Einleitung
Die im Herbst 2003 eingesetzte "Kommission zur Reform der bundesstaatlichen Ordnung" hatte sich das Ziel gesetzt, die deutsche Politik aus der "Verflechtungsfalle" zu befreien - aus einer Situation also, in der die Bundespolitik durch die Vetomacht des Bundesrats gefesselt werden kann, während die Politik in den Ländern weder in der Gesetzgebung noch in der Finanzwirtschaft über autonome Handlungsspielräume verfügt. Gemessen an diesem Ziel ist das Ergebnis dürftig: Die Zustimmungsrechte des Bundesrats wurden in politisch wichtigen Fragen eher vermehrt als vermindert, und die Erweiterung der landespolitischen Handlungsmöglichkeiten blieb hinter dem Nötigen und Möglichen weit zurück.
Weshalb wurde so wenig erreicht? Es kommen drei Erklärungen in Frage: objektive Schwierigkeiten und Hindernisse, die einer problemgerechten Reform entgegenstanden; ein ungeeigneter Ansatz, der erfolgversprechende Reformversuche verhinderte; schließlich eine Interessenkonstellation unter den Vetospielern, die eine Einigung auf problemgerechte Reformen ausschloss. Offenbar haben alle drei Faktoren eine Rolle gespielt: Zum einen kollidieren Versuche einer Entflechtung mit der grundlegenden Architektur des deutschen Bundesstaates, in der dem Bund und den Ländern nicht bestimmte Staatsaufgaben im Ganzen, sondern einzelne Staatsfunktionen zugeordnet werden. Zum zweiten ignorierte der von der Kommission verfolgte Ansatz einer "klaren Trennung" der Aufgaben von Bund und Ländern sowohl den in der Sache begründeten Mehrebenencharakter der Staatsaufgaben als auch die gravierenden Unterschiede in der Leistungsfähigkeit der Länder. Drittens schließlich bestimmten die Vetospieler jeder Verfassungsreform - die Ministerpräsidenten und die Sprecher der Bundestagsfraktionen - nicht nur das parlamentarische Verfahren, sondern bereits die Kommissionsberatungen.
Kaum verminderte Zustimmungsrechte des Bundesrats
Die angestrebte Verminderung des Bundesratsvetos scheiterte am ersten und am dritten dieser Faktoren. Objektiv gesehen lässt die Funktionsverflechtung im deutschen Bundesstaat eine weitgehende Beseitigung von Zustimmungsrechten des Bundesrats von vornherein als unrealistisch erscheinen. Wenn fast alle Bundesgesetze von den Ländern als eigene Angelegenheit und auf eigene Kosten zu vollziehen sind, und wenn die Steuereinnahmen der Länder fast vollständig von Bundesgesetzen abhängen, dann können die Landesregierungen ihren Einfluss auf die Gesetzgebung des Bundes auch nicht aufgeben. In der Kommission hat man deshalb über die Zustimmungsrechte in der Finanzverfassung gar nicht erst geredet.
Die Diskussion beschränkte sich auf Art. 84 Abs. 1 Grundgesetz (GG), der die überwiegende Zahl der Zustimmungsfälle ausgelöst hat: "Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, so regeln sie die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren, soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen." Wenn der Bund in die Verwaltungshoheit der Länder eingreifen will, muss der Bundesrat gefragt werden. Zum Problem konnte diese sinnvolle Regel erst werden, nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 1958 die so genannte "Einheitstheorie" erfunden hatte.
Diese Konstellation, die Gerhard Lehmbruch zum ersten Mal analysiert hat,
In der Kommission gab es Vorschläge der juristischen Sachverständigen, die das Zustimmungsrecht wieder auf die Organisations- und Verfahrensregeln beschränkt hätten - und die angesichts der neueren Rechtsprechung wohl auch vom BVerfG respektiert worden wären. Aber die Ministerpräsidenten ließen sich auf solche Überlegungen nicht ein. Sie waren nicht mehr bereit, die Möglichkeit parteipolitisch motivierter Blockaden gegen den Inhalt von Bundesgesetzen aufzugeben,
Die Länder allerdings sahen in der gefundenen Lösung eine Konzession, die nun ihrerseits kompensiert werden musste: Wenn das Zustimmungsrecht entfiel, weil der Bund auf verbindliche Verfahrensregeln verzichtete, dann konnten sie sich ja auch nicht mehr gegen Bundesgesetze wehren, die ihnen Kosten auferlegten. Am Ende der Beratungen stand deshalb ein neues Zustimmungsrecht für Gesetze, die "Pflichten der Länder zur Erbringung von Geldleistungen, geldwerten Sachleistungen oder vergleichbaren Dienstleistungen gegenüber Dritten begründen" (Art. 104a Abs. 4 GG [neu]). Im Ergebnis wird deshalb die Zahl der Zustimmungsfälle sogar eher zu- als abnehmen.
Kaum erweiterte Handlungsspielräume der Landespolitik
In der Vergangenheit hatten die Landesregierungen auf Kosten ihrer Landtage an der Ausweitung der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes bereitwillig mitgewirkt, sofern nur ihre Zustimmungsrechte im Bundesrat gesichert waren. Wenn diese seit Jahrzehnten beobachtete Tendenz zum "unitarischen Bundesstaat"
Sachlich hat mit der Vollendung des europäischen Binnenmarktes die bundeseinheitliche Gesetzgebung die Funktion verloren, gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle auf dem deutschen Markt konkurrierenden Unternehmen zu sichern. Was einheitlich geregelt werden sollte, muss heute europäisch geregelt werden. Umgekehrt gewinnen in der europäischen Standortkonkurrenz Spezialisierungsvorteile an Bedeutung, die bei der heterogenen Wirtschaftsstruktur der Bundesrepublik regional differenzierende Lösungen vorteilhaft erscheinen lassen.
Unter diesen Bedingungen stieg ihr Interesse an autonomen Handlungsmöglichkeiten der Landespolitik. Wenn schon die fiskalische Umverteilung hingenommen werden musste, so wollten sie wenigstens ihre Möglichkeiten in der Gesetzgebung erweitert sehen. Dem entsprach zunächst die rhetorische Hinwendung zur Idee eines "Wettbewerbsföderalismus"
Im Mai 2004 einigten sich die Ministerpräsidenten in einem gemeinsamen "Positionspapier" auf die Forderung umfassender Gesetzgebungszuständigkeiten für die Regelung "regionaler Lebenssachverhalte", von der öffentlichen Fürsorge über die aktive Arbeitsmarktpolitik, das Umweltrecht bis zum Wirtschaftsrecht. Zugleich sollte sich der Bund aus der Bildungs- und Erziehungspolitik ("von der Kita bis zur Habilitation") vollständig zurückziehen. Dass sich hinter dieser gemeinsamen Front gravierende Interessenkonflikte zwischen Ländern verbargen, zeigte sich schon daran, dass die von den süddeutschen Ländern ursprünglich geforderten Gesetzgebungskompetenzen über die den Ländern zufließenden Steuern aus dem Katalog gestrichen werden mussten und dass auch die Forderung nach Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen nur mit erheblichen Einschränkungen formuliert werden konnte. Die leistungsschwächeren Länder sahen im Gestaltungsföderalismus die Gefahren einer für sie möglicherweise "ruinösen" innerdeutschen Standortkonkurrenz.
Mit der Vorlage des "Positionspapiers" fanden die Diskussionen im Plenum der Föderalismuskommission ihr Ende. Die Beratungen verlagerten sich in sieben spezialisierte "Projektgruppen", in denen die Generalisten aus den Staatskanzleien auf die Spezialisten aus den Bundesressorts trafen, die mit Unterstützung aus den Verbänden jeweils im Detail darlegten, weshalb die Übertragung ihrer Gesetzgebungskompetenzen auf die Länder ganz besonders schädlich wäre. Das Ergebnis entsprach den Erwartungen: Da die Länder dem Bund nichts geboten hatten, sah auch das Bundeskanzleramt keinen Grund, die Ressorts zu Konzessionen zu motivieren. Als die Projektgruppen nach der Sommerpause ihre Berichte vortrugen, hätte man die Föderalismusreform für gescheitert erklären können. Dass dann in den allerletzten Wochen doch noch ernsthafte und fast erfolgreiche Verhandlungen zustande kamen, verdankt sich weniger dem Verhandlungsgeschick der Vorsitzenden oder der Kompromissbereitschaft der Beteiligten als einer Intervention des BVerfG. Das Urteil vom 27. Juli 2004, das die Einführung der "Juniorprofessur" durch das Hochschulrahmengesetz für verfassungswidrig erklärt hatte, hatte zugleich die Verhandlungsposition des Bundes in der Föderalismuskommission radikal verschlechtert: Es hatte sich nicht damit begnügt, die Überschreitung der Grenzen eines Rahmengesetzes zu rügen, sondern es verneinte auch die "Erforderlichkeit" einer bundesrechtlichen Regelung nach Art. 72 Abs. 2 GG. Diese setze voraus, dass "gerade durch unterschiedliches Recht in den Ländern eine Gefahrenlage entsteht" - etwa, wenn "sich die Lebensverhältnisse in den Ländern (...) in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben", wenn "unzumutbare Behinderungen für den länderübergreifendenRechtsverkehr" eine "Bedrohung von Rechtssicherheit und Freizügigkeit im Bundesstaat" erzeugen, oder wenn dadurch "die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik Deutschland" in Frage gestellt wird.
Diese extrem restriktive Interpretation der (1994 verschärften) Erforderlichkeitsklausel betraf nicht nur das Hochschulrahmengesetz, sondern den gesamten Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung und damit den überwiegenden Teil des geltenden Bundesrechts. Vom bürgerlichen Recht über das Strafrecht, den Strafprozess oder das Arbeitsrecht bis zum Straßenverkehrsrecht konnten nun nicht nur die Landesregierungen, Landtage und der Bundesrat, sondern alle Angeklagten in Strafprozessen und alle Parteien in Zivilprozessen das geltende Recht mit der Begründung anfechten, es sei nicht nachgewiesen, dass von Land zu Land unterschiedliche Regelungen schlechterdings unerträgliche wirtschaftliche oder soziale Folgeprobleme haben müssten.
Nun brauchte der Bund die Zustimmung der Länder, um den politisch unstrittigen Bestand seiner Gesetzgebungskompetenzen verfassungsrechtlich abzusichern. Es lag auf der Hand, dass er dafür etwas bieten musste. Bis Anfang November 2004 entstand ein zumindest quantitativ durchaus ansehnlicher Katalog von Gesetzgebungskompetenzen, die der Bund zur Übertragung auf die Länder anbot - von denen am Ende allerdings nicht alle von den Ländern akzeptiert wurden. Im Gegenzug waren die Länder bereit, wenigstens einen Teil der konkurrierenden Kompetenzen entweder in die ausschließliche Kompetenz des Bundes zu überführen oder sie explizit von der Erforderlichkeitsklausel freizustellen (Art. 72 Abs. 2 GG [neu]).
Trotzdem ließen die Länder die Föderalismusreform im Dezember 2004 zunächst scheitern - nach der öffentlich vorgetragenen Begründung deshalb, weil der Bund damals noch nicht bereit war, auch die letzten Reste seiner vom BVerfG reduzierten Kompetenzen im Bildungswesen aufzugeben. Dieses Hindernis wurde von der Großen Koalition beseitigt.
Weshalb ist das Ergebnis ungenügend?
Dass unter diesen Umständen der Bund bei der Reform wenig gewinnen konnte, liegt auf der Hand. Aber auch aus der Sicht der süd- und westdeutschen Länder wurden die Reformziele nicht erreicht. Wo es ihnen um die Möglichkeit der autonomen Gestaltung politisch und wirtschaftlich bedeutsamer "Lebenssachverhalte" gegangen war, stand am Ende der Beratungen ein Katalog isolierter Zuständigkeiten für eng umschriebene Spezialgesetze. Dabei hatte sich etwa die ursprünglich geforderte Kompetenz für die regionale Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik auf Zuständigkeiten für Ladenschluss, Gaststätten und Spielhallen reduziert; von der Umweltpolitik blieb die Zuständigkeit für die Regelung des Freizeitlärms, und die regionale Sozialpolitik schrumpfte auf das Heimrecht (vgl. Art. 74 Abs. 1, Ziff. 1, 7, 11, 17, 18, 24, 27 GG [neu]). Für München, Stuttgart, Wiesbaden oder Düsseldorf waren dies "Quisquilien" oder "Kleinkram". "Dafür", so ein Interviewpartner aus dem Stuttgarter Staatsministerium, "waren wir nicht angetreten."
An dieser Einschätzung kann auch der erzwungene Rückzug des Bundes aus der Bildungspolitik nicht viel ändern, der sich ohnehin schon nach wenigen Monaten eher als Pyrrhussieg der Staatskanzleien denn als Erfolg der Bildungspolitik in den Ländern erwiesen hat.
Zudem ignoriert das von den Ländern postulierte "Trennprinzip" den seit den Freiheitskriegen gegen Napoleon manifesten kulturellen Nationalismus der Eliten und deren Abneigung gegen die "deutsche Kleinstaaterei".
Wegen des Anspruchs auf Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse stehen schließlich auch die seit der deutschen Vereinigung noch gewichtigeren Unterschiede in der wirtschaftlichen, finanziellen und administrativen Leistungsfähigkeit der Länder einer pauschalen Dezentralisierung von Regelungskompetenzen entgegen. Die Ministerpräsidenten haben im Mai 2004 mit dem Argument, "ein fairer Wettbewerb" erfordere "gleichartige wirtschaftliche Ausgangsbedingungen", die Übertragung von Steuerkompetenzen abgelehnt. Aber dasselbe Argument konnte auch gegen die Übertragung anderer Gesetzgebungskompetenzen verwendet werden, wenn diesen ein Einfluss auf die "Lebensverhältnisse im Bundesgebiet" zugeschrieben werden konnte. Überdies musste die Diskussion darüber imModus der Antizipation geführt werden. Wenn es im Rahmen einer Verfassungsreform um die vollständige und endgültige Übertragung von Kompetenzen ging, dann mussten verantwortungsbewusste Verfassungsgeber die Risiken ihrer möglichen Nutzung durch künftige Landesregierungen und Parlamente abschätzen - angesichts der Unsicherheit antizipierender Urteile waren Bedenken grundsätzlich leichter zu begründen als auszuräumen.
Mit der Festlegung auf das Prinzip der Kompetenztrennung als Lösung für die Probleme der Politikverflechtung hatten die Reformer einen "Bezugsrahmen" fixiert, in dem mit guten Gründen nur eng umschriebene Kompetenzen delegiert werden konnten, welche die administrative und finanzielle Kapazität des Saarlandes oder Bremens nicht überforderten und die auch bei unvernünftiger oder unsolidarischer Nutzung weder die Interessen anderer Länder schädigen noch die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Frage stellen oder die Mobilität von Unternehmen und Familien behindern konnten. An diesen Kriterien gemessen ist der jetzt erreichte Zugewinn an Länderkompetenzen das Maximum dessen, was Bayern, Baden-Württemberg, Hessen oder Nordrhein-Westfalen bei Anwendung des "Trennprinzips" erreichen konnten.
Fazit
Hätte es einen anderen Bezugsrahmen gegeben, der fruchtbarere Verhandlungen ermöglicht hätte? Ich denke ja, und zusammen mit Arthur Benz
Der Bund könnte also eine gegebene Materie im systematischen Zusammenhang und ohne föderale Beschränkungen regeln. Ebenso könnte aber auch das einzelne Land ohne Rücksicht auf eng definierte Kompetenzgrenzen die Möglichkeit eigener Lösungen prüfen. Bei der Diskussion darüber ginge es im Bundestag und Bundesrat dann nicht mehr um abstrakte Gefahren einer generellen und dauerhaften Kompetenzübertragung. Zu entscheiden wäre vielmehr im Einzelfall über eine Regelung, die der Gesetzgeber in einem Land für notwendig gehalten hat und deren Risiken und Nebenwirkungen für andere Länder oder die gesamtstaatlichen Belange sich einigermaßen sicher abschätzen lassen. Im Ergebnis hätte dies den Handlungsspielraum der Länder wesentlich erweitert, ohne Ängste vor einem ruinösen Wettbewerbsföderalismus zu provozieren.
Wir sind jedoch in der Kommission mit unseren Argumenten nicht durchgedrungen, und die wenigen Abweichungsrechte, die ("unkonditioniert", aber durch eine "Lex-posterior"-Regel relativiert) tatsächlich in die Verfassung aufgenommen wurden (Art. 72 Abs. 3 GG [neu]), haben mit unseren Vorschlägen kaum etwas zu tun. Allenfalls könnten sie sich als Fuß in der Tür für spätere Reforminitiativen erweisen.