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Polizei(en) und innere Sicherheit in Deutschland | Polizei | bpb.de

Polizei Editorial Polizei(en) und innere Sicherheit in Deutschland. Strukturen, Aufgaben und aktuelle Herausforderungen Abstrakte Gefährdungslagen. Zum Kontext der neuen Polizeigesetze Polizei im digitalen Raum Gewalt und Polizei. Ambivalenzen des innerstaatlichen Gewaltmonopols Polizei- als Erziehungsarbeit? Zu einem zentralen Motiv deutscher Polizeiarbeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Polizei und Rechtsextremismus "Wir wollen keine Bullenschweine". Feindbild Polizei im Linksextremismus Cops, Bullen, Flics, Piedipiatti. Polizist*innen in der populären Kultur

Polizei(en) und innere Sicherheit in Deutschland Strukturen, Aufgaben und aktuelle Herausforderungen

Hermann Groß

/ 15 Minuten zu lesen

Polizeien bilden das Rückgrat der Sicherheitsarchitektur Deutschlands. Neben Aufgaben, Personal und Organisation werden in dem Beitrag das Verhältnis zu anderen Sicherheitsakteuren sowie aktuelle Herausforderungen der Polizeiarbeit dargestellt.

"Polizei" im Singular macht bei einer Betrachtung der Sicherheitsarchitektur Deutschlands wenig Sinn. Es gibt im föderalistischen Staatsaufbau neben den beiden nationalen Polizeien – der Bundespolizei, die bis 2005 Bundesgrenzschutz hieß, und dem Bundeskriminalamt (BKA) – 16 Länderpolizeien, die zusammen das "Rückgrat" der deutschen Sicherheitslandschaft bilden. Der Deutsche Bundestag verfügt über eine eigene Polizei, die mit rund 200, seit 2018 auch uniformierten Beamtinnen und Beamten den kleinsten Polizeibezirk Deutschlands betreut und das Hausrecht des Bundestagspräsidenten vollzieht. Wie im deutschen Mehrebenensystem der Polizeiapparat strukturiert und die Aufgabenverteilung innerhalb der Polizeien, aber auch in Abgrenzung zu anderen Sicherheitsbehörden geregelt ist, wird im Folgenden skizziert, bevor auf aktuelle Herausforderungen eingegangen wird.

Grundlegendes

Wie viele Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte es in Deutschland gibt, ist nicht ohne Weiteres zu quantifizieren, es kann aber von rund 250.000 ausgegangen werden (Tabelle). Bei einer Gesamtbevölkerung von 82,5 Millionen entfällt damit im Durchschnitt ein Polizist auf 329 Einwohnerinnen, eine im internationalen Vergleich mittlere Polizeidichte. Höher ist die Polizeidichte etwa in Italien, Spanien oder Russland, niedriger in der Schweiz, Norwegen oder den USA. Innerhalb Deutschlands ist die Polizeidichte in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen am höchsten. In den Flächenländern ist tendenziell in Ostdeutschland als "Erbe der DDR", in der die Volkspolizei als Teil des sozialistischen Herrschaftsapparates personell hoch ausgestattet und eng mit Militär und Geheimdienst verknüpft war, noch mehr Personal vorhanden als in den westdeutschen Ländern. Die geringste Polizeidichte haben Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz.

Polizeistärke und Kriminalität in Deutschland (© Statistisches Bundesamt; Polizeiliche Kriminalstatistik 2017; eigene Berechnungen.)

Die primären Funktionen des Polizeivollzugs sind Repression, also die Aufklärung von Straftaten und die Ermittlung von Straftäterinnen und Straftätern, und Prävention, also die Verhinderung von Straftaten. In den verschiedenen Polizeigesetzen, die Aufgaben und Kompetenzen der Polizeibehörden regeln, ist in diesem Zusammenhang häufig vom Schutz der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im Rahmen der Gefahrenabwehr die Rede. Im Alltag begegnen Bürgerinnen und Bürger Polizeiangehörigen vor allem im Verkehrsbereich, bei einer Anzeigenaufnahme oder im Rahmen von öffentlichen Großveranstaltungen wie etwa Demonstrationen. Das Alleinstellungsmerkmal der Polizeien stellt dabei die Ausübung des "staatlichen Gewaltmonopols" dar, die die Anwendung "physischen Zwangs", so der Rechtsbegriff, gegenüber Menschen erlaubt. Der Einsatz von Gewalt kann dabei bis zum "finalen Rettungsschuss" gehen, also der gezielten Tötung zur Verhinderung der Schädigung anderer Personen, etwa bei einer Geiselnahme. Unter welchen rechtlichen Voraussetzungen diese Maßnahmen eingesetzt werden können, unterliegt primär dem Polizeirecht der Länder und des Bundes.

Die in der Polizeilichen Kriminalstatistik registrierten 5.761.984 Straftaten – über die Hälfte davon sind Diebstahls- und Betrugsdelikte – wurden 2017 zu 57 Prozent aufgeklärt (Tabelle). Es gibt aber markante Unterschiede zwischen den Bundesländern in Bezug auf die Kriminalitätsbelastung und die Ermittlung von Tatverdächtigen: In Berlin fallen auf 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner rund 14.500 Straftaten, in Bayern mit 4800 nicht einmal ein Drittel so viel. Die Aufklärungsquote variiert zwischen 44 Prozent in Berlin und Hamburg und 67 Prozent in Bayern.

Polizei ist "Ländersache"

Mit 86 Prozent arbeitet der Großteil der Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten auf Landesebene. Normiert ist die polizeiliche Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern in den Artikeln 70 und 73 des Grundgesetzes. Dem Bund zugewiesen sind allein Aufgaben des Grenzschutzes, der länderübergreifenden Sammlung von Kriminalitätsdaten sowie Ermittlungen für die Bundesanwaltschaft und die internationale Zusammenarbeit im europäischen Rahmen und darüber hinaus. Seit der Föderalismusreform I im Jahr 2006 spielt das BKA auch eine führende Rolle bei der Terrorismusbekämpfung.

Deutsche Polizeien sind räumlich und inhaltlich-funktional strukturiert und differenziert. Neben der Aufteilung in Bundes- und Länderpolizeien ist in den meisten Bundesländern eine räumliche Zuständigkeitsverteilung in Form von Polizeipräsidien vorzufinden. So gibt es beispielsweise in Hessen seit der Polizeireform 2001 unterhalb des Landespolizeipräsidiums, das faktisch eine Abteilung im Landesinnenministerium ist, sieben regionale Polizeipräsidien, sogenannte Flächenpräsidien. Funktional für das gesamte Bundesland zuständig sind das Hessische Landeskriminalamt, das überörtliche Spezialaufgaben bei der Kriminalitätsbekämpfung erfüllt, das Präsidium für Technik, das insbesondere für Beschaffung und technische Ausstattung verantwortlich ist, sowie die vor allem für Großeinsätze zuständige Bereitschaftspolizei. Letztere stellt eine Durchbrechung des Prinzips der klaren Trennung von Bundes- und Länderpolizeien dar, drückt aber gleichzeitig auch den Bedarf nach Koordination und Zusammenarbeit aus. Denn der Bund finanziert zum Teil die Ausstattung der Bereitschaftspolizeien in den Ländern, wobei das Personal Landespersonal bleibt, und "erkauft" sich damit bundesweite Einsatzmöglichkeiten etwa bei Großereignissen wie dem G20-Gipfel in Hamburg 2017 oder zum Schutz von Atommülltransporten.

Funktional lässt sich bei fast allen deutschen Polizeien eine Trennung zwischen uniformierter Schutzpolizei, Kriminalpolizei und Wasserschutzpolizei ausmachen, wobei Letztere schutzpolizeiliche Aufgaben auf den Binnengewässern übernimmt. Die große Mehrzahl, etwa 80 Prozent der Polizeibeamtinnen und -beamten, ist in der Schutzpolizei tätig, rund 20 Prozent in der Kriminalpolizei. Das spiegelt den Schwerpunkt der polizeilichen Aufgaben wider, der in Sicherungs- und Ordnungsaufgaben wie dem Verkehrsbereich und der Anzeigenaufnahme liegt, während die in Kriminalfilmen im Zentrum stehende Aufklärung von Kapitalverbrechen wie Mord quantitativ weniger bedeutsam ist.

Im polizeilichen Einzeldienst finden sich sowohl der "klassische" Streifenbeamte, der als Ansprechpartner vor Ort fungiert, als auch die Spezialistin für Verkehrsüberwachung. In Kommissariaten für Tötungsdelikte, Wirtschaftsstrafsachen oder Staatsschutzdelikte ermittelt die Kriminalpolizei. Einsatzmittel wie Hubschrauber, Hunde- oder Pferdestaffeln unterstützen dabei ebenso wie Spezialeinsatzkommandos (SEK) oder Mobile Einsatzkommandos (MEK), die besonders gefährliche Einsätze wie etwa Geiselnahmen bewältigen. SEKs sind als Reaktion auf den Linksterrorismus der 1970er Jahre entstanden und stehen für Binnenveränderungen der Polizeiorganisation bei neuen polizeilichen Herausforderungen.

Koordination der Polizeien

Die Vielzahl der Polizeien in Deutschland erfordert einen erhöhten Koordinationsbedarf. Politisch ist das entscheidende Organ dabei die Innenministerkonferenz. Hier versuchen die Bundesländer untereinander und im Verhältnis zum Bund konsensuelle Lösungen im Politikfeld Innere Sicherheit zu erarbeiten. Obwohl formal nur als Gast geladen, spielt der Bundesinnenminister eine dominante Rolle bei den jährlich zwei Sitzungen dieses Gremiums.

Anhand zweier zentraler Dokumente werden die Möglichkeiten und Grenzen deutlich, wenn auf administrativ-politscher Ebene versucht wird, eine Standardisierung der Polizeiarbeit in Deutschland zu erreichen. Sowohl das "Programm Innere Sicherheit" von 1974, das 1994 und 2008/09 fortgeschrieben wurde, als auch aktuelle Überlegungen für ein neues Musterpolizeigesetz sind Beispiele für Koordinationszwänge im deutschen Föderalismus. Trotz Koordinationserfolgen bei der Harmonisierung der Polizeigesetze der Länder und den für die Polizeiarbeit wichtigen Dienstvorschriften gibt es jedoch weiterhin Unterschiede zwischen den Polizeien, und immer wieder machen Länder für sich Ausnahmen geltend, die sich als Fußnoten oder Protokollnotizen in der Beschlusslage der Innenministerkonferenz finden.

Auf der operativen Ebene haben die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und die Aufarbeitung der Straftaten der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) einen enormen Koordinationsdruck ausgelöst. Gefordert und teilweise umgesetzt wird eine verbesserte Aufklärungsarbeit im Bereich rechtsterroristischer Straftaten, eine Vereinheitlichung von Definitionssystemen für extremistische Vorfälle und der Abbau von Zuständigkeitsproblemen, Kompetenzrangeleien und Koordinationsschwierigkeiten zwischen einzelnen Landes- und Bundesbehörden sowie zwischen Polizei, Justiz und Geheimdiensten. Institutionell ist das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin das mittlerweile bedeutendste Koordinationsorgan für Polizeien, Nachrichtendienste und Justiz. Zentral ist dabei der Informationsaustausch über Behördengrenzen hinweg.

Nebenpolizeien

Großorganisationen wie Polizeibehörden haben neben dem Vollzugspersonal auch Verwaltungspersonal oder spezialisierte Beamtinnen und Angestellte wie Naturwissenschaftler in Landeskriminalämtern, die rund ein Viertel des Gesamtpersonals ausmachen. Polizeipolitisch interessanter sind "Nebenpolizeien", die den Begriff "Polizei" führen dürfen, aber keine Vollzugspolizei sind. So existieren in einigen Ländern Angestelltenpolizeien, die nach einer Kurzausbildung von wenigen Monaten aufgrund eingeschränkter Befugnisse in einem begrenzten Aufgabenspektrum tätig werden. Neben Berlin und Hamburg haben etwa Hessen, Sachsen und das Saarland innerhalb der Vollzugspolizei eine Wachpolizei eingerichtet, die für Bürgerinnen und Bürger aufgrund einer fast identischen Uniform kaum vom Vollzugsdienst zu unterscheiden ist. Hauptaufgabengebiete dieser Wachpolizeien sind Standardtätigkeiten wie Objektschutz, Gefangenentransporte oder erkennungsdienstliche Behandlungen, also klassisch die Abnahme von Fingerabdrücken oder modern die Entnahme von biometrischem Material für DNA-Analysen. Angestelltenpolizeien sind ein beliebtes Element, um schnell und öffentlich sichtbar die Zahl von Polizeibediensteten zu erhöhen und damit polizeipolitische Handlungsfähigkeit zu beweisen.

Ebenfalls von der Polizei organisiert ist das ehrenamtliche Engagement in Form von "Laienpolizeien". In Hessen und Baden-Württemberg firmiert dieses Instrument unter "Freiwilligem Polizeidienst", in Bayern und Sachsen unter "Sicherheitswacht" und in Brandenburg als "Sicherheitspartner". Die rechtliche Ausgestaltung ist dabei unterschiedlich, wobei Baden-Württemberg am weitesten geht und ehrenamtliche Laienpolizistinnen bewaffnet und gemeinsam mit Vollzugspersonal auf Streife schickt. In den übrigen Ländern geht es primär um Präsenz im öffentlichen Raum und Ansprachemöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger.

Kommunale Ordnungsbehörden treten seit einigen Jahren als "Stadtpolizei" oder "Ordnungspolizei" (Hessen) auf und sind ihrem Erscheinungsbild nach kaum noch von der Vollzugspolizei zu unterscheiden. Damit wird die Verstaatlichung der Kommunalpolizeien in der Nachkriegszeit teilweise rückgängig gemacht, selbst wenn es sich "nur" um den Außendienst der kommunalen Ordnungsämter handelt, der sich der Verkehrsüberwachung und Verstößen im Umweltbereich und Gaststättengewerbe widmet. Kooperationsvereinbarungen wie zwischen dem Polizeipräsidium Frankfurt am Main und der Stadtpolizei des Frankfurter Ordnungsamtes sind allerdings Ausdruck dieser Etablierung sogenannter Nebenpolizeien.

Andere Sicherheitsakteure

Obwohl die Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols den Vollzugspolizeien eingeräumt ist, gibt es noch andere staatliche und nichtstaatliche Akteure im System der Inneren Sicherheit Deutschlands, die für ein Gesamtbild der Sicherheitsarchitektur bedeutsam sind. Zunächst hat das Zollkriminalamt als Teil der Zollverwaltung polizeiliche Befugnisse bei der Bekämpfung von Zollvergehen. Insbesondere seit der Übernahme der Zuständigkeit für illegale Finanztransfers vom BKA 2017 spielt das Zollkriminalamt mit der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen bei der Bekämpfung von Geldwäsche eine zentrale Rolle. Ferner werden Feldjäger als die Polizei der Bundeswehr bei Vergehen von Soldatinnen und Soldaten tätig, ebenso wie ausländische Militärpolizeien bei Vergehen von in Deutschland stationierten Militärs.

Ein im internationalen Vergleich spezielles Verhältnis haben Polizeien und Nachrichtendienste in Deutschland. Die Grundlage dafür legten die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Trennungsgebot zwischen Polizeien auf der einen Seite und dem Bundesnachrichtendienst (BND) als Auslandsnachrichtendienst, dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) als Nachrichtendienst der Bundeswehr und den Verfassungsschutzämtern als Inlandsnachrichtendiensten auf der anderen. Deutsche Nachrichtendienste haben keine Exekutivbefugnisse wie die Polizei, können aber auch spezielle Mittel wie den Einsatz von Informanten oder akustische Wohnraumüberwachung zur Gewinnung von Informationen heranziehen. Parallel zum Aufbau der Polizeien ist auch bei den Verfassungsschutzämtern eine föderalistische Struktur mit einem Bundesamt für Verfassungsschutz und 16 Landesämtern gebildet worden.

Ferner arbeiten in der privaten Sicherheitsindustrie, die vor allem beim Objektschutz und bei Veranstaltungen jeglicher Art zum Einsatz kommt, mit rund 250.000 Beschäftigten in etwa genauso viele Personen, wie es Polizeivollzugsbedienstete gibt. Auf sehr geringem Ausbildungsniveau werden im privaten Sicherheitsgewerbe oft nur niedrige Löhne bezahlt.

Aktuelle Herausforderungen

Akademisierung und Spezialisierung

Seit den 1970er Jahren ist in den deutschen Polizeien eine Tendenz zu einer "entmilitarisierten" Ausbildung festzustellen, die zu einer formal höheren Qualifikation führt. Die Ausbildung von Polizistinnen und Polizisten für den "mittleren Dienst" – als Leitfigur mag hier der "Wachtmeister" dienen – existiert in vielen Länderpolizeien und im BKA nicht mehr. Im Rahmen der "Zweigeteilten Laufbahn" haben sich (westdeutsche) Länder wie Hessen, Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen für eine Akademisierung des Polizeiberufs entschieden, bei der als Zugangsvoraussetzung mindestens ein (Fach-)Abitur über ein duales dreijähriges Bachelorstudium in den gehobenen Dienst führt. Eingangsamt ist damit Kommissarin beziehungsweise Kommissar. Ostdeutsche Länder, aber auch Bayern und (noch) Baden-Württemberg bilden weiterhin primär für den mittleren Dienst aus und rekrutieren auch Realschulabsolventinnen oder Hauptschüler mit Berufsausbildung.

Lehrinhalte des Polizeistudiums und der Polizeiausbildung sind juristische Fächer wie Polizeirecht, Strafrecht oder öffentliches Recht, Polizeidisziplinen wie Einsatzlehre, Kriminalistik beziehungsweise Kriminologie, Schießausbildung und Sport sowie Sozialwissenschaften wie Psychologie, Soziologie und Politikwissenschaft. Die Akademisierung vieler deutscher Polizeien ist dabei nicht nur auf die gestiegenen Anforderungen an die Polizeiarbeit, sondern primär auf eine erfolgreiche Lobbyarbeit der traditionell starken Polizeigewerkschaften zurückzuführen. Ihnen ist es gelungen, über den Weg der Akademisierung für ihre Mitglieder eine bessere Besoldung zu erreichen. Zugleich zeigt die Existenz insbesondere von Angestelltenpolizeien, dass es entgegen den Behauptungen von Polizeigewerkschaften Tätigkeitsfelder in der Polizei gibt, die nicht mit hochqualifiziertem Personal bearbeitet werden müssen.

Mit der primär auf eine Einheitsausbildung für die Schutzpolizei ausgerichteten Rekrutierung von Personal verzichten deutsche Polizeien auf eine spezialisierte Ausbildung zugunsten einer Sozialisation und eines Trainings, das alle Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten gemeinsam durchlaufen. Selbst für die Kriminalpolizei gibt es nur in einigen Bundesländern spezialisierte grundständige Studiengänge, ansonsten waren Kriminalpolizistinnen und -polizisten zuvor in der Schutzpolizei. Notwendig wäre aber nicht nur eine Spezialisierung für die Kriminalpolizei von Anfang an, sondern auch spezielle Studiengänge beziehungsweise Ausbildungen für IT-Kriminalität, Finanz- und Wirtschaftsdelikte oder im Verkehrsbereich. Die wenigen Spezialisten, insbesondere Naturwissenschaftlerinnen und IT-Kräfte, die Polizeien extern rekrutieren, können diese Defizite kaum ausgleichen.

Diversifizierung

Die Diversifizierung der Polizeien bezieht sich zum einen auf den Einzug von Frauen in die uniformierte Schutzpolizei und zum anderen auf die Aufnahme von Bewerbern mit Migrationshintergrund. Neben wenigen Kriminalbeamtinnen, die ab den 1920er Jahren zunächst im Bereich von Sittlichkeitsdelikten oder in Arbeitsfeldern mit Kindern und Jugendlichen beschäftigt waren, war bis Ende der 1970er Jahre ein Dienst in der Schutzpolizei für Frauen nicht möglich. Als letztes Bundesland ließ Bayern 1990 Frauen in der Schutzpolizei zu, während Berlin bereits zwölf Jahre zuvor damit begonnen hatte. Aktuell ist der Frauenanteil in den Polizeien insgesamt auf etwa 20 bis 25 Prozent gestiegen. Blickt man auf die aktuellen Quoten bei Berufsanfängerinnen, wird in Zukunft etwa ein Drittel der Vollzugspolizeien weiblich sein.

Mit der Rekrutierung von Personen mit Migrationshintergrund war die Polizei im Vergleich zu anderen Sektoren des öffentlichen Dienstes wie Bildung und Wissenschaft relativ erfolgreich. Nach einem Beschluss der Innenministerkonferenz von 1993 gab es ein intensives Bemühen, das es auch Nicht-EU-Bürgern mittlerweile ermöglicht, als Polizistin oder Polizist verbeamtet zu werden. Es gibt aber deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern: Bei den Einstellungsjahrgängen 2017 und 2018 haben bei der Berliner Polizei über 30 Prozent der Polizeianwärterinnen einen Migrationshintergrund; in Hessen beträgt der Anteil 18 Prozent, in Nordrhein-Westfalen zwölf Prozent, in Schleswig-Holstein aber nur vier Prozent.

Von diesen Diversifizierungen versprechen sich deutsche Polizeien eine breitere Rekrutierungsbasis, Verbesserungen in der Polizeiarbeit etwa durch die Fremdsprachenkenntnisse von Polizeibeamten mit Migrationshintergrund sowie eine erhöhte Akzeptanz in der Bevölkerung. Zugleich machen die Veränderungen im Personal sowie das Ziel, als Arbeitgeber für eine möglichst breite Bevölkerungsschicht attraktiv zu sein, polizeiinterne Anpassungen erforderlich, wie eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf etwa in Form von Teilzeitarbeitsplätzen, Job-Sharing auch in Führungspositionen oder Betriebskindergärten.

Digitalisierung

Mit dem Stichwort Digitalisierung ist eine zentrale Veränderung benannt, der sich alle Polizeien stellen müssen. Zum einen verfügt das "polizeiliche Gegenüber" im Bereich Cybercrime über neue Möglichkeiten für Straftaten. Zum anderen kann sich die Strafverfolgung auf neue Technologien stützen. Derzeit prägen Innovationen in der Kriminaltechnik wie etwa verfeinerte DNA-Analysen und im Streifendienst der Einsatz von Bodycams die deutschen Polizeien in unterschiedlichem Ausmaß, auch je nach Regelung in den einzelnen Ländern. Zugleich werden manche technischen Möglichkeiten wie im Fall von digitalen Überwachungsmaßnahmen noch juristisch kontrovers diskutiert.

Größte aktuelle Baustelle mit Blick auf die Digitalisierung ist jedoch die gesamte polizeiliche IT-Landschaft. Denn die Kommunikationstechnologie sowohl zwischen den Polizeien als auch über sie hinaus gleicht einem Flickenteppich und führt immer wieder zu Problemen an Schnittstellen zwischen einzelnen Behörden. Unter dem Kürzel "Polizei 2020" versuchen Bund und Länder derzeit eine neue IT-Infrastruktur aufzubauen, wobei das BKA Lösungen unter Einbezug aller Bundesländer erarbeitet.

Internationalisierung

Auslandseinsätze deutscher Polizeien etwa in Afghanistan zeugen von der höheren internationalen Verantwortung, die Deutschland zu übernehmen bereit ist. Die Europäisierung sowie die Internationalisierung deutscher Polizeien etwa im Rahmen von Europol und Interpol oder durch Verbindungsbeamte des BKA und der Bundespolizei in vielen Ländern der Welt ist als Reaktion auf internationale Strukturen und Verbrechensphänomene wie Terrorismus oder Menschen- und Drogenhandel zu werten. Diese Ebenen bedeuten für die Polizei Koordinationserfordernisse jenseits derer, die sich aus dem föderalistischen Staatsaufbau der Bundesrepublik ergeben. Dabei erweist sich die Umsetzung von Vereinheitlichungstendenzen im europäischen Recht als sehr schwierig, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf operativer Ebene funktioniert hingegen überwiegend gut, etwa zwischen der Polizei Baden-Württembergs und der französischen Polizei.

Aufgabenkritik

Deutschland ist im internationalen Vergleich eines der sichersten Länder, und im historischen Vergleich dürften Menschen hierzulande selten sicherer gelebt haben als zurzeit. Dies kann auch auf die Arbeit deutscher Polizeien und Sicherheitsbehörden zurückgeführt werden. Beim Vergleich des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in die Institutionen schneidet die Polizei sehr gut ab und steht mittlerweile noch vor dem Bundesverfassungsgericht an der Spitze. Auch der Polizeiberuf ist relativ hoch angesehen. Trotzdem korrespondiert die objektive Einschätzung der Sicherheit in der Bevölkerung nicht mit der subjektiven Wahrnehmung. Diese Diskrepanz wird als Sicherheitswahrnehmungsparadox bezeichnet: Obwohl die Kriminalitätsbelastung zurückgeht, glauben viele Bürgerinnen und Bürger an eine Zunahme.

Vor diesem Hintergrund und angesichts neuer Aufgabenfelder sehen sich Polizeien der grundsätzlichen Frage gegenüber, welche Delikte und Tätigkeitsbereiche überhaupt polizeilich bearbeitet werden müssen. Beispiele hierfür sind die Begleitung von Schwertransporten im Straßenverkehr, die zum Großteil in die Hände privater Dienstleister übergegangen ist, oder die Aufnahme von Verkehrsunfällen, die auch von Versicherungsunternehmen geleistet werden könnte. Die Frage stellt sich allerdings auch mit Blick auf das Dunkelfeld der Kriminalität. Mit hohen Schadenssummen ist etwa im Finanzsektor zu rechnen. Davon zeugen große Fälle von Steuer- oder Anlagebetrug, die jedoch aufgrund der Komplexität dieser Straftaten schwer oder eben gar nicht aufgeklärt werden. Weitere Beispiele sind gefälschte Arzneimittel und Medizinprodukte, die illegal in den Handel gebracht werden, oder – gesellschaftlich weniger relevant – Fahrraddiebstähle, von denen viele nicht zur Anzeige gebracht werden.

Bürgerpolizei

Prinzipiell müssen sich Polizeien, die sie steuernde Politik und die Gesellschaft die Frage stellen, welche Schwerpunkte in der Kriminalitätsbekämpfung gesetzt werden sollen und welche Präventionsstrategien Erfolg versprechen. Damit verbunden ist die grundlegende Frage der Ausrichtung der Polizei, bei der ein dienstleistungsorientiertes Modell einer "Bürgerpolizei" dem Modell einer "Staatspolizei", die primär öffentliche Institutionen verteidigt und schützt, gegenüber steht.

In jedem Fall zentral für die Legitimation der Polizeien in einer freiheitlichen Gesellschaft bleiben klare demokratische Werthaltungen, die auch unter den schwierigen Arbeitsbedingungen in der Polizei sowie bei vermehrten Angriffen auf Polizeibeamtinnen und -beamte garantiert sein müssen. Polizeien sollen eben kein "Spiegelbild der Gesellschaft" sein, wie es bei polizeilichem Fehlverhalten als entschuldigende Floskel oft heißt, sondern eine Positivauswahl an Personen, die im Dienste von Bürgern und Staat agieren. Eine demokratische Kontrolle der Polizei können dabei unabhängige Polizeibeauftragte erfüllen, an die sich intern Polizeibeamte und extern Bürgerinnen wenden können. Dieses Instrument existiert bisher nur in einigen Bundesländern und nicht auf Bundesebene. Eine weitere Selbstverständlichkeit demokratischer Polizeiarbeit, die individuelle Kennzeichnung von Polizistinnen und Polizisten, ist ebenfalls nur in einem Teil der Länder umgesetzt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Bernhard Frevel/Hermann Groß, "Polizei ist Ländersache!" – Polizeipolitik unter den Bedingungen des deutschen Föderalismus, in: Achim Hildebrandt/Frieder Wolf (Hrsg.), Die Politik der Bundesländer. Zwischen Föderalismusreform und Schuldenbremse, Wiesbaden 20162, S. 61–86.

  2. Neben "echten" Vollzugsbeamtinnen finden sich in Statistiken auch Verwaltungsbeamte, die als Polizeiangehörige gerechnet werden, in Ausbildung und Studium befindliche Personen oder Umrechnungen in "Vollzeitäquivalente", um Beschäftigten gerecht zu werden, die in Teilzeit arbeiten. Solche Zahlen sind immer auch zwischen Regierung und Opposition umkämpfte Zahlen, bei denen um Deutungshoheit gerungen wird.

  3. Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist trotz aller damit verbundenen Erfassungs- und Interpretationsprobleme die primäre Quelle für das Kriminalitätsgeschehen in Deutschland, erfasst allerdings nicht das sogenannte Dunkelfeld, also diejenigen Straftaten, die aus welchen Gründen auch immer nicht zur Anzeige gebracht werden und der Polizei unbekannt bleiben.

  4. Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausweitung polizeilicher Befugnisse in Deutschland und Europa, Berlin 2018.

  5. Ein Beispiel sind Regelungen zum "finalen Rettungsschuss", für den die Palette von Nichtregelungen bis hin zur Anordnung dieser Maßnahme reicht. Ein anderes Beispiel sind Regelungen im Versammlungsrecht, bei denen Bayern ein eigenes Gesetz erlassen hat, während andere Länder sich der Bundesgesetzgebung angeschlossen haben. Vgl. Frevel/Groß (Anm. 1), S. 73f.

  6. Vgl. Robert Chr. van Ooyen, Sicherheitskultur und Behördenversagen – die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses für eine "Kulturrevolution" bei Verfassungsschutz und Polizei, in: ders./Martin H.W. Möllers (Hrsg.), Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2014/2015, Frankfurt/M. 2015, S. 39–46.

  7. Vgl. Marcus Ehm, Der Freiwillige Polizeidienst in Baden-Württemberg. Eine Institution zwischen Aufstockung und Abschaffung, Frankfurt/M. 2005.

  8. Vgl. Nathalie Hirschmann/Hermann Groß, Polizierende Präsenz. Kommunale Sicherheitspolitik zwischen Polizei, Verwaltung, Privatwirtschaft und Bürgern, Frankfurt/M. 2012; ders., Polizierende Präsenz: Zusammenspiel zwischen Ordnungsamt, Polizei und privaten Sicherheitsdiensten, in: Deutsches Polizeiblatt 1/2014, S. 13ff.

  9. Vgl. Mathias Hütwohl, Die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) – Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung nach dem neu gefassten Geldwäschegesetz, in: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik 11/2017, S. 680–687.

  10. Vgl. Nathalie Hirschmann, Sicherheit als professionelle Dienstleistung und Mythos: Eine soziologische Analyse der gewerblichen Sicherheit, Wiesbaden 2016.

  11. Vgl. Bernhard Frevel/Hermann Groß (Hrsg.), Empirische Polizeiforschung, Bd. XIX: Bologna und die Folgen für die Polizeiausbildung, Frankfurt/M. 2016.

  12. Vgl. Beamte mit Migrationshintergrund. Wie entwickelt sich die Vielfalt bei der Polizei?, Berlin 2019, Externer Link: https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/Infopapier_Vielfalt_Polizei _2019.pdf.

  13. Vgl. Martin H.W. Möllers/Robert Chr. van Ooyen (Hrsg.), Europäisierung und Internationalisierung der Polizei, 2 Bde., Frankfurt/M. 20092.

  14. Vgl. Karl-Heinz Reuband, Vertrauen in die Polizei und staatliche Institutionen: Konstanz und Wandel in den Einstellungen der Bevölkerung 1984–2011, in: Soziale Probleme 1/2012, S. 5–39, hier S. 12; Polizei weiter auf Platz eins. Vertrauensverlust auf breiter Front, 7.1.2019, Externer Link: http://www.n-tv.de/-article20799655.html.

  15. Vgl. Christoph Birkel/Daniel Church/Dina Hummelsheim-Doss et al., Der Deutsche Viktimisierungssurvey 2017. Opfererfahrungen, kriminalitätsbezogene Einstellungen sowie die Wahrnehmung von Unsicherheit und Kriminalität in Deutschland, Wiesbaden 2019.

  16. Vgl. Bernhard Frevel/Bernhard Rinke, Innere Sicherheit als Thema parteipolitischer Auseinandersetzung, in: APuZ 32–33/2017, S. 4–10.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Hermann Groß für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist diplomierter Politikwissenschaftler und Psychologe und lehrt als Dozent für Sozialwissenschaften an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung. E-Mail Link: hermann.gross@hfpv-hessen.de