Einleitung
Aufgrund des Kampfes um die Souveränität bzw. internationale Anerkennung zwischen der Volksrepublik China - im weiteren China genannt - und der Republik China auf Taiwan - im weiteren Taiwan genannt - seit 1949 liegen die politischen Beziehungen zwischen den beiden Bürgerkriegsparteien bis heute auf Eis. Da Beijing Taiwan als Teil seines Territoriums betrachtet, strebt Taipei, insbesondere unter der Führung der DPP (Demokratische Progressive Partei), die formelle Unabhängigkeit an.
Die Analyse der offiziellen Website der Europäischen Union in Bezug auf ihre Taiwanpolitik in den letzten Jahren offenbart eine Richtung oder Tendenz dieser Politik. Seit 2003 lautet die Formulierung:
Nichtdestoweniger betont die EU die wichtige Bedeutung Taiwans für den bilateralen Handel. Damals war Taiwan bereits der elftgrößte Handelspartner der EU.
Im Jahre 2004 änderte sich die Formulierung:
Wenn man beide Texte miteinander vergleicht, klingt der zweite etwas freundlicher - auch wenn Taiwan nicht namentlich erwähnt wird. In offiziellen Verlautbarungen heißt es gewöhnlich, dass Taiwan ein Teil Chinas sei usw. Hier hat sich die EU also einen gewissen Freiraum erlaubt. Die Änderung der Formulierung von "a separate customs territory" zu "significant economic and commercial relationship" ist als ein kleiner Fortschritt zu Gunsten Taiwans zu werten.
Im Juli 2005 wurde eine nochmalige Änderung vorgenommen:
Die EU hat sich an die "Ein-China-Politik" der anderen Staaten angepasst, Taiwan wird namentlich genannt, aber zugleich wird der Inhalt der bilateralen Beziehungen noch detailierter als zuvor dargestellt. Könnte man das nicht als eine Hervorhebung des Status der Insel interpretieren? Wenn man diese Formulierung mit jenen der Jahre 2003 und 2004 vergleicht, wird zweifellos eine noch freundlichere Haltung der EU gegenüber Taiwan erkennbar.
Obwohl die EU Taiwan nicht als souveränen Staat anerkennt, gab es deutliche Signale dafür, dass die Spannungen in der Taiwan-Straße mit Sorge verfolgt werden. Während des Rakententests im März 1996, anlässlich der ersten direkten Präsidenschaftswahlen auf Taiwan, hat der Europäische Rat (ER) schnell reagiert.
Als drei Jahre später durch die so genannte "Zwei-Staaten-Theorie" des ehemaligen Präsidenten Taiwans, Lee Teng-hui , im Juli 1999 eine erneute Krise ausgelöst wurde, hat der Europäische Rat wiederum mit einem Appell an Taiwan und China reagiert.
Nach der Präsidentenwahl im März 2000 unterstützte das Europäische Parlament (EP) Taiwan wiederum durch eine Resolution mit dem Hinweis auf seine demokratische Entwicklung.
Darüber hinaus hat das EP seit 2001 mehrmals Resolutionen zu Gunsten Taiwans verabschiedet. Neben der Unterstützung des Beitritts Taiwans in die WHA/WHO ging es den Parlamentariern darin am häufigsten um die Beibehaltung des Waffenembargos gegen China.
Seit 2003 wird insbesondere von Deutschland und Frankreich die Aufhebung des Waffenembargos der EU gegen China befürwortet.
Aufgrund des mysteriösen Attentats auf Präsident Chen Shui Bian während der Präsidentenwahl im März 2004, bei dem auch Vizepräsidentin Annette Lu leicht verletzt wurde, hatte die EU zunächst auf die Wahlergebnisse nicht reagiert. Lediglich die Repräsentanten der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten in Taiwan hatten Grußtelegramme an Chen gesandt. Diese verhaltene Reaktion der EU bzw. der EU-Staaten lässt darauf schließen, dass die Europäer dem Vorfall skeptischer gegenüberstanden als die Amerikaner.
Schließlich hat die Europäische Kommission die Passagier-Charter-Flüge zwischen Taiwan und China anlässlich des chinesischen Neujahrs im Frühjahr 2005 begrüßt.
In 19 von 25 EU-Mitgliedsstaaten hat Taiwan inzwischen botschaftsähnliche Repräsentantenbüros errichtet. Umgekehrt wurden nur 16 Repräsentanzen der EU-Staaten in Taipei eröffnet. Im März 2003 wurde das EU-Repräsentantenbüro unter dem Namen "European Economic and Trade Office" in Taipei errichtet. Es kann als Zeichen für die Intensivierung der bilateralen Beziehungen gewertet werden.
Obwohl die Demokratische Progressive Partei DPP im Jahre 2004 die Präsidentschaftswahlen erneut gewann, konnte sich die Opposition die absolute Mehrheit, die sie seit dem Jahr 2001 innehatte, in den Parlamentswahlen Ende 2004 sichern. Damit sind die Bestrebungen der DPP nach formeller Unabhängigkeit beinahe unmöglich geworden. Außerdem wurde die Partei durch schwerwiegende Korruptionsskandale seit August des letzten Jahres empfindlich geschwächt und befindet sich in der schwersten Krise seit ihrer Gründung.
Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet würde dies bedeuten, dass die Gefahr einer Unabhängigkeit Taiwans bzw. eines Konfliktes mit China so gut wie beseitigt wäre. Es darf dabei jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass sich die VR China im Falle innenpolitischer Unruhen auf Taiwan das Recht zu einer Intervertion vorbehalten könnte.
Um die verheerende Lage der Partei zu verbessern, hat Präsident Chen im Frühjahr 2006 die Richtlinien bzw. den Rat für Wiedervereinigung abgeschafft. Nicht nur Beijing, sondern auch Washington hat diese Politik als einen weiteren Schritt in Richtung Unabhängigkeit interpretiert und dementsprechend scharf kritisiert. Im Namen des Europäischen Rates hat auch die österreichische Außenministerin Ursula Plassnik, die im ersten Halbjahr 2006 die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, die Politik Präsident Chens kritisiert - wenngleich moderat und eher indirekt.
Den EU-Statistiken zufolge betrug das bilaterale Handelsvolumen mit Taiwan 2005 36,4 Billionen Euro - mit einem Defizit von 10,4 Billionen Euro auf Seiten der EU.
Anders als die USA, deren Taiwanpolitik eigentlich auf China zielt (Mittel zum Zweck), hat die EU - nicht zuletzt wegen der geopolitischen Lage - sich viel stärker auf ihre Handelsinteressen an Taiwan beschränken müssen (Selbstzweck). Voraussetzung dafür sind Frieden und Stabilität in der Taiwan-Straße. Mit dem Ziel, Konflikte möglichst zu vermeiden oder nicht eskalieren zu lassen, hat die EU immer wieder die Rolle eines Schiedsrichters zwischen Taiwan und China eingenommen. Außerdem hat sie stets die Interessen der USA in der Taiwan-Straße berücksichtigt.
Während der Europäische Rat nach wie vor am Ein-China-Prinzip festhielt, hat das Europäische Parlament die Aufwertung Taiwans in der internationalen Politik stärker unterstützt. Aufgrund des wachsenden Interesses an China versucht die EU, eine aktive Rolle in der Taiwan-Straße zu spielen. Jedoch fehlt es ihr dazu bislang an wirksamen Instrumenten. Aber ihre Unterstützung für Taiwan als Beobachter in der WHA wäre immerhin ein Fortschritt.
Angesichts des scheinbar unaufhaltsamen Aufstiegs Chinas wird der Handlungsspielraum für Taiwan in der Welt immer kleiner. Auch die EU kann Taiwan aufgrund ihrer begrenzten Möglichkeiten nur beschränkte Unterstützung zuteil werden lassen. Daher wäre es sinnvoll, wenn Taiwan hinsichtlich der Taiwan-Straße das Eis bräche und auf einen modus vivendi mit China hinarbeiten würde. Auf diese Weise wäre nicht nur den Interessen der Chinesen auf beiden Seiten der Taiwan-Straße, sondern auch jenen der EU-Staaten am besten gedient.