Einleitung
In den Verhandlungen zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, die im Juli 2006 nach zweieinhalb Jahren abgeschlossen wurden, waren Fragen der Finanzverfassung des Grundgesetzes (GG) weitgehend ausgeklammert worden. Lediglich die Mischfinanzierungen nach Artikel 91 a und b sowie 104 a Abs. 4 GG, die Frage eines "Nationalen Stabilitätspaktes" und eines Steuertausches zählten zur Verhandlungsmasse der Kommission von Bundestag und Bundesrat. Im Anhang des abschließenden Beschlusses zur Grundgesetzreform, der Bundestag und Bundesrat mit großer Mehrheit zugestimmt haben, wurde eine "Offene Themensammlung zu einer Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen (2. Föderalismusreformstufe)" aufgenommen.
In dieser allgemein gehaltenen Liste finden sich neun Themenbereiche, zu denen jeweils ergänzende Stichworte zusammengestellt worden sind. Punkt 1 ist mit der Überschrift "Haushaltswirtschaft; Vorbeugung von Haushaltskrisen" versehen worden. Ergänzend dazu sieht Punkt 2 die "Bewältigung bestehender Haushaltskrisen - Konzepte zur Sanierung, Konzepte erweiterter Autonomie - (insbesondere unter Berücksichtigung der Vorgaben des BVerfG)" vor. Unter Punkt 3 und 4 finden sich die Stichworte "Aufgabenkritik und Standardsetzung" sowie "Entbürokratisierung und Effizienzsteigerung". Die Punkte 5 und 6 tragen die Überschriften "Stärkung der aufgabenadäquaten Finanzausstattung (...)" und "Stärkung der Eigenverantwortung der Gebietskörperschaften". Unter den beiden Punkten 7 und 8 werden die Themen "Verstärkte Zusammenarbeit und Möglichkeiten zur Erleichterung des freiwilligen Zusammenschlusses von Ländern" sowie die "Bündelung fachpolitischer Leistungen und Auswirkungen auf die Bund-Länder-Finanzbeziehungen" benannt.
Im Folgenden sollen anhand dieser Themensammlung Möglichkeiten und Grenzen für eine Reform der Finanzverfassung ausgelotet werden. Dazu sollen auch die institutionellen und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen analysiert werden, welche die entsprechenden Verhandlungen prägen werden. Hier wird von der These ausgegangen, dass die Reform der föderativen Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern - in noch viel stärkerem Maße als die Verhandlungen zur ersten Stufe der Föderalismusreform - einer Autoreparatur bei laufendem Motor gleichen wird: Denn neben der skizzierten Themensammlung, die zum Gegenstand eines bisher noch nicht näher konkretisierten Beratungsverfahrens werden soll, stehen zurzeit weitere finanz- und haushaltspolitische Großprojekte auf der politischen Agenda. Dazu zählt neben der für 2007 geplanten Gesundheitsreform einschließlich des umstrittenen "Gesundheitsfonds" die Unternehmenssteuerreform, die 2008 in Kraft treten soll.
Darüber hinaus ist sowohl die vertikale als auch die horizontale Aufteilung der Kosten für Unterkunft und Heizung im Rahmen von "Hartz IV" heftig umstritten, da es sich dabei immerhin um ein Volumen von rund vier Milliarden Euro für Länder und Gemeinden handelt. Die Frage nach einer adäquaten Anschlussregelung für die kommenden Jahre hat sich - weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit - zu einem veritablen Dauerkonflikt zwischen Bund, Ländern und Kommunen entwickelt. Dies gründet vor allem darin, dass sich Länder und Kommunen nicht auf eine einheitliche Position einigen können.
Diese drei finanzpolitischen Großbaustellen binden die Kapazitäten von Bund und Ländern in solchem Umfang, dass zu befürchten steht, dass die zweite Stufe der Föderalismusreform auf die lange Bank geschoben wird. Diese These stützt sich auch auf das Verfassungsgerichtsurteil zur Haushaltslage des Landes Berlins vom 19. Oktober 2006. Denn entgegen allen Erwartungen resultiert aus dem Karlsruher Richterspruch kein unmittelbarer politischer Handlungsdruck, der im Falle etwaiger Unvereinbarkeitserklärungen und damit verbundener Fristen an den Gesetzgeber entstanden wäre. Wie weiter unten zu zeigen sein wird, hat das Gericht den Tatbestand der "Haushaltsnotlage" in einer Weise neu gefasst, welche die Autonomie der Länder stärkt und damit künftig die Inanspruchnahme oder den Verweis auf das Notlagen-Phänomen in der Staatspraxis nahezu ausschließt. Somit ist auch ein Großteil der erwähnten "Themensammlung" obsolet geworden bzw. muss aus einem neuen Blickwinkel betrachtet werden.
Vor diesem Hintergrund sollten die Erwartungen an eine Reform der Finanzverfassung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu hoch geschraubt werden - auch wenn der finanzpolitische Handlungsbedarf aufgrund der Haushaltslage von Bund und Ländern unabweisbar ist. In den kommenden Monaten könnte deshalb eine Doppelstrategie verfolgt werden: Zum einen gilt es, die Empfehlungen und impliziten Gesetzgebungsaufträge aus dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Bewältigung von Haushaltskrisen der Bundesländer umzusetzen. Zum anderen muss über den Tag hinaus gedacht werden und eine umfassende Finanzverfassungsreform für das Jahr 2020 vorbereitet werden. Dabei sollten der Grundtenor des Verfassungsgerichtsurteils aufgegriffen und die Haushaltsautonomie der Länder und Gemeinden gestärkt werden. Denn zum einen lässt sich die Diskussion um strengere Verschuldungsregeln für Bund und Länder nicht losgelöst von der Frage nach dem Grad der Haushaltsautonomie der jeweiligen gebietskörperschaftlichen Ebenen führen. Zum anderen werden der Solidarpakt II für die ostdeutschen Bundesländer sowie das bestehende Finanzausgleichsrecht (spätestens) Ende 2019 auslaufen. Da die Finanzsituation der ostdeutschen Länder und Berlins auch 16 Jahre nach der Wiedervereinigung eine der zentralen finanzverfassungsrechtlichen und -politischen Herausforderungen der Bundesrepublik darstellt (und darüber hinaus nahezu jeden Punkt der offenen Themensammlung für die zweite Stufe der Föderalismusreform tangiert), wird die Entwicklung vorausschauender und umfassenderer Reformansätze mittelfristig unumgänglich sein.
Ausgangslage und Akteurskonstellation
Schon in den inzwischen abgeschlossenen Verhandlungen zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung bestand ein breiter Konsens, dass einer Neuordnung der Kompetenzverteilung von Bund und Ländern eine Reform der Finanzverfassung des GG folgen müsse. Diese Forderung ergibt sich auch als logische Konsequenz aus der von der Staats- und Verfassungsrechtslehre geprägten Charakterisierung der Finanzverfassung als "Folgeverfassung": Die Eigenstaatlichkeit von Bund und Ländern wird nicht schon durch eine verfassungsrechtliche Zuweisung einzelner Kompetenzarten, sondern erst durch eine adäquate Finanzausstattung sichergestellt, die der Aufgabenverteilung folgt.
Auch wenn über die Notwendigkeit einer zweiten Stufe der Föderalismusreform weitgehend Konsens besteht, verdeutlicht eine Analyse der politischen Ausgangslage, dass der Spielraum für eine Reform der Finanzverfassung eher begrenzt ist: Die letzte Finanzausgleichsreform wurde im Jahr 2001 von Bundestag und Bundesrat verabschiedet. Sowohl das Maßstäbegesetz (MaßstG) als auch das Solidarpaktfortführungsgesetz (SFG), die zusammen die einfachgesetzliche Grundlage für die Finanztransfers zwischen Bund und Ländern bilden, sind bis Ende 2019 befristet. Trotz zum Teil heftiger politischer Auseinandersetzungen in den vergangenen Jahren über die Verwendung der Solidarpaktmittel hat eine Novellierung des Finanzausgleichsgesetzes (FAG) seitdem keine politische Mehrheit gefunden. Eine grundlegende Reform des Finanzausgleichs - der alleine schon wegen seines Umverteilungsvolumens eine tragende Säule der deutschen Finanzverfassung bildet- scheint daher im Rahmen der zweiten Stufe der Föderalismusreform eher unwahrscheinlich. Allerdings könnte infolge einer weitergehenden Neuregelung der Steuerzerlegungsregeln auch der Finanzausgleich zum Gegenstand entsprechender Verhandlungen zwischen Bund und Ländern werden. Vor allem die Stadtstaaten haben seit langem ein Interesse daran, dass die Frage der Steuerzerlegung wieder auf die Agenda gesetzt wird. Die Formulierungen der Punkte 5 und 6 der oben zitierten Themensammlung eröffnen Spielraum für eine Erörterung dieser Problematik.
Vergleicht man die Akteurskonstellation des Jahres 2006/2007 als Ausgangspunkt der anvisierten Finanzverfassungsreform mit den politischen Kräfteverhältnissen im Jahr 2001, in dem sich Bund und Länder auf die Finanzausgleichsreform verständigten, so stellt man Verschiebungen fest, die sich derzeit schon im Vorfeld der Verhandlungen bemerkbar machen. Im Jahr 2001 standen einer Gruppe von vier der fünf Geberländer im Finanzausgleich (Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen), die von parteipolitisch unterschiedlichen Koalitionen regiert wurden, elf äußerst heterogene Nehmerländer im "Hannoveraner Kreis" gegenüber - unterstützt vom Geberland Hamburg. Heute wirken die Reihen der Geberländer deutlich geschlossener als vor fünf Jahren - auch wenn sich in dieser Konstellation immer wieder abweichende Positionen einzelner Länder beobachten lassen. Mittlerweile werden alle finanzstarken Länder von der CDU bzw. CSU (unter Beteiligung der FDP) regiert. So wird der Kreis der Geberländer inzwischen nicht nur von Hamburg unterstützt. Auch Sachsen, das als einziges ostdeutsches Land eine "korrekte" Verwendung der Solidarpaktmittel und die geringste Pro-Kopf-Verschuldung aufweisen kann, sucht unverkennbar die Nähe zu den finanzstarken Südwestländern. Die bis 2019 zugesagten Finanzzuweisungen aus dem Solidarpakt II stellen in diesem Kontext offenbar keinen Hinderungsgrund für den Freistaat dar, sich verstärkt die Forderungen der Geberländer nach strengen Verschuldungsregeln für alle Länder zu Eigen zu machen. Auch wenn infolge dieser parteipolitischen Verschiebungen das Gewicht der Geberländer im Bundesrat und der Ministerpräsidentenkonferenz zugenommen hat, wird auch in Zukunft das faktische Einstimmigkeitsprinzip für Reformen der Finanzverfassung und des Finanzausgleichs maßgeblich sein.
Ein erstes Beispiel dafür bildete der "Pakt für Fairness, finanzpolitische Solidität und Generationengerechtigkeit". Dabei handelt es sich um ein Positionspapier der Länder Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen, das von den Chefs der Staats- und Senatskanzleien auf einer gemeinsamen Sitzung am Tegernsee im Sommer 2006 erarbeitet wurde. Mit diesem Papier sollte wohl schon im Vorgriff auf das erwartete Urteil des BVerfG zur Haushaltslage des Landes Berlin und die sich daran anschließenden Verhandlungen zwischen Bund und Ländern eine erste und unmissverständliche Positionierung zum zukünftigen Umgang mit Haushaltskrisen im Bundesstaat formuliert werden. Vor allem die Nehmerländer reagierten zum Teil äußerst gereizt auf diesen Vorstoß, da sie darin eine Infragestellung der eigenen, verfassungsrechtlich geschützten Haushaltsautonomie nach Art. 109 Abs. 1 GG erkannten. Denn neben einer strikten Neuverschuldungsregel für alle Länder hatten die Geberländer ein Haushaltsnotlagenverfahren in Anlehnung an das privatrechtliche Insolvenzverfahren vorgeschlagen. Insgesamt hat der gemeinsame "Pakt" der Geberländer vor allem zu einer vorzeitigen Beeinträchtigung des Verhandlungsklimas und einer Verhärtung der ohnehin starren Fronten zwischen Geber- und Nehmerländern beigetragen. Unabhängig davon kann der Pakt als Indiz für die "Exekutivlastigkeit" gewertet werden, die sich für das gesamte Verfahren zur zweiten Stufe der Föderalismusreform abzeichnet. So haben die Ministerpräsidenten schon deutlich gemacht, dass die eindeutige Federführung für dieses Reformvorhaben in den Staats- und Senatskanzleien angesiedelt sein soll.
Mit der Bundestagswahl 2005 haben sich die politischen Mehrheiten auch auf der Bundesebene verschoben. Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD stellt mit ihrer komfortablen Zweidrittelmehrheit zwar eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Voraussetzung für eine Bundesstaatsreform dar. Denn die politische Kompromisssuche zur ersten Stufe der Föderalismusreform hat gezeigt, dass es auch innerhalb der beiden Regierungsfraktionen mühsamer Überzeugungsarbeit bedurfte, um die nötige Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat zu organisieren. Zudem besteht offenbar ein Unterschied in der politischen Problemverarbeitung von finanzverfassungsrechtlichen Fragestellungen einerseits und der Neuordnung von Kompetenzverteilungsregeln andererseits. So zählt die Ressourcenverteilung zwischen Bund und Ländern - im Verständnis der verantwortlichen Akteure - anscheinend noch stärker zum Kernbereich gliedstaatlicher Souveränität als die Aufgabenverteilung. Dies erklärt z.B., warum vor allem die Ministerpräsidenten bislang regelmäßig darauf geachtet haben, dass dem Bundestag in Finanzausgleichsverhandlungen lediglich eine "ratifizierende Funktion" zukam. Denn die entscheidenden Verhandlungen in solchen Fragen wurden meist zwischen den Länderchefs und dem Bundeskanzler unter Hinzuziehung der jeweiligen Finanzminister geführt, die oft maßgeblich für die Vorbereitung entsprechender Kompromisse verantwortlich waren. Insofern bleibt abzuwarten, auf welchen Beteiligungsmodus sich Bund und Länder für den Bundestag einigen.
Die Rolle des Bundesverfassungsgerichts
Eine besondere Rolle in der hier im Mittelpunkt stehenden Akteurskonstellation nimmt einmal mehr das BVerfG ein. Denn auf die zurzeit noch am Anfang stehenden Verhandlungen zur geplanten Finanzverfassungsreform dürfte das Karlsruher Urteil zur Haushaltslage des Landes Berlin nachhaltige Auswirkungen haben. Somit lässt sich auch in dieser Hinsicht eine Parallele zu den Finanzausgleichsverhandlungen 2001 ziehen, die durch das "Maßstäbeurteil" von 1999 geprägt wurden.
Der jüngste Karlsruher Richterspruch stellt insofern einen Paukenschlag dar, als er darauf verzichtet, die unüberwindbaren Interessengegensätze hinsichtlich des Umgangs mit Haushaltsnotlagen im Bundesstaat abschließend aufzulösen. Es wäre eine einseitige Interpretation, wollte man das Urteil lediglich als Niederlage des Landes Berlin verstehen. Zwar verbindet sich mit der unzweideutigen Klarstellung der Richter, dass sich Berlin nicht in einer "extremen Haushaltsnotlage" befinde, sondern nur eine "angespannte Haushaltslage" aufweise, eine Absage hinsichtlich der (expliziten und impliziten) Forderungen der Hauptstadt. Dennoch ist das Gericht auch den Einlassungen der Gegner und Kritiker der Berliner Position nur sehr bedingt gefolgt. Berlin hatte Bundesergänzungszuweisungen zur Haushaltssanierung eingeklagt und auf eine (Teil-)Entschuldung im Rahmen einer "Fonds-Lösung" nach dem Vorbild z.B. des Erblastentilgungsfonds gehofft. Vor allem die finanzstärkeren Länder im Finanzausgleich hatten - gestützt auf entsprechende wissenschaftliche Ansätze - im Vorfeld der Verfassungsgerichtsentscheidung die Forderung nach strengen verfassungsrechtlichen Verschuldungsgrenzen und Sanktionsmechanismen erhoben. In diesem Kontext wurden auch Vorschläge wie die Einsetzung eines Sparkommissars unter Zugrundelegung von Art. 37 Abs. 2 GG (Bundeszwang) sowie die Institutionalisierung einer Insolvenzordnung für Gebietskörperschaften diskutiert.
Das Urteil des BVerfG enthält zudem - entgegen allen Erwartungen - keinen Gesetzgebungsauftrag oder Fristen an die Adresse von Bund und Ländern. Diverse Aussagen und Querverweise des Gerichts erwecken zunächst den Eindruck eines Rückgriffes auf die Rechtsprechung der vergangenen Jahre. Gleichzeitig nimmt das Gericht in einem quasi selbstreferenziellen Diskurs eigene Aussagen mit einem Verweis auf die veränderte haushaltspolitische Lage von Bund und Ländern erkennbar zurück, um die Frage nach dem Umgang mit Haushaltsnotlagen im Bundesstaat als originär politische Aufgabe an den Gesetzgeber zurückzuüberweisen. So stellt das Gericht zur Rollenverteilung im Bundesstaat im Allgemeinen und in der Sondersituation einer Haushaltsnotlage im Besonderen klar: "Solange das Land [gemeint ist das potentielle Haushaltsnotlagen-Land; H.S.] die Ausschöpfung aller eigenen Potentiale in überzeugungskräftiger, auch in tatsächlicher Hinsicht belegter Weise begründet, ist es im Streitfall Sache des Bundes und der äußerungsberechtigten Länder, dem überzeugungskräftig entgegenzutreten. Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts wird es dann sein, unter Aussonderung evident fehlsamer Einschätzungen der Verfahrensbeteiligten zu entscheiden, ob ein Anspruch dargetan ist."
"Bundesstaatlicher Notstand"
Mit seinem Urteil hat das Gericht zum wiederholten Male die Grundstruktur des deutschen Finanzausgleichssystems in seiner Vierstufigkeit bestätigt. Dabei hat es erneut die zentrale Bedeutung der Verteilungsprinzipien hervorgehoben, die in der laufenden Rechtsprechung entwickelt worden sind (föderatives Gleichbehandlungsgebot, Nivellierungsverbot, Gebot der Rangfolgeerhaltung). Ohne das bestehende Instrumentarium zur Behebung von Haushaltsnotlagen grundsätzlich zu verwerfen, haben die Richter unmissverständlich festgestellt, dass es sich bei den Bundesergänzungszuweisungen zur Haushaltssanierung um einen "Fremdkörper" im Regelwerk der Ausgleichssystematik handelt, an den der Maßstab des "Ultima-Ratio-Prinzips" anzulegen sei. Mit diesen Formulierungen und der neuen Konstruktion des "bundesstaatlichen Notstandes", die das Gericht mehrfach anstelle des Begriffs "Haushaltsnotlage" verwendet, ist die Messlatte zur Bestimmung von Haushaltsnotlagen einzelner Bundesländer, welche die Karlsruher Richter mit ihrem Urteil von 1992 statuiert haben, deutlich angehoben worden. Mit dem nicht näher konkretisierten Begriff des "bundesstaatlichen Notstandes" will das Gericht die Frage etwaiger Haushaltsnotlagen als gesamtstaatliches Problem verstanden wissen, das sich nicht durch eine isolierte Betrachtung einzelner Glieder feststellen und beheben lässt.
Die Frage, wann ein solcher Notstand erreicht und mittels welcher Indikatoren er festzustellen ist, bleibt unbeantwortet und einer späteren Klärung vorbehalten. Das Gericht gibt lediglich verschiedene Anhaltspunkte zur Bestimmung einer Haushaltsnotlage sowie den Anspruch auf Sanierungshilfen des Bundes. So hält es historische Analogieschlüsse und Vergleiche mit der Situation bisheriger Haushaltsnotlagenländer für ebenso wenig geeignet wie eine verfassungsrechtlich festgeschriebene Definition mit "ein für allemal feststehende(n) Ziel- oder Schwellenwerten".
Dass die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen zur Haushaltssanierung nicht mehr nur eine "Haushaltsnotlage im absoluten Sinn einer Existenzbedrohung" voraussetzt, sondern immer auch einen Ländervergleich erforderlich macht, verdeutlicht die neuen Maßstäbe des BVerfG. Es ist daher unwahrscheinlich, dass das bisher genutzte Instrumentarium der Sanierungszuweisungen des Bundes auch in Zukunft zum Einsatz kommt. Denn das Gericht hat darauf verzichtet, den Zustand einer "Existenzbedrohung" eines Landes näher zu definieren. Zudem stehen - auch nach dem Karlsruher Urteil - weder Bund noch Länder angesichts der nach wie vor exzellenten Bonitätsbewertungen durch die internationalen Rating-Agenturen in einer akuten Gefahr, in eine solche Extremsituation zu geraten. Inwieweit sich dies infolge einer umfassenden Finanzverfassungsreform einschließlich einer Stärkung der gliedstaatlichen Einnahmenautonomie ändern könnte, bleibt dahingestellt.
Politischer Handlungsbedarf
Der unmittelbare Handlungsbedarf, der für den Gesetzgeber aus dem Berlin-Urteil resultiert, ist gering. Erst auf den zweiten Blick enthält die Urteilsbegründung eine Fülle von Hinweisen, die für eine Finanzverfassungsreform, wie sie auch im Koalitionsvertrag der Großen Koalition vorgesehen ist, durchaus von Nutzen sind.
Nicht nur in dieser Frage korrespondieren die Feststellungen der Karlsruher Richter unverkennbar mit der "Offenen Themensammlung zu einer Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen", die sich im Anhang des Bundesratsbeschlusses zur ersten Stufe der Föderalismusreform vom 7. Juli 2006 finden. Darin ist ebenfalls der Hinweis auf "vergleichbare Datengrundlagen" als Voraussetzung für eine "Vorbeugung von Haushaltskrisen" enthalten. Schon dieser Punkt macht deutlich, wie sehr die Frage einer wirksamen Prävention und Behebung von Haushaltsnotlagen im Bundesstaat die Grundfesten der Haushaltsautonomie von Bund und Ländern gemäß Art. 109 Abs. 1 GG berührt. Denn ein systematisches Benchmarking von Haushaltskennziffern der Länder - wie vom BVerfG als Voraussetzung zur Feststellung etwaiger Haushaltsnotlagen gefordert - setzt zunächst eine länderübergreifende Vereinheitlichung der Haushaltssystematiken voraus. Eine solche Standardisierung würde nicht nur im Widerspruch zu den wettbewerbsföderalistischen Ansätzen stehen, die vor allem von finanzwissenschaftlicher Seite immer wieder vorgebracht werden. Vielmehr lassen sich derzeit vor allem in der Staatspraxis eher gegenläufige Entwicklungstendenzen beobachten. So wollen z.B. Hamburg und Hessen ihre Haushaltsführung von der Kameralistik auf die doppelte Buchführung umstellen. Auch was Privatisierungen, Auslagerungen und die Einführung von Nebenhaushalten betrifft, sind die Länder angesichts ihrer desolaten Haushalte in den vergangenen Jahren immer erfinderischer geworden.
Eine Vereinheitlichung der unterschiedlichen Haushaltssystematiken von Bund und Ländern, die als zentrale Voraussetzung für die Institutionalisierung eines wirksamen Frühwarnsystems für drohende Haushaltskrisen im Bundesstaat erforderlich wäre, kann aber nur einen Aspekt bzw. den Ausgangspunkt einer umfassenderen Finanzverfassungsreform bilden. Denn unabhängig von der fiskalischen Extremsituation verschiedener Länder besteht die eigentliche finanzpolitische Herausforderung in der Bundesrepublik seit Jahren in der stetig steigenden Staatsverschuldung von Bund und Ländern. Ursache dafür sind auf Länderebene vor allem die geringen Gestaltungsspielräume, sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite. Aufgrund des bestehenden Steuerverbunds zwischen Bund und Ländern sowie der weitgehend bundeseinheitlich geprägten Ausgabenstruktur der Länderhaushalte ist weder eine Steigerung der Einnahmen noch eine Senkung der öffentlichen Ausgaben ohne weiteres möglich.
Soll aber nicht nur die jährliche Nettoneuverschuldung von Bund und Ländern zurückgeführt, sondern auch die öffentliche Gesamtverschuldung langfristig abgebaut werden, so müssen vor allem für die Länder Anreize geschaffen werden. Da die Frage eines "Haushaltsnotlagen-Regimes" im engeren Sinne mit dem jüngsten Urteil des BVerfG faktisch obsolet geworden ist, sollten nun die politischen Anstrengungen auf die Schaffung (bundesgesetzlicher) Verschuldungsregeln für die Länder konzentriert werden. Diese sollten mehr den Charakter einer Selbstverpflichtung haben. Die Einhaltung entsprechender Regeln könnte in einem kontinuierlichen Monitoringprozess erfolgen, der von einem deutlich aufgewerteten Finanzplanungsrat administrativ betreut wird. Die Frage nach wirksamen Verschuldungsgrenzen für die Länder tangiert auch die Frage der Haushaltsautonomie von Ländern und Gemeinden. Mittel- und langfristig gilt es, die finanzielle Eigenständigkeit der beiden unteren bundesstaatlichen Ebenen wieder zu stärken. Als Anreiz könnte dies mit einer (Teil-)Entschuldung der Länder verknüpft werden, um so vergleichbare Ausgangsbedingungen zu schaffen. Der Bund könnte im Gegenzug zusätzliche Kompetenzen in der Steuergesetzgebung und -verwaltung erhalten. Ein komplettes Verschuldungsverbot für die Länder, das womöglich noch dazu verfassungsrechtlich verankert würde, scheint allerdings auch in diesem Reformszenario wenig sinnvoll. Denn schon die heutige Staatspraxis zeigt, dass in diesem Falle entsprechende "Ausweichreaktionen" z.B. über eine deutliche Erhöhung und Ausweitung der Kassenkredite zu erwarten stünden.
Die Aussichten für die Realisierung einer Reform der deutschen Finanzverfassung sind angesichts der eingangs erwähnten Reformprojekte, die zurzeit auf der politischen Agenda stehen, eher verhalten zu bewerten. Derart gravierende Einschnitte wären auch mit einem weit reichenden Eingriff in die bestehende Systematik der Finanzverfassung verbunden. Nichtsdestotrotz ist ein unvoreingenommener Diskurs über die Folgen der öffentlichen Verschuldung der drei bundesstaatlichen Ebenen unumgänglich. Ein solcher Prozess wird nur dann Ergebnisse zeitigen, wenn dabei der Konnex zwischen Aufgaben, Einnahmen und Ausgaben in den Blick genommen wird. Darüber hinaus muss im politischen Raum die grundsätzliche Frage gestellt und abgewogen werden, inwieweit im Interesse eines nachhaltigen Schuldenabbaus von Bund und Ländern womöglich auch gliedstaatliche Kompetenzen eingeschränkt werden müssen.