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Die deutsche Umsetzung des Bologna-Prozesses | Hochschulpolitik | bpb.de

Hochschulpolitik Editorial Die Zukunft der Geisteswissenschaften Hochschulreform aus Sicht der Hochschulen Hochschulreform aus studentischer Perspektive Die deutsche Umsetzung des Bologna-Prozesses Neues Steuerungsmodell für die Hochschulen? Chancengleichheit trotz Studiengebühren: die USA als Vorbild?

Die deutsche Umsetzung des Bologna-Prozesses

Johanna Witte

/ 17 Minuten zu lesen

Bis 2010 sollen alle Studiengänge in Deutschland auf Bachelor und Mater umgestellt werden. Gut die Hälfte ist bereits geschafft; beim Rest mangelt es eher an Mitteln denn an Willen.

Einleitung

Neben der Einführung von Studiengebühren und der Auszeichnung von Spitzenuniversitäten wird kaum ein Aspekt der Hochschulreform so intensiv in den deutschen Medien diskutiert wie die Umstellung auf die Abschlüsse "Bachelor" und "Master". Die bekannten Studienabschlüsse "Diplom", "Magister" und teilweise sogar "Staatsexamen" werden sukzessive ersetzt durch englischsprachige Titel, die Struktur der Studiums dahingehend verändert, dass ein erster berufsqualifizierender Abschluss (Bachelor) schon nach meist drei Jahren, ein zweiter (Master) dann nach weiteren meist zwei Jahren vergeben wird.

Die einen sehen in der Reform die Chance, dass Deutschland den Anschluss an internationale Entwicklungen findet und Probleme des deutschen Hochschulsystems wie überlange Studiendauer, hohe Abbrecherquoten und geringe Orientierung an den Bedürfnissen der Studierenden überwindet. Andere hingegen befürchten den Ausverkauf deutscher Bildungstraditionen zugunsten eines "anglo-amerikanischen Modells", die Minderung des Anspruchs an ein Hochschulstudium und den Missbrauch der Reform für Einsparungen. Es wird in der Debatte zuwenig differenziert zwischen den prinzipiellen Chancen der neuen Studienstruktur, den auf europäischer Ebene formulierten Zielen, den Stärken und Schwächen der Ausgestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen oder der Umsetzung an einzelnen Hochschulen in Deutschland, "Kinderkrankheiten" des neuen Systems und tiefer liegenden Problemen des deutschen Hochschulsystems, die auch diese Reform nicht so einfach beheben kann. Gerne wird im gleichen Atemzug ein verklärtes Humboldt'sches Ideal beschworen, das in dieser Form schon lange nicht mehr an deutschen Hochschulen zu finden ist.

Dieser Beitrag stellt die Merkmale der deutschen Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge (BMS) in den europäischen Kontext und kontrastiert sie mit Entwicklungen in den Hochschulsystemen der Niederlande, Frankreichs und Großbritanniens. Dabei ist es das Ziel, Missverständnisse in der Reformdiskussion aufzuklären und die Besonderheiten der deutschen Umsetzung der Reformen herauszuarbeiten. Dazu rekapituliere ich die Anfänge der Einführung von Bachelor-Master-Studiengängen (BMS) im Jahr 1998 und frühe Weichenstellungen der Kultusministerkonferenz (KMK) im Jahr 1999, bevor ich eine Reihe von Gestaltungsmerkmalen der Studienstrukturreform in Deutschland im Spiegel europäischer Entwicklungen beleuchte.

Die Anfänge

Den Kontext für die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge in Deutschland bildet der Bologna-Prozess. Dessen Anfänge lassen sich auf die Sorbonne-Erklärung vom Mai 1998 zurückführen. Auf Initiative des französischen Bildungsministers Claude Allègre unterschrieben seine Amtskollegen aus Italien, Deutschland und Großbritannien das ambitionierte Ziel der "Harmonisierung der Architektur des Europäischen Hochschulsystems" und konstatierten die Herausbildung eines "Systems, in dem zwei Hauptzyklen, undergraduate und graduate, zum Zwecke internationaler Vergleiche und Äquivalenz anerkannt sind". Dies war das erste vorsichtige Bekenntnis zur "Bachelor-Master-Struktur" auf europäischer Ebene.

Diese wichtige Erklärung hat aber keinesfalls die Einführung von BMS in Deutschland ausgelöst. Vielmehr war damals bereits eine lange vorbereitete, entscheidende Novelle des Hochschulrahmengesetzes auf dem Weg, welche die Einführung der neuen Abschlüsse "zur Erprobung" erlaubte und die nur wenige Monate später, im August 1998, verabschiedet wurde. Mit den neuen Abschlüssen wurde die Hoffnung verbunden, Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität des deutschen Hochschulsystems zu erhöhen und tief greifende Studienreformen anzustoßen, die in den Jahren zuvor nicht gelungen waren: die Verkürzung der Studienzeiten (sie lagen damals an Universitäten bei fast sieben Jahren bis zum ersten Abschluss), die Senkung der Abbrecherquoten, die Erhöhung der Interdisziplinarität und eine stärkere Ausrichtung der Studieninhalte an den Interessen der Studierenden. All dies waren von vielen hochschulpolitischen Akteuren geteilte Reformziele. Allerdings bestand zu diesem Zeitpunkt weder die Absicht noch die Aussicht, die traditionellen Hochschulabschlüsse "Diplom", "Magister" und "Staatsexamen" in der Breite durch "Bachelor" und "Master" zu ersetzen. Die neuen Abschlüsse sollten vielmehr nur neben dem bewährten System probeweise zugelassen werden. Wenn damals überhaupt die Perspektive einer Umstellung auf BMS ins Auge genommen wurde, dann nur, wenn sich die neuen Abschlüsse im Wettbewerb gegenüber den traditionellen Abschlüssen durchsetzen würden. Folglich war die Einführung von BMS wenig umstritten - sie bedrohte nichts und niemanden, eröffnete aber innovationsfreudigen Professoren und Professorinnen neue Möglichkeiten zur Profilierung.

Aber die europäische Dimension der Reform ließ bald eine von den Initiatoren selbst ungeahnte Dynamik entstehen. Nur ein Jahr später, im Juni 1999, vereinbarten 29 europäische Bildungsminister von Ländern innerhalb und außerhalb der Europäischen Union (EU) ein ähnliches Ziel, wie es die vier Minister an der Sorbonne ins Auge gefasst hatten. Wieder war die Rede von der "Einführung eines Systems, das sich im Wesentlichen auf zwei Hauptzyklen stützt: undergraduate und graduate." Als "Regelvoraussetzung für die Zulassung zum zweiten Zyklus" wurde "der erfolgreiche Abschluss des ersten Studienzyklus" definiert, "der mindestens drei Jahre dauert. Der nach dem ersten Zyklus erworbene Abschluss soll eine für den europäischen Arbeitsmarkt relevante Qualifikationsebene attestieren. Der zweite Zyklus soll, wie in vielen europäischen Ländern, mit dem Master und/oder der Promotion abschließen." Interessanterweise taucht der Begriff "Bachelor" in der Erklärung nicht auf. Auch ist der Passus zur "Berufsqualifizierung" durch den ersten Abschluss sehr vage gehalten. Zur Studiendauer des Bachelor gibt es nur eine Mindestangabe, zur Studiendauer des Master gar keine. Der zweite Abschluss kann statt einem Master auch die Promotion sein.

Trotz dieser Offenheit bezüglich der Ausgestaltung im Erklärungstext entwickelte der Bologna-Prozess einen starken Einfluss auf den Fortgang der Reformen in den einzelnen Ländern. Er wurde vielfach herangezogen, um nationale Ausgestaltungen zu legitimieren, die auf europäischer Ebene nicht schriftlich festgelegt sind. Im Folgenden sollen einige der spezifisch deutschen Entscheidungen im Lichte anderer europäischer Beispiele reflektiert werden: die Definition des Bachelor als erster "berufsqualifizierender" Abschluss, der selektive Zugang zum Master, die Annäherung von Universitäten und Fachhochschulen, die Schaffung eines wettbewerblichen Akkreditierungssystems und die Nutzung der Umstellung für eine Studienreform.

Wichtig für das Verständnis der Reformdebatte ist die Tatsache, dass in Deutschland wesentliche Weichenstellungen zur Ausgestaltung der Bachelor-Master-Struktur vorgenommen wurden, bevor überhaupt eine politische Entscheidung zur konsequenten Umstellung getroffen worden war. Dazu gehört die Definition des Bachelor als erster "berufsqualifizierender" Abschluss, der selektive Zugang zum Master, die Annäherung von Universitäten und Fachhochschulen und die Schaffung eines dezentralen - und im Effekt wettbewerblichen - Akkreditierungssystems. All dies wurde entweder schon im HRG 1998, der KMK-Entscheidung zum Akkreditierungssystem von 1998 oder in der ersten Fassung der KMK-Strukturvorgaben von 1999 festgehalten. Dabei wurde die "Radikalität" dieser Entscheidungen wesentlich dadurch ermöglicht, dass sie sich damals nur auf einen Nischenabschluss bezogen. Hätte die völlige Umstellung auf BMS zeitgleich zur Diskussion angestanden, hätten sich betroffene Akteure wie Hochschulvertreter, Studierende, und Berufs- und Fachverbände sicher viel lauter zu Wort gemeldet. Ein weiteres Erklärungselement ist, dass die meisten dieser Weichenstellungen in der KMK getroffen wurden, deren Entscheidungen keinen rechtlich bindenden Charakter haben. Erst mit der zeitlich verteilten Umsetzung in Hochschulgesetze in den 16 Bundesländern wurden sie formal wirksam, was ihre maßgebliche Wirkung jedoch nicht geschmälert hat.

Berufsqualifizierender Bachelor

Die Definition des Bachelor als erster berufsqualifizierender Abschluss ist eines der umstrittensten Elemente der Reform. In vielen Professionen sind Berufsbilder und auch formale Berufszugänge an die traditionellen Abschlüsse auf Master-Niveau geknüpft. Die Chancen der Bachelor-Absolventen stehen und fallen daher mit dem Paradigmenwandel auf dem Arbeitsmarkt. Zudem macht der Anspruch der Berufsqualifizierung tief greifende curriculare Reformen notwendig: Wenn schon nach drei Jahren Hochschulstudium eine Berufsqualifizierung erreicht werden soll, müssen Curricula "vom Kopf auf die Füße" gestellt werden.

Abgeleitet wurde das Ziel der Berufsqualifizierung zum einen aus dem Anspruch, den Bachelor als echten Studienabschluss zu etablieren - nicht nur als Zwischenprüfung wie das traditionelle Vordiplom. Zudem sind sämtliche Diplom- und Magisterabschlüsse seit jeher als berufsqualifizierend definiert, auch wenn beileibe nicht jeder Magister in Archäologie und Philosophie diesem Anspruch gerecht wurde. Bei den neuen Bachelor-Studiengängen wurde der Anspruch ernster genommen als jemals zuvor. Weiterhin wurde die Betonung der Berufsqualifizierung mit der Bologna-Erklärung legitimiert, obwohl dort nur das vage Ziel zu finden ist, der nach dem ersten Zyklus erworbene Abschluss möge "relevant für den europäischen Arbeitsmarkt" sein. Pate standen nicht zuletzt die angelsächsischen Länder, in denen traditionell die Mehrheit der Absolventen die Hochschulen mit dem Bachelor-Abschluss verlässt, um aber oftmals später für ein Masterstudium zurückzukehren.

Wenn man sich allerdings die Umsetzung in den Niederlanden und in Frankreich anschaut, wird deutlich, dass die formale Festschreibung des (universitären) Bachelor als berufsqualifizierender Abschluss keinesfalls selbstverständlich ist. In den Niederlanden ist dies nicht der Fall; im Gegenteil, es ist die gemeinsame Sorge von Politik, Arbeitgebern und Universitäten, genügend Absolventen auf Master-Niveau auszubilden. In Frankreich wurde im Zuge des Bologna-Prozesses die licence professionelle als berufsorientierte Abschlussvariante auf Bachelor-Niveau etabliert, die aber ein Nischendasein neben der weiterhin allgemeinbildenden licence fristet. Dies bedeutet nicht, dass in beiden Ländern nicht Absolventen auf Bachelor-Niveau in den Arbeitsmarkt einträten oder dass keine Bemühungen um eine Studienreform stattfänden. Nur wird die Etablierung des ersten universitären Abschlusses auf dem Arbeitsmarkt stärker der Marktentwicklung überlassen und weniger dekretiert - ein Vorgehen, das die in Deutschland auftretenden Akzeptanzprobleme vermeidet, ohne unterm Strich zu einem anderen Ergebnis führen zu müssen.

Zudem rückt das niederländische und französische Vorgehen andere Vorteile des Bachelor-Abschlusses in den Vordergrund: Auch wenn nicht die Mehrheit der Bachelor-Absolventen die Hochschule verlässt, erfüllt der Abschluss eine wichtige Funktion als Schnittstelle für nationale und internationale Mobilität, ähnlich wie bisher für Deutschland das Vordiplom. Er kann darüber hinaus die fachliche Um- oder Neuorientierung ohne Zeitverlust ermöglichen und Interdisziplinarität fördern. Merkte bisher eine Studentin der Volkswirtschaftslehre nach vier Semestern, dass sie lieber Pädagogik studiert hätte, so musste sie noch fünf Semester bis zum Diplom durchhalten und dann ein ebenso langes Zweitstudium anhängen, oder sie wurde zur Studienabbrecherin. In der neuen Studienstruktur könnte sie einen Bachelor of Economics abschließen und dann beispielsweise einen interdisziplinären Master der vergleichenden Bildungsforschung anschließen.

Zugang zum Master

Ähnlich ist die Lage beim Zugang zum Master. Die schon in den KMK-Strukturvorgaben von 1999 angelegte und 2003 verschärfte Vorgabe, dass das Masterstudium neben einem abgeschlossenen Bachelorstudium weitere Qualifikationen (allen voran gute Noten) erfordert, hat sicher nicht zur Akzeptanz der neuen Studiengänge unter den Studierenden beigetragen. Bei einem universitären Diplomstudiengang konnten sie sicher sein, bis zum Master-Niveau "durchstudieren" zu können (sofern sie das Studium nicht abbrachen); im neuen System haben sie dafür keine Garantie. Aus eben diesem Grund muss in den Niederlanden jede Universität für jede(n) ihrer Studierenden mindestens eine Master-Studienmöglichkeit anbieten; daneben sind weitere selektive Angebote möglich. In Frankreich berechtigt die licence wie bisher zum Weiterstudieren, allerdings liegt der Selektionspunkt im neuen System nunmehr in der Mitte der neuen master, am Ende der bisherigen maîtrise nach vier Studienjahren. Insofern sind auch im französischen System weitere Anpassungen zu erwarten. In der Realität wird auch in den Niederlanden und in Frankreich die neue Studienstruktur zu Auswahlprozessen beim Eingang zum Master führen. Bei Hochschul- und Studienfachwechsel sind diese unumgänglich, auch wenn die Schaffung von Chancengerechtigkeit oberste Maßgabe ist wie in den Niederlanden. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass sich nicht alle Studierenden für ein Masterstudium im unmittelbaren Anschluss an den Bachelor entscheiden. Auch hier wurde also eine Umsetzungslösung gefunden, die gegenüber der deutschen Vorgehensweise weniger konfliktträchtig ist, ohne dass das Reformergebnis notwendigerweise abweichen muss.

Annäherung der Hochschularten

Was das Verhältnis der Hochschularten betrifft, wurden in Deutschland frühzeitig ebenfalls verhältnismäßig weitreichende Entscheidungen getroffen: Fachhochschulen dürfen Abschlüsse auf Master-Niveau anbieten, und die Abschlusstitel werden nicht nach Hochschularten unterschieden. Auch die traditionelle Rollenverteilung, dass Universitäten "theorieorientierte" und Fachhochschulen "anwendungsorientierte" Studiengänge anbieten, wurde (zumindest formal) aufgebrochen. Diese Revolution ging bemerkenswert still über die Bühne, da es auf politischer Ebene viel Sympathie für eine Aufwertung der Fachhochschulen gab.

In den Niederlanden, wo die hogescholen eine den Fachhochschulen nicht ganz vergleichbare Rolle spielen, ist die Konvergenz der Hochschularten im Zuge des Bologna-Prozesses viel weniger ausgeprägt: Bis auf Ausnahmen werden nur universitäre Masterstudiengänge staatlich finanziert, die Abschlusstitel "Master of Arts" und "Master of Science" sind "wissenschaftlichen" (d.h. traditionell universitären) Graden vorbehalten, und die Kriterien für die Akkreditierung dieser Grade sind so formuliert, dass hogescholen in der Praxis kaum eine Möglichkeit haben, diese anzubieten. In Frankreich, wo es traditionell eine tiefe Kluft zwischen Universitäten und grandes écoles gibt, wurde die Reform ähnlich wie in Deutschland dazu genutzt, die Hochschularten einander anzunähern, aber auf sehr viel vorsichtigere Weise. Mit dem grade de master wurde ein gemeinsamer "Dach-Abschluss" für Studiengänge von Universitäten und grandes écoles etabliert, ohne dass sich die dahinter stehenden Abschlüsse hätten verändern müssen - in Deutschland hätte man ein ähnliches Vorgehen wohl als "Umettiketierung" diskreditiert. Parallel dazu wurde an Universitäten ein diplôme de master mit anspruchsvollen Akkreditierungsvoraussetzungen eingeführt, die neben Modularisierung, der Einführung eines europäischen Leistungspunktesystems zur besseren Vergleichbarkeit des Arbeitsaufwands von Studienleistungen (European Credit Transfer System/ECTS) und Studienreformmaßnahmen auch vorsehen, dass das Masterstudium auf nachgewiesener Forschungsstärke aufbauen muss. Auch grandes écoles dürfen den Abschluss vergeben, wenn sie sich diesen Kriterien und einem staatlichen Prüfverfahren unterziehen. Dies ist zwar eine weitreichende Reform, bleibt aber in der Praxis der Ausnahmefall.

Pate für die Annäherung von Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland stand das britische Hochschulsystem. Dort sind die ehemaligen polytechnics schon 1992 ins universitäre System aufgenommen worden und spielen formal nach den gleichen Spielregeln und innerhalb der gleichen Rahmenbedingungen. Auch konnten polytechnics schon immer Mastergrade vergeben. Das ist in Deutschland anders. Universitäten und Fachhochschulen vergeben nun gleiche Grade, ohne dass die dahinter liegenden institutionellen Bedingungen angepasst worden wären. Von den Qualifikationen der Hochschullehrer über die Finanzierungsmodalitäten bis zu den Zugangsvoraussetzungen zum Studium gibt es weiterhin gravierende Unterschiede, die von den formal gleichen Abschlüssen verdeckt werden. Dies könnte aber einen Beitrag dazu leisten, tief verankerte und nicht immer sachlich gerechtfertigte Statusunterschiede zwischen den Universitäten und Fachhochschulen aufzubrechen. Auch dieser Aspekt der Reformumsetzung in Deutschland ist also im internationalen Vergleich ein ausgesprochen ehrgeiziges Ziel.

Wettbewerbliche Akkreditierung

Die Akkreditierung wurde in Deutschland als geradezu natürliches Pendant der neuen Studiengänge eingeführt. Sie löste die staatliche Genehmigung nach formalen Kriterien ab und sollte die Differenzierung der Studiengänge, die Wettbewerblichkeit des Systems und die internationale Profilierung unterstützen. Geradezu selbstverständlich schien Akkreditierung als "angelsächsische" Form der Qualitätssicherung zu den neuen "angelsächsischen" Graden zu passen. Dabei wurde übersehen, dass Akkreditierung gerade in Großbritannien nur eine Nebenrolle spielt und dass die spezifisch deutsche Gestaltung des Akkreditierungssystems international ohne Beispiel ist: Die deutschen Hochschulen dürfen sich eine Akkreditierungsagentur in einem wettbewerblichen System mit bisher sechs Agenturen aussuchen, die von einem nationalen Akkreditierungsrat überwacht werden. Jeder einzelne Studiengang unterliegt der Akkreditierungspflicht im regelmäßigen Turnus. Unter anderem aufgrund der hohen Kosten der Akkreditierung und dem immensen Verfahrensaufwand ist bisher erst ein Bruchteil der BMS akkreditiert.

Das niederländische Akkreditierungssystem ist zwar auf den ersten Blick sehr ähnlich, doch hier fällt die nationale Akkreditierungsorganisation jede einzelne Akkreditierungsentscheidung, so dass der Zusammenhalt des Systems deutlich höher ist als in Deutschland. Auch mussten BMS, die direkt aus traditionellen Studiengängen hervorgingen, nicht eigens akkreditiert werden, da ihre Qualität als durch das vorhandene Evaluationssystem gesichert betrachtet wurde. Dies bedeutete deutlich geringere Engpässe im Übergang zum neuen Studiensystem.

In Frankreich kann man nicht von einem Akkreditierungssystem im eigentlichen Sinne sprechen, denn das Bildungsministerium entscheidet über jeden universitären Studiengang (die grandes écoles hatten bisher ihr eigenes Qualitätssicherungssystem außerhalb des staatlichen Einflusses). Im Turnus von vier Jahren müssen die Universitäten sämtliche Studienangebote zur habilitation vorlegen, und ihre Genehmigung ist an ein System von Zielvereinbarungen gekoppelt. Mit der Umstellung auf BMS (in Frankreich LMD: licence - master - doctorat) erfolgt die Überprüfung auf ganzheitlichere Weise, und die Universitäten werden zu eigenständigerer und vielfältigerer Studienangebotsgestaltung angeregt. In Großbritannien erfolgt die Qualitätssicherung des Studiums bis auf wenige Ausnahmen im Bereich bestimmter Professionen nicht durch Akkreditierung, sondern durch die Evaluation (review und audit) von Fachbereichen und ganzer Hochschulen und ihrer Qualitätssicherungssysteme (seit 2002 nur noch als audit ganzer Hochschulen). Diese werden von einer nationalen Qualitätssicherungsagentur durchgeführt.

Die Dezentralität und wettbewerbliche Verfasstheit des deutschen Akkreditierungssystems ist im internationalen Vergleich eine Besonderheit und bei weitem nicht die einzige Möglichkeit, ein nationales Qualitätssicherungssystem auszugestalten.

Studienreform

Das vielleicht wichtigste Ziel, das mit der Einführung von BMS in Deutschland verbunden wurde, ist die Studienreform. Von einer Verkürzung und besseren Strukturierung des Studiums und einer klaren Aussage der Hochschullehrer über die Lernziele erhofften sich die Befürworter der Reform eine Senkung der Abbrecherquoten sowie eine Verbesserung der Studierbarkeit und des Studienerfolgs. Zu den Veränderungen, die Studierende und Lehrende im Hochschulalltag zu spüren bekommen, gehören die Modularisierung des Studiums, die Einführung eines ECTS und die Einführung von studienbegleitenden Prüfungen.

Doch nicht überall werden diese Reformen von den Studierenden als Verbesserung erlebt: Mancherorts wird die Modularisierung derart gestaltet, dass sich die Studierenden in ihrer Fächerwahl eingeengt statt befreit fühlen. Wird bei der Einführung von ECTS kein Augenmerk auf die Kompatibilität gelegt, können Studienleistungen nicht unkomplizierter anerkannt werden als bisher. Wenn die an sichstudierendenfreundliche Idee begleitender Prüfungen zu kleinteilig umgesetzt wird, resultiert dies in einer Prüfungsflut. Der Stoff eines bisherigen Diplomstudiengangs passt nicht in einen dreijährigen Bachelor. Wo dennoch versucht wird, das gleiche Pensum in kürzerer Zeit unterzubringen, bedeutet dieseine Überforderung der Studierenden. Schlechte Koordination von Stundenplänen kann dazu führen, dass die notwendigen Module nicht innerhalb der Regelstudienzeit absolviert werden können. Neue Lernformen und verbesserte Betreuung sind Pluspunkte der neuen Studiengänge. Doch für Lehrende können sie erhebliche Mehrbelastungen nach sich ziehen, wenn nicht durch zusätzliche Stellen oder andere Maßnahmen ein Ausgleich geschaffen wird. Und in "Massenfächern" sind die Hochschulen nicht immer darauf vorbereitet, dass die eingeschriebenen Studierenden tatsächlich anwesend sind und Plätze in Seminaren einfordern - eine an sich positive Entwicklung, die aber zusätzlicher Ressourcen und besserer Organisation bedarf.

Es ist wichtig festzuhalten, dass diese Umsetzungsschwierigkeiten oder -fehler wenig mit den Ideen des Bologna-Prozesses zu tun haben. Sie sind vielmehr Ausdruck dessen, wie weit das traditionelle deutsche Hochschulsystem von einer konsequenten Studierendenorientierung entfernt war und wie überfüllt die Universitäten in weiten Teilen sind. Sie rufen förmlich danach, der Studienreform deutlich mehr Aufmerksamkeit und Sorgfalt angedeihen zu lassen, als dies bisher der Fall ist. Dies wird im internationalen Vergleich sehr deutlich: In den Niederlanden, wo die Universitäten weniger überfüllt sind, die Studiengänge schon vor der Umstellung auf BMS modularisiert und mit Leistungspunkten versehen waren, wo studienbegleitendes Prüfen üblich war und die Studierbarkeit ein wichtiges Thema ist, bereiten diese Aspekte des Bologna-Prozesses keine Schwierigkeiten. In Frankreich hingegen sind ähnliche Themen wie in Deutschland akut, aufgrund ähnlicher Ausgangsprobleme. In Großbritannien gibt es zwar traditionell das Bachelor-Master-System, doch Modularisierung und ECTS sind mindestens so umstritten wie in Deutschland.

Fazit

Bis heute steht eine formale hochschulpolitische Entscheidung für die Bachelor-Master-Struktur auf nationaler Ebene aus, auch wenn inzwischen weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass die flächendeckende Umstellung auf BMS "unumkehrbar" ist. Angesichts der zunehmenden Differenzen über die hochschulpolitischen Kompetenzen des Bundes hätte ein solches Bekenntnis nur gemeinsam von den Ländern in der KMK formuliert werden können. Die weitestgehende Formulierung, zu der man sich bisher in der KMK durchringen konnte, lautet: "Die gestufte Studienstruktur mit Bachelor- und Masterstudiengängen ist wesentlicher Baustein des Europäischen Hochschulraums, der - entsprechend den Zielsetzungen der Bologna-Vereinbarung - bis zum Jahre 2010 geschaffen werden soll. Jedoch können wichtige Gründe für eine Beibehaltung der bewährten Diplomabschlüsse auch über das Jahr 2010 hinaus sprechen."

Davon unbenommen ist die Umstellung auf BMS in vollem Gange: 36 Prozent der angebotenen Studiengänge tragen die neuen Titel (Stand Sommersemester 2006), und acht Prozent der Studierenden (Stand Wintersemester 2004/05) streben bereits die neuen Abschlüsse an. Damit die Reform ein Erfolg wird, reicht es aber nicht, die Prozentsätze der umgestellten Studiengänge und der Studierenden zu erhöhen. Vielmehr kommt es darauf an, die Reform in einer Weise umzusetzen, die von Hochschullehrern und Studierenden als sinnvoll empfunden wird. Die internationalen Beispiele zeigen hier einen erweiterten Möglichkeitsraum auf: Weder ist es so, dass unsinnige Reformmaßnahmen von europäischer Ebene diktiert würden, noch ist es angesichts der immensen Dynamik des Bologna-Prozesses sinnvoll, sich den Reformen zu verweigern. Vielmehr kommt es darauf an, die Gestaltungsmöglichkeiten, welche die gestufte Studienstruktur bietet, selbst in die Hand zu nehmen. Die Mittelknappheit der Hochschulen ist dabei ein gravierendes Hindernis, nicht aber eine Entschuldigung für mangelnden Gestaltungswillen.

Internetempfehlungen der Autorin
Externer Link: www.che.de
Externer Link: www.hrk-bologna.de
Externer Link: www.bmbf.de
Externer Link: www.akkreditierungsrat.de
Externer Link: www.dfes.gov.uk/bologna
Externer Link: www.bologna-bergen2005.no

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Einführung neuer Studienstrukturen und -abschlüsse (Bakkalaureaus/Bachelor - Magister/Master) in Deutschland, Drs. 4418/00, Köln, 21.1. 2000; Kultusministerkonferenz (KMK), Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Studienstandortes Deutschland. Beschluss der KMK, Bonn, 24.10. 1997.

  2. Rüdiger Gorner, Allzu bereitwillige Selbstaufgabe: Über die hemmungslose Selbstanglisierung der deutschen Universitäten, in: Forschung & Lehre, (2004) 6, S. 316 - 317.

  3. Vgl. Clemens Pornschlegel, Uni Bolognese: Wie sich die Europäische Hochschulbildung selbst abschafft, in: Süddeutsche Zeitung vom 22.11. 2004, S. 4.

  4. Vgl. Ursula Link-Herr, Warum machen alle mit? Nach Diktat reformiert: Wir Bertelsmann-Professoren, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 7.8. 2006, S. 36.

  5. Wo keine speziellen Quellenangaben genannt sind, basiert dieser Beitrag auf meiner Promotionsschrift: Change of degrees and degrees of change: Comparing adaptations of European higher education systems in the context of the Bologna process, Diss., Universiteit Twente/CHEPS, Enschede 2006. Die Arbeit steht zum kostenlosen Download zur Verfügung unter http: // www.utwente.nl/cheps/documenten/2006wittedisser tation.pdf.

  6. Sorbonne-Erklärung, Gemeinsame Erklärung zur Harmonisierung der Architektur der europäischen Hochschulbildung, Paris, 25.5. 1998.

  7. Hochschulrahmengesetz (HRG), Text des HRG in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des HRG vom 20. 8. 1998 (BGBl. 1, S. 2190), Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bonn 1998.

  8. Vgl. Wissenschaftsrat (Anm. 1).

  9. Vgl. Anne Klemperer/Marijk van der Wende/Johanna Witte, Die Einführung von Bachelor- und Master-Programmen an deutschen Hochschulen (Dok & Mat Bd. 43), Deutscher Akademischer Austauschdienst, Bonn 2002.

  10. Vgl. KMK, Strukturvorgaben für die Einführung von Bachelor-/Bakkalaureus- und Master-/Magisterstudiengängen, Beschluss der KMK, Bonn, 5.3. 1999, S. 2.

  11. Bologna-Erklärung, Der Europäische Hochschulraum: Gemeinsame Erklärung der Europäischen Bildungsminister, Bologna, 19.6. 1999.

  12. Vgl. J. Witte (Anm. 5), S. 491ff.

  13. Vgl. HRG (Anm. 7); KMK (Anm. 10); KMK, Einführung eines Akkreditierungsverfahrens für Bachelor-/Bakkalaureus- und Master-/Magisterstudiengänge, Beschluss der KMK, Bonn, 3.12. 1998.

  14. Vgl. J. Witte (Anm. 5).

  15. Vgl. Meike Rehburg, Hochschulreform und Arbeitsmarkt: Die aktuelle Debatte zur Hochschulreform und die Akzeptanz von konsekutiven Studienabschlüssen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Gutachten Hochschulreform, Stabsabteilung der Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2006.

  16. Stefanie Hofmann/Bärbel Bastian, Vom Kopf auf die Füße. Modularisierte Bachelor- und Masterstudiengänge an der Philosophischen Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Broschüre zum Bund-Länder-Kommissions-Verbundprojekt Modularisierung, Greifswald, 1999.

  17. Vgl. KMK (Anm. 10), sowie KMK, Ländergemeinsame Strukturvorgaben gemäß § 9 Abs. 2 HRG für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen. Beschluss der KMK, Bonn, 10.10. 2003.

  18. Vgl. HRG (Anm.7).

  19. Vgl. KMK (Anm.10).

  20. Die Gehaltsskalen des akademischen Personals sind erst kürzlich vereinheitlicht worden.

  21. Vgl. Johanna Witte, Machen Bachelor und Master die Trennung in Uni und FH obsolet?, in: Christa Cremer-Renz/Hartwig Donner (Hrsg.), Die innovative Hochschule - Aspekte und Standpunkte, Bielefeld 2005.

  22. Vgl. Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Akkreditierungsverfahren: Entschließung des 185. Plenums vom 6.7. 1998, Bonn.

  23. Im März 2006 waren es 31 Prozent: Vgl. HRK, Statistische Daten zur Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen: Sommersemester 2006. Statistiken zur Hochschulpolitik 1/2006, Bonn, April 2006.

  24. Vgl. z.B. Kritik an Studienmodulen: Evangelische Theologen in Bayern appellieren an Staatsregierung, in: FAZ vom 19.10. 2006, S. 4.

  25. Für eine Liste der Reformfehler aus Sicht der Studierenden vgl. Freiwilliger Studierendenzusammenschluss, Failing Bologna: State of implementation of the Bologna objectives in Germany. Students' National Report for the Berlin summit on higher education, Bonn 2003. Für einen Überblick über Sichtweisen Betroffener vgl. auch Meike Rehburg, Bachelor- und Masterstudiengänge in Deutschland: Einschätzungen von Studierenden, Professoren und Arbeitgebern. Eine qualitative Kurzstudie. Internationales Zentrum für Hochschulforschung (INCHER), Universität Kassel, Juni 2005.

  26. Vgl. Bahram Bekhradnia, Credit accumulation and transfer, and the Bologna process: an overview. Higher Education Policy Institute, Oxford 2004.

  27. Christian Bode, Die Bologna-Agenda 2010: Noch ein (hochschul-)politischer Paradigmenwechsel. DUZ Spezial: Von Bologna nach Berlin - Eine Vision gewinnt Kontur, Berlin 2003, S. 26 - 27.

  28. KMK, 10 Thesen zur Bachelor- und Masterstruktur in Deutschland. Beschluss der KMK, Bonn, 12.6. 2003.

  29. Vgl. HRK (Anm. 23).

  30. Praktische Hilfestellung bietet: European University Association, EUA Bologna Handbook: Making Bologna work, Berlin 2006.

Dr., geb. 1973; Projektleiterin am Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), Verler Straße 6, 33332 Gütersloh.
E-Mail: E-Mail Link: johanna.witte@che.de