Extremisten definieren sich nicht nur über ihre Ziele, sondern ebenso über ihre Gegner. Allen Unterschieden zum Trotz teilen sie die Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates. Der Hass auf das politische System geht mit dem Hass auf seine Repräsentanten einher. Die Polizei als Garantin der politischen Ordnung und deren zentrale, sicht- und greifbarste Verkörperung nimmt daher als Feindbild eine herausgehobene Stellung ein. Das gilt insbesondere für die ausgesprochen heterogene linksextreme Szene, die im Folgenden mit Blick auf Funktion und Ausprägung des Hassobjekts Polizei betrachtet wird.
Definition und Funktion extremistischer Feindbilder
Politischer Extremismus wird allgemein als Gegenpol zum demokratischen Verfassungsstaat verstanden, der diesen einschränken oder beseitigen will. Alle Einstellungen, Verhaltensweisen, Institutionen und Ziele, die sich gegen die Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung richten, gelten als extremistisch – es handelt sich folglich um eine "Negativdefinition".
Wie bei allen Formen des Extremismus spielen auch im Linksextremismus Feindbilder eine zentrale Rolle, denn "es kämpft sich immer leichter gegen irgendwen und -was als für irgendwen und -was".
Eben diese Ideologisierung unterscheidet extremistische Feindbilder von realen "Bildern von Feinden",
Extremistische Feindbilder erfüllen vier Funktionen.
Zweitens sollen Bedrohungsgefühle gesteigert werden (Mobilisierungsfunktion). Die Versuche, die eigene Anhängerschaft um sich zu scharen, gehen mit der Kultivierung und Überhöhung von Untergangsszenarien einher, die häufig auf Verschwörungstheorien basieren: Feinde im Inneren und Äußeren würden gemeinsame Sache machen und die eigene Gruppe zerstören wollen. Damit geht die Identifikation von "Sündenböcken" für das gegenwärtige Übel oder die erwartete Negativentwicklung einher. So lässt sich auch vom eigenen Versagen ablenken, wenn sich die vorhergesagte ideologische Verheißung nicht einstellt.
Drittens befördern Feindbilder die Selbstvergewisserung und Rekrutierung des eigenen Lagers, indem sie einfache Antworten auf komplizierte Fragen geben (Legitimierungsfunktion). Gerade dann, wenn innerhalb von extremistischen Bestrebungen unterschiedliche Positionen und Zielvorstellungen existieren, stärken gemeinsame Feindbilder Einigkeit und Selbstgewissheit. Nicht wofür, sondern wogegen sich ihr Kampf richtet, schafft Rück- und Zusammenhalt: "Feindbilder schweißen eine Gruppe zusammen, stabilisieren und einigen sie gegenüber dem bedrohlichen Bösen in der gruppenexternen Außenwelt."
Viertens werden Schwarz-Weiß-Bilder gezeichnet, die passfähig zu den eigenen ideologischen Ambitionen sind (Ideologisierungsfunktion). Daraus resultiert eine vergröberte Sicht, die die Welt in Gut und Böse teilt. Die eigenen Positionen gelten als konsequent, untadelig und moralisch einwandfrei, die des (demokratischen) Gegners indes als egoistisch und ungerecht. Extremisten halten sich für die eigentlichen Verteidiger von Wahrheit, Demokratie, Freiheit und Gleichheit – und die liberale Gesellschaft für antidemokratisch.
Linkes Feindbild Polizei
Im Linksextremismus existieren zwei zentrale Feindbilder, die maßgeblich mit dem Selbstverständnis als antifaschistisch, antikapitalistisch, antimilitaristisch, antisexistisch und antirepressiv zusammenhängen – Rechtsextremisten und Polizisten, die gleichermaßen als Repräsentanten des kapitalistisch-autoritären Staates gelten.
Die Verschmelzung der Hassobjekte "Faschos" und "Bullen" intensiviert sich bis heute vor allem im Zuge von rechtsextremen Demonstrationen. Die Absicherung des Geschehens durch die Polizei wird vor allem von der gewalttätigen autonomen Szene nicht als Gewährung demokratischer Grundrechte – auch für die Feinde der Demokratie – begriffen, sondern als Sinnbild einer unheiligen Allianz reaktionärer Kräfte aufgefasst, wie der verbreitete Schlachtruf "Deutsche Polizisten – Mörder und Faschisten!" verdeutlicht.
Neben dem Antifaschismus ist der Kampf um autonome Freiräume in Großstädten das zweite zentrale Aktionsfeld von Linksextremisten, das in eine unmittelbare Konfrontation mit der Polizei mündet. Dazu zählen Hausbesetzungen und Proteste gegen Gentrifizierung in bestimmten Stadtteilen, zum Beispiel die Hafenstraße und die "Rote Flora" in Hamburg, "Rigaer 94", "Køpi" und die Liebigstraße 14 in Berlin sowie das mittlerweile geräumte "Black Triangle" in Leipzig. Auch hier dient das Zerr- und Feindbild Polizei zur Legitimation der eigenen Ziele und Mittel. Gewalteskalation wird als Selbstverteidigungsakt gerechtfertigt, um von staatlichen Sicherheitsbehörden, die mit "Faschisten" gleichgesetzt werden, befreite Viertel zu schaffen.
Auch das dritte Betätigungsfeld Antiglobalisierung, das maßgeblich mit Antifaschismus und Antigentrifizierung verbunden ist, steht in starkem Zusammenhang mit dem Hassobjekt Polizei. Die Bekämpfung "struktureller Gewalt" – der Ungerechtigkeit durch die kapitalistisch geprägten Machtverhältnisse – setze "physische" Gewalt gegen den Repressionsapparat des Staates voraus. Dieses moralische Überlegenheitsgefühl rechtfertigt den Hass auf die Polizei. Da diese dem Kampf gegen das "Elend der Welt", wie ihn die linksextreme Szene mit unbedingter Absolutheit führt, entgegenstehe, gelten die Beamten als dumm oder schlecht und verdienen es, Härte zu erfahren. So wird auch die Massenmilitanz als Teil des Demonstrationsgeschehens verteidigt, wie sie während des G20-Gipfels in Hamburg 2017 in bisher hierzulande in diesem Zusammenhang unbekannter Größenordnung zu tagelangen Verwüstungen und Straßenschlachten mit der Polizei führte.
Hinzu kommt eine expressive Funktion von Gewalt – der Hass auf die Polizei, um in der Szene etwas darstellen und sich selbst verwirklichen zu wollen: "Wenn Steine oder Mollis flogen, dann war das häufig auch eine Befreiung – von den Zwängen des Alltags, der Unterdrückung und Entfremdung. Das dumpfe Trommeln des auf die Wannen prasselnden Steinhagels, das kollektive Plündern von Supermärkten war für uns der Gesang von Freiheit und Abenteuer. Und es machte einfach Spaß, den Bullen eins in die Fresse zu hauen."
Zwischen der Bedeutung des Feindbilds Polizei und dem Ausmaß an extremistischer Intensität besteht ein enger Zusammenhang. Je aggressiver und gewaltaffiner die jeweilige linksextreme Bestrebung ist, je größer die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Anhänger politisch motivierte Straf- und Gewalttaten begehen und dadurch in unmittelbare Auseinandersetzungen mit der Polizei geraten, umso stärker sind Hass und Vorurteile ausgeprägt. Dies bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass bei legal agierenden Linksextremisten das Feindbild Polizei keine Rolle spielt. Im Gegenteil: Gerade nichtgewalttätige oder -militante Formen versuchen, durch ihre Kritik an polizeilichen Zwangsmitteln und den Vorwurf – ungeachtet ob berechtigt oder nicht – von Überreaktionen und Polizeigewalt, ein verzerrtes Bild der Beamten zu zeichnen. So erlangen sie in Teilen der Bevölkerung Akzeptanz für ihre Anliegen und rechtfertigen den Schulterschluss mit Gewalttätern als den eigentlichen "Opfern des repressiven Systems".
Entmenschlichung von Polizisten
Körperliche Angriffe auf Polizeibeamte verteidigen gewaltbereite Linksextremisten mit der Ideologisierung des Gegners und einer Stilisierung der Auseinandersetzung zu einem Kampf um Leben und Tod.
Die Entmenschlichung von Polizeibeamten als Rechtfertigung von Gewalt bis hin zum Mord findet ihren Ursprung in den Verlautbarungen der Roten Armee Fraktion (RAF) und ihrem Kampf gegen das "Schweinesystem". So heißt es bei Ulrike Meinhof – für viele bis heute Ikone und Sympathieträgerin der ersten RAF-Generation: "Wir sagen natürlich, die Bullen sind Schweine, wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden, und natürlich kann geschossen werden."
Gleichwohl findet ungeachtet der bis heute verbreiteten Kultivierung des Feindbilds "Bullenschwein" in der linken Szene eine intensive Gewalt- und Militanzdebatte statt. Gewalt gegen "Dinge" wird von nahezu allen akzeptiert, gegen Personen indes überwiegend von den Anhängern des "Schwarzen Blocks" verübt. Gewalttäter wähnen sich damals wie heute in einer Notwehrsituation, um der Repression des faschistischen beziehungsweise kapitalistischen Staates beziehungsweise der Polizei beizukommen.
Feindbild Polizist in linksextremer Musik
Vor allem in der Musik der linken Szene ist das Feindbild Polizei weit verbreitet.
Erstens symbolisiert die Polizei in solchen Liedtexten Gewalt und Überwachung. Der Beamte wird vom "Freund und Helfer" zum Verbrecher umgedeutet, der Terror ausübt und willkürlich seine Macht missbraucht. Die eigene gewalttätige Szene wird dagegen als Opfer verharmlost, selbst wenn es sich um eine Terrororganisation wie die Rote Armee Fraktion handelt. So heißt es im Song "R.A.F." der Punkband WIZO:
"Als wir noch kleine Scheißer war’n, da wussten wir nicht viel,
doch wir haben schon gern R.A.F. und Polizei gespielt,
Ich wollte nie ein Bulle sein, denn Bullen sind nur Dreck,
ich war viel lieber Terrorist und bombte alles weg."
Zweitens sehen sich Polizisten dem Vorwurf ausgesetzt, selbst dem Rechtsextremismus anzugehören – wie das gesamte politische System ein "faschistisches" sei und die Demokratie nur eine pseudopluralistische Fassade. Beamte stünden in Kontinuität zu Gestapo und SS, nicht unter Gesetz und Recht der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Damit einher geht die Wahrnehmung, die Polizei würde sich mit ihren Zwangsmitteln und bei gewaltsamen Einsätzen ausschließlich gegen Linke wenden, während sich Rechte unter dem Schutz der Polizei befänden. Auch für das Feindbild "Faschobullen" liefert die Band WIZO in ihrem Titel "Kopfschuss" Belege, ebenso Gruppen wie Slime und Zaunpfahl:
"Ist die Regierung erst in Panik, gilt weder Ordnung noch Moral.
Das Gesetz wird ausgeschaltet, und das Menschenrecht egal.
Polizei ist Staat im Staat, Selbstherrlichkeit regiert.
Ist der Staatsfeind lokalisiert, wird auf Rambo-Art agiert.
Was früher die Gestapo war, ist heut das BKA.
Nur damals setzte man Henker ein, und heut gibt es die GSG 9999"
Drittens und in einem gewissen Gegensatz zu den ersten beiden Annahmen von Polizeiwillkür und Machtmissbrauch eines "Staates im Staate" steht das Narrativ von der Polizei als bloßem Handlanger und Marionette des Systems. Die Polizei werde von "der Politik" instrumentalisiert, um deren Interessen durchzusetzen statt die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Dazu würden Polizisten lediglich als Erfüllungsgehilfen des Staates beziehungsweise seiner korrupten Eliten fungieren und die Beamten hirnlos und ohne eigenen Antrieb handeln.
"Verweis mich aus der Stadt, ich scheiß drauf was du sagst,
wer kein Rückgrat hat, der wird vereidigt auf den Staat.
Lieber Hartz 4 bezieh’n, im Bett bis um Vier liegen,
Bier trinken, Weed dealen, Speed zieh’n,
als Geld im Staatdienst verdien’."
Vergleich mit anderen Extremismen
Auch Rechtsextremisten und Islamisten sehen in der Polizei die Schutzmacht des verhassten Regimes, sich selbst in der Opferrolle von Repression eines illegitimen Staates und im heroischen Kampf gegen einen übermächtigen Feind, dem Widerstand zu leisten zugleich als Notwehr und moralische Verpflichtung verstanden wird. Obwohl alle Extremismen das Feindbild Polizei eint, erwächst daraus keine Kooperation nach dem Motto "der Feind meines Feindes ist mein Freund". Vereinzelten Versuchen einer Querfrontstrategie – meist von rechtsaußen ausgehend – steht die Tatsache entgegen, dass die jeweiligen extremistischen Antipoden in den Feindbildkonstruktionen aller Extremismusvarianten eine mindestens ebenso zentrale Funktion haben oder eine sogar noch größere Rolle spielen als das Hassobjekt Polizei.
Die extremistische Intensität und das Ausmaß des Hasses auf die ausgemachten Feinde hängen unmittelbar miteinander zusammen. Dort, wo die Ideologie Gewalt als Mittel zum Zweck legitimiert, ist auch die Aggressivität der Feindbilder am stärksten ausgeprägt. Das gilt für alle Formen des politischen Extremismus, gleichwohl mit qualitativen Unterschieden. Während zumindest in Teilen der linksextremen Szene eine Militanz- und Gewaltdebatte auch mit Blick auf Angriffe auf die Polizei geführt wird, gibt es einen solchen Rechtfertigungsdruck unter gewaltbereiten Rechtsextremisten und Islamisten nicht.
Die Strategien und Argumente zur Begründung der Feindperzeptionen ähneln sich bei Links- und Rechtsextremisten. Das eigene Lager wird als Opfer von Willkür und Polizeigewalt inszeniert, während die jeweils andere Seite unter dem Schutz der Sicherheitsbehörden stehe. Und beide Antipoden sehen sich als die Verteidiger des Rechtsstaates, der durch die angebliche Verletzung von Grundrechten wie die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, die freie Meinungsäußerung und Vereinigungsverbote bedroht werde. Die eigene Rechtstreue wird allerdings in der Praxis durch vielfältige strafbare Aktionen und nicht zuletzt durch Formen der Selbstjustiz als vermeintlicher Akt der Notwehr konterkariert. Dazu zählt mit Blick auf das Verhältnis zur Polizei, dass private Informationen über Beamte im Internet verbreitet und diese als vermeintliche "Nazis" oder "Antifas" geoutet werden.
Ausblick
Welche Handlungsempfehlungen sind aus der erfolgten Analyse abzuleiten? Zunächst ist hier zwischen Ansätzen auf der gesellschaftspolitischen Ebene einerseits und der polizeilichen Ebene andererseits zu unterscheiden. Denn wie stark die Hassobjekte der Extremisten in den eigenen Reihen und in der demokratischen Mehrheitsgesellschaft auf Resonanz stoßen, hängt maßgeblich mit der öffentlichen Wahrnehmung der Feindbilder zusammen. Die Schieflage mit Blick auf das Polizeibild ist offenkundig: Während die Feindseligkeit von Rechtsextremisten zu Recht geächtet wird, gilt die Konfrontation von Linksextremisten mit der Polizei mitunter als Ausdruck jugendkulturellen Protestverhaltens, nicht als Zeichen des politischen Extremismus. Mit der Gewalteskalation vor und während des G20-Gipfels in Hamburg hat jedoch ein Wandel in der gesellschaftlichen Sicht auf den gewaltbereiten Linksextremismus eingesetzt.
Die Polizei darf umgekehrt keiner der Varianten des Extremismus einen Anlass dafür geben, ihr Feindbild bestätigt zu sehen und dadurch kultivieren zu können. Das betrifft einerseits die – mitunter berechtigten, mitunter unzutreffenden – Vorwürfe von überzogener Härte und willkürlicher Polizeigewalt. Andererseits verbietet sich mit Blick auf das Gebot der Verfassungstreue und das Neutralitätsprinzip der (Polizei-)Beamten jede Nähe zu extremistischen Kräften, zumal gerade Linksextremisten die vermeintliche Nähe der Polizei zum Rechtsextremismus als Beleg für die unterstellte Parteilichkeit dient. Eine solche Einseitigkeit verstärkt nur die Bedeutung des Feindbilds Polizei – den Beamten wäre ein Bärendienst erwiesen.
Auch die Optimierung der polizeilichen Arbeitsbedingungen ist ein zweischneidiges Schwert. So könnten einerseits erweiterte Befugnisse sowie mehr und besser ausgestattetes Personal der Polizei helfen. Andererseits dürfte ein solches "Aufrüsten" den Linksextremisten einmal mehr als Beleg für ihre Behauptungen vom repressiven Polizeistaat und zur Selbstlegitimation ihres gewaltbereiten Kampfes gegen einen vermeintlich übermächtigen Gegner dienen. Deswegen ist ferner in die politische Bildungsarbeit zu intensivieren. In der Polizeiausbildung gilt es, die geistig-politische Auseinandersetzung mit linksextremistischem Gedankengut sowie den Umgang mit solchen Einstellungen und Verhaltensweisen zu vertiefen. Zugleich darf man von Bildungsarbeit keine Wunderdinge erwarten. Feindbilder wie das Hassobjekt Polizei sitzen tief und lassen sich nur schwerlich abbauen.