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Abtreibungen in der Debatte in Deutschland und Europa | Abtreibung | bpb.de

Abtreibung Editorial Abtreibungen in der Debatte in Deutschland und Europa Kurze Geschichte des Paragrafen 218 Strafgesetzbuch Reproduktive Gesundheit und Rechte Abtreibung und Selbstbestimmung: Drei Positionen Eingeschränkte Entscheidungsfreiheit Für einen seriösen Lebensschutz Die Paragrafen 219 und 218 Strafgesetzbuch machen Deutschland zum Entwicklungsland Konflikte aushalten und menschlich gestalten. Verantwortungsethik im Umgang mit frühestem menschlichen Leben Lebensschutzdebatte im Zeitalter der Digitalisierung. Über Schwangerschaft als Gestaltungsprojekt

Abtreibungen in der Debatte in Deutschland und Europa

Katja Krolzik-Matthei

/ 19 Minuten zu lesen

Das Beenden unbeabsichtigter Schwangerschaften begleitet die Menschheitsgeschichte. In der Praxis der Abtreibung ist der Konflikt zwischen zwei Positionen bereits angelegt. Weltweit, auch innerhalb Europas, wird dieser Konflikt unterschiedlich diskutiert und reguliert.

Konflikte um Abtreibung sind keine deutsche Eigentümlichkeit und schon gar nicht eine der Moderne. Vielmehr ist der Konflikt in dieser universalen wie menschheitsgeschichtlichen Praxis angelegt. Im Wesentlichen treffen zwei Positionen aufeinander: Die eine stellt den Embryo beziehungsweise den Fötus, die andere die schwangere Person in den Mittelpunkt. Diejenige Position, die den Embryo/Fötus ins Zentrum ihrer Betrachtung und Argumentation stellt, ist in der Regel gegen Abtreibung, fordert strenge Restriktionen bis hin zum vollständigen Verbot. Vertreter_innen dieser Position finden sich eher im konservativen oder rechten politischen Lager und sind häufig religiös (christlich) geprägt. Vertreter_innen der Position, die die schwangere Person in den Mittelpunkt rückt, sprechen sich in der Regel für ein Recht auf Abtreibung aus und finden sich eher im liberalen und linken politischen Lager und sind häufig feministisch motiviert.

Seit 1996 hat sich in der Debatte in Deutschland noch eine weitere Gruppe herausgebildet: Vertreter_innen jener Position, die den vielfach beschworenen "mühsam errungenen Kompromiss" um die Ausgestaltung der §§218ff. Strafgesetzbuch (StGB) nicht erneut infrage stellen woll(t)en, unabhängig davon, ob dieser Kompromiss ihre ehemals (oder auch immer noch) vertretenen politischen Positionen widerspiegelt oder nicht. Der Kompromiss und der damit zumindest weitgehend erreichte Rechtsfrieden führten in Deutschland tatsächlich dazu, dass nach jahrelangen erbitterten Auseinandersetzungen um die Maximalforderungen eine relative Ruhe einkehrte. Mit dieser ist es vorbei.

Weltweit, auch innerhalb Europas und sogar der EU, geben Staaten sehr unterschiedliche Antworten auf die bestehenden Konfliktlinien. Dies reicht von einem völligen Verbot (etwa in Nicaragua) bis zur außerstrafrechtlichen Regelung (etwa in Kanada). Viele europäische Länder haben ähnlich wie Deutschland einen Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Voraussetzungen legalisiert beziehungsweise straffrei gestellt, andere mit starken Restriktionen belegt. Kein Staat innerhalb Europas hat bisher Abtreibung vollständig entkriminalisiert.

In diesem Beitrag wird zunächst die Begriffswahl geklärt, anschließend folgt ein Überblick über die Häufigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen und über Einstellungen zu Abtreibung in der Bevölkerung in Deutschland und Europa. Im Fokus stehen die Debatten in Deutschland, ein Blick wird auf die europäischen Beispiele Polen und Irland geworfen.

Unterschiedliche Begriffe – unterschiedliche Haltungen

Das durch äußere Einwirkung herbeigeführte vorzeitige Beenden einer Schwangerschaft kann in der deutschen Sprache mit verschiedenen Begriffen bezeichnet werden. Medizinisch werden beispielsweise die Begriffe "Abruptio" oder "Interruptio" verwendet. Der Begriff "induzierter Abort" gehört ebenfalls in den Bereich der medizinischen Fachsprache. Umgangssprachlich ebenso wie innerhalb politischer Debatten über diesen Vorgang werden vor allem die Begriffe "Schwangerschaftsabbruch" und "Abtreibung" verwendet. In der DDR kursierte noch eine weitere Bezeichnung im Diskurs. Dort wurde von einer "Schwangerschaftsunterbrechung" gesprochen.

Der Begriff "Schwangerschaftsabbruch" taucht erstmalig Ende der 1960er Jahre auf und scheint politischer Rhetorik geschuldet zu sein. "Abtreibung", in der jüngeren deutschen Geschichte und der Gegenwart eher als politischer Kampfbegriff wahrgenommen, war über Jahrhunderte der gängige Begriff für den Vorgang des willentlichen Abbruchs einer (ungewollten) Schwangerschaft. Erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der Begriff "Abtreibung" nicht mehr in seiner eigentlichen Neutralität, sondern tendenziös verwendet. So wurde beispielsweise sowohl in Gesetzestexten als auch in Zeitungsartikeln in der DDR unterschieden zwischen der legitimen "Unterbrechung" einer Schwangerschaft und einer illegalen "Abtreibung", die von "Kurpfuschern" vorgenommen wurde. Die westdeutsche Frauenbewegung beharrte darauf, den Begriff affirmativ zu verwenden und von Abtreibung zu sprechen und zu schreiben, wenn es um den Abbruch einer Schwangerschaft ging, und etablierte Abtreibung geradezu als feministischen Kampfbegriff. Gegenwärtig hat der Begriff dadurch eine widersprüchliche Konnotation: Einerseits wird er in konservativen bis hin zu fundamental-religiösen Zusammenhängen eindeutig ablehnend und auch abwertend gebraucht ("Abtreibung ist Mord"). Andererseits spielte und spielt er wieder eine wichtige Rolle in emanzipatorisch-feministischen Zusammenhängen ("Abtreibung ist ein Menschenrecht"). In anderen Sprachen, wie im Englischen, Französischen oder Spanischen, scheint es diese begriffliche Unterscheidung entlang der weltanschaulichen Position und auch die Unterscheidung zwischen politischem/öffentlichem Sprechen und Umgangssprache nicht zu geben. Abortion, avortement oder aborto werden sowohl in politischen Kämpfen als auch in der Fachliteratur benutzt. Im Folgenden werden die Begriffe "Schwangerschaftsabbruch" und "Abtreibung" synonym verwendet.

Häufigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen

Tabelle: Schwangerschaftsabbruchziffern in europäischen Ländern 2017 (© bpb)

Die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche wird in Deutschland seit 1996 gemäß §§15ff. Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) durch das Statistische Bundesamt erfasst. Praxen und andere Einrichtungen, in denen Abbrüche vorgenommen werden, sind verpflichtet, die Eingriffe nach gesetzlich vorgegebenen Merkmalen zu erheben und diese Erhebung vierteljährlich dem Bundesamt zu melden. Aus dieser Statistik wird ersichtlich, dass die Zahl der Abbrüche pro Jahr in Deutschland seit 1996 von etwa 130.000 auf um die 100.000 zurückgegangen ist. Über 96 Prozent aller Abbrüche werden innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen und nach der Beratungsregelung (§218a Abs. 1 StGB) vorgenommen.

Im europäischen Vergleich hat Deutschland damit (offiziell) die meisten Abbrüche (ausgenommen Russland). Die absoluten Zahlen sind jedoch wenig aussagekräftig, fehlt ihnen doch die Relation zur Gesamtbevölkerungszahl und zu der Zahl der Menschen, die überhaupt in die Situation kommen können, einen Abbruch vornehmen zu lassen. Hierfür ist die sogenannte Abbruchziffer heranzuziehen. Sie gibt an, wie viele von 1000 Frauen im Alter von 15 bis 45 Jahren innerhalb eines Jahres einen Abbruch hatten. In Deutschland beträgt die Abbruchziffer recht konstant um die 4,4. Insbesondere in einigen der ehemaligen Sowjetstaaten liegt die Abbruchziffer vergleichsweise hoch (s. Tabelle).

Am Beispiel Polen, das besonders restriktive Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch hat, zeigen sich allerdings die Schwierigkeiten, die Zahl der Abtreibungen realistisch abzubilden: Sowohl die absolute Zahl als auch die Abbruchziffer sind in den offiziellen Statistiken sehr niedrig. Dafür wird die Zahl der illegalisierten Abtreibungen auf bis zu 150.000 geschätzt. Unbeabsichtigt Schwangere in Polen, die ihre Schwangerschaft beenden wollen, reisen häufig ins benachbarte Ausland oder organisieren mithilfe der sogenannten Abtreibungspille den Abbruch selbst. Verbote und Restriktionen von Schwangerschaftsabbrüchen tragen somit kaum zur Senkung der Abbruchzahlen bei, sondern verschieben die Praxis lediglich in einen gesellschaftlichen Graubereich hinein. Dadurch werden die trotzdem vorgenommenen Abbrüche unsicherer, und damit steigt das Risiko einer Bedrohung von Leib und Leben der schwangeren Personen. Einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem rechtlichen Status von Abtreibung und unsicheren Abbrüchen hat 2017 eine gemeinsame Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation und des Guttmacher Instituts belegt.

Einstellungen der Bevölkerung zu Schwangerschaftsabbrüchen

In der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) werden regelmäßig Einstellungen gegenüber dem Schwangerschaftsabbruch abgefragt. Die Befragten können zu der Aussage "ob es [i]hrer Meinung nach einer Frau gesetzlich möglich sein sollte oder nicht, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen" Zustimmung oder Ablehnung äußern, wobei zwischen acht verschiedenen Gründen beziehungsweise Begründungen für den Abbruch differenziert wird. Bei der Betrachtung der Ergebnisse seit 1992 bis 2012 fällt auf, dass die Gesundheitsgefährdung der Schwangeren und des Fötus beziehungsweise des werdenden Kindes als legitime Gründe für eine Abtreibung gelten (Zustimmung konstant bei um die 90/über 90 Prozent), deren Akzeptanz zudem im historischen Vergleich kaum Veränderungen unterliegt. Gleiches gilt für den Abbruch einer Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung (ebenfalls über 90 Prozent Zustimmung).

Die Anerkennung der Willensentscheidung der Schwangeren als Legitimationsgrund ("wenn die Frau es so will, unabhängig davon, welchen Grund sie dafür hat") fällt hingegen kontrovers aus. Im historischen Vergleich hat die Zustimmung durch alle Befragten im Zeitraum von 1992 bis 2006 um zehn Prozent abgenommen. 2006 akzeptierten diesen Grund noch zwei Drittel der ostdeutschen und nur wenig mehr als ein Drittel der westdeutschen Befragten. Das kann darauf hindeuten, dass die Einstellung einer Bevölkerung zur Abtreibung auch von den jeweiligen gesetzlichen Regelungen abhängt. In Ostdeutschland galt von 1972 bis zur endgültigen Neuregelung 1996, dass ungewollte Schwangere innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen die Schwangerschaft auf ihren Wunsch hin und ohne Angabe von Gründen abbrechen lassen konnten. An historischen Vergleichsuntersuchungen mit ostdeutschen Jugendlichen bestätigt sich diese Vermutung. Denn während sich 1990 noch etwa die Hälfte der Befragten für die Regelungsoption einer Fristenlösung aussprach, taten dies 2013 nur noch 16 Prozent.

Die Einstellungen zum Schwangerschaftsabbruch variieren stark zwischen einzelnen europäischen Ländern, wie eine Untersuchung durch das Meinungsforschungsinstitut Ipsos Public Affairs zeigt. Während in Polen und Italien eher restriktive Ansichten überwiegen, spricht sich in Schweden, Frankreich und Großbritannien die Mehrheit der Befragten für die uneingeschränkte Möglichkeit zum Abbruch aus. Die Ergebnisse für Deutschland drücken Ambivalenz aus – etwa die Hälfte der Befragten stimmt dem zu. Neben der jeweils aktuellen nationalen Gesetzeslage beeinflussen auch deren historische Entwicklung und die religiöse und weltanschauliche Prägung der Bevölkerung offenbar die Einstellungen zum Schwangerschaftsabbruch.

Aktuelle Debatten um Schwangerschaftsabbrüche

Sowohl die Rechtslage als auch die gesellschaftspolitische Debatte um Abtreibung sind in Europa höchst unterschiedlich. Vor allem dort, wo liberale Regelungen implementiert wurden, werden diese von Befürworter_innen einer restriktiven Gesetzgebung in den Parlamenten und auf der Straße häufig wieder infrage gestellt. Die sogenannte Lebensschutz-Bewegung mobilisiert nicht nur in Deutschland, sondern gesamteuropäisch Abtreibungsgegner_innen, etwa durch Kampagnen wie "One of Us" 2014. Gleichzeitig gibt es liberale gesellschaftliche Kräfte – oft, aber nicht nur feministisch motiviert –, die solche oder ähnliche Bestrebungen nicht unwidersprochen lassen. Zunächst wird im Folgenden auf die Debatte in Deutschland eingegangen, anschließend ein Blick auf Polen und Irland geworfen – zwei Länder, in denen die katholische Kirche eine starke gesellschaftliche und politische Verankerung hat.

Deutschland

Wie bereits erwähnt, ist es mit der Ruhe in der Debatte um Abtreibung in Deutschland vorbei. Und dass es sich nur um eine "relative" Ruhe handelte, lässt sich am besten an der Entwicklung der "Lebensschutz"-Bewegung ablesen. Gewissermaßen relativ unbe(ob)achtet hat sich spätestens seit den 2000er Jahren eine durch zahlreiche Organisationen und Personen getragene, professionell arbeitende und inhaltlich auch für verschiedene Themen anschlussfähige Struktur in Deutschland herausgebildet. Als "Gegenbewegung" gegründet, existiert die Bewegung organisatorisch in Deutschland seit den 1970er Jahren, als sich erste Gruppen unter dem Namen "Ja zum Leben" zusammenschlossen. Die Bezeichnung "Gegenbewegung" ist deshalb zutreffend, weil sich "Ja zum Leben" und alle weiteren Gruppierungen und Vereine dezidiert in Opposition zur feministischen Bewegung gegen §218 StGB positionierten und ausdrücklich für ein Verbot von Abtreibung eintraten. Weltanschaulicher Hintergrund der "Lebensschutz"-Bewegung ist in erster Linie eine christliche Auffassung, die jede Schwangerschaft als gottgewollt betrachtet, den Embryo vom Zeitpunkt der Empfängnis an als Menschen (Person) ansieht und damit keine Notwendigkeit, aber auch kein Recht für Schwangere anerkennt, sich gegen das Austragen dieser Schwangerschaft zu entscheiden. Abtreibung gilt für den organisierten "Lebensschutz" als Mord oder Tötung und stellt damit einen Verstoß gegen göttliche Gebote und auch gegen weltliches Recht dar. Ziele der "Lebensschutz"-Bewegung sind das vollständige Verbot von Abtreibung oder zumindest die Beschränkung von Ressourcen für Beratungsstellen oder Mediziner_innen, die Abtreibungen vornehmen.

Die "Lebensschutz"-Bewegung agiert mit einem breiten Spektrum an Aktionsformen und Angeboten. Diese reichen von Beratungsangeboten zur direkten Beeinflussung von ungewollt Schwangeren und Bildungsangeboten für Jugendliche (beispielsweise durch den Verein KALEB e.V.) über politische Lobbyarbeit mittels eines gut strukturierten und finanziell gut ausgestatteten Netzwerks an Vereinen und Initiativen (wie etwa Aktion Lebensrecht für Alle e.V.; Bundesverband Lebensrecht; Christdemokraten für das Leben) bis hin zu zum Teil mehrwöchigen, Schwangere und Fachkräfte einschüchternde Kundgebungen im öffentlichen Raum in unmittelbarer Nähe von Beratungsstellen und Kliniken. Bundesweite Aufmerksamkeit erzielt die Bewegung mit dem jährlich in Berlin und anderen Städten stattfindenden "Marsch für das Leben". Starke Präsenz zeigt die "Lebensschutz"-Bewegung im Internet, wo Initiativen oder einzelne Akteur_innen Listen von Kliniken, Beratungsstellen und einzelnen Personen führen, die als "Abtreiber" deklariert werden. Zudem werden über diese Internetseiten Falschinformationen zu Methoden und Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen verbreitet und die als "Abtreiber" bezeichneten Personen auch unter Bemühung von Holocaust-Vergleichen diffamiert.

Für Aktivist_innen der "Lebensschutz"-Bewegung bot zudem §219a StGB eine willkommene Möglichkeit, um Ärzt_innen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, unter Druck zu setzen. Das in diesem Paragrafen statuierte sogenannte Werbeverbot war bis vor Kurzem so ausgestaltet, dass bereits die bloße Information, dass in dieser Praxis oder jenem Krankenhaus Abbrüche möglich sind, als strafbar galt. Der bekannte Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen erstattete nach eigener Auskunft auf seiner Internetseite abtreiber.com seit 2005 regelmäßig Anzeigen gegen Ärzt_innen und Einrichtungen, die seiner Ansicht nach gegen den §219a StGB verstoßen hatten. In der Regel wurden die Verfahren eingestellt, die Anzeigen nicht zur Anklage gebracht. Auch die Gießener Ärztin Kristina Hänel erhielt nach eigener Aussage seit über zehn Jahren regelmäßig Anzeigen dieser Art. Erst 2017, als der Abtreibungsgegner Yannic Hendricks Hänel anzeigte, wurde diese, auch weil Hänel im Unterschied zu anderen angezeigten Ärzt_innen die Information nicht von ihrer Homepage nehmen wollte, zur Anklage gebracht. Der Fall wurde am 24. November 2017 vor dem Amtsgericht Gießen verhandelt und die Ärztin zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt.

Der Fall markiert eine Zäsur, sowohl in der deutschen Rechtspraxis zur Abtreibungsgesetzgebung als auch in der parteipolitischen Auseinandersetzung und der aktivistischen Praxis von Feminist_innen. Binnen kürzester Zeit erhielt der Fall Kristina Hänel weitreichende mediale Aufmerksamkeit, und es entstanden zahlreiche feministische Bündnisse und Initiativen; Ärzt_innen bekannten medienwirksam "Wir machen Schwangerschaftsabbrüche", und zivilgesellschaftliche Akteur_innen forderten, §219a zu streichen. Die Forderung nach Abschaffung beziehungsweise Einschränkung des Werbeverbots fand nach und nach bei fast allen Bundestagesfraktionen Anklang, ausgenommen CDU/CSU und AfD.

In den Plenarbeiträgen der einzelnen Abgeordneten im Deutschen Bundestag oder in den Stellungnahmen der Sachverständigen vor dem Rechtsausschuss wurden, obwohl es im Grunde um die Frage nach der Ausübung des aktiven und passiven Informationsrechts ging, erneut die grundsätzlichen Linien der Abtreibungsdebatte deutlich. Von den Vertreter_innen der jeweiligen Position zum §219a StGB galt dieser entweder als Garant für den Schutz des ungeborenen Lebens im "Gesamtpaket" der Abtreibungsgesetzgebung oder als ein Ausdruck der Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts von Frauen. Nicht nur die inhaltliche Auseinandersetzung knüpfte an die bekannten Positionen zur Abtreibung an, sondern auch die Form der Lösung setzte in einer gewissen Kontinuität den deutschen Weg der Abtreibungsgesetzgebung fort: Auch das Ergebnis der Verhandlung zwischen den Koalitionsparteien SPD und CDU/CSU wurde wie die Kompromisse in den 1990er Jahren als hart errungen dargestellt, die vorausgegangenen Verhandlungen als zäh. Ein vorläufiger Schlusspunkt ist mit der Änderung des §219a nun erreicht.

Beendet ist die Debatte aber damit nicht. Sowohl Kristina Hänel als auch die FDP-Fraktion gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke haben angekündigt, dass sie eine Beurteilung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht anstreben. Emanzipatorisch-feministische Akteur_innen betrachten ihre Forderung nach einem Mehr an Selbstbestimmung für Frauen mit dem geänderten Gesetz als nicht erfüllt. Sie warnen unter anderem davor, dass auch unter den verbesserten Umständen immer weniger Ärzt_innen aus Unsicherheit oder Angst vor Anfeindungen Abbrüche vornehmen könnten.

Mediziner_innen nehmen in dem Prozess einer Abtreibung neben den Berater_innen der anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen eine zentrale Stellung ein. Sie sind in jedem Fall Ansprechpersonen für die ungewollt Schwangeren, mindestens bei der Feststellung der Schwangerschaft. Damit ungewollt Schwangere den im gesetzlichen Rahmen möglichen Abbruch auch erhalten, braucht es genügend Mediziner_innen, die diese Leistung anbieten. Versorgungslücken sind aber bereits vorhanden – nicht nur in Deutschland. Bei der Frage, ob der_die einzelne Mediziner_in Schwangerschaftsabbrüche im eigenen Leistungsspektrum aufnimmt oder nicht, spielen neben dem stigmatisierenden Klima zwei weitere Aspekte eine Rolle: erstens die Möglichkeit der Ablehnung aus Gewissensgründen und zweitens die im Medizinstudium erworbenen theoretischen und praktischen Kenntnisse.

Die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland eröffnet Ärzt_innen die Möglichkeit, aus persönlichen weltanschaulichen oder religiösen Motiven Patient_innen den Eingriff zu versagen, der de facto als gerechtfertigt behandelt wird. Dieser individuelle Entscheidungsspielraum für Mediziner_innen ergibt sich aus dem ethischen Konflikt um die Frage des Beginns menschlichen Lebens und der (moralischen) Rechtfertigbarkeit der Beendigung eines potenziellen Lebens.

Ein weiterer Grund, der für die zunehmenden Versorgungslücken, insbesondere in Deutschland, angeführt wird, ist die Tatsache, dass aktuelle, fachgerechte Methoden zum Abbrechen einer Schwangerschaft in Deutschland nicht regulärer Bestandteil des Medizinstudiums sind, auch nicht im Rahmen der fachärztlichen Ausbildung in der Gynäkologie. In den Gegenstandskatalogen für das Erste und Zweite Staatsexamen des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen wird zwar randständig der Schwangerschaftsabbruch benannt, doch geben sowohl praktizierende Ärzt_innen wie auch Medizinstudierende an, dass sie in der Realität kaum bis gar nicht damit in Berührung gekommen sind – weder theoretisch noch praktisch.

Ärzt_innen, auch Fachärzt_innen für Gynäkologie, sind in Deutschland mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht optimal für den Eingriff ausgebildet und haben zudem die Möglichkeit, diesen aus Gewissensgründen abzulehnen. In einem gesellschaftlichen Klima, in dem Abtreibung tabuisiert und Personen, die damit in Verbindung stehen, stigmatisiert oder offen bedroht und unter Druck gesetzt werden, entscheiden sich offenbar auch immer mehr Mediziner_innen dafür, keine Schwangerschaftsabbrüche anzubieten.

Angestoßen durch den Fall Kristina Hänel und weitere Verhandlungen gegen Ärzt_innen und Aktivist_innen werden in den Medien neben der Frage zum Zugang zu der ärztlichen Leistung auch wieder die grundsätzlichen Fragen um die Regulierung der Abtreibung diskutiert. Nicht zuletzt spielt das Thema eine Rolle bei der Debatte darum, ob nicht invasive Pränataltests zur Kassenleistung werden sollen.

Polen und Irland

In Irland und Polen hat die katholische Kirche starken Einfluss sowohl auf die außerrechtliche Bewertung moralischer Fragen als auch auf Politik und Gesetzgebung. In Polen galt über mehrere Jahrzehnte sozialistischer Regierung hinweg, von 1956 bis 1993, eine permissive Rechtslage. Unter dem ab 1990 regierenden Staatspräsidenten Lech Wałesa und der wieder erstarkten katholischen Kirche wurde die Möglichkeit der Abtreibung in Polen massiv eingeschränkt. Gegenwärtig ist sie nur zulässig, wenn die Schwangerschaft durch eine Sexualstraftat entstanden ist oder eine Schädigung des Fötus festgestellt wird. Diese innerhalb Europas besonders enge Auslegung versuchen konservative Akteur_innen immer wieder, nochmals zu verschärfen. Zuletzt scheiterten diese Bestrebungen – nicht zuletzt am Protest der Akteur_innen für die Rechte von Frauen. 2016 und 2018 wurden vom ultrakonservativen Bündnis "Stoppt Abtreibung" Gesetzesvorschläge an das polnische Parlament herangetragen, die die ohnehin stark eingeschränkten Möglichkeiten für einen Abbruch noch weiter reduzieren sollten. Der Streik Zehntausender für das Recht auf Abtreibung 2016 ging als Czarny Protest, Schwarzer Protest, in die Geschichte ein. Als Ausdruck ihres Widerstands trugen die Demonstrierenden Schwarz und schwarze Schirme mit sich. Auch 2018 gingen Zehntausende – wieder in Schwarz – auf die Straße, um gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts zu demonstrieren. Durch den Druck der Bevölkerung und Warnungen aus der EU konnte die Verschärfung 2016 abgewendet werden. Die Entscheidung über eine neuerliche Einschränkung, insbesondere mit Blick auf die Versorgung mit der "Pille danach", steht noch aus.

In Irland, wo die katholische Kirche und deren Verankerung in der Bevölkerung ebenfalls sehr stark ist, galt bis 2018 ein noch restriktiveres Gesetz als in Polen. 1983 wurde das Recht auf Leben des Ungeborenen in der irischen Verfassung verankert (im 8th Amendement). Daraus wurde bis 2014 ein grundsätzliches Abtreibungsverbot abgeleitet. Verstöße konnten mit bis zu 14 Jahren Haft bestraft werden. 2014 wurde der Abbruch bei Gesundheits- und Lebensgefahr der Schwangeren zugelassen. Das änderte allerdings wenig daran, dass diejenigen, die dazu in der Lage waren, weiterhin ins Ausland gingen, um den Abbruch vornehmen zu lassen. Diese Praxis wurde von der irischen Regierung und der Rechtsprechung geduldet, allerdings war es verboten, innerhalb Irlands auf diese Möglichkeiten hinzuweisen. Der andere, illegalisierte und klandestine Weg bestand darin, im Internet Misoprostol oder Mifepristone zu beschaffen und den medikamentösen Abbruch selbst vorzunehmen. Zahlreiche, medial und über irische Grenzen hinweg bekanntgewordene Fälle, in denen ungewollt oder auch gewollt Schwangere aufgrund der restriktiven Gesetzgebung Schaden an Gesundheit und Leben erlitten, ebenso wie jahrzehntelanger außerparlamentarischer und parteipolitischer Aktivismus machten 2018 das Referendum über die Änderung des 8. Verfassungszusatzes möglich. Hinzu kam der beschädigte Ruf der katholischen Kirche durch Missbrauchsfälle und ihren Umgang damit. In der Abstimmung über die Streichung des betreffenden Artikels der irischen Verfassung stimmte eine Mehrheit der Wahlberechtigten für die Änderung und machte damit den Weg frei für eine Lockerung des Abtreibungsrechts. Das irische Parlament verabschiedete im Dezember 2018 ein Gesetz, das neben einem Abbruch aufgrund von Gesundheits- oder Lebensgefährdung der Schwangeren oder des Fötus auch eine Fristenlösung vorsieht: Eine Schwangerschaft kann nun innerhalb der ersten zwölf Wochen ohne Angaben von Gründen straffrei abgebrochen werden. Damit hat sich das katholisch geprägte Irland innerhalb Europas eine der liberalsten Regelungen zur Abtreibung gegeben.

Schluss

Eine ewig gültige, alle Positionen befriedende Regelung zu Schwangerschaftsabbrüchen wird es, so zeigen die hier verhandelten Beispiele, nicht geben. In die Zukunft weisen die Debatten um reproduktive Gesundheit und Rechte, wie sie im Völkerrecht geführt werden. Neben ihren Potenzialen aufgrund der Thematisierung von Sexualaufklärung und Zugang zu Verhütungsmitteln birgt diese Perspektive andere Schwierigkeiten, die aus der Dominanz westlicher Industrienationen in den internationalen Debatten resultieren.

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsprofessur Sexuelle Bildung und Sexualwissenschaft der Hochschule Merseburg. E-Mail Link: katja.krolzik-matthei@hs-merseburg.de