Rechtsextreme Netzwerke und Chatgruppen innerhalb einzelner Landespolizeibehörden, die Weitergabe sensibler Daten aus Polizeicomputern an Rechtsextreme, Polizeiangehörige, die durch Rassismus auffallen und offen Sympathien für Rechtsaußenformationen hegen, oder Verbindungen von Polizeibeamten in die sogenannte Reichsbürgerszene: Tatsächliche oder vermeintliche rechtsextreme Erscheinungsformen und Vorfälle in deutschen Polizeibehörden werden derzeit kontrovers diskutiert.
Rückblick
Für die Polizei rückte das Problem Rechtsextremismus in den frühen 1990er Jahren in den Fokus. Die ersten Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung waren geprägt von der Entgrenzung und Popularisierung menschenfeindlicher Einstellungen in weiten Teilen der Gesellschaft sowie einer Welle schwerer rechtsmotivierter Gewalttaten und Anschläge. Die ostdeutschen Bundesländer durchliefen einen tief greifenden Wandel der Verwaltungs- und Sicherheitsstrukturen. Nach der Auflösung der Deutschen Volkspolizei hatten sich ihre Angehörigen für die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst der nun bundesdeutschen Landespolizeien erneut bewerben müssen. Die Übernahme eines in vielen Bereichen anders ausgerichteten rechtlichen und polizeilichen Systems verlief nicht ohne organisatorische Probleme und individuelle Verunsicherungen. Zudem brachte die neue gesellschaftliche Ordnung Formen von Kriminalität und Delinquenz mit sich, die vor allem die ehemaligen Volkspolizisten in dieser Form nicht kannten. Konfrontiert mit massiver Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, einer sich rasch ausbreitenden rechtsextremen Jugendszene
Es waren jedoch nicht nur das provokative Auftreten und die militanten Aktionen von Neonazis allein, die die Polizei in eine Auseinandersetzung mit dem Komplex Rechtsextremismus drängten. Auch im Inneren der Polizei stellten rechtsextreme Einstellungen und Handlungen zu dieser Zeit ein deutliches Problem dar. Dazu gehörte der wiederkehrende Vorwurf, Opfer rassistischer Straftaten seien von Polizeiangehörigen wie Kriminelle behandelt, Hilfe und Schutz ihnen verweigert worden. Fälle, in denen Polizistinnen und Polizisten in rechtsextreme Aktivitäten verwickelt waren oder offenkundig rechtsmotivierte Gewalt von ihnen ausging, machten bundesweit Schlagzeilen.
Rechtsextreme und fremdenfeindliche Einstellungen
Unter diesen Eindrücken untersuchten Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler verschiedene Aspekte rechter Einstellungen innerhalb der Behörden. Mit Blick auf die Studien aus dieser Zeit unterscheidet der Sozialwissenschaftler Frank Gesemann vier Forschungsansätze: Der erste konzentrierte sich auf individuelle Einstellungen von Polizeibeamten und versuchte mithilfe von Befragungen, die Verbreitung fremdenfeindlicher und rechtsextremer Einstellungen und Orientierungsmuster in der Polizei zu ermitteln. Im Rahmen des zweiten Ansatzes wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen polizeilichen Belastungen und Fremdenfeindlichkeit in der Polizei im städtischen Raum untersucht. Der dritte widmete sich der Analyse des Einflusses von Risikokonstellationen im Polizeialltag auf das Verhältnis von Polizei und "Fremden". Im vierten wurde in Abgrenzung zu den persönlichkeitsbezogenen Ansätzen, die eine individuelle Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund durch Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in den Blick nehmen, Ethnizität als diskriminierendes Selektionskriterium von Organisationen betrachtet.
Große Resonanz erhielt das von der damaligen Polizei-Führungsakademie (PFA) – der heutigen Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol) – in Münster-Hiltrup in Auftrag gegebene Forschungsprojekt "Polizei und Fremdenfeindlichkeit", dessen Titel von den beauftragten Wissenschaftlern wenig später zur Fragestellung "Fremdenfeindlichkeit in der Polizei?" präzisiert wurde.
Ergänzend zu den Ergebnissen der PFA-Studie identifizierte der Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke vier Deutungsthesen der Polizei für Fremdenfeindlichkeit von Polizistinnen und Polizisten, die bis heute angewendet werden: Der Einzelfallthese zufolge gibt es wie überall auch in der Polizei "schwarze Schafe". Diese seien ausschließlich Einzelfälle, die, sofern Straftaten vorliegen, von den Behörden verfolgt und juristisch geahndet werden. Im Kern sei die Polizei als Organisation von der Problematik jedoch nicht betroffen. Die Relativierungsthese betont, Fremdenfeindlichkeit sei keine spezifische Erscheinungsform bei der Polizei, andere Berufsgruppen seien gleichermaßen davon betroffen. Die Spiegelbildthese behauptet, dass die Polizei lediglich ein Abbild der deutschen Gesamtgesellschaft sei. Sie sei daher nicht besser und nicht schlechter als die Gesellschaft selbst, sodass Defizite, Fehlverhalten und personelle Mängel auch in den Reihen der Polizei zu finden seien. Die Manipulationsthese hält die Fremdenfeindlichkeit in der Polizei für ein Konstrukt der Medien, um die Polizeiorganisation als Ganzes zu diffamieren. Das Problem werde künstlich aufgebauscht.
Die Schwächen der einzelnen Thesen sind schnell offenbart. Der Einzelfallthese erteilt der Kriminologe Tobias Singelnstein eine klare Absage: "Wenn wir über rechte Einstellungen oder Rassismus in der Polizei sprechen, dann [sind das] keine Einzelfälle, das ist ein strukturelles Problem".
Im Verlauf der wissenschaftlichen Auseinandersetzung kam es in der Folge zu einer Erweiterung des kritischen Blicks. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich die deutsche Polizeiforschung in erster Linie auf Einstellungen und Orientierungsmuster von Angehörigen der Polizei sowie auf institutionelle Anpassungsprozesse konzentriert. Das Interaktionsgeschehen etwa zwischen Polizei und Minderheiten war dabei "kaum, und wenn, dann lediglich einseitig aus der polizeilichen Perspektive betrachtet" worden.
Racial Profiling und Institutioneller Rassismus
In diesem Zusammenhang sind in den vergangenen Jahren vermehrt Personenkontrollen durch die Polizei auf gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage zum Gegenstand kritischer Betrachtung geworden.
Eng verbunden mit der kritischen Diskussion um Racial- beziehungsweise Ethnic Profiling ist der Vorwurf eines "institutionellen Rassismus" in den Polizeibehörden. Schon in den 1990er Jahren wurde über institutionellen Rassismus in der deutschen Polizei diskutiert. Dies geschah jedoch fast ausschließlich in kritischen Teilen der Öffentlichkeit und kaum innerhalb der Institution.
2010 wurde umfassend empirisch untersucht, ob auch für die deutsche Polizei von institutionellem Rassismus als einem stabilen Phänomen gesprochen werden kann.
Auch weitere aktuelle Veröffentlichungen zu Racial Profiling und institutionellem Rassismus widmen sich kritisch der polizeilichen Praxis. Die Analysen gehen einem strukturellen Rassismus nach, der aufgrund gesamtgesellschaftlicher Zustände in die Institutionen "eingeschrieben ist, also sich in deren Praxen und Anordnungen systematisch organisiert".
Rechtsextremismus als polizeiliches Gegenüber
Bei all diesen Perspektiven auf interne Strukturen darf nicht übersehen werden, dass die Polizei in ihrer Arbeit vielfach mit Rechtsextremismus konfrontiert ist. Bei Straftaten mit Bezügen zum Rechtsextremismus ist innerhalb der Polizei in erster Linie der polizeiliche Staatsschutz des Bundeskriminalamtes (BKA) beziehungsweise der Landeskriminalämter (LKA) zuständig. Dem Staatsschutz obliegt die Aufklärung von Delikten aus dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität rechts. Die unter dieser Kategorie erfassten Aktivitäten sind von ihrem Charakter her "intentional gegen die demokratisch verfassten Grundwerte der menschlichen Gleichwertigkeit gerichtet".
Polizeilich relevant ist Rechtsextremismus als polizeiliches Gegenüber in entsprechenden Versammlungslagen und bei sonstigen rechtsextremen Großveranstaltungen, wie etwa Konzerten. Die Um- und Durchsetzung von ausgesprochenen Vereinsverboten auf Bundes- und Länderebene gehört ebenfalls zu den regelmäßig zu bewältigenden Aufgaben. Ferner ist das Phänomen Rechtsextremismus Thema des Kinder- und Jugendschutzes sowie Gegenstand der polizeilichen Kriminalitätsprävention.
Durch ihr Vorgehen gegen rechtsextrem motivierte Straf- und Gewalttaten steht die Polizei oftmals auch selbst im Fokus der extremen Rechten. Neben Beleidigungen, Bedrohungen und verbalen Provokationen – etwa in rechtsextremen Musiktexten – reicht das Spektrum von gewalttätigen Angriffen rechtsextremer Demonstrationsteilnehmer gegen Einsatzkräfte der Bereitschaftspolizei bis hin zu gezielten Kampagnen gegen einzelne Polizeibeamte.
NSU-Komplex
Bezogen auf das Versagen von Polizei und Nachrichtendiensten bei den Ermittlungen zur NSU-Anschlags- und Mordserie fand der erste Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages fraktionsübergreifend deutliche Worte. Er konstatierte "schwere behördliche Versäumnisse und Fehler sowie Organisationsmängel bis hin zum Organisationsversagen bei Behörden von Bund und Ländern vor allem bei Informationsaustausch, Analysefähigkeit, Mitarbeiterauswahl und Prioritätensetzung".
Um einiges schärfer formulierte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International: "Der Unwillen der deutschen Polizei, dem mutmaßlichen rassistischen Hintergrund der Morde angemessen nachzugehen, (…) deutet auf einen zugrunde liegenden institutionellen Rassismus hin. Das soll nicht heißen, dass einzelne Polizeibeamt_innen (…) selbst Rassist_innen waren oder die Behörden (…) rassistische Methoden anwendeten, sondern dass die Behörden als Institution ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind, Menschen ungeachtet ethnischer Zugehörigkeiten oder rassistischer Zuschreibungen gleich zu behandeln."
Die Aufarbeitung des NSU-Komplexes führte zu Konsequenzen für beziehungsweise Forderungen an die Arbeit der Institution Polizei. Der erste Untersuchungsausschuss des Bundestages kam zu dem Ergebnis, dass die schwerwiegenden Versäumnisse der Strafverfolgungsbehörden bei der elf Jahre langen und letztlich erfolglosen Suche nach den Tatverdächtigen sich weder auf den einen entscheidenden Fehler noch auf das fehlerhafte Handeln einer einzelnen Person beziehungsweise Personengruppe zurückführen lassen. Die Ursache für das Scheitern liege vielmehr in der Summe der individuellen und strukturellen Mängel. Dementsprechend formulierte der Ausschuss in seinem Bericht 47 Schlussfolgerungen und Empfehlungen für notwendige Reformmaßnahmen bei Polizei, Justiz und Verfassungsschutz. 21 dieser Handlungsempfehlungen richten sich dezidiert an die Institution Polizei. Sie zielen auf eine Verbesserung der Ermittlungsarbeit, der polizeilichen Arbeits- und Fehlerkultur sowie der Aus- und Fortbildung, auf die erneute Überprüfung von Tötungsdelikten seit 1990 hinsichtlich eines möglichen rechten Motivationshintergrunds, auf eine Überarbeitung des Themenfeldkatalogs zur Erfassung politisch motivierter Kriminalität, auf einen besseren Informationsaustausch zwischen Polizei, Justiz und Nachrichtendiensten, auf die Erhöhung behördeninterner sozialer Diversität und interkultureller Kompetenz, auf eine Steigerung der Bemühungen, Menschen mit Migrationshintergrund für den Polizeidienst zu gewinnen, auf einen sensiblen Umgang der Behörden mit Opfern, Opferzeugen und Hinterbliebenen sowie auf die zukünftige Einbindung externen Sachverstands aus demokratischer Zivilgesellschaft und Wissenschaft.
Zwar wurden von den Polizeien des Bundes und der Länder die Handlungsempfehlungen seitdem unterschiedlich intensiv umgesetzt,
Obwohl sich die "institutionalisierte Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex und den sich etwa aus den Empfehlungen der diversen Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse ergebenden Herausforderungen bislang eher vereinzelt denn systematisch beobachten lässt", nennt Sturm verschiedene positive Beispiele. So findet etwa in Nordrhein-Westfalen seit 2014 ein regelmäßiger Fachaustausch zwischen den Teams der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, den Beratungsstellen für Betroffene rechter und rassistischer Gewalt und dem Landeskriminalamt sowie den Kriminalinspektionen des Polizeilichen Staatsschutzes statt, flankiert von diversen Informations- und Lehrveranstaltungen in den Aus- und Fortbildungseinrichtungen der Polizeien, in denen das Thema NSU behandelt wird. Ferner haben die Bundeszentrale für politische Bildung, die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen und die DHPol das Projekt "Politische Bildung und Polizei" gestartet, in dessen Mittelpunkt Aspekte der Menschenrechtsbildung, der historisch-politischen Bildung, der Sensibilisierung für Formen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und des Rechtsextremismus stehen.
Fazit und Ausblick
Das Thema Polizei und Rechtsextremismus bleibt virulent. Innerhalb der Polizei ist mit Blick auf die Verbreitung rechter Einstellungen unter Beamtinnen und Beamten ein positiver Wandel zu konstatieren: "In den 1990er Jahren ist das Problem verharmlost (…), auch tabuisiert worden". Seit der Jahrtausendwende, insbesondere nach der "Zäsur" des NSU-Skandals,
Die Gefahr fremdenfeindlichen Verhaltens und die Beeinflussung polizeiberuflicher Handlungen durch fremdenfeindliche Motive sind keineswegs auf Dauer gebannt, zumal "es vor allem die Polizei ist, die mit den Schattenseiten der Zuwanderung zu tun hat, also mit denjenigen Migranten, die kriminell werden. Es besteht die Gefahr, dass die Polizeibeamten solche Erfahrungen generalisieren. Das macht sie (…) offener für vorurteilsbelastete fremdenfeindliche Positionen."
Auch über institutionellen Rassismus oder den Vorwurf rassistischer Polizeipraxis wird weiter gestritten werden. Entsprechende Vorwürfe sollten die Behörden ernsthaft prüfen und für die Öffentlichkeit nachvollziehbar aufklären, nicht zuletzt, um einem schwindenden Vertrauen gegenüber Polizeibehörden entgegenzuarbeiten. Gerade der Fall NSU hat gezeigt, dass die Polizei durch Fehler und Fehleinschätzungen in Teilen der Gesellschaft in tief greifende Legitimationskrisen geraten kann. Die konsequente Umsetzung der seit 2013 formulierten umfassenden Reformmaßnahmen für die Polizei bleibt eine Daueraufgabe.
Ebenso werden die Abwehr und Aufklärung rechtsmotivierter Straf- und Gewalttaten sowie das Vorgehen gegen organisierten Rechtsextremismus ein zentrales Feld polizeilicher Arbeit bleiben. Wie gut die Polizeibehörden zur Bewältigung dieser und kommender Herausforderungen gerüstet sein werden, bleibt abzuwarten.