit Langem. Dabei schien sie vor über einem Jahrzehnt – zumindest in einigen Schlagzeilen – bereits beendet. So titelte "Spiegel Online" im August 2008: "Jetzt offiziell. Computerspiele sind Kultur" und bezog sich dabei auf die Aufnahme des damaligen Branchenverbandes GAME in den Deutschen Kulturrat. Freilich lief die Diskussion auch anschließend weiter – aber schon die Entwicklung bis hierhin konnte von der Branche als entscheidender Fortschritt gewertet werden, denn lange Zeit und noch bis Anfang der 2010er Jahre wurden bestimmte digitale Spiele von einigen Vertreter*innen von Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik als Gefahr für die Jugend und die Gesellschaft dargestellt.

Unter dem Begriff "Killerspiel" wurden wirkmächtig all jene Spiele zusammengefasst, in denen das Töten von Menschen oder menschenähnlichen Figuren Kern der Spielerfahrung ist, wobei der Begriff in seiner Auslegung und Nutzung immer unscharf blieb. Besonders nach dem Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium 2002 und dem Amoklauf an der Albertville-Realschule in Winnenden sieben Jahre darauf wurde intensiv über ein Verbot sogenannter First-Person-Shooter beziehungsweise Ego-Shooter diskutiert, die vermeintlich zur Verrohung der Jugend beitrügen und das Töten trainieren würden. In dieser oft polemisch geführten Debatte wurde zudem ein normativer Kulturbegriff angelegt, der eine idealisierte Hochkultur von den als weniger wertvoll empfundenen digitalen Spielen abzugrenzen suchte. All dies trug unter anderem dazu bei, dass die deutsche Digitalspielbranche in jener Zeit in der Politik einen eher schweren Stand hatte.

Rückblickend ist jedoch festzustellen, dass sich die 2007 noch stark polarisierende Position des Kulturratsgeschäftsführers Olaf Zimmermann, "dass Gewalt nicht automatisch kulturlos" sei und dass es "ein Recht auf Schund"nicht nur in Literatur, Film und Musik, sondern eben auch im Kontext digitaler Spiele gebe, letztendlich in der Breite der Gesellschaft und vor allem auch politisch weitgehend durchgesetzt hat. So wurde die Aufnahme des Branchenverbandes in den Deutschen Kulturrat von Verfechtern des Mediums dankbar aufgenommen und als Beleg gewertet, dass digitale Spiele nun den Schritt zur Hochkultur gemacht hätten und deswegen politischer Aufmerksamkeit sowie finanzieller Förderung bedürfen. Die durch den "Killerspiel"-Diskurs angeregte breite Wirkungsforschung trug letztlich auch dazu bei, dass Forscher*innen verschiedenster Disziplinen zu einem differenzierten Blick auf Gefahren und Potenziale digitaler Spiele gelangten.

Während mit der Eröffnung der "Gamescom" durch Bundeskanzlerin Angela Merkel 2017 die Diskussion über den Kulturgutstatus des digitalen Spiels ein vorläufiges Ende gefunden zu haben scheint, wird weiterhin darüber diskutiert, ob digitale Spiele auch Kunst sein können. Diese Frage schwang bereits in der "Killerspiel"-Debatte mit, wurden Verbotsforderungen doch mit Verweisen auf die Kunstfreiheit erwidert. Die USK hat diese Frage für sich bereits entschieden: Im August 2018 kündigte sie an, im Verfahren zur Altersfreigabe von Spielen künftig die Sozialadäquanzklausel des §86a Abs. 3 Strafgesetzbuch einzubeziehen. "Damit können solche Computer- und Videospiele eine Altersfreigabe der USK erhalten, in denen die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen von den USK-Gremien als sozialadäquat beurteilt wird. Sozialadäquat bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Symbole verfassungsfeindlicher Organisationen in einem Titel verwendet werden können, sofern dies der Kunst oder der Wissenschaft, der Darstellung von Vorgängen des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient." Wie in Filmen, die als Kunstform etabliert sind, können künftig also auch in digitalen Spielen zum Beispiel Hakenkreuze gezeigt werden, sofern die genannten Kriterien erfüllt sind und ein digitales Spiel als künstlerischer Ausdruck gewertet wird.

Zu einer Herausforderung für die Branche könnte in den nächsten Jahren indes die Diskussion um das Thema Digitalspielsucht beziehungsweise problematische Mediennutzung werden. Nicht zuletzt wegen des durchschlagenden Erfolgs des 2017 erschienenen sogenannten Battle-Royale-Spiels "Fortnite", einem Shooter in Comic-Optik, wird wieder vermehrt über das verführerische Potenzial von digitalen Spielen gesprochen – im Falle von "Fortnite" auch im Zusammenhang mit der Darstellung von Gewalt. Seit 2018 führt die Weltgesundheitsorganisation in ihrer Klassifikation von Krankheiten und Gesundheitsproblemen "Gaming Disorder" als eigenständige Diagnose. Zwar kritisieren Forscher*innen, dass es an qualitativ hochwertigen Studien und trennscharfen Kriterien zur Feststellung einer solchen "Digitalspielstörung" fehle, doch gibt es auch in dieser Diskussion – der "Killerspieldebatte" ähnlich – viel Raum für Vereinfachungen und Pauschalisierungen.

Allerdings ist die öffentliche Debatte darüber von größter Wichtigkeit, denn sie erhöht den gesellschaftlichen Druck auf große Publisher, die durchaus problematische Spielmechaniken mit Suchtpotenzial einsetzen. Zu diesen zählen beispielsweise die sogenannten lootboxes, bei denen Spieler*innen – zumeist im Tausch gegen spielinterne Währungen oder echtes Geld – auf Zufallsbasis Gegenstände erwerben, die im Spielkontext nutzbar sind. Kritiker*innen vergleichen diese Mechaniken mit Spielautomaten oder Roulette. 2018 erklärten sowohl die Niederlande wie auch Belgien einige dieser lootboxes zu Glücksspiel und zwangen Publisher dazu, sie anzupassen oder aus Spielen wie "Fifa 18" zu entfernen. Publisher wie Electronic Arts sehen diese Mechaniken lieber in Verwandtschaft mit "Überraschungseiern" statt mit Glücksspiel und beschreiben sie als ethisch vertretbar und unterhaltsam, um Regulierungen und Verboten in weiteren Ländern zu entgehen. Eine öffentliche Debatte ist also auch deshalb notwendig, damit die die zurecht kritisierten Mechaniken nicht zu Pauschalurteilen über das Medium an sich führen und die Ursachen und Ausprägungen problematischer Mediennutzung differenziert betrachtet werden.

Im Koopmodus: Wirtschaft und Politik

Dass die deutsche Digitalspielbranche sich mittlerweile stärkerer politischer Unterstützung erfreut, zeigt sich unter anderem am Deutschen Computerspielpreis, der als ein Inszenierungsinstrument der guten Beziehungen zwischen Branche und politischen Entscheidungsträger*innen gedeutet werden kann. Derart öffentlichkeitswirksam treffen Vertreter*innen der Branche, des Bundes und der Länder sonst selten aufeinander. Dennoch konnte der Preis bislang kaum die erhoffte gesamtgesellschaftliche Strahlkraft entfalten, weshalb verschiedene Anpassungen im Gespräch sind. Zu klären ist beispielsweise, ob der Preis langfristig als Wirtschafts- und Förderpreis bestehen kann oder ob eine Neuaufstellung als Kulturpreis vonnöten ist, um der deutschen Computerspielbranche national wie international zu mehr Anerkennung zu verhelfen.

Wesentlich handfester manifestiert sich der gewachsene Stellenwert der Digitalspielbranche durch Vereinbarungen im aktuellen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, die explizit auf die Förderung der Branche zielen: So wolle man zum einen den E-Sport, also das wettbewerbsmäßige Spielen digitaler Spiele, "künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen und bei der Schaffung einer olympischen Perspektive unterstützen". Zum anderen wolle man "seitens des Bundes eine Förderung von Games zur Entwicklung hochwertiger digitaler Spiele einführen, um den Entwicklerstandort Deutschland zu stärken". Auch die Stärkung und Weiterentwicklung des Deutschen Computerspielpreises ist im Koalitionsvertrag verankert. Dahinter steht nicht nur die Hoffnung auf wachsende Steuereinnahmen aus den Umsätzen einer lukrativen Branche, sondern auch auf technologische Innovationen (etwa auf dem Gebiet der Virtual Reality), die sich auf andere Bereiche übertragen lassen.

Erste Maßnahmen wurden bereits eingeleitet: 2019 ist im Bundeshaushalt erstmals ein Budget für die Förderung digitaler Spiele enthalten, insgesamt stehen 50 Millionen Euro zur Verfügung. Bis Ende August 2019 können sich Digitalspielunternehmen beim BMVI für eine sogenannte De-minimis-Beihilfe um bis zu 200.000 Euro Bundesförderung bewerben. Nach einer Pilotphase soll auch mit größeren Summen gefördert werden können, was jedoch die Zustimmung der Europäischen Kommission erfordert. Die Klassifizierung digitaler Spiele als Kulturgut ist hier von unmittelbarer Relevanz: Das Notifizierungsverfahren auf europäischer Ebene sieht für Kulturförderung einen sogenannten Kulturtest vor. "Dieser Kulturtest soll wettbewerbsverzerrende Beihilfen verhindern und ist eine EU-Vorgabe, wie es sie auch in anderen Branchen und Ländern gibt. Anhand einer Art Checkliste muss eine vorgegebene Punktzahl mit Blick auf Spielinhalte, Entwickler-Team und kulturellem Hintergrund erreicht werden." Das heißt, nur Spiele, die diesen Test bestehen, können auch gefördert werden.

Die Bundesförderung ist insofern ein Novum, als der Bund bisher nur indirekt in die Produktion digitaler Spiele investierte, etwa über die Preisgelder des Computerspielpreises, die zur Hälfte von der Branche selbst getragen werden. So konnten Entwickler*innen bisher nur auf die Fördermechanismen der Länder zurückgreifen, beispielsweise den Film-Fernseh-Fonds Bayern oder die Film- und Medienstiftung NRW. Entscheidend ist, dass jene Mittel aus der Länderförderung in der Regel als "bedingt rückzahlbare Darlehen" vergeben werden, also zurückgezahlt werden müssen, sobald Gewinne erwirtschaftet werden. Die Digitalspielförderung des Bundes ist wiederum als "nicht rückzahlbarer Zuschuss" konzipiert, ist also ein Subventionsinstrument. Mit dem Fördervolumen von 50 Millionen Euro ordnet sich Deutschland international zwischen Frankreich mit 12 Millionen Euro, Großbritannien mit 44,5 Millionen Euro und dem kanadischen Bundesstaat Québec mit 110 Millionen Euro ein.

Abbildung 2: Handelsumsatz der Computer- und Videospielindustrie im Vergleich zu anderen Kultur- und Kreativbranchen in Deutschland, 2015, in Milliarden Euro (© Oliver Castendyk/Jörg Müller-Lietzkow, Die Computerund Videospielindustrie in Deutschland, S. 90, eigene Darstellung.)

Dass eine Förderung der deutschen Digitalspielbranche für notwendig erachtet wird, erschließt sich, wenn man die Umsatzzahlen der vergangenen Jahre in den Blick nimmt. So ist Deutschland im internationalen Vergleich ein höchst relevanter Markt für digitale Spiele und damit verbundene Produkte wie Hardware, Software oder Mikrotransaktionen in den Spielen. 2017 wurden in Deutschland 3,3 Milliarden Euro mit digitalen Spielen und entsprechender Hardware umgesetzt, was im Vergleich zum Vorjahr ein Wachstum von 15 Prozent bedeutet. Dem niederländischen Marktforschungsunternehmen Newzoo zufolge waren es 2018 bereits 4,1 Milliarden Euro, womit der deutsche Markt im internationalen Vergleich nur hinter den chinesischen (33,5 Milliarden Euro), US-amerikanischen (26,9 Milliarden Euro), japanischen (17 Milliarden Euro) und südkoreanischen (4,9 Milliarden Euro) Märkten liegt. Damit ist Deutschland der wichtigste europäische Absatzmarkt für digitale Spiele, und weiteres Wachstum ist zu erwarten. Zum Vergleich: Der Kinofilmmarkt setzte in Deutschland 2015 etwas über 1,1 Milliarden Euro um, der Musikmarkt rund 1,5 Milliarden Euro. Nur die deutsche Buchbranche ließ mit rund 9,2 Milliarden Euro Umsatz die Digitalspielbranche auf dem Entertainmentmarkt hinter sich (Abbildung 2).

Allerdings können deutsche Entwickler*innen von diesen erheblichen Umsätzen bislang kaum profitieren: Deutsche Spieleentwicklungen hatten 2017 nur einen Anteil von 5,4 Prozent am Gesamtumsatz mit digitalen Spielen in Deutschland, Tendenz fallend. Das Gros wird von internationalen Entwickler*innen und Publishern umgesetzt, die ihre Produkte auf dem deutschen Markt vertreiben. Nur wenige deutsche Spiele können mit internationalen Großproduktionen mithalten, darunter zuletzt beispielsweise "Shadow Tactics: Blades of the Shogun" vom Münchner Entwickler*innenstudio Mimimi Productions, "The Surge" vom Studio Deck13 aus Frankfurt am Main, "Elex" von Piranha Bytes aus Essen oder "Anno 1800" von Ubisoft Bluebyte Mainz. Etwas im Ausmaß Vergleichbares zum eingangs erwähnten "Grand Theft Auto V" oder "Red Dead Redemption 2" gibt es aus Deutschland nicht. So kommt der Verband Game auch in seinem Jahresreport 2018 noch zu dem Schluss, dass "sich die deutsche Games-Branche seit mehreren Jahren in einer schwierigen Situation" befinde, die vor allem auf "im internationalen Vergleich schlechte Rahmenbedingungen" zurückzuführen sei.

Ungeachtet von der Frage, ob staatliche Interventionen überhaupt dazu geeignet sind, den Abstand zu den erfolgreichsten Global Playern aufzuholen, plant Game fest mit den Bundessubventionen und fordert eine Verstetigung dieses Instruments sowie eine Erhöhung der Fördersumme. Im Ende Juni 2019 vorgestellten vorläufigen Entwurf des Bundeshaushalts für 2020 sind jedoch überraschend keinerlei Mittel mehr für eine Games-Förderung enthalten, was seitens des Verbandes auf Unverständnis und Kritik stößt.

Wer in Deutschland in die Digitalspielbranche einsteigen möchte, kann laut Branchenverzeichnis "Gamesmap" aus 112 Bildungseinrichtungen wählen, die Studiengänge und Fortbildungen zum Themenbereich anbieten. Einer aktuellen Studie zufolge fehlt es der Digitalspielbranche jedoch an qualifizierten Fachkräften, was auch kleine und mittlere Entwicklungsfirmen dazu zwinge, Personal im Ausland anzuwerben. Vor allem staatliche Hochschulen hätten die Bedeutung digitaler Spiele unterschätzt, sodass in Deutschland vor allem private Anbieter die Ausbildung qualifizierter Entwickler*innen übernommen hätten. Erst allmählich würden auch staatliche Hochschulen und Universitäten aktiv. Es zeigt sich somit, dass Deutschland trotz der zuletzt verstärkten Bemühungen sowohl im Hinblick auf die Förder- als auch auf die Ausbildungssituation im internationalen Vergleich noch einigen Nachholbedarf hat.

Ausblick

Ob und wie der Digitalspielstandort Deutschland langfristig international aufschließen und mithalten kann, wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen. Breitere Ausbildungs- und Fördermöglichkeiten brauchen Zeit, um Wirkung zu entfalten. Allerdings ist fraglich, ob die Produktionsstudios, die in hyperkompetitiven Zeiten die Grenzen des menschlich Machbaren und des arbeitsrechtlich Vertretbaren ausdehnen, tatsächlich nachahmenswerte Vorbilder sind. So setzte der Spitzentitel "Red Dead Redemption 2" nicht nur neue Maßstäbe, was das Medium an sich angeht. Die Produktion des Spiels zeigte auch, was die Entwicklung der immer größer und fotorealistischer werdenden virtuellen Welten den Menschen abverlangt, die sie produzieren. So ist es kein Zufall, dass sich in der Games-Branche der Begriff crunch (englisch für "zermalmen", "knirschen", aber auch "Krise") für die Endphase einer Produktion etabliert hat, in der angesichts der nahenden Veröffentlichung eines Spiels die Arbeitszeiten von den Studios in bedenklicher Weise massiv ausgedehnt werden. Auch aus Deutschland gibt es Berichte über derartige Praktiken, wenn auch bislang nicht im selben Maße wie beispielsweise bei "Red Dead Redemption 2".

Es bedarf daher auch in der Digitalspielbranche einer vitalen organisierten Interessenvertretung der Entwickler*innen, so wie es sie in anderen Kulturbranchen für die Kulturschaffenden bereits gibt. Nicht zuletzt aufgrund der erschreckenden Berichte über institutionalisierten crunch in den Digitalspielstudios auf der ganzen Welt und besonders in den USA entstand 2018 die internationale Organisation Game Workers Unite (GWU), die sich für faire Arbeitsbedingungen in der Games-Branche einsetzt. Zwar (noch) nicht als Gewerkschaft, aber zumindest als selbstorganisiertes Netzwerk hat die GWU mittlerweile Ableger auf der ganzen Welt, unter anderem auch in Deutschland.

Die Digitalspielbranche in Deutschland ist von Umbrüchen und Konsolidierungsprozessen geprägt. Das Fundament der Branche, die sich nach weiterer Anerkennung und internationaler Konkurrenzfähigkeit sehnt, ist die breite und weiter wachsende gesellschaftliche Basis aus immer mehr Spieler*innen. Digitalspielkultur wird in Deutschland in Form diverser Praktiken gelebt; digitale Spiele und ihre Produktionsbedingungen sind in zunehmendem Maße Gegenstand zivilgesellschaftlicher sowie politischer Auseinandersetzung. Diskussionen und Kontroversen werden die Entwicklung der Branche auch in Zukunft begleiten. Doch das gehört dazu, wenn man endgültig kein Nischenphänomen mehr ist, sondern immer mehr zu einem wichtigen Bestandteil der deutschen Wirtschaft sowie des kulturellen und politischen Alltags wird.

ist Stipendiat der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne. Seine Forschung zu digitalen Spielen bewegt sich an der Schnittstelle von Public History und Game Studies. E-Mail Link: kontakt@felix-zimmermann.net