Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Reformbedürftigkeit des deutschen Föderalismus | Föderalismus | bpb.de

Föderalismus Editorial Föderalismusreform - Laufen oder Stolpern? Essay Reformbedürftigkeit des deutschen Föderalismus Die Föderalismusreform zwischen Anspruch und Wirklichkeit Ein bürgerfernes Machtspiel ohne Gewinner Wie europafähig ist der deutsche Föderalismus? Reform der Finanzverfassung - eine vertane Chance?

Reformbedürftigkeit des deutschen Föderalismus

Edzard Schmidt-Jortzig

/ 17 Minuten zu lesen

Die Reform des föderalen Systems muss vor allem eine Verantwortungsentflechtung zwischen Bund und Ländern erreichen, und zwar bei den Gesetzgebungszuständigkeiten, den Mitspracherechten und der Mischfinanzierung.

Einleitung

Nachdem die Bemühungen "zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung" - so die offizielle Bezeichnung der gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat - Ende 2004 vorerst gescheitert sind, gibt es allerlei Anstrengungen und Initiativen, um die Arbeit doch noch zu einem Ergebnis zu bringen. Zu offenkundig ist einfach der Reformbedarf, um sich mit dem "Esgeht nicht" abfinden zu können. Seit Jahren sind die Anzeichen immer deutlicher geworden. Die föderative Ordnung in Deutschland krankt an Undurchsichtigkeit, bürokratischer Verkrustung, Verschleierung der Verantwortlichkeiten, vielfältigen Syndromen der Verzögerung und Verhinderung von Vorhaben ("Blockade") und einer schleichenden Unitarisierung. Das zeigte sich vor allem bei den ebenso großen wie kaum noch zu bewerkstelligenden Umbauerfordernissen im Gesundheitswesen, der Renten- und Pflegeversicherung, beim Steuerrecht oder bei der Deregulierung im Bereich von Wirtschaft und Arbeit. Daraus folgt nicht nur eine Lähmung der Handlungsfähigkeit des deutschen Staates, sondern auch ein steter Niedergang der Wertschätzung des Systems bei den Bürgern. Sie durchschauen die Verhältnisse nicht mehr, können nicht wirksam darauf Einfluss nehmen und trauen dem Staat immer weniger zu. Politikverdrossenheit ist die Folge.

Was erweist sich in der Staatsstruktur als besonders reformbedürftig, was sollte, um wieder bewegungsfähig zu werden, zuallererst erneuert werden? Was hätte die gescheiterte Kommission also auf jeden Fall anstreben und im besten Falle erreichen können? Und was ist aus Sicht der Verfassung, aus fachjuristischer Perspektive das Notwendige, was sie wieder zu einer leistungsfähigen und zeitgerechten Grundordnung machen kann, die den Herausforderungen der heutigen Welt gerecht wird?

Zu unterscheiden ist sicher zwischen den kurzfristig konkret und den mittelfristig grundsätzlich nötigen Reformen. Zu Ersteren gehört vor allem die Wiederherstellung voller Verantwortlichkeiten und ihre klare Zuteilung auf eine der beiden Staatsebenen, Bund oder Länder. Das bezieht sich auf die Entflechtung der Gesetzgebungszuständigkeiten, aber auch auf die Reduzierung der Mitwirkungsmöglichkeiten der einen bei der jeweils anderen Seite und den Abbau der Mischfinanzierung. Vor dem Hintergrund der sich weiter verdichtenden EU muss gewiss auch die europabezogene Handlungsfähigkeit des deutschen Bundesstaates verbessert werden. Die mittelfristig grundsätzlich nötigen Reformen dagegen zielen auf die statischen Voraussetzungen eines validen Bundesstaates, seine Grundbausteine und Strukturen. Hier geht es etwa um den angemessenen Leistungsstand der föderalen Glieder als solchen, also Zuschnitt und Stärke von Bund und Ländern und um ihre mögliche Ebenbürtigkeit, so dass sie einander konstruktive, sich ergänzende Partner sein können. Die Fragen von Behauptungsvermögen, instrumenteller Ausstattung und finanzieller Lebensfähigkeit der Länder gehören hierher und ebenso die Ordnungslinien des bundesstaatlichen Finanzausgleichs.

Zuallererst aber müsste das bundesstaatliche Bewusstsein der Menschen angefacht werden. Eine große Tageszeitung überschrieb ihren Kommentar zum schleppenden Fortgang der Reformüberlegungen nicht unpassend einmal mit der Formel "Unentschiedene Föderalisten" und meinte, man werde der Bundesrepublik vielleicht einmal nachsagen, dass sie "ein Bundesstaat ohne überzeugte Föderalisten gewesen sei". Dazu darf es nicht kommen, denn dann wird eine Erneuerung des Föderalismus nicht gelingen. Natürlich ist auf der Basis des Grundgesetzes der bundesstaatliche Zuschnitt Deutschlands ohne Alternative. Art. 79 Abs. 3 GG erklärt "die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung" für unabänderlich. Aber der Bundesstaat kann eben auch an Entkräftung scheitern, an Erlahmung der Lebensgeister und der Fähigkeit, sich beständig anzupassen und zu modernisieren.

Man muss sich also die Argumente aus der geschichtlichen Gewachsenheit Deutschlands und einer Integration des Gesamten aus seinen Gliedern wieder vor Augen führen, die Vorteile der Gewaltenhemmung durch Verteilung staatlicher Macht auf zwei Ebenen verinnerlichen, die Möglichkeiten einer mehrstufigen demokratischen Teilhabe wieder schätzen lernen und die praktischen, innovativen Vorzüge neu entdecken. Letzteres betrifft ja nicht nur die sachliche Überlegenheit ortsnaher Problemlösungen und die Aktivierbarkeit endogener Leistungskräfte, sondern auch dieNutzung von Wettbewerbsmechanismen zur Entdeckung wirksamerer Regelungswege oder die effizientere Verwendung der von oben zufließenden Mittel. Ohne die Überzeugung von der Überlegenheit bundesstaatlicher Ordnung, ohne einen wirklichen Willen zum Föderalismus wird selbst eine technisch noch so gelungene Reform letztlich wenig Gewinn bringen.

Entkoppelung und Neuordnung der Verantwortlichkeiten

Bei staatlichen Abläufen die Zuständigkeiten eindeutig festzulegen ist Voraussetzung für Steuerungsfähigkeit und Kontrolle. Nur wo klar ist, wer die einzelnen Aufgaben wahrzunehmen hat, lassen sich die Ressourcen richtig zuweisen, eventuell fachliche Anleitungen auf den Weg bringen und die notwendigen Überprüfungen vornehmen. In einem demokratischen Staat ist es außerdem unerlässlich, dass die Bürger, von denen ja "alle Staatsgewalt ausgehen" soll (Art. 20 Abs. 2 GG), genau zuordnen können, wem die Politikfolgen, die sie erfahren, anzurechnen sind, so dass man bei den Wahlen politisch darauf reagieren kann.

Bei der entstandenen Politikverflechtung ist das nicht mehr gewährleistet. Die dualistische Staatsform, wonach "die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben (an sich) Sache der Länder" ist und der Bund daran nur teilhaben kann, wenn das Grundgesetz ihm hierfür ausdrückliche Kompetenzen einräumt (Art. 30 GG), hat sich nach verschiedenen Verfassungsänderungen und durch faktische Entwicklungen zu einem "kooperativen" oder "Verbundföderalismus" gewandelt.

Einerseits sind dem Bund immer mehr Regelungskompetenzen zugewiesen worden. Die konkurrierende Bundesgesetzgebung, in der die Länder nur noch zum Zuge kommen, "solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch" gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG), und die Rahmenvorschriften (Art. 75 GG), nach denen die Länder innerhalb bundesgesetzlicher Vorgaben die Dinge nur mehr detaillieren und ausgestalten können, sind beständig angewachsen. Andererseits haben sich die Länder immer mehr Vetorechte bei den Bundesgesetzen gesichert, indem sie die Tatbestände, wo der Bund für seine Gesetze die Zustimmung des Bundesrates braucht, auszuweiten verstanden oder dieselben einfach extensiv wahrnehmen.

Am stärksten ist das System gegenseitiger Verzahnung bei den Steuergesetzen ausgebildet, wo selbst jene Steuern, deren Aufkommen den Ländern ganz oder zum Teil zufließen, vom Bund in konkurrierender Gesetzgebungszuständigkeit geregelt werden, die Länder aber ihren Einfluss mit der notwendigen Bundesratszustimmung ausspielen. Bei den so genannten "Gemeinschaftsaufgaben" (Art. 91 a und b GG) oder bei der verkoppelten Steuerverwaltung (Art. 108 Abs. 2 bis 5 GG) ist das System der vermischten Aufgabenwahrnehmung geradezu institutionalisiert worden.

Diese Vermengungen gilt es deutlich zurückzustutzen, um Erneuerungskräfte, Handlungsbereitschaft und Leistungsfreude freizusetzen. Und es muss dabei auch der Hochzonungsprozess umgekehrt werden, durch den immer mehr Aufgaben den Ländern verloren gegangen und dem Bund zugewachsen sind. Denn nicht Zentralisierung oder Unitarismus gewährleisten die beste Aufgabenwahrnehmung für die Menschen, sondern Basisnähe, Praxiskompetenz und quantitative Überschaubarkeit, also Subsidiarität und Dezentralisierung.

Entflechtung der Gesetzgebung

Als Erstes sind dafür die Sachkataloge der irgendwie verbundenen, voneinander abhängigen Gesetzgebungsbefugnisse auszudünnen. Das, was Bund und Länder zurzeit nur gemeinsam oder aufeinander bezogen regeln können, ist verstärkt in die ausschließliche Gesetzgebungshoheit der Länder zurückzuführen oder, wo die Länder damit überfordert wären, dem alleinigen Gesetzgebungsrecht des Bundes zu unterstellen.

In den Verhandlungen der Föderalismuskommission sind hier durchaus respektable Ergebnisse erzielt worden. So soll der Bund etwa das Melde- und Ausweiswesen, den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland, das Waffen- und Sprengstoffrecht, die Kriegsopferversorgung und das Atomrecht ganz in seine Zuständigkeit übernehmen, während die Länder ausschließlich etwa für das Versammlungsrecht, das Notariatswesen, den Ladenschluss, das Gaststättenrecht, die Flurbereinigung, das Siedlungs- und Heimstättenwesen und die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse verantwortlich sein sollen.

Die Entflechtung ließe sich aber gewiss noch ein gutes Stück weiter vorantreiben (immer vorausgesetzt freilich, dass es gelingt, die Länder institutionell stärker zu machen, d.h. in die Lage zu versetzen, auch wirklich mehr Regelungsaufgaben bewältigen zu können). Wichtig scheint außerdem, dass die konkurrierende Bundeszuständigkeit für das betriebliche Beamtenrecht, die Besoldung und Versorgung des beamteten öffentlichen Dienstes also, aufgelöst wird unddie Länder diesen Bereich für ihre und die kommunalen Beamten selber regeln können, während der Bund sich auf die Festlegung für seine eigenen Bediensteten zurückzieht.

Auch die Kategorie einer Rahmenzuständigkeit für den Bund (Art. 75 GG) müsste wohl abgeschafft werden. Der Bund hat sich ohnehin nur mühsam an die Vorgabe gehalten, bei den erfassten Materien lediglich die allgemeinen Grundsätze, nicht aber Einzelheiten zu regeln. Und durchweg ist eine Verzahnung von Bundes- und Landesregelungsambitionen hier überhaupt nicht oder nicht mehr zwingend, sondern bewirkt eben nur Verantwortungsvermischung, Verzögerung und Komplizierung sowie eine faktische Uniformität, die jede Kreativität erstickt.

Vor allem müsste man bei der Wiedererlangung der Steuerautonomie für die Länder vorankommen. Dass sie die ihnen im Ertrag zufließenden Steuern (Art. 106 Abs. 2 GG) nicht selber regeln dürfen, sondern nur auf ein Vetorecht zu den Bundesvorgaben beschränkt sind, knebelt ihre Eigenverantwortlichkeit entscheidend. Insoweit muss bei allen so genannten "Landessteuern" Autonomie erreicht werden und nicht nur - wie es die Föderalismuskommission schüchtern versucht hat - bei der "Bestimmung des Steuersatzes bei der Grunderwerbsteuer". Allerdings fällt hier die unterschiedliche Leistungskraft der Länder besonders deutlich ins Gewicht. Nur die größeren trauen sich offenbar zu, in dem dann abzusehenden Wettbewerb wirtschaftlich bestehen zu können; die schwächeren fürchten die Alleinverantwortung und setzen lieber auf die Fürsorge des Bundes. Eine ernsthafte Revitalisierung des deutschen Föderalismus wird aber um diese Entriegelung landesstaatlicher Antriebskräfte nicht herumkommen.

Reduzierung der Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen

Eine besondere Anstrengung bei der Verantwortungsentflechtung erfordert in dem gewachsenen System sicherlich die Rückführung der ausgedehnten Bundesratsbeteiligung an Regelungsvorhaben des Bundes. Das Grundgesetz hat die Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung ja insbesondere dadurch verwirklicht, dass ausdrücklich benannte landesbedeutsame Gesetze zu ihrem Zustandekommen der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, und der Bundesrat ist bekanntlich die Vertretung der (dabei mit unterschiedlichen Stimmzahlen ausgestatteten) Landesregierungen.

Die Länderregierungen haben insoweit ein echtes Vetorecht; wenn sie im Bundesrat die Zustimmung verweigern, ist das Bundesgesetz gescheitert. Das Grundgesetz sieht insgesamt über fünfzig Tatbestände entsprechender Zustimmungsnotwendigkeit vor. Sie haben auch sicherlich ihre Berechtigung als Hebel landespolitischer Interessenwahrnehmung und Einbringung von Landesaspekten in die Bundespolitik. Vom Gesamtstaat aus erscheinen solche Interventionen oder Mitwirkungsverweigerungen des Bundesrates aber oft als "Blockade" für notwendige Regelungs- und Reformschritte.

Im Laufe der Jahre hat sich die Zahl der zustimmungsbedürftigen Bundesgesetze immer mehr ausgeweitet. Waren es zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland nur rund 40 Prozent der Gesetze, die vom Bundesrat mitbeschlossen werden mussten, so sind es heute bis zu 60 Prozent. Mit beigetragen zu dieser Expansion hat gewiss die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Auslösung der Zustimmungsbedürftigkeit nur durch einen einzigen Paragraphen das gesamte Gesetz mitwirkungspflichtig macht und spätere Gesetzesänderungen ganz unbesehen der Zustimmungsbedürftigkeit spezieller Vorschriften schon dann immer vom Bundesrat konsentiert werden müssen, wenn sie den ursprünglichen Bestimmungen "eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite verleihen" (was eben häufig attestiert werden kann). Als Hauptauslöser für die Zustimmungsbedürftigkeit hat sich jedenfalls Art. 84 Abs. 1 GG erwiesen (neben verschiedenen Vorschriften aus der Finanzordnung des Grundgesetzes). Dieser Artikel sieht vor, dass Gesetze dann die Bundesratszustimmung brauchen, wenn sie den Ländern, welche sie "als eigene Angelegenheit ausführen" sollen (Art. 83 GG), für diese Ausführung bestimmte organisatorische Vorgaben machen.

Nun mag man meinen, der Bund könne diese Zustimmungsbedürftigkeit doch ganz einfach vermeiden, indem er auf entsprechende Behörden- und Verwaltungsvorgaben verzichtete. Und mitunter geschieht das ja auch, wenn Gesetzesvorhaben "aufgeteilt" werden, nämlich in ein Gesetz, das die ganzen inhaltlichen, politisch wichtigen Regelungen enthält, und eines, das die dazu für notwendig gehaltenen Organisationsvorkehrungen trifft. Aber überhaupt auf entsprechende Einwirkungen zu verzichten, zumal durchweg eine hoch entwickelte Behördenlandschaft existiert, überall das gleiche Verwaltungsverfahrensrecht beachtet wird und man auch die inhaltlichen Vorschriften immer so fassen kann, dass für die Ausführung gar kein Gestaltungsspielraum mehr bleibt, ist offenbar nicht gangbar. Der Bund scheint sich aus dem Organisationsbereich nicht heraushalten zu wollen, möchte überall mitreden oder seine eigenen Sachregelungen bis zum letzten Adressaten weiterverfolgen.

Ein wirklicher Reformschritt würde Art. 84 Abs. 1 GG schlicht aufheben. Für den Bund bestünde dann keine Möglichkeit mehr, auf die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren in den Ländern Einfluss zu nehmen, und seine Gesetze würden an diesem Punkt auch nicht mehr zustimmungsbedürftig werden. Gleichzeitig ergäbe sich als weiterer Vorteil, dass es nicht mehr zulässig wäre, Gemeinden und Kreise unmittelbar durch den Bund zur Ausführung bestimmter Vorhaben für zuständig zu erklären. Diese Fälle sind bisher ja zusätzlich ein Ärgernis, weil sie die Eigenverantwortung der Kommunen untergraben und ihnen vor allem Kosten aufbürden, für die sie keinerlei Ausgleichsanspruch haben. Auch zur Sanierung dieses Problemfeldes wäre also eine Streichung von Art. 84 Abs. 1 GG von Vorteil. Und wenn es für den Bund tatsächlich so sein sollte, dass aus Gründen seiner Vollzugsverpflichtung gegenüber der Europäischen Union eine Handhabe unverzichtbar ist, spezielle Umsetzungsdetails bei den ausführenden Ländern sicherzustellen, könnte man dafür eine Sondervorschrift bei dem ohnehinreformbedürftigen Europaartikel 23 des Grundgesetzes vorsehen.

Allerdings hat sich bei der realen Reformbemühung überraschenderweise herausgestellt, dass die Länder gar nicht so ungern die organisatorischen Eingriffe des Bundes in ihre Vorkehrungen zur Bundesgesetzes-Ausführung erdulden. Sie nutzen die hierfür eingehandelte Zustimmungsmitwirkung nämlich dazu, sich gegen erhebliche Kostenfolgen der Gesetzesausführung abzusichern. An sich müssen wegen der staatsinternen Gleichwertigkeit von Bund und Ländern beide prinzipiell "gesondert die Ausgaben (tragen), die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben", und d.h. eben auch "die bei ihren Behörden entstehenden Verwaltungsausgaben" (Art. 104a GG).

Aber diese Lasten werden den Ländern bei der Ausführung der Bundesgesetze mitunter zu schwer, und deshalb bedingen sie sich beim Werben des Bundes um die Bundesratszustimmung entsprechende Ausgleichsleistungen oder Verwaltungserleichterungen aus. Die Föderalismuskommission war deshalb, um bei Art. 84 Abs. 1 GG weiterzukommen, auf den Ausweg verfallen, den Ländern einen speziellen Zustimmungsvorbehalt für erhebliche Kostenfolgen bei der Ausführung von Bundesgesetzen zuzubilligen. Ob man damit aber wirklich die Gesamtzahl der Zustimmungsbedürftigkeiten eindämmen könnte, erscheint mehr als zweifelhaft. Vielmehr mutet ein solcher Weg an, als wolle man "den Teufel durch Beelzebub austreiben".

Abbau der Mischfinanzierung

Bei diesem letzten Generalansatz zur Verantwortungsentflechtung müsste es zunächst darum gehen, die Eigenständigkeit der Finanzverantwortung von Bund und Ländern wieder freizulegen und zu stärken. Dass dazu die Regelungshoheit über die "eigenen" Steuern gehört, wurde schon erwähnt. Aber auch die Möglichkeit, jeweils Hebesätze auf die den Ländern zufallenden Anteile des Verbundsteueraufkommens festzulegen, sollte erwogen werden. Und beim Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern könnte man das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Verbot einer Nivellierung der Finanzkraftunterschiede ausdrücklich verankern sowie konkretisieren und ausweiten. Außerdem ließe sich bei den Ergänzungszuweisungen (Art. 107 Abs. 2 GG) wenigstens ausschließen, dass die Solidaritätspflicht der föderalen Glieder auch die Unterstützung dauerhaft (und nicht nur vorübergehend) unfinanzierbarer Landeshaushalte umfasst. Die "Lebensfähigkeit der Länder ... in finanzieller Hinsicht" (Art. 115c Abs. 3 GG) ist das Mindeste, was ein funktionierender Föderalismus bei seinen Gliedern voraussetzen muss.

Darüber hinaus sollten aber auch jene Instrumente in den Blick genommen werden, welche eine Verzahnung der einzelnen Aufgabenfinanzierung geradezu zum Standard erheben. Es sind dies neben der verkoppelten Steuerverwaltung, deren Entflechtung wohl mutig auf eine Vollübernahme durch den Bund hinauslaufen müsste, vor allem die sogenannten "Gemeinschaftsaufgaben". Bei ihnen wird, wo schon die Aufgabeninangriffnahme gemeinschaftlich zu regeln ist, unmittelbar qua Grundgesetz "die Hälfte der Ausgaben in jedem Land" vom Bund getragen (Art. 91a) oder, wo Bund und Länder erst bei der realen Aufgabenwahrnehmung zusammenwirken, "die Aufteilung der Kosten in (einer) Vereinbarung geregelt" (Art. 91b GG). Im ersteren Fall geht es um Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken, um die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur und um die Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes, im letzteren um die Bildungsplanung und die Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Bedeutung.

Bei all diesen Bereichen handelt es sich - wie auch die Verfassung betont - an sich um "Aufgaben der Länder". Der Bereich Bildung/Wissenschaft/Forschung wird ja nicht zu Unrecht von vielen Ländern geradezu als Nagelprobe ihrer Eigenstaatlichkeit angesehen und wuchs sich deshalb in der Föderalismuskommission, weil der Bund sich daraus nicht zurückziehen wollte, zum veritablen Sprengsatz aus. Wenn man die institutionalisierte Verantwortungsverflechtung aufbrechen und die Länder in ihrer Eigenständigkeitwieder stärken will, muss man diese Mischfinanzierungstatbestände gänzlich abschaffen. Sie haben sich generell als ein Hortder Intransparenz, des bürokratischen Aufwandes, der ökonomischen Unwirksamkeit und rechnungsprüferischen Resistenz herausgestellt.

Dass manche Länder sich bei den "Gemeinschaftsaufgaben" mit der alleinigen Finanzierung überfordert fühlen, lässt sich zwar nachvollziehen. Aber das kann nicht ausschlaggebend dafür sein, dass man die betreffenden Aufgaben gleich in gemeinschaftliche Verantwortung gibt und in einer umfänglichen Rahmenplanung von der Bundesverwaltung mitbestimmen lässt. Wenn man Finanzhilfen benötigt, gibt es den Weg über Art. 104a Abs. 4 GG. Auch dort muss das Nähere über die Art der zu fördernden Investitionen noch durch ein Zustimmungsgesetz geregelt werden, nur ist dann die Mitfinanzierung durch den Bund erst der einzelne Überbau und nicht der generelle Fundus, ja, Wesenszug der betreffenden Aufgaben.

Am deutlichsten lässt sich die Fehleinordnung bei den Gegenständen "Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" erkennen. Beide sind ganz spezifische Raumbelange, sie werden für ein Land überhaupt nur zum Thema, wenn es an der Küste liegt oder eine nennenswerte Landwirtschaft aufzuweisen hat. Für die materiellen Richtmaße ist dem Bund ohnehin eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit eingeräumt worden (Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG). Aber die Inangriffnahme der einzelnen Aufgaben, ihre Planung und Durchführung jetzt auch noch von Berlin aus mitbestimmen zu lassen, wo doch unverkennbar die regionale Fachkompetenz in diesen Belangen näher und größer ist, bleibt ein bundesstaatlicher Unsinn.

Europäische Handlungsfähigkeit Deutschlands

Ein besonderes Desiderat für die föderative Verfassungsreform ist die Neugestaltung von Art. 23 GG. Dort, im so genannten "Europaartikel", wird nämlich nach einigen Grundsatzbestimmungen zur Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union ausführlich geregelt, wie vor allem der Bundesrat und gegebenenfalls die Länder selber an der deutschen Interessenvertretung in Brüssel beteiligt werden müssen. Hier hat sich aber immer deutlicher gezeigt, dass die so ausgedehnte Bundesstaatlichkeit zu einem echten Handicap für ein wirksames Handeln in der EU werden kann.

Deutschland als Reaktion darauf gegenüber der EU wie einen allenfalls dekonzentrierten Einheitsstaat auftreten zu lassen ist ohne Zweifel ausgeschlossen. Dafür sind die Länder durchweg zu sehr von den europäischen Gestaltungsprogrammen und Regelungsvorgaben betroffen. Oft genug werden ja auch konkret Gegenstände ausschließlicher Gesetzgebungsbefugnis der Länder (Art. 23 Abs. 6 GG) in Brüssel verhandelt und vorentschieden. Auf dem Boden der geltenden Verfassung ist zudem - wie gesehen - "die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung" zwingend (Art. 79 Abs. 3 GG), und materielle Gesetzgebung, also verbindliche Normsetzung, wird heute eben - vom Bund delegiert - auch von Brüssel aus vorgenommen.

Ebenso jedoch sollte eine vollständige Überantwortung der deutschen Mitgliedschaftswahrnehmung an die Länder ausgeschlossen sein, selbst da, wo es in der Tat innerstaatlich um ihre ureigenen, ausschließlichen Gestaltungsbelange geht. Denn Mitglied in der EU ist nun einmal Deutschland als solches, und dieses vertritt der Bund. Er hat deshalb gegenüber der EU für die "Erfüllung der Verpflichtungen (einzustehen), die sich aus dem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben" (Art. 10 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft), und gegebenenfalls die Sanktionslasten zu tragen, die sich aus Verletzungen des Vertrages (z.B. bei Verfehlung der Euro-Stabilitätskriterien oder verspäteter bzw. nicht korrekter Richtlinienumsetzung) ergeben. Ihm obliegt also die gesamtstaatliche Verantwortung für Deutschland, und die kann er nur übernehmen, wenn er bei Entwicklung und Geltendmachung des deutschen Standpunkts maßgeblich beteiligt ist.

In Art. 23 Abs. 6 GG ist nun aber geregelt, dass, wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind, "die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedsstaat der Europäischen Union zustehen, (einem) vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder" zukommen soll. Das ist schon strukturell eine Extremposition, die nicht passen kann. Sie erweist sich indessen auch praktisch als nicht gangbar. Die Regelung mag im Innenverhältnis konsequent sein, im Außenverhältnis aber lähmt sie eine wirksame Interessenverfolgung Deutschlands und ist deshalb in den gut zwölf Jahren ihres Bestehens auch nur ein einzigen Mal angewendet worden.

Auf zwischenstaatlicher, europäischer Ebene ist Kontinuität wichtig, da nur Erfahrung sowie Vertrautheit mit der Materie und den Entscheidungsprozessen bei den Verhandlungspartnern Vertrauen erzeugt. Und hieran wird es einem nur fakultativen Ländervertreter in Brüssel immer fehlen. "Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten [muss auch hier also] Sache des Bundes" bleiben, wie es Art. 32 Abs. 1 GG allgemein vorschreibt, und die besondere Verdichtung der Rechtsbeziehungen in der EU ändert daran nichts. Die notwendige Beteiligung der Länder an Positionsentwicklung, Verhandlung und Entscheidung in Brüssel muss innerstaatlich gewährleistet werden, nicht in der Außenvertretung. Der Ländervertreter nach Art. 23 Abs. 6 GG ist mithin, obwohl die Länder ihn seit seiner Ausbedingung 1992 alsgroße Errungenschaft betrachten, abzuschaffen.

Umso effektiver muss der innerstaatliche Rückbindungsprozess organisiert werden. Das föderale Unterrichtungs- und Verständigungsverfahren ist wesentlich zu verbessern. Die jetzigen Regelungen in Art. 23 Abs. 4 und 5 GG erweisen sich als viel zu umständlich und ineffektiv. Und es ist bisher nur deshalb nicht zu einer nachhaltigen Schädigung der Interessenvertretung Deutschlands gekommen, weil sich in schöner Pragmatik die Beteiligten eben nicht an das rechtlich Vorgeschriebene halten. Am besten würde man einen gemeinsamen europäischen Ausschuss von Bundestag und Bundesrat schaffen, einen "Föderalen Europabeirat" gewissermaßen. Er sollte eine stehende Einrichtung werden, operativ arbeiten können und Entscheidungszuständigkeiten haben; organisatorisch könnte er mit der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Europäischen Gemeinschaften verbunden werden. Weitere Reformoptionen in diesem Zusammenhang könnten die Entwicklung einer Art "Obergesetzgebung" des Bundes für die Umsetzung europäischer Richtlinien oder die Einführung einer Haftungsnorm für die verantwortungsgemäße innerstaatliche Lastenverteilung bei europäischen Sanktionen betreffen.

Das jetzige Scheitern der Föderalismusreform darf auf keinen Fall einen Schlussstrich für die Modernisierungs- und Erneuerungsbemühungen bedeuten. Das deutsche bundesstaatliche System hat sich in seinem über fünfzigjährigen Bestehen auf etlichen Feldern zu sehr fehlentwickelt und festgefahren, die politischen Wirkungsbedingungen in der Welt sind für Deutschland heute einfach grundlegend anders als 1949. Dass die rechtliche Grundordnung des Staates entsprechend angepasst werden muss, ergibt sich deshalb von selbst, und wenn man dabei die erprobte staatliche Grundstruktur bewahren will, muss namentlich der Föderalismus reformiert werden. Hierfür gilt es nun auch, keinerlei Verzögerung mehr hinzunehmen. Die Reform ist eine permanente Aufgabe und muss nur für die zurückliegenden Versäumnisse zunächst in einem größeren Schritt geleistet werden. Dabei ist - wie lediglich in groben Zügen nachgezeichnet werden konnte - im Innern eine deutliche Verantwortungsentflechtung zwischen Bund und Ländern herbeizuführen und im Äußeren die europäische Handlungsfähigkeit Deutschlands zu stärken.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Kommission wurde durch gleichlautende Beschlüsse von Bundestag und Bundesrat am 16. bzw. 17. 10. 2003 eingesetzt (BT-Drucks. 15/1685 und BR-Drucks. 750/03) und ließ am 17. 12. 2004 durch die beiden Vorsitzenden ihr Misslingen feststellen.

  2. Stefan Dietrich, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 18. 11. 2004, S. 1.

  3. Zur Legitimation des Bundesstaates im Einzelnen Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders./Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, 1990, § 98 Rn. 299ff. Zur Notwendigkeit immer neuer Vergegenwärtigung und Beabsichtigung im Übrigen schon Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Die Verfassung Deutschlands (1800 - 01), in: Werke 1, Frühe Schriften, 1971, S. 461: "Was nicht mehr begriffen werden kann, ist nicht mehr."

  4. Die Verschränkungsprozesse im Bundesstaat werden z. T. geradezu als schicksalhaft angesehen: Otto Kimminich, Der Bundesstaat, in: Handbuch des Staatsrecht, Bd. I, 1987, § 26 Rn. 56ff.

  5. Vorschläge etwa bei Edzard Schmidt-Jortzig, Die Entflechtung von Verantwortlichkeiten im Beziehungsgefüge des deutschen Bundesstaates, in: H.-J. Blanke (Hrsg.), Zustand und Perspektiven des deutschen Bundesstaates, 2005, S. 57, 59ff.

  6. Diese umfassende Majorisierung durch den Bund besteht erst seit der Finanzverfassungsreform von 1969. Und da der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht hier nahezu lückenlos Gebrauch gemacht hat, wird auch der Bezug auf die Bedürfnisklausel von Art. 72 II GG und ihre jetzt schärfere Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht keine ernsthafte Lockerung bringen.

  7. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) Bd. 37, 363 (379ff.); 48, 127 (180f.).

  8. Vgl. E. Schmidt-Jortzig (Anm. 5), S. 62f.

  9. BVerfGE 1, 117 (131); 72, 330 (398); 101, 158 (222); vgl. Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, Baden-Baden 1999, S. 301ff.

  10. BVerfGE 86, 148 (268ff.); vgl. Jürgen W. Hidien, Ergänzungszuweisungen des Bundes gem. Art. 107 II 3 GG, Münster u.a. 1997, S. 142ff.

  11. Zur Kritik bereits Franz Klein und Thomas Ellwein, in: Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, Berlin 1983, S. 875 bzw. S. 1104; Fritz Ossenbühl, Föderalismus nach 40 Jahren Grundgesetz, in: Deutsches Verwaltungsblatt, (1989), S. 1234ff.; Edzard Schmidt-Jortzig, Herausforderungen für den Föderalismus in Deutschland, in: Die Öffentliche Verwaltung, (1998), S. 750.

  12. Vgl. Ingolf Pernice, Föderalismus im Umbruch. Zur Frage der Europafähigkeit des föderalen Deutschland, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, April 2004; Peter M. Huber, Klarere Verantwortungsteilung von Bund, Ländern und Kommunen? (Gutachten D für den 65. Deutschen Juristentag), in: Vhn. des 65. DJT, (2004), Bd. I, S. D 103ff.

  13. Mit Stichtag 1. 5. 2004 waren gegen Deutschland 94Vertragsverletzungsverfahren anhängig (der EU-Durchschnitt liegt bei 67).

  14. Vgl. Andreas Maurer/Peter Becker, Die Europafähigkeit der nationalen Parlamente, SWP-Studie 23 (Juni 2004), S. 27.

Dr. jur., geb. 1941; Professor für Öffentliches Recht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; Bundesminister a.D. Postfach, 24098 Kiel.
E-Mail: E-Mail Link: office.sj@law.uni-kiel.de