Einleitung
Die Diskussion über Ethik in der Politik, insbesondere in der Außenpolitik, ist nicht neu. Viele sehen in jeder Politik eine Mischung aus Moral und Interessen. Thomas Jefferson erklärte das mit der Natur des Menschen: "If man were wholly evil no government would be possible. If he were completely good no government would be necessary."
In den deutsch-israelischen Beziehungen sind Fragen von Ethik und Politik, von Idealismus und Realismus von großer Bedeutung. Emotionen spielen eine wichtige Rolle. Es gibt in Israel seit den fünfziger Jahren eine dominante Realpolitik für die Errichtung und Ausweitung der Beziehungen mit Deutschland, aber es gab auch starke emotionale Gegenströmungen. Auch aus innenpolitischen Überlegungen (interne Realpolitik) wandte man sich eher gegen den Deutschlandkurs der Regierungen Ben-Gurion, Sharett und Eshkol. Es gab moralisch fundierte Positionen für und gegen Beziehungen mit Deutschland. Und die ideologisch fundierte Politik der linkssozialistischen Vereinigten Arbeiterpartei (hebr. Mifleget Poalim Meuhedet, MAPAM) und der Kommunisten (für die DDR, gegen die Bundesrepublik) deckte sich kaum mit Realpolitik oder Ethik.
Auch in Deutschland gab es realpolitische Gründe für und gegen offizielle Beziehungen mit Israel, aber auch einen starken Trend der Moralpolitik - einer Politik der "Wiedergutmachung" für den an Juden begangenen Massenmord und für ein Rapprochement zwischen Deutschland und Israel. Verglichen mit Israel waren die Debatten in Deutschland jedoch kaum von Emotionen bestimmt.
Die Beziehungen zu Deutschland waren in Israel immer wieder von großer politischer Bedeutung.
Emotionen
Israels frühe Politik gegenüber Deutschland bis 1951 war stark von Emotionen geprägt. Sofort nach der Staatsgründung wurde beschlossen, jedem Deutschen die Einreise und jedem Israeli die Reise nach Deutschland zu verbieten; jeder israelische Pass trug bis 1956 den Vermerk "außer Deutschland"
Dieser emotionale Boykott Deutschlands betraf auch die historisch unbelastete SPD. Die Arbeiterpartei (MAPAI) boykottierte die SPD und versuchte, ihre Aufnahme in internationale Gremien (z.B. die Sozialistische Internationale und die Internationale Freier Gewerkschaften) zu verhindern.
Im Jahre 1952 gefährdete die Auseinandersetzung über das Wiedergutmachungsabkommen die Existenz von Israels junger Demokratie. Das Land war polarisiert zwischen Befürwortern und Gegnern dieses ersten deutsch-israelischen Abkommens. Während der Verhandlungen in Wassenaar war es den israelischen Delegierten verboten, mit den deutschen Delegierten auf Deutsch zu sprechen.
Die Gegner der Verhandlungen kamen von rechts (insbesondere aus der Nationalbewegung Herut unter Menachem Begin), aber auch von der Mitte (Allgemeine Zionisten) und links (MAPAM und Kommunisten). Auch im Regierungslager, vor allem in den orthodoxen Parteien, aber auch in der MAPAI, gab es Opposition. Während der Knesset-Debatte am 7. Januar 1952 mobilisierte Herut Zehntausende von Demonstranten, welche die Knesset mit Steinen bewarfen und zu stürmen versuchten. Es gab über hundert Verletzte. Begin rief damals die Demonstranten auf, die Regierung wenn nötig mit Gewalt zu stürzen, um den "Verrat" am jüdischen Volk zu verhindern.
In der historischen Knesset-Debatte am 8. Januar 1952 sagte der Allgemeine Zionist Josef Sapir, "dass es ein Fehler sein würde, wenn wir den irrationalen Komponenten kein Gewicht gäben, denn sehr oft bestimmen diese die historische Entwicklung"
Insbesondere Oppositionsführer Begin, dessen Eltern vor seinen Augen im Holocaust ermordet wurden, führte den emotionalen Kampf gegen die Regierung, die ab 1951 für einen Dialog mit Deutschland optierte. Ben-Gurion war für ihn wegen seiner Deutschlandpolitik ein "Verrückter" und ein "Tyrann". Einer von Begins Anhängern, der spätere Vorsitzender der Knesset Dov Shilanski, versuchte am 5. Oktober 1952 das Außenministerium in die Luft zu sprengen. Als Regierungschef (1977 - 1983) bemühte sich Begin zwar um Realpolitik, aber es kam immer wieder zu emotionalen Ausbrüchen, etwa gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt.
Kein Likud-Premierminister (Yitzhak Shamir, Binyamin Netanyahu und Ariel Sharon) hat Deutschland offiziell besucht. Aber auch unter David Ben-Gurion, Moshe Sharett, Levi Eshkol und sicherlich Golda Meir spielten Emotionen eine große Rolle in den deutsch-israelischen Beziehungen. Auch in den Jahren 1957 bis 1959 gab es große Krisen, diesmal vor allem zwischen Ben-Gurions MAPAI und den linken Koalitionspartnern MAPAM und Ahdut Ha'avoda (bis 1954 ein Teil der MAPAM). Die Linksparteien, in deren Führung viele Überlebende des Holocaust, des Warschauer Ghetto-Aufstands und ehemalige Partisanen tätig waren, stürzten zweimal die Regierung Ben-Gurion wegen deren Deutschlandpolitik und vor allem wegen den Verkaufs von Waffen an die Bundesrepublik.
Zu großen Spannungen zwischen Israel und Deutschland kam es im Jahre 1962, und zwar wegen der Arbeit von deutschen Raketenexperten an ägyptischen Rüstungsprojekten. In der Regierungspartei MAPAI brach daraufhin eine heftige Auseinandersetzung zwischen den Befürwortern engerer Beziehungen zu Deutschland (vor allem Premierminister Ben-Gurion und die "junge Garde" mit Shimon Peres und Moshe Dayan) und deren Gegnern (Außenministerin Meir und Geheimdienstchef Isser Harel) aus. Vermutlich liegt in diesem Konflikt einer der Gründe für Ben-Gurions Rücktritt 1963.
Die nächste große Krise gab es 1965, als die Bundesrepublik zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen bereit war. Die Opposition in Israel war noch stark, aber bereits viel schwächer als 1952 oder 1959. Herut und MAPAM organisierten Demonstrationen, aber die Allgemeinen Zionisten (jetzt Liberale) und Ahdut Ha'avoda waren 1965 eher für als gegen Beziehungen zu Deutschland.
Zu einer Krise anderer Art führte der Wahlsieg des Likud unter Begin im Mai 1977, dem großen Opponenten jedes Dialogs mit Deutschland. Bekannt ist sein Ausbruch 1981 gegen den "Nazi-Offizier" Helmut Schmidt. Es gibt Spekulationen, dass sein Rücktritt 1983 nicht nur mit dem Libanonkrieg, sondern auch mit Deutschland zu tun hatte. Er wollte und konnte nicht als Premierminister Israels Bundeskanzler Helmut Kohl offiziell in Israel empfangen.
Während des ersten Golfkrieges (1991) kam es erneut zu Spannungen zwischen beiden Staaten, als bekannt wurde, dass deutsche Firmen am Aufrüstungsprogramm für ABC-Waffen für Iraks Diktator Saddam Hussein teilgenommen hatten. Es gab große Empörung in Israel, und Deutschland wurde wieder zum verhassten Land. Doch kam es nicht mehr zu einer innenpolitischen Polarisierung, denn trotz der heftigen Emotionen (Israel wurde mit "deutschem Gas" bedroht) war klar, dass es sich hier um das Geschäftsgebaren von Privatfirmen handelte, nicht um Maßnahmen deutscher Regierungspolitik.
Realpolitik
Realpolitik sieht einen Unterschied zwischen individueller und kollektiver Moral, zwischen Ethik und Politik, dem Wünschenswerten und Möglichen. Sie handelt nach handfesten Interessen auf politischer, wirtschaftlicher und militärischer Ebene.
Außenminister Moshe Sharett, eine liberale "Taube" und das "moralische Gewissen" der Regierungspolitik gegenüber der arabischen Welt, betonte in der "deutschen Frage" die Notwendigkeit, dass der Staat "jede Veränderung im Gleichgewicht der Kräfte im Nahen Osten und in der Welt" genau verfolgen müsse, denn "ein verstreutes und machtloses Volk kann und darf vielleicht nur von Erinnerungen an die Vergangenheit und von messianischen Hoffnungen auf eine zukünftige Erlösung leben". Aber "anders verhält es sich mit einem Volk, das einen Staat hat", einen Staat, der "jederzeit auch das Kalkül seiner Macht machen muss".
Die "rationalen" Interessen, welche die Realisten bereits Anfang der fünfziger Jahre verfolgten, waren in der Tat von sehr praktischer Natur: Wirtschaftshilfe, politische Unterstützung und einen Beitrag zu Israels militärischer Verteidigung. 1952 befand sich Israels Wirtschaft in einem kritischen Stadium. Es waren Jahre der Masseneinwanderung der Überlebenden des Holocaust, und Hunderttausende lebten in Zelten. Devisen waren dringend nötig, um Öl und Getreide einzuführen und Schulden abzuzahlen. Es drohte der wirtschaftliche Zusammenbruch. Die deutschen shilumim (Wiedergutmachungsleistungen) bedeuteten zugleich Rettung und die Hoffnung, eine moderne Industrie aufzubauen. Alle israelischen Beteiligten an den Verhandlungen (z.B. Giora Josephtal, Eliezer Shinnar, Fanny Ginor und David Horwitz) waren sich einig, dass, "wenn Israel nicht in einer schweren wirtschaftlichen Situation gewesen wäre, (...) es 1952 keine Verhandlungen (...) und keine Luxemburger Verträge"
Die Realisten erkannten früh, dass die Bundesrepublik Deutschland früher oder später wieder eine bedeutende wirtschaftliche und politische Kraft in Europa und in der Welt sein würde. Für Ben-Gurion und Sharett war es daher wichtig, ob die Bundesrepublik als Mitglied der NATO, des Gemeinsamen Marktes und der westlichen Welt Israel oder seine Feinde unterstützt. 1959 formulierte Ben-Gurion es so: "Deutschland hat seine Machtstellung in Europa nicht deshalb erhalten, weil wir damit einverstanden waren (...). Doch nur Idioten und politische Scharlatane (...) können nicht begreifen, dass es Israels Stellung in der Welt, seiner Zukunft und vielleicht sogar seiner Existenz schaden würde, wenn wir uns eine Großmacht, deren politisches und ökonomisches Gewicht ständig zunimmt, zum Feind machen und den Arabern als Verbündete überlassen."
Der Staat Israel wurde seit seiner Gründung existenziell bedroht, und es ist nicht verwunderlich, dass die Sicherheit des Staates und die Beschaffung von Waffen ein Hauptanliegen israelischer Realpolitik war. Vor allem in den Jahren 1956 bis 1965 waren die geheimen militärischen Beziehungen zur Bundesrepublik von höchster Bedeutung. Israel erhielt Waffen (z.B. Panzer und Hubschrauber, z. T. aus amerikanischer Produktion) und verkaufte Produkte seiner Militärindustrie an die Bundesrepublik.
Fast alle Realpolitiker sprachen sich für die Errichtung und den Ausbau der Beziehungen mit Deutschland aus, doch gab es in den fünfziger Jahren hier und da auch realpolitische Argumente gegen eine solche Politik. So argumentierte Begin, dass die Deutschlandpolitik der MAPAI das Verhältnis zur Sowjetunion gefährde. Wirtschaftskreise in Israel, die den Allgemeinen Zionisten nahe standen, warnten vor einer ökonomischen Abhängigkeit von Deutschland und vor dem Schaden, den die Einfuhr deutscher Waren der israelischen Industrie zufügen könnte.
Solche realpolitische Stimmen gegen die bilateralen Beziehungen mit Deutschland verstummten erst in den sechziger Jahren. Die Gegner der Beziehungen wurden allmählich zu Befürwortern einer positiven Realpolitik. So unterstützten 1965 die oppositionellen Liberalen (die ehemaligen Allgemeinen Zionisten) und Ahdut Ha'avoda in der Regierung die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, obwohl sie 1952 noch gegen die Wiedergutmachung gestimmt hatten. Auch MAPAM änderte in den siebziger Jahren ihre Politik.
Die größte Wende in Richtung Realpolitik ereignete sich nach 1977 in der Herut Partei, die das Likud-Bündnis führte. Schon 1958 schrieb ein führender Herut-Politiker, dass "jeder Premier, auch Menachem [Begin], Waffen aus Deutschland annehmen wird"
1987 stimmten alle Herut-Minister der Großen Koalition für die Reise Präsident Herzogs nach Deutschland. Für die späteren Likud-Premierminister Netanyahu und Sharon waren die Beziehungen kaum mehr ein Problem. Allein Parlamentspräsident Dov Shilanski boykottierte während seiner Amtszeit (von 1988 bis 1992) alles Deutsche.
Moralische Argumente
Moralische Argumente gab es auf beiden Seiten der Debatte in Israel. Die Gegner von Verhandlungen mit Deutschland sahen in solchen eine "moralische Katastrophe für das jüdische Volk"
Besonders die Waffengeschäfte entfachten moralische Wut. Begin fragte, ob die Mörder nun auch jüdische Waffen tragen sollen.
Die Moralisten in der Opposition wollten Rache ("das ist der Wunsch der Opfer"
Aber Moral war nicht das Monopol der Opponenten einer Verständigung mit Deutschland. Schon früh haben gerade Persönlichkeiten, an deren moralischer Integrität nicht zu zweifeln war, die Politik Ben-Gurions und Sharetts unterstützt. Professoren wie Martin Buber, Gershom Sholem, Hugo Bergman und Ernst Simon galten als Gewissen der Nation. Viele der Akteure im Drama des deutsch-israelischen Rapprochements stammten aus Deutschland. Sie unterstützten diesen Prozess, weil er in ihren Augen auch moralisch richtig war. Genannt seien Nahum Goldmann, Peretz Naphtali, Giora Josephtal, Pinchas Rosen und Walter Eytan. Auch Israels Botschafter in Deutschland - Asher Ben-Nathan, Yohanan Meroz und Avi Primor - dachten in diesem Sinne. Eine herausragende Rolle spielte Moshe Sharett, Außenminister von 1948 bis 1956, von 1953 bis 1955 zugleich Premierminister. Er kann als der wahre Architekt der deutsch-israelischen Verständigung bezeichnet werden.
Die Deutschlandpolitik Israels hatte tiefe moralische Wurzeln. Sie war der Form nach Realpolitik, aber im Kern blieb sie moralisch. Für Ben-Gurion und Sharett war sie begründet in einer moralischen Verpflichtung gegenüber den sechs Millionen ermordeten Juden. Israel sollte für die Überlebenden ein starker Anker sein. Israels führende Staatsmänner waren fest davon überzeugt, dass der Kampf ums Überleben des jüdischen Volkes in Israel weitergeführt werde. Erste Pflicht jeder Regierung sei es, einen zweiten Holocaust zu verhindern. Ben-Gurion sagte in der Knesset am 1. Juli 1959: "Eines habe ich von dem schrecklichen Holocaust Hitlers gelernt, alles zu tun, um einen zweiten Holocaust zu verhindern. Denn dieses Volk - und vielleicht nur dieses Volk - ist in Gefahr auch in unseren Tagen. Hitler wurde besiegt und verbrannt, aber seine Schüler und Helfer im Nahen Osten existieren, beherrschen die arabischen Staaten und umzingeln uns (...). Das Vermächtnis der Opfer des Holocausts ist der Aufbau, die Stärkung und die Sicherheit Israels. Dafür brauchen wir Freunde, vor allem solche, die bereitstehen, uns zu helfen, um unsere Existenz zu sichern."
Sogar Golda Meir, die anfangs alles Deutsche vermied und den (linken) Opponenten der Beziehungen nahe stand, kam zu diesem Schluss. In ihrer Periode als Außenministerin (1956 bis 1965) wurden die wichtigen Militärabkommen geschlossen und die diplomatischen Beziehungen aufgenommen. Auch sie war überzeugt, dass es die Moral gebietet, Emotionen zu überwinden, um alles für die Sicherheit Israels zu tun. Sie und auch Ben-Gurion, Sharett und Eshkol betrachteten die deutsche Wirtschaftshilfe als lebenswichtig, denn ohne eine starke Wirtschaft hielten sie Israels Existenz für gefährdet. Der Tatsache, dass Juden zum ersten Mal seit 2000 Jahren für Verfolgungen eine gewisse Entschädigung erhielten, maßen sie große symbolische und moralische Bedeutung bei. Shilumim an Israel für den Völkermord am jüdischen Volk schien die jüdisch-zionistische These von der Einheit des jüdischen Volkes, von der Rolle Israels, die Vergangenheit und die Zukunft aller Juden zu vertreten, zu bestätigen. Diese tief verwurzelten Überzeugungen als bloße Realpolitik abzutun täte der israelischen Führung und der Komplexität ihrer Gedanken und Gefühle großes Unrecht.
Die Befürwörter der Regierungspolitik sahen nichts Unmoralisches in der Forderung, geplünderten jüdischen Besitz zurückzuerhalten. Ben-Gurion berief sich auf die Bibel ("So spricht der HERR: Du hast gemordet, dazu auch fremdes Erbe geraubt!"
Ben-Gurion lehnte es kategorisch ab, seine pragmatische Politik als unmoralisch und den Boykott Deutschlands als moralisch anzusehen. Er weigerte sich, die Bundesrepublik als "neonazistisch" zu verdammen: "Adenauer ist nicht Hitler. Wenn er Hitler wäre, dann hätte er sich so verhalten wie Hitler."
Ben-Gurions Ablehnung einer Kollektivschuld war klar und eindeutig. Er hat in diesem Sinne Erziehungsarbeit in Israel geleistet. Für ihn war es klar, dass "ich nicht einen jungen Deutschen hassen muß, weil sein Vater ein Nazi war. Ich hasse den Nationalsozialismus. Das deutsche Volk ist wie jedes andere"
Moralische Realpolitik
Realpolitik hat einen schlechten Ruf, denn nur zu oft ist es eine unmoralische Politik, eine Politik der Macht und der Gewalt, des "sacro egoismo". Aber es kann auch Realpolitik geben, in der das nationale Interesse nicht den Werten der Menschenrechte, des Friedens und des Fairplay in den internationalen Beziehungen entgegensteht. Moralische Realisten - anders als Moralisten - erkennen einen Pluralismus der Werte; Schwarz-weiß-Malerei ist ihnen fremd. Sie würden Oliver Wendell Holmes zustimmen: "The man who knows that he must find his way in a maze of principles is superior to the messianic man of principle."
Das große Bild der israelischen Deutschlandpolitik ist das einer moralischen Realpolitik. Hier und da gab es Ausnahmen, Fälle, in denen die Realpolitik amoralische Züge annahm. Ein Beispiel ist die Bevorzugung der CDU und der Industrie gegenüber der SPD und den Gewerkschaften durch Botschafter Shinnar in den fünfziger Jahren (weil die einen an der Macht waren und die anderen in der Opposition). Ben-Gurion dagegen pflegte eine Synthese zwischen Moral und Realpolitik, die manchmal schwer zu trennen ist. So stelle "das andere Deutschland" für die Welt keine Gefahr mehr dar (Realpolitik), denn es habe aus den historischen Erfahrung gelernt (Moral). Die Beziehungen zu Deutschland trügen nach Auffassung Ben-Gurions zur Stellung Israels in der Welt bei (Realpolitik) und zur Sicherung seiner Existenz (Moral). Eine Politik, die Deutschland in die Arme der arabischen Welt triebe, stellte eine "Dummheit" dar (Realpolitik) und ein "Verbrechen", weil sie die Überlebenden der Shoah gefährde (Moral). Ben-Gurion und diejenigen, die ihn in seiner Deutschlandpolitik unterstützten, hatten die Politik Frankreichs gegenüber Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg vor Augen, die sich ebenfalls aus Realpolitik und Moral speiste.
So sind die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland ein Beispiel dafür, dass die Dichotomie zwischen Realpolitik und Moral in der Außenpolitik oberflächlich und falsch sein kann. Die Realisten, die für Beziehungen mit Deutschland waren, taten dies nicht nur, weil es realen Interessen diente. Ihre Politik hatte ideelle und moralische Dimensionen. Die Unterscheidung zwischen "nationalen Egoisten", die nur Interessen, keine Moral, und Idealisten, die nur Moral und Prinzipien, aber keine Interessen kennen