Einleitung
Neben der Einführung von Studiengebühren und der Auszeichnung von Spitzenuniversitäten wird kaum ein Aspekt der Hochschulreform so intensiv in den deutschen Medien diskutiert wie die Umstellung auf die Abschlüsse "Bachelor" und "Master". Die bekannten Studienabschlüsse "Diplom", "Magister" und teilweise sogar "Staatsexamen" werden sukzessive ersetzt durch englischsprachige Titel, die Struktur der Studiums dahingehend verändert, dass ein erster berufsqualifizierender Abschluss (Bachelor) schon nach meist drei Jahren, ein zweiter (Master) dann nach weiteren meist zwei Jahren vergeben wird.
Die einen sehen in der Reform die Chance, dass Deutschland den Anschluss an internationale Entwicklungen findet und Probleme des deutschen Hochschulsystems wie überlange Studiendauer, hohe Abbrecherquoten und geringe Orientierung an den Bedürfnissen der Studierenden überwindet.
Dieser Beitrag stellt die Merkmale der deutschen Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge (BMS) in den europäischen Kontext und kontrastiert sie mit Entwicklungen in den Hochschulsystemen der Niederlande, Frankreichs und Großbritanniens. Dabei ist es das Ziel, Missverständnisse in der Reformdiskussion aufzuklären und die Besonderheiten der deutschen Umsetzung der Reformen herauszuarbeiten. Dazu rekapituliere ich die Anfänge der Einführung von Bachelor-Master-Studiengängen (BMS) im Jahr 1998 und frühe Weichenstellungen der Kultusministerkonferenz (KMK) im Jahr 1999, bevor ich eine Reihe von Gestaltungsmerkmalen der Studienstrukturreform in Deutschland im Spiegel europäischer Entwicklungen beleuchte.
Die Anfänge
Den Kontext für die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge in Deutschland bildet der Bologna-Prozess. Dessen Anfänge lassen sich auf die Sorbonne-Erklärung vom Mai 1998 zurückführen. Auf Initiative des französischen Bildungsministers Claude Allègre unterschrieben seine Amtskollegen aus Italien, Deutschland und Großbritannien das ambitionierte Ziel der "Harmonisierung der Architektur des Europäischen Hochschulsystems" und konstatierten die Herausbildung eines "Systems, in dem zwei Hauptzyklen, undergraduate und graduate, zum Zwecke internationaler Vergleiche und Äquivalenz anerkannt sind".
Diese wichtige Erklärung hat aber keinesfalls die Einführung von BMS in Deutschland ausgelöst. Vielmehr war damals bereits eine lange vorbereitete, entscheidende Novelle des Hochschulrahmengesetzes auf dem Weg, welche die Einführung der neuen Abschlüsse "zur Erprobung" erlaubte
Aber die europäische Dimension der Reform ließ bald eine von den Initiatoren selbst ungeahnte Dynamik entstehen. Nur ein Jahr später, im Juni 1999, vereinbarten 29 europäische Bildungsminister von Ländern innerhalb und außerhalb der Europäischen Union (EU) ein ähnliches Ziel, wie es die vier Minister an der Sorbonne ins Auge gefasst hatten. Wieder war die Rede von der "Einführung eines Systems, das sich im Wesentlichen auf zwei Hauptzyklen stützt: undergraduate und graduate." Als "Regelvoraussetzung für die Zulassung zum zweiten Zyklus" wurde "der erfolgreiche Abschluss des ersten Studienzyklus" definiert, "der mindestens drei Jahre dauert. Der nach dem ersten Zyklus erworbene Abschluss soll eine für den europäischen Arbeitsmarkt relevante Qualifikationsebene attestieren. Der zweite Zyklus soll, wie in vielen europäischen Ländern, mit dem Master und/oder der Promotion abschließen."
Trotz dieser Offenheit bezüglich der Ausgestaltung im Erklärungstext entwickelte der Bologna-Prozess einen starken Einfluss auf den Fortgang der Reformen in den einzelnen Ländern. Er wurde vielfach herangezogen, um nationale Ausgestaltungen zu legitimieren, die auf europäischer Ebene nicht schriftlich festgelegt sind.
Wichtig für das Verständnis der Reformdebatte ist die Tatsache, dass in Deutschland wesentliche Weichenstellungen zur Ausgestaltung der Bachelor-Master-Struktur vorgenommen wurden, bevor überhaupt eine politische Entscheidung zur konsequenten Umstellung getroffen worden war. Dazu gehört die Definition des Bachelor als erster "berufsqualifizierender" Abschluss, der selektive Zugang zum Master, die Annäherung von Universitäten und Fachhochschulen und die Schaffung eines dezentralen - und im Effekt wettbewerblichen - Akkreditierungssystems. All dies wurde entweder schon im HRG 1998, der KMK-Entscheidung zum Akkreditierungssystem von 1998 oder in der ersten Fassung der KMK-Strukturvorgaben von 1999 festgehalten.
Berufsqualifizierender Bachelor
Die Definition des Bachelor als erster berufsqualifizierender Abschluss ist eines der umstrittensten Elemente der Reform. In vielen Professionen sind Berufsbilder und auch formale Berufszugänge an die traditionellen Abschlüsse auf Master-Niveau geknüpft. Die Chancen der Bachelor-Absolventen stehen und fallen daher mit dem Paradigmenwandel auf dem Arbeitsmarkt.
Abgeleitet wurde das Ziel der Berufsqualifizierung zum einen aus dem Anspruch, den Bachelor als echten Studienabschluss zu etablieren - nicht nur als Zwischenprüfung wie das traditionelle Vordiplom. Zudem sind sämtliche Diplom- und Magisterabschlüsse seit jeher als berufsqualifizierend definiert, auch wenn beileibe nicht jeder Magister in Archäologie und Philosophie diesem Anspruch gerecht wurde. Bei den neuen Bachelor-Studiengängen wurde der Anspruch ernster genommen als jemals zuvor. Weiterhin wurde die Betonung der Berufsqualifizierung mit der Bologna-Erklärung legitimiert, obwohl dort nur das vage Ziel zu finden ist, der nach dem ersten Zyklus erworbene Abschluss möge "relevant für den europäischen Arbeitsmarkt" sein. Pate standen nicht zuletzt die angelsächsischen Länder, in denen traditionell die Mehrheit der Absolventen die Hochschulen mit dem Bachelor-Abschluss verlässt, um aber oftmals später für ein Masterstudium zurückzukehren.
Wenn man sich allerdings die Umsetzung in den Niederlanden und in Frankreich anschaut, wird deutlich, dass die formale Festschreibung des (universitären) Bachelor als berufsqualifizierender Abschluss keinesfalls selbstverständlich ist. In den Niederlanden ist dies nicht der Fall; im Gegenteil, es ist die gemeinsame Sorge von Politik, Arbeitgebern und Universitäten, genügend Absolventen auf Master-Niveau auszubilden. In Frankreich wurde im Zuge des Bologna-Prozesses die licence professionelle als berufsorientierte Abschlussvariante auf Bachelor-Niveau etabliert, die aber ein Nischendasein neben der weiterhin allgemeinbildenden licence fristet. Dies bedeutet nicht, dass in beiden Ländern nicht Absolventen auf Bachelor-Niveau in den Arbeitsmarkt einträten oder dass keine Bemühungen um eine Studienreform stattfänden. Nur wird die Etablierung des ersten universitären Abschlusses auf dem Arbeitsmarkt stärker der Marktentwicklung überlassen und weniger dekretiert - ein Vorgehen, das die in Deutschland auftretenden Akzeptanzprobleme vermeidet, ohne unterm Strich zu einem anderen Ergebnis führen zu müssen.
Zudem rückt das niederländische und französische Vorgehen andere Vorteile des Bachelor-Abschlusses in den Vordergrund: Auch wenn nicht die Mehrheit der Bachelor-Absolventen die Hochschule verlässt, erfüllt der Abschluss eine wichtige Funktion als Schnittstelle für nationale und internationale Mobilität, ähnlich wie bisher für Deutschland das Vordiplom. Er kann darüber hinaus die fachliche Um- oder Neuorientierung ohne Zeitverlust ermöglichen und Interdisziplinarität fördern. Merkte bisher eine Studentin der Volkswirtschaftslehre nach vier Semestern, dass sie lieber Pädagogik studiert hätte, so musste sie noch fünf Semester bis zum Diplom durchhalten und dann ein ebenso langes Zweitstudium anhängen, oder sie wurde zur Studienabbrecherin. In der neuen Studienstruktur könnte sie einen Bachelor of Economics abschließen und dann beispielsweise einen interdisziplinären Master der vergleichenden Bildungsforschung anschließen.
Zugang zum Master
Ähnlich ist die Lage beim Zugang zum Master. Die schon in den KMK-Strukturvorgaben von 1999 angelegte und 2003 verschärfte Vorgabe, dass das Masterstudium neben einem abgeschlossenen Bachelorstudium weitere Qualifikationen (allen voran gute Noten) erfordert,
Annäherung der Hochschularten
Was das Verhältnis der Hochschularten betrifft, wurden in Deutschland frühzeitig ebenfalls verhältnismäßig weitreichende Entscheidungen getroffen: Fachhochschulen dürfen Abschlüsse auf Master-Niveau anbieten, und die Abschlusstitel werden nicht nach Hochschularten unterschieden.
In den Niederlanden, wo die hogescholen eine den Fachhochschulen nicht ganz vergleichbare Rolle spielen, ist die Konvergenz der Hochschularten im Zuge des Bologna-Prozesses viel weniger ausgeprägt: Bis auf Ausnahmen werden nur universitäre Masterstudiengänge staatlich finanziert, die Abschlusstitel "Master of Arts" und "Master of Science" sind "wissenschaftlichen" (d.h. traditionell universitären) Graden vorbehalten, und die Kriterien für die Akkreditierung dieser Grade sind so formuliert, dass hogescholen in der Praxis kaum eine Möglichkeit haben, diese anzubieten. In Frankreich, wo es traditionell eine tiefe Kluft zwischen Universitäten und grandes écoles gibt, wurde die Reform ähnlich wie in Deutschland dazu genutzt, die Hochschularten einander anzunähern, aber auf sehr viel vorsichtigere Weise. Mit dem grade de master wurde ein gemeinsamer "Dach-Abschluss" für Studiengänge von Universitäten und grandes écoles etabliert, ohne dass sich die dahinter stehenden Abschlüsse hätten verändern müssen - in Deutschland hätte man ein ähnliches Vorgehen wohl als "Umettiketierung" diskreditiert. Parallel dazu wurde an Universitäten ein diplôme de master mit anspruchsvollen Akkreditierungsvoraussetzungen eingeführt, die neben Modularisierung, der Einführung eines europäischen Leistungspunktesystems zur besseren Vergleichbarkeit des Arbeitsaufwands von Studienleistungen (European Credit Transfer System/ECTS) und Studienreformmaßnahmen auch vorsehen, dass das Masterstudium auf nachgewiesener Forschungsstärke aufbauen muss. Auch grandes écoles dürfen den Abschluss vergeben, wenn sie sich diesen Kriterien und einem staatlichen Prüfverfahren unterziehen. Dies ist zwar eine weitreichende Reform, bleibt aber in der Praxis der Ausnahmefall.
Pate für die Annäherung von Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland stand das britische Hochschulsystem. Dort sind die ehemaligen polytechnics schon 1992 ins universitäre System aufgenommen worden und spielen formal nach den gleichen Spielregeln und innerhalb der gleichen Rahmenbedingungen.
Wettbewerbliche Akkreditierung
Die Akkreditierung wurde in Deutschland als geradezu natürliches Pendant der neuen Studiengänge eingeführt. Sie löste die staatliche Genehmigung nach formalen Kriterien ab und sollte die Differenzierung der Studiengänge, die Wettbewerblichkeit des Systems und die internationale Profilierung unterstützen.
Das niederländische Akkreditierungssystem ist zwar auf den ersten Blick sehr ähnlich, doch hier fällt die nationale Akkreditierungsorganisation jede einzelne Akkreditierungsentscheidung, so dass der Zusammenhalt des Systems deutlich höher ist als in Deutschland. Auch mussten BMS, die direkt aus traditionellen Studiengängen hervorgingen, nicht eigens akkreditiert werden, da ihre Qualität als durch das vorhandene Evaluationssystem gesichert betrachtet wurde. Dies bedeutete deutlich geringere Engpässe im Übergang zum neuen Studiensystem.
In Frankreich kann man nicht von einem Akkreditierungssystem im eigentlichen Sinne sprechen, denn das Bildungsministerium entscheidet über jeden universitären Studiengang (die grandes écoles hatten bisher ihr eigenes Qualitätssicherungssystem außerhalb des staatlichen Einflusses). Im Turnus von vier Jahren müssen die Universitäten sämtliche Studienangebote zur habilitation vorlegen, und ihre Genehmigung ist an ein System von Zielvereinbarungen gekoppelt. Mit der Umstellung auf BMS (in Frankreich LMD: licence - master - doctorat) erfolgt die Überprüfung auf ganzheitlichere Weise, und die Universitäten werden zu eigenständigerer und vielfältigerer Studienangebotsgestaltung angeregt. In Großbritannien erfolgt die Qualitätssicherung des Studiums bis auf wenige Ausnahmen im Bereich bestimmter Professionen nicht durch Akkreditierung, sondern durch die Evaluation (review und audit) von Fachbereichen und ganzer Hochschulen und ihrer Qualitätssicherungssysteme (seit 2002 nur noch als audit ganzer Hochschulen). Diese werden von einer nationalen Qualitätssicherungsagentur durchgeführt.
Die Dezentralität und wettbewerbliche Verfasstheit des deutschen Akkreditierungssystems ist im internationalen Vergleich eine Besonderheit und bei weitem nicht die einzige Möglichkeit, ein nationales Qualitätssicherungssystem auszugestalten.
Studienreform
Das vielleicht wichtigste Ziel, das mit der Einführung von BMS in Deutschland verbunden wurde, ist die Studienreform. Von einer Verkürzung und besseren Strukturierung des Studiums und einer klaren Aussage der Hochschullehrer über die Lernziele erhofften sich die Befürworter der Reform eine Senkung der Abbrecherquoten sowie eine Verbesserung der Studierbarkeit und des Studienerfolgs. Zu den Veränderungen, die Studierende und Lehrende im Hochschulalltag zu spüren bekommen, gehören die Modularisierung des Studiums, die Einführung eines ECTS und die Einführung von studienbegleitenden Prüfungen.
Doch nicht überall werden diese Reformen von den Studierenden als Verbesserung erlebt: Mancherorts wird die Modularisierung derart gestaltet, dass sich die Studierenden in ihrer Fächerwahl eingeengt statt befreit fühlen. Wird bei der Einführung von ECTS kein Augenmerk auf die Kompatibilität gelegt, können Studienleistungen nicht unkomplizierter anerkannt werden als bisher. Wenn die an sichstudierendenfreundliche Idee begleitender Prüfungen zu kleinteilig umgesetzt wird, resultiert dies in einer Prüfungsflut. Der Stoff eines bisherigen Diplomstudiengangs passt nicht in einen dreijährigen Bachelor. Wo dennoch versucht wird, das gleiche Pensum in kürzerer Zeit unterzubringen, bedeutet dieseine Überforderung der Studierenden. Schlechte Koordination von Stundenplänen kann dazu führen, dass die notwendigen Module nicht innerhalb der Regelstudienzeit absolviert werden können.
Es ist wichtig festzuhalten, dass diese Umsetzungsschwierigkeiten oder -fehler wenig mit den Ideen des Bologna-Prozesses zu tun haben. Sie sind vielmehr Ausdruck dessen, wie weit das traditionelle deutsche Hochschulsystem von einer konsequenten Studierendenorientierung entfernt war und wie überfüllt die Universitäten in weiten Teilen sind. Sie rufen förmlich danach, der Studienreform deutlich mehr Aufmerksamkeit und Sorgfalt angedeihen zu lassen, als dies bisher der Fall ist. Dies wird im internationalen Vergleich sehr deutlich: In den Niederlanden, wo die Universitäten weniger überfüllt sind, die Studiengänge schon vor der Umstellung auf BMS modularisiert und mit Leistungspunkten versehen waren, wo studienbegleitendes Prüfen üblich war und die Studierbarkeit ein wichtiges Thema ist, bereiten diese Aspekte des Bologna-Prozesses keine Schwierigkeiten. In Frankreich hingegen sind ähnliche Themen wie in Deutschland akut, aufgrund ähnlicher Ausgangsprobleme. In Großbritannien gibt es zwar traditionell das Bachelor-Master-System, doch Modularisierung und ECTS sind mindestens so umstritten wie in Deutschland.
Fazit
Bis heute steht eine formale hochschulpolitische Entscheidung für die Bachelor-Master-Struktur auf nationaler Ebene aus, auch wenn inzwischen weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass die flächendeckende Umstellung auf BMS "unumkehrbar" ist.
Davon unbenommen ist die Umstellung auf BMS in vollem Gange: 36 Prozent der angebotenen Studiengänge tragen die neuen Titel (Stand Sommersemester 2006), und acht Prozent der Studierenden (Stand Wintersemester 2004/05) streben bereits die neuen Abschlüsse an.
Internetempfehlungen der Autorin
Externer Link: www.che.de
Externer Link: www.hrk-bologna.de
Externer Link: www.bmbf.de
Externer Link: www.akkreditierungsrat.de
Externer Link: www.dfes.gov.uk/bologna
Externer Link: www.bologna-bergen2005.no