Einleitung
Zu Beginn der neunziger Jahre tauchte im öffentlichen Diskurs der Begriff der Generationengerechtigkeit auf. Die teils medial stark forcierte Debatte um Generationengerechtigkeit sensibilisierte dafür, dass Ungleichheit nicht nur zwischen Arm und Reich, Oben und Unten, Mann und Frau etc. herrscht, sondern auch zwischen Alt und Jung bzw. zwischen den unterschiedlichen Kohorten, also Personen des gleichen Geburtsjahrgangs. Mit dem Begriff der Generationengerechtigkeit wurde in sehr unterschiedlichen Bereichen die für Kohorten und Altersgruppen ungleichen Lebensverhältnisse thematisiert, etwa ungleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt oder ungleiche Umweltbelastungen. Im Zentrum der Debatte stand jedoch die Ungleichheit, die durch den Sozialstaat entsteht. Auf diesen Aspekt wird sich dieser Beitrag konzentrieren, nochmals fokussiert auf die etwaige Ungerechtigkeit des staatlichen Alterssicherungssystems in Deutschland.
Um Generationengerechtigkeit angemessen zu verstehen, sollte man sich klarmachen, dass es sich um eine unbeabsichtigte Ungleichbehandlung handelt. Das unterscheidet sie von der sozialen Ungleichheit, die ja bis zu einem gewissen Grad als legitim betrachtet wird. Ein radikaler Gleichheitsanspruch gehört weder in Deutschland noch in anderen Ländern zu den anerkannten Verteilungsprinzipien. Soziale Ungleichheit in Form von Einkommensunterschieden gilt als akzeptabel, etwa weil damit die Arbeitsmotivation und die Produktivität der Wirtschaft gefördert werde - so die Rechtfertigung. Demgegenüber strebt das soziale Sicherungssystem Deutschlands eine Gleichbehandlung der Kohorten und Altersgruppen an; eine unterschiedliche Behandlung wäre nicht zu rechtfertigen.
Als Hauptursache einer "aus dem Ruder laufenden" Verteilungsgerechtigkeit gilt die demographische Entwicklung. Bekanntlich altert die Bevölkerung durch eine relative Zunahme des Anteils Älterer an der Gesamtbevölkerung drastisch. Die Folge ist, dass die Ausgaben in jenen Zweigen des sozialen Sicherungssystems expandieren, die auf den Ausfall des Erwerbseinkommens im Alter zugeschnitten sind (Renten) oder die primär im Alter auftretende soziale Risiken absichern (Pflegeversicherung, Gesundheitswesen). Eine alternde Gesellschaft verursacht automatisch dann Kosten, wenn mit Alter soziale Anrechte verbunden sind, und bereits bisher war die Alterung ein maßgeblicher Faktor der sozialstaatlichen Kostendynamik - nicht nur in Deutschland.
Der deutsche Wohlfahrtsstaat schichtet Ressourcen weniger zwischen sozialen Gruppen um als vielmehr zwischen den Erwerbstätigen und Rentnerinnen und Rentnern, sowie zusätzlich zwischen "Generationen". Beide Male handelt es sich um unterschiedliche Formen potenzieller Umverteilung, deren Verschiedenartigkeit ich zunächst darlege. Im nächsten Schritt werde ich deutlich machen, welchen Gerechtigkeitsideen die Rentenversicherung Prioriät einräumt. Die staatliche Alterssicherung in Deutschland basiert auf der Belohnung von beruflicher Leistung, der Äquivalenz zwischen Einkommen und Rente, und wahrt somit Einkommensabstände im Alter. Innerhalb einzelner Kohorten gilt also Ungleichheit. Zugleich sollen die verschiedenen Kohorten im Zeitverlauf gleich behandelt werden. Die Bereitschaft zur Beteiligung an der Alterssicherung und deren Akzeptanz dürfte nun maßgeblich bestimmt sein durch das Vertrauen der Bürger, auch künftig "gerecht" behandelt zu werden. Werden Gleichheitserwartung und Vertrauen gestört, ist ein Rückgang der Akzeptanz eigentlich nur folgerichtig. Die Sorge um die noch zu gewährleistende "gleiche" Behandlung der Kohorten und Altersgruppen kommt im Rückgang des Vertrauens und der Gerechtigkeitsurteile zum Ausdruck. Es wurde bislang kontrovers diskutiert, ob "Generationengerechtigkeit" bloß ein von den Medien inszeniertes Problem sei oder ob auch die Bevölkerung ein Defizit an Gerechtigkeit wahrnehme. Dies wurde mit dem Verweis auf die hohe Akzeptanz der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund von intergenerationeller Solidarität und der Einbettung des staatlichen Ressourcentransfers zwischen den Älteren und den Jüngeren in familiäre Austauschbeziehungen teilweise bezweifelt. Hier soll empirisch untersucht werden, ob die Bevölkerung die Alterssicherung als ungerecht beurteilt und ob das Vertrauen der Bevölkerung in die Rentenversicherung gesunken ist.
Wichtige Teile des sozialen Sicherungssystems - Renten und Krankheitskosten - werden vor allem auf dem Wege des "Umlageverfahrens", d.h. mittels Beiträgen der Erwerbstätigen, finanziert. Dieser "Generationenvertrag" setzt eine kontinuierliche Entwicklung der Bevölkerung und damit auch der Erwerbstätigen voraus, sollen die Umlagen von den im Erwerbsleben Aktiven zur inaktiven Generation in etwa gleich ausfallen. Auf Grund des drastischen Geburtenrückgangs seit Anfang der siebziger Jahre wird die Alterszusammensetzung der Bevölkerung jedoch immer unausgeglichener. Das hat zur Folge, dass die geburtenstarken Jahrgänge im Alter durch die Umlagen einer viel kleineren, im Erwerbsalter befindlichen Gruppe finanziert werden müssten.
Haben die aus dieser Konstellation entstehenden Probleme der künftigen Finanzierung und Verteilungsgerechtigkeit, die während der neunziger Jahre intensiv thematisiert wurden, zu einem Rückgang der Zustimmung zum "Generationenvertrag" geführt? Welche Konsequenzen hat es, wenn der Generationenvertrag in Form eines Grundrentensystems gestaltet ist und damit auch einer anderen Verteilungslogik folgt wie in Dänemark oder den Niederlanden? Ein Vergleich der Akzeptanz des Generationenvertrages in Ländern mit einem Grundrentensystem soll zeigen, wie sich dieses Modell auf die Akzeptanz des Generationenvertrags auswirkt.
Die zwei Formen von "Generationengerechtigkeit"
In der öffentlichen Debatte wird mit dem Begriff der "Generationengerechtigkeit" zum einen die Ungleichheit zwischen Altersgruppen und zum anderen zwischen den Kohorten thematisiert: Im ersten Fall ist eine Ungleichheit zwischen Altersgruppen im Querschnitt gemeint, beispielsweise die unterschiedlichen Quoten der Sozialhilfeempfänger in der Gruppe der Älteren und der Familien mit Kindern. Im zweiten Fall geht es darum, ob Geburtskohorten im Längsschnitt durch den Wohlfahrtsstaat ungleich behandelt werden. Anhand von Bilanzen der Ein- und Auszahlungen der einzelnen Kohorten wird versucht, die eventuell ungleichen "Wohlfahrtsbilanzen" zu errechnen. Die Debatte um Generationengerechtigkeit hat ihren Ursprung in beiden Arten von Problemen.
Der Demograph Samuel Preston
Unter Generationengerechtigkeit fällt auch das Argument, dass die heute jüngere Generation wegen der verstärkten Konkurrenz um Bildungstitel, Ausbildungs- und Arbeitsplätze insgesamt schlechtere Startchancen habe. Ob auch die Ungleichheit aufgrund des Lebens in verschiedenen Perioden mit schwankenden Lebensbedingungen als ungerecht bezeichnet werden darf, ist umstritten. Denn Nachteile aufgrund der schlechteren Wirtschaftslage lassen sich kaum direkt einem Verursacher zurechnen. Dass der Wohlfahrtsstaat den Altersgruppen in unterschiedlichem Maße Zugang zu sozialen Anrechten verleiht, wäre auch dann nicht als ungerecht zu bezeichnen, wenn sich die Schlechterstellung in der einen Lebensphase in der künftigen Lebensphase der gleichen Kohorte aufheben würde, wenn also die Jüngeren später im Alter ebenfalls zu den Nutznießern großzügiger sozialer Absicherung würden. Dazu müssten sich aber Wirtschaft und Demographie gleichmäßig entwickeln. Das ist nicht der Fall.
David Thomson hat am Beispiel Neuseelands deutlich gemacht, wie der Wohlfahrtsstaat ganze Kohorten ungleichstellt und sich eine Generation lebenslanger Gewinner und Verlierer herauskristallisiert. Angehörige einer spezifischen Kohorte - die zwischen 1925 und 1945 geborene so genannte "Wohlfahrtsgeneration" - haben nach Thomson den Sozialstaat nach ihren jeweils lebensphasenspezifischen Bedürfnissen ausgebaut. Diese habe während ihres Erwachsenenlebens lediglich relativ geringe Belastungen durch Steuern und Abgaben erlebt, zugleich aber von hohen Ausgaben für Programme profitiert, die jeweils ihren lebensphasenspezifischen Interessen entsprachen. Für nachfolgende Generationen seien Gewinne aus neu eingeführten Sicherungssystemen kaum noch möglich. Die ungleich auf die älteren und jüngeren Kohorten verteilten Erträge sozialpolitischer Programme als Ergebnis der Interessendurchsetzung der "Wohlfahrtsgeneration" zu interpretieren ist jedoch nicht haltbar. Das Problem der Generationengerechtigkeit entsteht unbeabsichtigt und nicht, weil "gierige Greise" das soziale Sicherungssystem absichtlich plündern.
Thomson hat versucht, die Ungleichbehandlung von Kohorten durch Generationenbilanzen, in denen lebenslange Ein- und Auszahlungen unterschiedlicher Kohorten verglichen werden, nachzuweisen. Mittlerweile liegt eine Reihe von Studien vor, die intergenerationelle Ungleichheit auch in anderen Ländern auf einer breiten empirischen Basis nachzeichnen;
Gleichheit, Reziprozität und Vertrauen Prinzipien staatlicher Alterssicherung
Ob die Bürgerinnen und Bürger den Organen der sozialen Sicherung Unterstützung zollen, hängt davon ab, ob sie die institutionellen Regeln akzeptieren und wie gut deren Umsetzung funktioniert. Übertragen auf die Alterssicherung bedeutet dies: Das Rentensystem kann einmal im Hinblick auf die ihm zugrunde liegenden Prinzipien einer gerechten Verteilung und zum anderen im Hinblick darauf bewertet werden, ob diese im Ergebnis auch realisiert werden. An den Bauplänen der sozialen Alterssicherung lässt sich zunächst ablesen, welche Gerechtigkeitsprinzipien in sie eingelassen sind. Wir werfen deshalb einen Blick auf institutionell verankerte Prinzipien des Alterssicherungssystems, die bei der Beurteilung der Generationengerechtigkeit relevant werden.
Ein maßgebliches Prinzip der Rentenversicherung ist die Äquivalenz zwischen Beiträgen und späteren Leistungen. Dieses Prinzip honoriert die individuellen Vorleistungen, was in Deutschland bedeutet, dass sich die Rentenhöhe an der Höhe und Dauer eingezahlter, lohnabhängiger Beiträge bemisst. Zugleich werden damit soziale Ungleichheiten aufgrund unterschiedlicher Löhne und Gehälter in das Alter transferiert und mit der in Deutschland ausgeprägten meritokratischen Orientierung gerechtfertigt. Danach ist es gerecht, wenn individuelle Leistungen honoriert werden. Wenn künftig dem Prinzip der Äquivalenz nicht mehr entsprochen werden kann, wird sich dies in den Gerechtigkeitsurteilen niederschlagen. Allerdings kann nicht behauptet werden, Äquivalenz sei ein klarer Maßstab. Obgleich also innerhalb einer Generation durchaus die ungleiche Verteilung als angemessen betrachtet wird, gilt für das Verhältnis aufeinanderfolgender Kohorten das Prinzip der Gleichbehandlung.
Die Renten werden in Deutschland durch das "Umlageverfahren" finanziert, d.h., aus den Beiträgen der Erwerbstätigen für die Rentenversicherung werden die laufenden Renten gezahlt. Es wird auch als "Generationenvertrag" bezeichnet, obgleich es sich um keinen Vertrag handelt, dem die Vertragsparteien zugestimmt haben. Mit dem Begriff lässt sich das nüchterne Finanzierungsprinzip in lebensweltliche Vorstellungen der Bürger einbetten. Es handelt sich um ein Finanzierungsverfahren mit gewissen Vorteilen - es ist weniger als die kapitalgedeckte Rente von der Entwicklung auf den Geldmärkten abhängig -, aber auch Nachteilen, worunter die Sensibilität für die demografische Entwicklung fällt. Auch am Generationenvertrag lässt sich eine "institutionelle Logik" ablesen. Er wird oft als Ausdruck einer "Kultur der Solidarität" interpretiert. Dagegen betone ich, dass Transfers von den Erwerbstätigen zu den Rentnerinnen und Rentnern gerade keine "Umverteilung" bedeuten sollen. Vielmehr wird mit dem Generationenvertrag der Anspruch auf eine äquivalente Gegenleistung lediglich zeitlich hinausgeschoben. Heutige Beitragszahler sind motiviert von der Annahme, Anrechte auf spätere Leistungen der Alterssicherung zu erwerben. Sie können aber gerade nicht sicher sein, dass ihre erworbenen Ansprüche eingelöst werden. Das Vertrauen in die Sicherheit, dass die eigenen Beiträge auch später noch ein Äquivalent in Gestalt von Leistungen (Renten, Gesundheits- und Pflegeleistungen) haben werden, gehört zu den Bedingungen, unter denen die sozialen Sicherungssysteme als gerecht anerkannt werden. Die Regeln, nach denen die Rentenversicherung offiziell funktionieren soll, fordern den Bürgerinnen und Bürgern gerade wenig Generationensolidarität ab. Die unbeabsichtigte ungleiche Behandlung der verschiedenen Kohorten würde aber eine solche solidarische Haltung, die von "äquivalenten" Rückzahlungen absieht, benötigen.
Die Sicht der Bürgerinnen und Bürger
Die Gerechtigkeit sozialer Sicherungssysteme lässt sich von einer normativen, objektiven Position aus bewerten, etwa wenn man Ressourcenbilanzen für einzelne Kohorten vergleicht. Eine Bewertung kann auch ausgehend von den subjektiven Gerechtigkeitsurteilen der Bürger erfolgen. Das Bewertungsraster sind dann die in der Bevölkerung bzw. in einzelnen Gruppen vorhandenen Gerechtigkeitsideale, die nicht unbedingt mit gerechtigkeitstheoretisch abgeleiteten Gerechtigkeitsnormen übereinstimmen. Wenn hier dennoch die Urteile der Bürger zugrunde gelegt werden, dann lässt sich das mit deren Bedeutung für die Legitimität begründen: In Demokratien ist entscheidend, ob eine Mehrheit der Bürger die staatlichen Systeme, im konkreten Falle die Alterssicherung, akzeptiert. Die Forschungsergebnisse über die Akzeptanz der Alterssicherung gehen hier auseinander. Während die einen meinen, dass sich ungeachtet der öffentlichen Debatte um die fehlende "Generationengerechtigkeit" des deutschen Sozialstaats an der Akzeptanz der Rentenversicherung nichts verändert habe,
Gerechtigkeitsurteile
Vor dem Hintergrund der institutionalisierten Moral der deutschen Rentenversicherung, gemäß der Gerechtigkeit herrscht, wenn die Höhe der Auszahlung eigenen Einzahlungen entspricht, muss die in den neunziger Jahren öffentlich debattierte Aufweichung der Gleichbehandlung der künftigen Älteren die Wahrnehmung der Generationsgerechtigkeit beeinträchtigen. In der Tat wurde die Rentenversicherung im Jahr 2000 von ca. 60 Prozent der deutschen Bevölkerung im Alter zwischen 16 und 101 Jahren als ungerecht eingestuft (siehe Tabelle 1 der PDF-Version).
Vertrauensverlust
Wie oben dargelegt, verlangt die umlagefinanzierte Alterssicherung ein hohes Institutionenvertrauen. Denn es geht um Beiträge, deren Gegenleistung (für die meisten) erst in der Zukunft erfolgt. Wenn nun die Garantie, dass die Beitragszahler später die erwarteten, und zudem - wegen der Betonung des Äquivalenzprinzips - irgendwie gleichwertigen Gegenleistungen erhalten, aufgeweicht wird, sinkt das Vertrauen in die Institution. Ein solcher weitreichender Vertrauensschwund gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung während der neunziger Jahre ist auf der Grundlage von Daten einer repräsentativen Befragung für Deutschland festzustellen.
Denn zu beiden Zeitpunkten besaßen die älteren Kohorten ein viel größeres Institutionenvertrauen als die jüngeren. Ein Rückgang des Vertrauens gegenüber der Rentenversicherung ist bei allen Altersgruppen feststellbar, fällt aber am deutlichsten bei den Jüngeren aus.
Zustimmung zum Generationenvertrag
Der Generationenvertrag stellt eine in die Zukunft verschobene Erwartung einer den eigenen Vorleistungen "adäquaten" Rückzahlung dar. Erhält dieser nun weniger Unterstützung, seit unsicher ist, ob es zu den erwarteten äquivalenten Gegenleistung kommt? Die Antwort lässt sich aus der in Tabelle 3 dargestellten Entwicklung der Zustimmung zum Generationenvertrag in den verschiedenen Altersgruppen in den neunziger Jahren ablesen. Demnach gab es in Westdeutschland - betrachtet man die allgemeine Entwicklung - lediglich einen moderaten Rückgang der Zustimmung zum Generationenvertrag von etwa 28 auf etwa 25 Prozent. Dieser fiel in Ostdeutschland etwas deutlicher aus. Auch innerhalb der einzelnen Altersgruppen war in Westdeutschland der Rückgang wenig dramatisch, am stärksten noch bei den 15- bis 29-Jährigen.
Deutlich schwankt, wie Tabelle 3 der PDF-Version zeigt, die Zustimmung zum Generationenvertrag jedoch zwischen den einzelnen Kohorten. Sie ist am geringsten bei der jüngsten Altersgruppe und nimmt schrittweise mit dem Alter der Befragten zu. Die Jüngeren zollen dem Generationenvertrag weniger Zustimmung, vermutlich weil sie sich angesichts der demografischen Entwicklung von den Beiträgen überfordert sehen und sie ihre Chancen gering einschätzen, im Alter abgesichert zu sein. Aber bereits 1992 gab es Altersunterschiede in der Zustimmung zum Generationenvertrag, nicht erst unter dem Eindruck andauernder öffentlicher Diskurse um Generationengerechtigkeit. Die jüngeren Altersgruppen (15 bis 49 Jahre) sind also durchgängig skeptischer gegenüber dem Generationenvertrag.
Die Zustimmung zum Finanzierungsprinzip "Generationenvertrag" ist nicht allzu stark eingebrochen, aber bei Jüngeren doch deutlicher als bei älteren über 60-Jährigen, die meist bereits in Rente sein dürften und somit nicht von dem erst für künftige Rentnerkohorten einsetzenden Generationenproblem betroffen sind.
Urteile gegenüber den sozialstaatlichen Institutionen sind mehrdimensional. Da Institutionen sowohl funktionale Gebilde darstellen, die bestimmte Leistungen erbringen, als auch Leitbilder und Werte repräsentieren und umsetzen, werden sie dementsprechend auch sehr differenziert bewertet. Die Urteile der Bürgerinnen und Bürger beziehen sich auf die Leistungsfähigkeit von Institutionen wie auch auf Gerechtigkeitsideen und Verteilungsprinzipien, die den Institutionen immanent sind. Sie können die Rentenversicherung also zugleich als ungerecht betrachten und dennoch am Umlageverfahren und Generationenvertrag festhalten wollen.
Der Generationenvertrag wird als Finanzierungsverfahren akzeptiert; eine kapitalgedeckte (staatliche oder private) Rente ist für die Bürger kaum vertrauenswürdiger. In der - wenngleich vorsichtigen - Präferenz für den Generationenvertrag dürfte sich zugleich eine Präferenz für staatliche Verantwortung der Alterssicherung ausdrücken. Der Generationenvertrag wird mit dem staatlichen Rentensystem identifiziert; ein Umbau zur privat finanzierten Alterssicherung ist für die Befragten offenbar keine Option.
In der Zustimmung zum Generationenvertrag dürfte sich zudem der Anspruch auf eine Fortführung der Finanzierung der Renten über Umlagen spiegeln, da die Befragten sich kaum wünschen können, dass ein Umlageverfahren wegfällt, in das sie jahrelang investiert haben, und die Altersvorsorge nun privat finanziert werden muss.
Abschließend soll der "empirische Blick" auf andere Länder gerichtet werden. So zeigt sich, dass das Ausmaß an Unterstützung für den "Generationenvertrag" noch sehr viel deutlicher als vom Alter der Befragten davon abhängt, ob Bürger in einem Land mit Mindestrenten oder mit einem einkommensabhängigen Rentensystem leben.
Tabelle 4 der PDF-Version zeigt neben Deutschland und Frankreich - Länder mit einer einkommensproportionalen Rente - auch Dänemark und die Niederlande - Länder mit einer Mindestrente -, die eben nicht dem Gedanken der an den eigenen Leistungen ausgerichteten Auszahlungen folgen. Diese beiden Länder haben unterschiedliche Systeme der Mindestrente, und lediglich das dänische entspricht weitgehend dem skandinavischen Muster der steuerfinanzierten, universellen, d.h. jedem Wohnbürger zugänglichen Leistung. Die niederländische Grundrente beruht zwar wie eine Sozialversicherung auf Beiträgen, aber es gibt lediglich für alle gleiche Auszahlungen. Beide Systeme erfordern ein Abrücken von der Erwartung, dass man das Eingezahlte zurückerhält. Soziale Umverteilung durch eine Mindestrente ist etwas anderes als eine intergenerationelle Umverteilung. Jedoch ist in den Grundrentenländern auch die Zustimmung zu dem Prinzip des Generationenvertrages höher als in den Ländern mit einkommensbezogener Rente. Die Alterssicherung dieser Länder scheint somit stärker gegen Kritik und den Entzug der Akzeptanz gefeit zu sein. Was erklärt dieses Muster?
Zum einen kommt im beschriebenen Unterschied zum Tragen, dass die institutionelle Logik Unterschiedliches als richtig und erwartbar vorzeichnet. Wenn Bürger in Ländern mit einem an das Erwerbseinkommen anknüpfenden Rentensystem, das den Erhalt des im Erwerbsleben erreichten Status verspricht, den Generationenvertrag skeptischer beurteilen, dann ist dies nur folgerichtig. Nach Claus Offe unterfordert die deutsche sozialstaatliche Tradition der sozialen Sicherung "die Bereitschaft der Versicherten, gewisse (...) 'Solidaritätsopfer' zu leisten"
. Es darf jedoch bezweifelt werden, dass Solidaritätsopfer den Gerechtigkeitsmaßstäben der Deutschen entsprechen. Die Bürgerinnen und Bürger Dänemarks oder der Niederlande - Länder mit Mindestrenten - sind vermutlich nicht moralischer und deshalb stärker zuintergenerationeller Umverteilung bereit. Dafür, dass in Ländern mit Mindestrenten der Generationenvertrag weniger in Frage gestellt wird, gibt es pragmatische Gründe: Erstens ist zu berücksichtigen, dass die Beiträge bzw. Belastungen für Mindestrenten nicht sohoch ausfallen wie in den Ländern mit erwerbseinkommensbezogener Alterssicherung. Zweitens wird die Rente in Mindestrentenländern durch andere Komponenten der Alterssicherung wie betriebliche und private Renten aufgestockt. Folglich muss drittens das Umlageverfahren "weniger schultern", so dass die Erwerbstätigen und steuerzahlenden Konsumenten sich weniger überfordert fühlen müssen als in den Ländern mit einem hohen Niveau der Absicherung der Älteren über das staatliche Umlageverfahren. Letztlich kommt unterstützend hinzu, dass in den Mindestrenten-Ländern soziale Umverteilung stärker akzeptiert ist. Zusammenfassung
Das deutsche Rentensystem kann als eine Institution begriffen werden, der bestimmte Vorstellungen und Ideen von Gerechtigkeit immanent sind. Anhand dieser "institutionellen Logik" wurde herausgearbeitet, dass es meritokratischen Idealen folgt, d.h., es belohnt die Position im Erwerbsleben und lässt soziale Ungleichheit zu, die auf individueller Leistung beruht. Demgegenüber ist Gleichheit das Prinzip, das dem Generationenvertrag zugrunde liegt: Das umlagenfinanzierte Rentensystem - von den derzeit Erwerbstätigen zu den Rentnerinnen und Rentnern - verspricht auch der finanzierenden Generation angemessene "Gegen"-Leistungen der Alterssicherung. Es handelt sich dabei um eine zeitlich verschobene Reziprozitätserwartung.
Aus diesem Gleichheitsversprechen ergibt sich das Gerechtigkeitsproblem. Nach Analysen der Ein- und Auszahlungen der verschiedenen Kohorten in die staatliche Alterssicherung schwinden die Erträge in dem Maße, wie sich die demographischen Ungleichgewichte auswirken. Es wurde gezeigt, dass - anders als es die These eines durch Solidaritätsbeziehungen in den Familien abgefederten Generationenkonfliktes beinhaltet - die Gerechtigkeit der Rentenversicherung in Deutschland in hohem Maße bezweifelt wird. Der Rückgang des Vertrauens in die Rentenversicherung weist in die gleiche Richtung. Bürgerinnen und Bürger aller Altersgruppen, jedoch vor allem die Jüngeren, entziehen der staatlichen Alterssicherung ihr Vertrauen, weil eine "gerechte" Behandlung nicht mehr gewährleistet scheint. Nach den im Beitrag gezeigten Daten nehmen alle die Ungerechtigkeit wahr und vertrauen der Rentenversicherung weniger. Zusätzlich sind die Urteile stark vom Alter abhängig und somit von der eigenen Position im Verteilungsgeschehen. Dass es trotz der negativen Beurteilung der Gerechtigkeit der Rentenversicherung dennoch Zustimmung zum Generationenvertrag gibt, wurde mit den unterschiedlichen Beurteilungsebenen erklärt: Wenn viele am Prinzip des "Generationenvertrages" festhalten wollen, obwohl das System als ungerecht wahrgenommen wird, zeigt das m.E. zum einen, dass es eine Präferenz für die staatliche Rente gibt, und zum anderen schlicht die Angst, dass die eigenen Umlagen umsonst waren.
Vergleicht man die Akzeptanz, die der Generationenvertrag in Ländern mit einem Grundrentensystem erhält, mit jener in Ländern mit einer einkommensbezogenen Rente, fällt die in den zuerst genannten weitaus höhere Zustimmung zum Umlageverfahren auf. Ein Grundrentensystem, das von den Bürgern verlangt, von einer engen Reziprozität zwischen Ein- und Auszahlungen abzusehen, scheint eine gewisse Toleranz gegenüber den unsicher gewordenen intergenerationellen Verteilungsströmen zu fördern. Auch die vergleichsweise geringe Belastung durch niedrigere Umlagezahlungen wirkt sich positiv aus. Auf jeden Fall aber lassen sich die im Laufe der Debatte um Generationengerechtigkeit laut gewordenen Bedenken, denen zufolge die jüngeren Kohorten den Generationenvertrag angesichts des Gerechtigkeitsdefizits "kündigen" könnten, durch die institutionelle Gestaltung entschärfen. Auch wenn eingangs betont wurde, dass die ungerechten Wirkungen sozialstaatlicher Systeme für bestimmte Kohorten unbeabsichtigt sind, so muss der Sozialstaat doch auf die nichtintendierten Folgen seines Handelns reagieren und entsprechend gegensteuern.
Sektion "Altern und Gesellschaft" der Deutschen Gesellschaft für Soziologie unter Externer Link: www.sektion-altern.de;
Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen unter Externer Link: www.srzg.de
Der Schriftenreiheband 466 - Paul Nolte, Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik, Bonn 2004 - kann unter www.bpb.de/shop/ bestellt werden.