Einleitung
Ende 1964 brach das sorgsam aufgebaute Kartenhaus der westdeutschen Israel- und Nahostpolitik zusammen. Das war weder überraschend, noch war es bedauerlich, denn am Ende stand die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel im Mai 1965. Damit wurde eine neue Epoche in der Israelpolitik wie im zwischenstaatlichen Verhältnis eingeläutet: ausgelöst durch deutsche Außenpolitik, nicht etwa durch Gewalteskalationen in Nahost, die fälschlicherweise gerne als Auftakt neuer israelpolitischer Phasen betrachtet werden.
Der Nahostkonflikt - genauer: der Antagonismus von israelischen und palästinensisch-arabischen Erwartungen an die Bundesrepublik - ist ein Einflussfaktor neben anderen: der NS-Vergangenheit, dem Ost-West-Konflikt und der Deutschlandfrage, dem europäischen Einigungsprozess und der Bedeutung einzelner Politiker. Diese Einflüsse stellen ein Kontinuum deutscher Israelpolitik dar. Wechselnd sind die "Mischverhältnisse" zwischen den Faktoren, was wesentlich vom Umgang der Regierungen mit ihnen abhing.
Die Ära Adenauer/Erhard: Formalisierung der Moral
Konrad Adenauer war angetreten, "Deutschland aus der Tiefe wieder emporzuheben"
Diese begann mit dem Abschluss des Luxemburg-Vertrags, auch als Wiedergutmachungsabkommen bekannt. Im Widerspruch zum vielfach geernteten Lob für diesen Schritt ließ Adenauer ein Bewusstsein für die Dimension der Judenvernichtung vermissen. Schon früh hatte er als "erstes, unmittelbares Zeichen"
Kurz vor Vertragsunterzeichnung versuchten einige arabische Staaten, die Bundesregierung erst durch Berufung auf die "traditionelle deutsch-arabische Freundschaft", dann durch Appelle an die "deutsche Ehre" und schließlich durch Ankündigung eines Wirtschaftsboykotts und die Beschimpfung Adenauers als "Werkzeug des Weltjudentums" und der Alliierten umzustimmen.
Der Luxemburg-Vertrag stellt einen Meilenstein dar, denn - wie Israels Ministerpräsident David Ben-Gurion betonte - "es ist eine politische Entscheidung. Es ist die Anerkennung des Staates Israel";
Die DDR wurde indessen Mitglied des Warschauer Paktes. Auch dieser Schritt hatte eine bestimmte, an der Sowjetunion orientierte Israelpolitik erfordert. Die DDR hatte nie auf Entschädigungsforderungen aus Israel reagiert. Noch mehr als in Westdeutschland wurde der eigene "gewandelte Charakter" propagiert: Als antifaschistischer Staat, so die offizielle Position, könne die DDR nicht für NS-Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden; Opfer des Nationalsozialismus seien in der DDR großzügig entschädigt worden, und damit sei die von den Alliierten auferlegte "Wiedergutmachungs"-Pflicht erfüllt.
Die erste Gelegenheit bot der israelische Suez-Feldzug im Oktober 1956 gegen Ägypten. Doch entgegen arabischen Forderungen, israelischen Befürchtungen und (nicht sehr nachdrücklich vorgetragenen) amerikanischen Wünschen setzte Adenauer die Entschädigungsleistungen ohne Abstriche fort. In Israel erwarb er sich damit hohes Ansehen, und den USA nötigte die Vertragserfüllung Respekt ab. Dennoch trieb Adenauer die Sorge um das Verhältnis zur arabischen Welt um, dessen ökonomische Relevanz er unter dem Einfluss einer proarabischen Wirtschaftslobby im Bundestag sehr hoch einschätzte. Trotz eindeutiger Äußerungen aus Israel seit 1956, dass man offiziellen Beziehungen nicht mehr abgeneigt wäre, verweigerte er dem jüdischen Staat daher die De-jure-Anerkennung. Selbst eine Israel-Mission in Köln lehnte er ab - aus Furcht vor Wirtschaftsboykott oder DDR-Anerkennung seitens arabischer Staaten. Gewissermaßen als Entschädigung willigte er in geheime Waffenlieferungen ein. Zudem sagte er Ben-Gurion bei einem Treffen in New York 1960 einen Kredit über 500 Millionen US-Dollar zu ("Aktion Geschäftsfreund"). Diese wichtige Hilfe für den existenziell bedrohten jüdischen Staat verbesserte das zwischenstaatliche Verhältnis auf Regierungsebene. Doch Hunderte antisemitischer Vorfälle in der Bundesrepublik (1960), der Eichmann-Prozess in Jerusalem (1961), deutsche Raketenexperten in ägyptischen Diensten (1962 bis 1965) und die Debatte über die Verjährung von Mordverbrechen während des Nationalsozialismus (1964) stellten die Israelpolitik wiederholt auf eine Probe, die sie nicht immer bestand.
Ludwig Erhard, der Adenauer 1963 als Bundeskanzler ablöste, übernahm dessen Prämissen von Westbindung und Wirtschaftsaufschwung, denen auch die Israel- und Nahostpolitik zu dienen hatte. Im Oktober 1964 wurden die Waffenlieferungen an Israel publik, und das deutsche "Nahostdebakel" nahm seinen Lauf. Aufgrund der Empörung in der arabischen Welt ließ Erhard die Lieferungen durch Wirtschaftshilfekredite ersetzen. Die Reaktion in Israel war nicht minder empört, da es Waffen dringender benötigte als Geld, jene aber nur in Deutschland bekommen konnte, nachdem die USA und Frankreich nach der Suez-Krise einen Rüstungsboykott gegen Israel verhängt hatten.
Ägyptens Staatschef Gamal Abd-el Nasser, die führende Stimme in der Arabischen Liga, empfing im März 1965 den DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht mit militärischen Ehren, was einer faktischen Anerkennung der DDR gleichkam. Daraufhin stornierte Erhard die Wirtschaftshilfe an Ägypten und heizte damit arabische Proteste an. Derart in eine nahostpolitische Zwickmühle - und innenpolitisch unter Druck - geraten, blieb dem Bundeskanzler nur ein Ausweg, Souveränität zu demonstrieren: die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel, ohne jene zu Ägypten abzubrechen (entgegen der Hallstein-Doktrin).
Israels Parlament durchschaute Erhards unfreiwillige "Flucht nach vorn". "In einem Zwiespalt von Gefühl und Verstand",
Die arabischen Reaktionen verpufften - politisch wie ökonomisch. Zehn der dreizehn Staaten der Arabischen Liga brachen zwar umgehend die Beziehungen zur Bundesrepublik ab, nahmen sie aber bis spätestens 1974 sämtlich wieder auf. Hingegen wagte kein einziges arabisches Land, die DDR offiziell anzuerkennen. Erst ab 1969, als die Deutschlandfrage an Brisanz verlor, wurden die ersten Botschafter entsandt.
Die Ära Brandt: Der Blick weitet sich
1966 übernahm die Große Koalition unter Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger die Regierung. Im Gegensatz zu ihm hatte Willy Brandt hinsichtlich des "Dritten Reiches" eine über jeden Verdacht erhabene, blütenweiße Weste. Darum war es ihm überlassen, zuerst als Außenminister, ab 1969 als Regierungschef einer sozialliberalen Koalition die Israelpolitik zu gestalten. In Israel war man verunsichert, ob der NS-Widerstandskämpfer ähnlich wie Adenauer eine Mitverantwortung für Israels Schicksal zum Ausdruck bringen würde oder ob er sich nach realsozialistischem Vorbild als nicht zuständig betrachtete. Durch seine Politik der Öffnung zum Osten lockerte er die enge Klammer des Ost-West-Konfliktes. Die Neugestaltung des Verhältnisses zur DDR führte zur schleichenden Aufhebung der Hallstein-Doktrin, die sich als nahostpolitischer Bumerang erwiesen hatte; dadurch erweiterte sich auch der nahostpolitische Handlungsspielraum der Bundesrepublik.
Brandt strebte auch in Nahost eine Perspektiverweiterung an. Der Sechstagekrieg (1967) förderte diesen Ansatz, obwohl er zunächst zur Fokussierung auf Israel führte: Obschon Israel rasch triumphierte, wurde in der Bundesrepublik erst jetzt seine existenzielle Bedrohung durch ein feindlich gesinntes Umfeld realisiert. Die deutsche Öffentlichkeit benahm sich angesichts des scheinbar ungleichen Kampfes - der jüdische David gegen den übermächtigen arabischen Goliath-, "als sei es 'ihr' Krieg"
Die DDR gab 1967 ihre Zurückhaltung auf und übertraf den Antiisraelismus der Sowjetunion, das Israel als Vasallen der amerikanischen "Kriegshetzer und Imperialisten" betrachtete. Möglicherweise erhoffte sie sich dadurch "eine Aufwertung ihres Ansehens in der Dritten Welt und damit auf dem internationalen Parkett"
Hatte der Sechstagekrieg zu einem Höhepunkt im deutsch-israelischen Verhältnis geführt, so ließ der Generalsekretär der Arabischen Liga wissen, "dass die deutsch-arabischen Beziehungen einen Tiefpunkt erreicht hätten, aus dem er gegenwärtig keinen Ausweg sehe"
Israel blieb im Zentrum, doch in den Folgejahren rückte auch das Schicksal der Palästinenser, vor allem der Flüchtlinge, in das Blickfeld der deutschen Nahostpolitik. Diese Sichtweise erleichterte zudem die gemeinsame Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ), die 1970 ihren Anfang nahm und insbesondere eine Verständigung mit Frankreich erforderte, das eine deutlich proarabische Nahostpolitik verfolgte. Ein weiterer Grund, den deutsch-arabischen Beziehungen mehr Aufmerksamkeit angedeihen zu lassen, war die wachsende Abhängigkeit von arabischem Erdöl. Dementsprechend war die Bundesregierung im Jom-Kippur-Krieg von 1973 mitproisraelischen Stellungnahmen zurückhaltender, obwohl Israel nach dem Überraschungsangriff der arabischen Staaten am Rande einer Niederlage stand. Während des Krieges wurde Öl als Druckmittel gegenüber dem Westen eingesetzt. Deutschland wahrte darum Distanz zu Israel, wobei die Sympathien der Bevölkerung ähnlich wie 1967 dem jüdischen Staat gehörten. Die Bundesregierung stimmte zur Empörung Israels einer propalästinensischen EG-Resolution zu (November 1973), verhinderte allerdings deren noch stärker anttiisraelische Akzentuierung.
So lavierte Brandt nahostpolitisch zwischen "Vergangenheitsbewältigung", deutsch-arabischen Wirtschaftsbeziehungen und einer gemeinsamen EG-Außenpolitik. Dass ihm die Perspektiverweiterung zugunsten der Palästinenser gelang, ist insbesondere auf sein hohes Ansehen zurückzuführen, das er in Israel genoss.
Die Ära Schmidt/Genscher: Öl und Europa
Nach dem Rücktritt Brandts folgte 1974 Helmut Schmidt als Bundeskanzler, Hans-Dietrich Genscher (FDP) wurde Außenminister. Schmidt war weder eine charismatische Erscheinung, noch verfolgte er außenpolitischeVisionen - er galt als "Generaldirektor der Bundesrepublik"
Schmidts Sachlichkeit prägte auch die Israelpolitik. Die historische Schuld und die Mitverantwortung der Bundesrepublik für die Sicherheit Israels waren für ihn Fakten; daraus resultierende Verpflichtungen waren ungeachtet seiner persönlichen Empfindungen zu erfüllen. Andererseits betrachtete er die Folgen der Vergangenheit als Einschränkung, die es aus der Tagespolitik herauszuhalten galt: Wie Adenauer wollte er Vergangenheit und Gegenwart voneinander trennen, um eine "vergangenheitsbereinigte" Politik zu gestalten, die aktuellen Anforderungen entsprechend verfahren konnte. Deutschlands moralische Verpflichtung gegenüber Israel wurde in logischer Fortführung von Brandts Perspektivwandel zunehmend dahingehend interpretiert, dass Deutschland gerade in dieser Verantwortung auch die palästinensischen Anliegen stärker berücksichtigen und sich gerade im Interesse von Israels Sicherheit auch um gute Beziehungen zur arabischen Welt bemühen müsse.
Das Hauptaugenmerk galt der Weiterentwicklung einer gemeinsamen europäischen Nahostpolitik. Diese verschaffte der Bundesregierung größeren Handlungsspielraum, da sie sich so zumindest teilweise den widerstrebenden israelischen und arabischen Erwartungen entziehen konnte. Moralische Verpflichtungen gegenüber Israel sollten vorwiegend auf gesellschaftlich-bilateraler Ebene thematisiert werden, immer weniger hingegen auf internationaler und Regierungsebene. Schien dieses Konzept in Schmidts Anfangsjahren aufzugehen, so war seine Umsetzung nach dem Regierungswechsel in Israel (1977) blockiert: Auf Yitzhak Rabin, der Schmidt in mancher Hinsicht ähnlich war, folgte Menachem Begin als neuer Ministerpräsident. Begin und Schmidt waren nach Biographie und politischer Überzeugung von - wie sich zeigte - unvereinbarer Gegensätzlichkeit: Hier der Verfolgte des NS-Regimes, der ehemalige Untergrundkämpfer, impulsiv und rechtskonservativ - dort der einstige Wehrmachtsangehörige, Wirtschafts- und Finanzfachmann, preußisch-kühl und sozialdemokratisch. Begin war nicht bereit, die nachrangige Bedeutung der Shoah für die deutsche Nahostpolitik hinzunehmen.
Die bilateralen Kontakte kühlten merklich ab. Als die Begin-Schmidt-Kontroverse 1981 offen ausbrach, kam es in beiden Ländern zu parteiübergreifender Solidarisierung mit dem Regierungschef. In dieser Atmosphäre rief der (in Israel höchst umstrittene) Libanon-Feldzug im Jahr 1982 umso heftigere Reaktionen und Verurteilungen von deutschen Politikern jeder Couleur wie auch in der Bevölkerung hervor. Das Ansehen Israels und die zwischenstaatlichen Beziehungen sanken auf einen Tiefpunkt.
Die Ära Kohl: Politik auf zwei Ebenen
Unter Helmut Kohl wandte sich die Bundesrepublik stärker den außenpolitischen Vorgaben der USA zu, ohne jedoch den europäischen Einheitsprozess zu vernachlässigen. Das bedeutete einen Ausbau der bilateralen Beziehungen und ein stärkeres proisraelisches Engagement innerhalb der EG. Dabei hatte Kohl sich zunächst nicht gerade als Fürsprecher Israels empfohlen: Die Formulierung von der "Gnade der späten Geburt", eine missglückte Israelreise (Januar 1984), Gerüchte über Rüstungslieferungen an Saudi-Arabien, die Kontaktaufnahme zum Iran unter Ayatollah Khomeini, eine Gedenkfeier mit US-Präsident Ronald Reagan auf dem Soldatenfriedhof Bitburg (auf dem auch SS-Angehörige begraben sind) sowie eine uneindeutige Haltung in der Debatte um den 8. Mai als Tag der Befreiung oder der Niederlage vermittelten den Eindruck, Kohl wolle eine Normalität im Umgang mit der NS-Vergangenheit und mit Israel demonstrieren, die auf jüdischer Seite nicht akzeptabel war.
Nach diesen anfänglichen Verstimmungen trat Kohl israelpolitisch behutsamer auf und förderte die Wiederbelebung der unter Schmidt erlahmten halb- und nichtstaatlichen Kontakte. Es entwickelte sich ein engmaschiges und verlässliches Beziehungsgeflecht, das heute eine wesentliche Säule des bilateralen Verhältnisses darstellt. Insbesondere nach Ausbruch der Intifada Ende 1987 wurde das Verhältnis Deutschlands zur arabischen Seite zurückhaltender gestaltet, da der Nahostkonflikt durch den palästinensischen Aufstand an Brisanz gewann und Israel in zunehmende Isolation geriet. Die Bundesregierung vermied nahostpolitische Initiativen, um die Beziehungen zu Israel wie zu den arabischen Staaten nicht zu gefährden. Auch die EG beschränkte sich weitgehend auf Resolutionen und auf die Pflege wirtschaftlicher Beziehungen zu allen Staaten der Region; in diesem Zusammenhang war die Bundesrepublik allerdings der wichtigste Vertreter israelischer Interessen.
Neue Möglichkeiten eines tatkräftigen Engagements eröffnete der Friedensprozess zwischen Israel und der PLO sowie Jordanien (1993). Die Bundesrepublik errichtete als einer der ersten Staaten eine Vertretung in Jericho und unterstützte den Aufbau von Wirtschaft und Infrastruktur in den palästinensischen Gebieten, um auf ausdrücklichen Wunsch der israelischen Regierung auf diese Weise den Friedensprozess zu stärken. Die Bundesregierungen unter Kohl verfolgten eine Politik gegenüber Palästinensern und arabischen Staaten, die immer mehr vom Nahostkonflikt losgelöst war. So gelang es, das nahostpolitische Dilemma - den Antagonismus von israelischen und arabisch-palästinensischen Erwartungen - wenn nicht aufzulösen, so doch in stabile und politisch praktikable Strukturen zu fassen. Das obligatorische Bekenntnis zu den Lehren aus der NS-Vergangenheit und zur Verantwortung gegenüber Israel gewann unter Kohl Glaubwürdigkeit durch sein langjähriges Engagement für die zwischengesellschaftlichen Beziehungen. Sein persönlicher Einsatz trug ihm in Israel den Ruf der Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit ein. Kohl galt als "verkörperte Entwarnung"
Nach jahrelanger Feindschaft gegenüber Israel und der Verweigerung jeglicher Kontakte waren Mitte der achtziger Jahre erste Anzeichen zu erkennen, dass die DDR an eine Korrektur ihrer Israelpolitik dachte. 1988 erklärte sie ihre Bereitschaft zu Entschädigungsleistungen an jüdische NS-Opfer deutscher Herkunft, die außerhalb der DDR lebten. Erich Honecker reagierte damit auf den Kurswechsel in der Sowjetunion unter Gorbatschow. Doch erst die im März 1990 frei gewählte DDR-Volkskammer bekannte sich zu Schuld und Mitverantwortung an der Shoah und stellte Entschädigungsleistungen an Israel in Aussicht. Angesichts dieses späten Schuldeingeständnisses und der langjährigen Unterstützung der arabisch-palästinensischen Seite verband sich bei vielen Juden "mit dem Verschwinden der DDR eher Zufriedenheit"
Die Ära Schröder/Fischer: Fortführung und Vertiefung
Auch die rotgrüne Bundesregierung ließ keine Zweifel daran, dass Deutschland aufgrund seiner Vergangenheit Mitverantwortung für Existenz und Sicherheit Israels trage. Allerdings folge daraus, so Außenminister Fischer, "auch eine generelle Verpflichtung, für die Rechte anderer Völker, auch die der Palästinenser, einzutreten"
Insgesamt hatte die rotgrüne Bundesregierung keine Veranlassung, in den Beziehungen zu Israel Grundlegendes zu ändern. Die Israel- und Nahostpolitik hatte mittlerweile einen festen Kurs eingeschlagen: Routine, Kenntnis und Verständnis prägen die deutsche Israelpolitik und die Regierungsbeziehungen, aber auch das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der palästinensischen Führung bzw. den arabischen Staaten. Wie vor allem unter Kohl etabliert, kommt die Besonderheit des bilateralen Verhältnisses nach wie vor in erster Linie im gesellschaftlichen Bereich zum Ausdruck. Auf internationaler Ebene vermeidet die Bundesregierung eine Sonderrolle, vertritt jedoch im Hintergrund - vor allem als "Israels guter Botschafter in Europa"
Etappen und Kontinuitäten
Adenauer wusste um die Notwendigkeit einer "Wiedergutmachung" gegenüber Israel, um den gewandelten Charakter der Bundesrepublik zu demonstrieren. Die rechtliche Anerkennung Israels wäre moralisch zwar geboten gewesen, doch ließ sich Adenauer von arabischen Drohungen einschüchtern. Geheime Waffenlieferungen und Finanzhilfen sollten Israel entschädigen. Ludwig Erhard kam unversehens in die Lage, die faulen Früchte dieser Politik zu ernten. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Mai 1965 war eher Teil einer unausweichlichen außenpolitischen Notoperation als das Ergebnis einer willentlichen, souveränen Annäherung. Willy Brandt verkörperte das Primat der politisch-moralischen Überzeugung vor dem politisch Machbaren, gar ökonomisch Lohnenswerten. Er drängte den Faktor "NS-Vergangenheit" allmählich zurück, indem er die deutsch-israelischen Beziehungen (auch) im erweiterten Rahmen des Nahostkonfliktes gestaltete.
Für Helmut Schmidt war Moral kein Gegensatz zu Realpolitik, sondern Teil von ihr - allerdings nur einer von vielen, und die europäische Einheit hatte Vorrang. Helmut Kohl versuchte zunächst alles zugleich: Orientierung an den USA und gemeinsame europäische Nahostpolitik, Unbefangenheit im Umgang mit der Vergangenheit und Übernahme moralischer Verantwortung, Intensivierung der Beziehungen zu Israel und Pflege der Wirtschaftsbeziehungen zur arabischen Welt. Nach holprigem Beginn kehrte Selbstverständlichkeit und Unaufgeregtheit in die deutsch-israelischen Beziehungen ein, ohne dass diese an Bedeutung verloren hätten. Hatte er von Schmidt einen israelpolitischen Scherbenhaufen geerbt, so hinterließ er der rotgrünen Koalition ein "bestelltes Haus": Die Israelpolitik war in ruhigere Bahnen gelenkt, in denen vor allem Außenminister Fischer souverän voranschritt.
Wie eingangs erwähnt unterstand die deutsche Israelpolitik von Beginn an verschiedenen Einflüssen: Aufgrund der NS-Vergangenheit bekannten sich alle Bundesregierungen zur moralischen Verantwortung gegenüber Israel. Alltagspolitisch verlor dieser Faktor mit den Jahren an Brisanz und stellt heute keine Gefährdung des zwischenstaatlichen Verhältnisses mehr dar. Der israelisch-arabische bzw. -palästinensische Konflikt bedeutete für Deutschland eine Zwickmühle zwischen moralischer Verantwortung und ökonomischem Nutzen. Dieser Antagonismus wurde entschärft, indem die beiden Stränge heute weitgehend unabhängig voneinander gestaltet werden. Im Rahmen internationaler Entwicklungen richtete die Bundesregierung ihre Politik zunächst an den Erwartungen der Westmächte aus, während sich die DDR an der Sowjetunion orientierte. In den siebziger Jahren gewann der europäische Einheitsprozess an Bedeutung, der Deutschland die Möglichkeit bot, seine israelpolitische Sonderrolle allmählich zugunsten einer EG/EU-Nahostpolitik aufzugeben. Nicht zu vernachlässigen ist die Bedeutung, die einzelne Politiker als Motor (bzw. Bremser) oder Gestalter bilateraler Kontakte erlangten.
Bei aller unterschiedlichen Akzentuierung ist allen Bundesregierungen ein Anliegen gemein: das Bemühen um größere israel- bzw. nahostpolitische Handlungsfreiheit. Deutsche Israelpolitik war immer den großen außenpolitischen Anliegen untergeordnet und hatte diesen zu dienen. Die NS-Vergangenheit stellte dabei eine Einschränkung dar, deren unmittelbarer Einfluss zurückgedrängt werden sollte.
Der Israelbesuch von Bundespräsident Horst Köhler im Februar 2005 machte deutlich, dass sich auch nach 40 Jahren diplomatischer Beziehungen die "Verklammerung von Politik und Moral"
"Zwischen Deutschland und Israel kann es nicht das geben, was man Normalität nennt", erklärte Köhler vor der Knesset. Israels Identität ist von der Shoa geprägt, während "die Verantwortung für die Shoa (...) Teil der deutschen Identität" ist, wie Köhler klarstellte.