Einleitung
"Die föderative Ordnung ist überholt." Unter anderem mit diesem Argument begründete Bundespräsident Horst Köhler im Juli 2005 seine Entscheidung, den Deutschen Bundestag aufzulösen, und mit dieser Einschätzung stand er wahrlich nicht allein. Politiker jeglicher Couleur, Politikwissenschaftler, Staats- und Verfassungsrechtler plädieren schon lange für eine Restrukturierung des Bund-Länder-Verhältnisses. Denn das Grundgesetz habe, so die herrschende Meinung, die politischen Akteure in das Prokrustesbett der Kooperation und zum Konsens gezwungen und damit den zentralen demokratischen Legitimationsmechanismus untergraben: den auf Konflikt und Mehrheitsentscheidung beruhenden Parteienwettbewerb. Dieser "Strukturbruch" (Gerhard Lehmbruch) zwischen Bundesstaat und Parteienwettbewerb schränke die Handlungs- und Steuerungsfähigkeit des Staates ein, weil er umfassende Politikwechsel ausschließe und allenfalls eine "Politik des mittleren Weges" zulasse. Der in Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) postulierte "demokratische Bundesstaat" ist - polemisch formuliert - in der Verfassungswirklichkeit also ein "undemokratischer Bundesstaat". Ein "Ruck", wie ihn einst Roman Herzog forderte, kann auf einer solchen verfassungsrechtlichen Basis schwerlich durch Deutschland gehen.
Mit der Föderalismusreform - von Edmund Stoiber als "Mutter aller Reformen" bezeichnet - sollten diese Hemmnisse beseitigt werden. Sie sollte die Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern klarer zuordnen, die Transparenz politischer Entscheidungsprozesse erhöhen - bzw. überhaupt erst herstellen - und die staatliche Handlungsfähigkeit insgesamt verbessern. Die am 1. September 2006 in Kraft getretetene erste Stufe der Reform gilt zu Recht als die weit reichendste Änderung des GG seit 1949. Insgesamt 25 der 183 Artikel des GG waren betroffen, elf mehr als bei der letzten großen Verfassungsreform von 1994. Angestrebt wurde vor allem, den Anteil zustimmungsbedürftiger Gesetze zu reduzieren sowie die legislativen Kompetenzen von Bund und Ländern neu festzulegen. Wie viele andere erwartete Matthias Platzeck, damals Bundesratspräsident, dass nach der Reform "schneller, effizienter und besser" regiert werden könne. Die nähere Prüfung wird zeigen, ob solche Hoffnungen begründet sind.
Gesetzgebung im (un-)demokratischen Bundesstaat
Nicht wenige hielten die Verknüpfung des Demokratiegebotes mit dem Bundesstaatsprinzip lange Zeit für eine glückliche, ebenso die Freiheit sichernde wie die staatliche Handlungsfähigkeit verbessernde Konstellation. Doch seit Mitte der 1970er Jahre hat sich in der Politikwissenschaft die Auffassung durchgesetzt, dass bundesstaatlicher Konsenszwang hohe demokratische Kosten erzeugt und effektives Regieren erheblich einschränkt, ja vielfach sogar ausschließt. In der Gesetzgebung haben sich diese Probleme besonders bemerkbar gemacht. Gesetzgebung ist nicht nur "das wichtigste, dem Rechtsstaat angemessene Mittel politischer Steuerung", sondern auch Manifestation des souveränen Volkswillens. In Gesetzen sollte sich daher, so die verbreitete Auffassung, der in Wahlen ermittelte Mehrheitswille widerspiegeln; zudem sollte das Verfahren ausreichend transparent sein, und die Wähler und Wählerinnen sollten erkennen können, wer wofür verantwortlich ist. Schließlich sollte die politische Ordnung sachgerechte und gemeinwohlförderliche Lösungen privilegieren.
Die Gesetzgebung im kooperativen Föderalismus scheint keine dieser Anforderungen zu erfüllen. Erstens wird vorgebracht, dass die Politikverflechtung, d.h. eine durch "zwei oder mehr Ebenen verbindende Entscheidungsstruktur", eine Dominanz der Exekutive verursache, zur Entparlamentarisierung beitrage und dazu tendiere, aus "ihrer institutionellen Logik heraus systematisch (...) ineffiziente und problem-unangemessene Entscheidungen" zu erzeugen. Gesetzgebung ist in dieser Perspektive kaum mehr als parlamentarische Notifikation von Beschlüssen, die andernorts, in zumeist nichtöffentlichen und informellen Gremien, getroffen wurden und die sich nur in Ausnahmefällen als sachgerecht bezeichnen lassen. Zweitens würde - unterschiedliche Mehrheitsverhältnisse in Bundesrat und Bundestag vorausgesetzt - die Länderkammer regelmäßig von den Parteien, die sich im Bundestag in der Opposition befinden, als politisches "Widerlager" und Blockadeinstrument missbraucht. Damit werde nicht nur der politische Mehrheitswille, wie er in Bundestagswahlen zum Ausdruck kommt, unterlaufen, sondern die Länderexekutiven, die im Bundesrat vertreten sind, gewännen einen Einfluss, der ihnen aus demokratischer Perspektive nicht zustehe. Gleichzeitig würden Entscheidungen in hohem Maße unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen, im Konfliktfall gar in der "Dunkelkammer" des Vermittlungsausschusses und in Form von Tauschgeschäften und Paketlösungen, so dass bisweilen nicht einmal die direkt Beteiligten mehr zu wissen scheinen, wem welche Ergebnisse zuzuordnen sind. Und schließlich wird davon ausgegangen, dass Unitarisierung und Europäisierung den Ländern sukzessive substantielle Gestaltungsbereiche entzogen hätten. Den Bundesländern drohe die "Verödung zu regionalen Verwaltungsprovinzen mit Landtagen als regionalen Vertretungskörperschaften".
Zusammenfassend lassen diese Befunde nur eine Schlussfolgerung zu: Die Funktionsprinzipien des kooperativen Föderalismus unterminieren zentrale demokratische Anforderungen an die Gesetzgebung. Um die Regierungsfähigkeit zu verbessern und um sicherzustellen, dass demokratisch zustande gekommene Entscheidungen dem "Allgemeinwohl dienen und dem Kriterium der Verteilungsgerechtigkeit" entsprechen, schien eine Reform des Bundesstaates mehr als überfällig. Da die Finanzverfassung erst in einer zweiten Stufe geändert werden soll, konzentrierte sich die Debatte bisher auf zwei Aspekte: Der Anteil zustimmungspflichtiger Gesetze sollte signifikant reduziert werden, um die Vetomacht des Bundesrates zu begrenzen; außerdem sollten die Gesetzgebungszuständigkeiten von Bund und Ländern restrukturiert werden.
Zustimmungspflichtigkeit von Bundesgesetzen
Die Zustimmungspflicht eines Bundesgesetzes ergibt sich, weil es das Grundgesetz vorschreibt - wie etwa bei der Finanzverfassung oder bei Gemeinschaftsaufgaben - oder aufgrund von Art. 84 Abs. 1 GG (alt). Um den Anteil zustimmungspflichtiger Gesetze zu senken, stand dieser GG-Artikel im Zentrum der Überlegungen. Begünstigt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und die so genannte "Einheitstheorie" hat er sich für die Länderkammer als "große(s) Einfallstor" erwiesen und den Bundesrat zu einer dem Bundestag "praktisch gleichgewichtig(en)" Institution aufgewertet. Bis zu seiner Änderung hat der Artikel bestimmt, dass Bundesgesetze, die von den Ländern als eigene Angelegenheiten ausgeführt wurden, der Zustimmung des Bundesrates bedurften, wenn der Bund die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren ebenfalls in dem Gesetz regeln wollte. Zwischen 1981 und 1991 löste Art. 84 Abs. 1 GG (alt) in 58,1 Prozent und zwischen 1998 und 2005 in 54,6 Prozent der Fälle eine Zustimmungspflicht aus.
Die Neufassung des Art. 84 GG eröffnet dem Bundesgesetzgeber nun drei Möglichkeiten, um eine Zustimmungspflicht zu begründen bzw. auszuschließen: Erstens kann der Bund - wie bisher - auf eine Ausgestaltung verfahrensrechtlicher Vorschriften verzichten; er kann, zweitens, das Landesverfahrensrecht regeln, den Ländern jedoch innerhalb von sechs Monaten eine Abweichung von diesen Regelungen erlauben; und schließlich, drittens, kann er in "Ausnahmefällen", wegen "eines besonderen Bedürfnisses", das Verwaltungsverfahren bundeseinheitlich gestalten, ohne den Ländern das Recht zur Abweichung einzuräumen, wobei dann wieder die Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist.
Die Möglichkeit zur Abweichungsgesetzgebung, die sich allein auf die Einrichtung von Landesbehörden und das Verwaltungsverfahren beziehen darf, stellt die zentrale Neuerung des Art. 84 Abs. 1 GG dar: Landesrecht wird zum ersten Mal Bundesrecht brechen können. Die Neuregelung fußt auf einem einfachen Prinzip: Bei den Gesetzen, bei denen die Länder ihr absolutes Vetorecht verlieren, können sie durch Abweichungsgesetze das Verwaltungsverfahren selbst gestalten; dort, wo dies nicht möglich ist, ist eineZustimmung des Bundesrates erforderlich. Hätten alle Änderungen (also nicht nur bezogen auf Art. 84 Abs. 1 GG) schon in der 14. und 15. Wahlperiode gegolten, wäre der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze mehr als halbiert worden: von 55,2 auf 25,8 in der 14. und von 51 auf 24 Prozent in der 15. Wahlperiode, so der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages.
Auch wenn diese rückwärtsgewandten und kontrafaktischen Prognosen recht beeindruckend wirken, ist durchaus fraglich, ob und inwieweit die Änderungen die staatlichen Handlungsmöglichkeiten verbessern und die Entscheidungsprozesse beschleunigen werden. Schon die vorhergesagte Halbierung des Anteils zustimmungspflichtiger Gesetze scheint aufgrund der "heroische(n) Annahme(n)", die der Untersuchung des Wissenschaftlichen Dienstes unterlegt sind, wenig wahrscheinlich, auch weil den bestehenden 45 Zustimmungstatbeständen im Grundgesetz weitere zugefügt wurden (z.B. in Art. 104a Abs. 4 GG [neu]). Ebenso wenig begründet scheint die Hoffnung, parlamentarische Entscheidungsverfahren beschleunigen zu können. Einspruchsgesetze wurden auch bisher nur unwesentlich schneller verabschiedet als Zustimmungsgesetze - Burkhart und Manow gehen von einer Differenz von 16 Tagen aus -, und die bei Abweichungsgesetzen in Zukunft einzuhaltende Sechsmonatsfrist wird eher zu einer Verlängerung von Gesetzgebungsverfahren beitragen.
Grundlegend ist jedoch, dass sich die Reform an einem abstrakten Trennprinzip orientiert und damit den auch weiterhin existierenden funktionalen Verflechtungen nur unzureichend Rechnung tragen kann. Dem Reformvorhaben vorausgesetzt war die Überlegung, dass, wenn Verflechtung das Problem ist, Entflechtung die Lösung sein muss. Generell wurde dabei unterstellt, dass die beklagte "Überflechtung" Resultat der Grundgesetzänderungen der 1960er Jahre war. Doch wurde in den Debatten kaum berücksichtigt, dass sich die Zustimmungsbedürfigkeit von Gesetzen "in fast 90 Prozent auf die bereits 1949 im Grundgesetz enthaltenen Bestimmungen und auf die zu ihnen ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts" zurückführen lässt. Anders formuliert: Verflechtung war schon immer konstitutiver Bestandteil des kooperativen Föderalismus in Deutschland. Der Anteil zustimmungspflichtiger Gesetze lag daher auch schon in der 1. Wahlperiode bei 41,8 Prozent, ist in der 2. auf 49,8 Prozent gestiegen und schwankt seitdem um einen Wert von durchschnittlich 53,1 Prozent; zuletzt, in der 15. Wahlperiode, ist er auf unterdurchschnittliche 50,6 Prozent gefallen.
Damit korrespondiert, dass die Länderkammer vorwiegend oder gar ausschließlich als politisches Widerlager der Opposition verstanden wurde. Bei vielen wichtigen Gesetzesvorhaben waren Bundesrat und Vermittlungsausschuss das Nadelöhr, durch das Gesetzesvorhaben gepresst werden mussten. Dennoch wurde bis 2005 nur bei 833 Gesetzgebungsverfahren der Vermittlungsausschuss angerufen, und lediglich 183 von 6 458 vom Bundestag verabschiedete Gesetze scheiterten an einem Veto des Bundesrates. Wer auf dieser Grundlage den Bundesrat allein als Blockadeinstrument betrachtet, nimmt die Ausnahme, nämlich ein Scheitern eines Gesetzes, zum die Institution definierenden Charakteristikum und vernachlässigt, dass der Bundesrat eher als Konsens- denn als Konfliktorgan zu verstehen ist. Hinzu kommt, dass sich der Bund die erhöhte Entscheidungsfähigkeit "erkaufen" musste, indem er Ansprüche zur Gestaltung des Verwaltungsverfahrens an die Länder abtrat.
Föderalismusreform und Landesgesetzgebung
Folgt man dem Wortlaut der Verfassung, haben die Länder das "Recht der Gesetzgebung" (Art. 70 Abs. 1 GG), es sei denn, das Grundgesetz hat dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse übertragen. Eine rein "grammatische", also ausschließlich am Wortlaut orientierte Auslegung, nach der Landesgesetzgebung als Regelfall und Bundesgesetzgebung als Ausnahme zu gelten hätte, führt bei dieser Norm jedoch in die Irre. Denn statt den Ländern Gesetzgebungskompetenzen zu sichern, trug Art. 70 Abs. 1 GG dazu bei, die legislativen Kompetenzen des Bundes zu erweitern. So lautet die auch in der fachwissenschaftlichen Literatur verbreitete Erklärung dafür, dass der Bund seine Gesetzgebungskompetenzen immer weiter ausbauen konnte. In dieser Perspektive bedeutete eine Übertragung von Gesetzgebungszuständigkeiten an den Bund zwar einen Kompetenzverlust für die Landesparlamente, aber die Landesregierungen ließen sich mit Beteiligungsrechten im Bundesrat entschädigen. Die Geschichte der Verfassungsänderungen scheint diese These zu bestätigen. Die Liste der Gegenstände vor allem der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes wurde seit 1949 verlängert, und der Bund hat bis Mitte der 1990er Jahre von seinen Kompetenzen umfassend Gebrauch gemacht. Allgemein wird Landesparlamenten daher nur noch ein marginaler Einfluss auf die Staatsleitung zugeschrieben, manche sehen gar die Staatsqualität der Länder bedroht, weil sie über keine relevanten Gesetzgebungszuständigkeiten mehr verfügten.
Um diese Entwicklungen zu korrigieren, wurden im Zuge der Föderalismusreform die Liste der Gegenstände der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes erweitert und die Rahmengesetzgebung nach Art. 75 GG (alt) abgeschafft. Wichtiger noch: 16 Regelungsmaterien wurden an die Länder übertragen (darunter: Strafvollzug, Teile des Umwelt- und des öffentlichen Dienstrechts). Gleichzeitig wurden die Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung in drei Klassen unterteilt: (1) Für zehn Materien muss der Bund weiterhin nachweisen, dass eine bundeseinheitliche Regelung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse oder zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit erforderlich ist. Nachdem 1994 die in Art. 72 Abs. 2 GG (alt) bestehende Bedürfnis- in eine Erforderlichkeitsklausel umgewandelt wurde, hat das BVerfG letztere äußerst restriktiv ausgelegt. So wurde im Urteil zur Juniorprofessur festgelegt, dass Erforderlichkeit eine "Gefahrenlage" voraussetze und sich die "Lebensverhältnisse (...) zwischen Ländern in einer unerträglichen Weise auseinander entwickeln" müssten. Unter diesen Voraussetzungen dürfte der Bund Gesetzesmaterien, die der Erforderlichkeitsklausel unterliegen, kaum autonom gestalten können. (2) Für den Rest der in Art. 74 GG (neu) genannten 32 Gesetzesmaterien muss die Erforderlichkeit nicht mehr nachgewiesen werden, der Bund kann hier autonom entscheiden. (3) Schließlich haben die Länder nach Art. 72 Abs. 3 GG (neu) in sechs Bereichen, die vormals unter die Rahmengesetzgebung fielen, die Möglichkeit erhalten, abweichende Regelungen zu treffen. In der Konsequenz wird der Bund Gestaltungsansprüche gegen den Widerstand einzelner Länder auch in diesen Bereichen kaum durchsetzen können. Kurt Beck (SPD) geht davon aus, dass durch die Änderungen die Landtage in "massiver Weise gestärkt" würden, und Edmund Stoiber (CSU) sieht Landtage "wieder zu Orten lebendiger Diskussion werden", weil Landtagsdebatten "mit größerer Aufmerksamkeit verfolgt [werden] als (...) Bundestagsdebatten".
Auch bei der Neufassung der Gesetzgebungskompetenzen waren Entflechtung und Kompetenztrennung die Leitgedanken. Aber auch hier dürften sich die erhofften Effekte allenfalls teilweise einstellen. So hält schon die verbreitete Auffassung, Gesetzgebungskompetenzen der Länder seien kontinuierlich an den Bund abgewandert, wofür die Landesregierungen Beteiligungsrechte im Bundesrat erhalten hätten, einer Prüfung nicht stand. Denn zu einem großen Teil waren die Bereiche auf Landesebene nicht geregelt, bevor sie der Liste der Gegenstände konkurrierender Gesetzgebung hinzugefügt wurden (z.B. Atomenergie, künstliche Befruchtung). Dem entspricht, dass die Zahl der Gesetze, die von den Ländern verabschiedet wurden, keineswegs kontinuierlich gesunken ist. Im Gegenteil: Die Gesetzgebung hat in den Ländern sowohl in den 1970er als auch in den 1990er Jahren eine Renaissance erfahren und bewegt sich, gemessen an der Anzahl der verabschiedeten Gesetze, seit der Vereinigung auch in den alten Bundesländern auf dem Niveau der späten 1940er und frühen 1950er Jahre.
Für die Wirkung der Föderalismusreform ist allerdings wichtiger, dass die Rückübertragung von Kompetenzen auf die Länder die Landesparlamente nicht zwingend stärken muss. Ob und inwieweit eine Verlagerung von Kompetenzen an die Länder eine Aufwertung der Landesparlamente zur Folge hat, ergibt sich vor allem aus den Funktionsprinzipien landesparlamentarischer Regierungssysteme und nur mittelbar aus der Kompetenzordnung des Bundes. Es spricht wenig dafür, dass die Machtbalance zwischen Exekutive und Legislative in den Ländern durch die Föderalismusreform zugunsten der Landesparlamente verschoben wird. Zwar kann begründet angenommen werden, dass die Anzahl der von den Landesparlamenten verabschiedeten Gesetze zunehmen wird, doch wird die bestehende funktionale Verflechtung in vielen Bereichen eine Koordination der Länder weiterhin notwendig machen, was jedoch die dominierende Stellung der Landesexekutiven eher noch verstärken dürfte. Die Bildungspolitik und die Rolle der Kultusministerkonferenz bieten anschauliche Beispiele dafür, dass Landesparlamente auch dann nur über einen beschränkten gestaltenden Einfluss verfügen, wenn die Gesetzgebungskompetenzen bei den Ländern liegen. Doch ist dies der Funktionslogik parlamentarischer Regierungssysteme geschuldet und lässt sich durch eine Restrukturierung der Gesetzgebungskompetenzen im Bund nur bedingt beeinflussen.
"Schneller, effizienter und besser" sollte Deutschland regiert werden können, so die Hoffnung vor Verabschiedung des verfassungsändernden Gesetzes. Und es steht durchaus zu erwarten, dass die Änderungen die Handlungsautonomie des Bundes verbessern werden, auch wenn eine Beschleunigung der Entscheidungsprozesse wenig wahrscheinlich ist. Der verringerte Anteil zustimmungspflichtiger Gesetze und die klarere Kompetenztrennung führen zwar zu einem "Entlastungseffekt" für den Bund. Doch haben die Anhörungen im Bundestag im Mai 2006 deutlich gemacht, dass in einzelnen Politikbereichen (Bildung, Rechtspolitik, Umweltrecht) weiterhin ein hoher Bedarf nach bundeseinheitlichen Regelungen und generellen Standards besteht, dass also die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse nicht nur verfassungsrechtlicher Auftrag ist, sondern auch eine ökonomische und politische Notwendigkeit darstellt.
Darin deutet sich jedoch ein zentrales Problem der Föderalismusreform an: Während sich die Reform des Art. 84 Abs. 1 GG (neu) und die Restrukturierung der Gesetzgebungszuständigkeiten an den Prinzipien Entflechtung und Trennung orientieren, verlangen die Funktionsprinzipien des kooperativen Föderalismus weiterhin Kooperation und Konsens. Aktuelle politische Debatten - etwa zur Gesundheitsreform und zur Lebensmittelkontrolle - zeigen, dass "gutes Regieren" ebenso, vielleicht sogar vorwiegend, von politischen Inhalten bestimmt wird. Darin liegt die eigentliche Herausforderung für die Parteien und den demokratischen Bundesstaat.