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50 Jahre Nuklearwaffen in Deutschland

Otfried Nassauer

/ 12 Minuten zu lesen

Nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die Stationierung atomarer Waffen in Deutschland gibt es seit 50 Jahren. Darüber besteht dringender Diskussionsbedarf.

Einleitung

Jahrestage werden oft gefeiert - gerade, wenn es runde sind. In diesem Jahre wird die Bundeswehr 50, und die Bundesrepublik ist seit 50 Jahren Mitglied der NATO. 60 Jahre liegt der Sieg der Alliierten über das nationalsozialistische Deutschland zurück. 60 Jahre sind es, seit die Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki deutlich machten, welch unglaubliche Zerstörungsgewalt Atomwaffen haben. Es gibt in diesem Jahr aber noch einen runden Jahrestag, der in der Öffentlichkeit keine Rolle spielt: Vor 50 Jahren begann die Stationierung atomarer Waffen in Deutschland.

Im März 1955 brachten die US-Streitkräfte ihre ersten atomaren Fliegerbomben in die Bundesrepublik. Schon einen Monat später folgten Sprengköpfe für atomare Marschflugkörper vom Typ Matador und Artilleriegranaten vom Kaliber 280 Millimeter. Bald darauf Sprengköpfe für Honest John- und Corporal-Raketen, 203-Millimeter-Geschosse und atomare Landminen. Zu Beginn des Jahres 1960 lagerten in der Bundesrepublik schon zehn unterschiedliche Typen von Atomwaffen. Jede Einzelne dieser Waffen besaß eine größere maximale Sprengkraft als jene Waffe, die Hiroshima zerstörte. So begann eine atomare Aufrüstungswelle, zu deren Höhepunkt etwa 7 300 US-Atomwaffen in Europa lagern sollten.

Die Stationierung atomarer Waffen in der Bundesrepublik erfolgte zwei Monate vor dem deutschen NATO-Beitritt und schuf Tatsachen im Rahmen einer vor allem von den USA und Großbritannien entwickelten NATO-Strategie, welche die Bundesrepublik als Neu-Mitglied akzeptieren musste. Diese war zum einen das Ergebnis der Tatsache, dass es der NATO nicht gelungen war, glaubhafte Pläne für die Bereitstellung von 96 Divisionen gegen einen Angriff aus dem Osten binnen 90 Tagen zu entwickeln. Zum anderen war sie das Ergebnis des Glaubens an die Einsetzbarkeit atomarer Waffen. Die Bedeutung dieses Faktors wuchs, als die USA unter Präsident Eisenhower im Herbst 1953 zur "New Look"-Politik übergingen. Im Strategie-Dokument, NSC 162/2, hieß es: "Die Hauptabschreckung gegen eine Aggression gegen Westeuropa ist die manifestierte Entschlossenheit der USA, ihre atomare Fähigkeit und massive Vergeltungsmacht zu nutzen, wenn die Region angegriffen wird." In der NATO setzte sich die neue Sichtweise schnell durch. Das zum Zeitpunkt des NATO-Beitritts der Bundesrepublik gültige Strategie-Dokument, die MC 48, hielt fest: "Die Überlegenheit bei atomaren Waffen und der Fähigkeit, sie einzusetzen, wird in der vorhersehbaren Zukunft der wichtigste Faktor in einem größeren Krieg sein." Schon die für die Anfangsverteidigung der NATO verfügbaren Kräfte müssen "mit einer integrierten atomaren Fähigkeit" ausgestattet sein. Die NATO müsse vorbereitet sein, einem größeren konventionellen Angriff mit dem massiven Einsatz taktischer und strategischer nuklearer Waffen zu begegnen.

Atombewaffnung der Bundeswehr

Die deutsche Öffentlichkeit erfuhr von der Existenz atomarer Waffen auf deutschem Boden erst zwei Jahre später am 15. März 1957 durch die US-Streitkräfte. Bereits fünf Tage später kündigte NATO-Oberbefehlshaber General Norstadt überraschend an, dass die atomaren Waffen der USA im Kriegsfall auch den Verbündeten, zum Beispiel der Bundeswehr, übergeben würden. Kurz darauf bekundete Bundeskanzler Adenauer sein Interesse, die Bundeswehr mit atomaren Trägersystemen auszustatten. Vorausgegangen waren interne Gespräche zwischen Bonn und Washington seit dem Herbst 1956. Diese hatten ergeben, dass die Bundesrepublik Trägersysteme kaufen werde, während die USA die nukleare Munition dafür vorrätig halten würden. Die "Atombewaffnung der Bundeswehr" stand bevor. Ähnlich wie die Wiederbewaffnung löste das Vorhaben massive Proteste in der Öffentlichkeit aus. Adenauer wollte die nukleare Rolle der Bundeswehr und goss doch unfreiwillig Öl ins Feuer: "Unterscheiden Sie doch die taktischen und die großen atomaren Waffen", sagte er im April 1957. "Die taktischen Waffen sind nichts weiter als eine Weiterentwicklung der Artillerie. Selbstverständlich können wir nicht darauf verzichten, dass unsere Truppen auch in der normalen Bewaffnung die neuste Entwicklung mitmachen." Gegen erbitterten Widerstand setzte er das Vorhaben unbeirrt durch.

Zeitgleich wurde die NATO-Strategie auf Vorschlag der USA erstmals unter deutscher Beteiligung weiterentwickelt. Das im April 1957 eingebrachte Strategiedokument MC 14/2 sah vor, auf einen sowjetischen Angriff mit einer sofortigen massiven nuklearen Gegenoffensive und einer Vorneverteidigung unter sofortiger Einbeziehung nuklearer Waffen zur Wiederherstellung der Integrität des eigenen Territoriums zu reagieren. Die neue Strategie wurde weiterhin als "massive Vergeltung" bezeichnet und rief vielfach den Eindruck hervor, dass auf einen konventionellen Angriff primär mit einem strategisch-atomaren Schlag gegen die Sowjetunion und deren Bevölkerungszentren geantwortet werden solle. Die konventionellen "Schildkräfte" der NATO seien kaum mehr als ein Stolperdraht, mit dem der vernichtende Schlag desnuklearen Schwertes ausgelöst werden würde. Dies verkannte, dass MC 14/2 durchaus auch andere, konventionelle Optionen enthielt. Zweifelsohne aber lag das Hauptaugenmerk - gerade auch des deutschen Verständnisses der Strategie - auf der Rolle atomarer Waffen.

Schon nach zehn Jahren verfügte die Bundeswehr deshalb über eine Vielzahl nuklearer Einsatzmittel. Pioniere übten den Einsatz atomarer Landminen, Artilleristen den von Atomgranaten, Raketenkräfte das Verschießen von Luftabwehr- und Boden-Boden- Raketen und Starfighterpiloten den Abwurf dreier verschiedener Typen atomarer Bomben mit bis zu 1,1 Megatonnen Sprengkraft. Wie sehr Nuklearwaffen das militärische Denken dieser Zeit bestimmten, zeigt ein Detail: Als die Bundesregierung beschloss, Hunderte von Jagdbombern des Typs Starfighter zu kaufen, verzichtete sie darauf, eine konventionelle Bewaffnung vorzusehen.

Flexible Erwiderung und Atomwaffensperrvertrag

Schon 1962, den Mauerbau in Berlin und die Kuba-Krise in frischer Erinnerung, war US-Verteidigungsminister Robert McNamara bewusst, dass der nukleare Wildwuchs und die überdeutliche Abstützung der NATO-Strategie auf Atomwaffen Grenzen haben müsse. Hinzu kam, dass die UdSSR mit dem Sputnik-Start gezeigt hatte, dass sie bald in der Lage sein werde, die USA nuklear zu bedrohen. Die Zeit absoluter nuklearer Dominanz des Westens ging zu Ende, und eine gewisse Steuerung des kommenden atomaren Rüstens musste nun ebenso im Interesse der USA liegen wie die Entwicklung flexiblerer militärischer Optionen der NATO. Nachdem zunächst die USA eine neue Nuklearstrategie angenommen hatten, brachte McNamara im April 1962 einen entsprechenden Vorschlag in die NATO ein. Doch sollte es noch bis 1968 dauern, bis die neue Strategie den NATO-Rat endgültig passiert hatte. Frankreich wollte an der massiven Vergeltung festhalten und verließ 1966 die militärische Integration der NATO. Komplikationen gab es auch, weil die Strategiediskussion mit den Verhandlungen über den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) zusammenfiel.

Denn der NVV stellte die NATO-Staaten vor ein Problem. Er würde sie in zwei Gruppen spalten: jene, die legal über Atomwaffen verfügen dürften, und andere, die als nichtnukleare Mitglieder beitreten würden. Dies stellte das bisher praktizierte System der nuklearen Arbeitsteilung infrage. Die nichtnuklearen NATO-Staaten aber wollten an der Umsetzung der Nuklearstrategie der NATO beteiligt bleiben und drängten auf größere Mitsprache und eine Umsetzung der Athener Richtlinien aus dem Jahr 1962, die - soweit Zeit und Umstände es erlaubten - Konsultationen vor einem Nuklearwaffeneinsatz versprachen. Ohne Lösung dieser Probleme bestand das Risiko, dass NATO-Mitglieder wie die Bundesrepublik dem Vertrag nicht beitreten oder gar selbst Nuklearwaffen anstreben würden.

Die schwierige Aufgabe lösten die USA nach mehreren gescheiterten Anläufen mit einem fragwürdigen Trick: Ohne dass dies allen anderen NVV-Unterzeichnern bei ihrer Unterschrift klar gewesen wäre, erklärten die NATO-Staaten ihre bisherige Praxis einseitig für auch künftig legal: Atomare Trägersysteme nichtnuklearer Staaten dürften im Kriegsfall genutzt werden, um US-Atomwaffen zum Einsatz zu bringen. Im Kriegsfall gelte der neue Vertrag nicht. Die politische Mitsprache der nichtatomaren NATO-Staaten wurde durch Einrichtung der Nuklearen Planungsgruppe gestärkt.

Die Einigung in Sachen NVV half, den Weg für die neue NATO-Strategie der flexiblen Erwiderung freizumachen. Ende 1967 wurde sie vom NATO-Rat gebilligt. Sie bestand aus dem öffentlichen Harmel-Bericht und zwei Dokumenten des NATO-Militärausschusses, der MC 14/3 sowie der 1969 gebilligten MC 48/3. Die neue Strategie sah die Antwort der NATO auf einen Angriff auf drei Ebenen vor: der Zurückschlagung eines Angriffs mit Mitteln vergleichbar denen, die der Angreifer verwendet hat, der "vorbedachten Eskalation" und einer "generellen nuklearen Antwort", also einen umfassenden Nuklearkrieg. Der Gegner sollte bewusst im Unklaren gelassen werden, auf welche Art von Angriff die NATO auf welcher Ebene reagieren würde. Für die vorbedachte Eskalation enthielt die Strategie Beispiele, darunter die Eröffnung eines weiteren, konventionellen Kriegsschauplatzes gegen den Angreifer, einen demonstrativen Einsatz nuklearer Waffen oder selektive nukleare Schläge gegen Ziele im Hinterland des Gegners. Die NATO hielt sich explizit die Option offen, als erste Nuklearwaffen einzusetzen.

Die neue Strategie hatte einen Vorteil, der zugleich ihr wichtigster Nachteil war. Sie konnte je nach nationaler Position äußerst flexibel interpretiert werden und blieb wohl auch deshalb bis zum Ende des Kalten Krieges gültig. Die Interpretationsmöglichkeiten riefen aber auch Verdächtigungen und Bedenken hervor. Diese reichten von Befürchtungen, die USA würden im Kriegsfall ihre Nuklearwaffen gar nicht einsetzen, bis hin zu Vermutungen, sie würden versuchen, einen Nuklearkrieg auf Europa zu begrenzen und dabei zerstören, was angeblich verteidigt werden soll.

Deutlich wurde dies vor allem an der Frage, wie ein nuklearer Ersteinsatz aussehen solle. Zwei idealtypisch unterschiedene Konzepte können dies illustrieren: Aus Sicht der USA wäre es logisch, die nukleare Schwelle so spät wie möglich zu überschreiten, um Schaden von ihrem Territorium abzuwenden. Die Folge wäre das Konzept eines späten, massiven taktischen Nuklearwaffeneinsatzes, um eine Niederlage der NATO-Verteidigung zu verhindern und die Fähigkeit, den Gegner erfolgreich zu bekämpfen, wiederherzustellen. Dies hätte massive Zerstörungen auf deutschem Territorium zur Folge gehabt. Das Gegenmodell - aus deutscher Perspektive - : Ein sehr frühzeitiger Einsatz weniger, weitreichender, zielgenauer Nuklearwaffen gegen Ziele tief in der UdSSR könnte beiden Nuklearmächten bewusst machen, dass ihr Territorium kein Sanktuarium bleiben würde, und eine frühzeitige Kriegsbeendigung ermöglichen. Zwischen beiden Vorstellungen gab es genug Spielraum, um bei NATO-Übungen der siebziger und achtziger Jahre für alle akzeptable Szenarien zu entwickeln. Der Ernstfall trat zum Glück nie ein.

Sowohl die Diskussion über die von den USA gewünschte Einführung der Neutronenwaffe für atomare Kurzstreckensysteme Ende der siebziger Jahre als auch die Debatte über die von der Bundesrepublik propagierte Einführung bis tief in die UdSSR reichender nuklearer Mittelstreckenwaffen (Pershing II und Marschflugkörper) können in ihrer Genese auch vor dem Hintergrund unterschiedlicher Interpretationen der NATO-Strategie betrachtet werden. Beide Diskussionen lösten heftige öffentliche Proteste aus, aber auch eine intensive öffentliche Debatte. Diese brachte erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Einzelheiten über das nukleare Potenzial der NATO, deren Strategie und Einsatzplanung in eine breitere Öffentlichkeit und warf weiter gehende Fragen auf: Ist das Nuklear- und Abschreckungskonzept der NATO glaubwürdig? Kann eine komplexe Industriegesellschaft mit all ihren immanenten Risiken überhaupt nuklear oder militärisch erfolgreich "verteidigt" werden?

Der Weg der neunziger Jahre

Michail Gorbatschows Einsicht, dass ein neuer Rüstungswettlauf nicht im Interesse und in den Möglichkeiten der UdSSR liege, der Erfolg bei den Genfer INF-Verhandlungen 1987 und natürlich das Ende des Kalten Krieges mit dem Fall der Mauer und dem Zerfall der Warschauer Vertragsorganisation veränderten die sicherheitspolitischen Voraussetzungen in Europa dramatisch.

Tausende taktischer Atomwaffen wurden im Rahmen der gegenseitig-einseitigen Abrüstungsverpflichtungen der Präsidenten Bush, Gorbatschow und Jelzin 1991/92 abgezogen. Die Zahl der in Europa gelagerten Atomwaffen der USA sank bis Juli 1992 auf rund 700 und Mitte der neunziger Jahre auf etwa 480. Geplante Modernisierungsvorhaben für taktische Atomwaffentypen in Europa wurden schrittweise gestoppt.

Die Veränderungen spiegelten sich auch in den Beschlüssen zur NATO-Strategie wider: Der Londoner NATO-Gipfel 1990 versprach, "das niedrigste und stabilste Niveau nuklearer Kräfte an(zu)strebe(n), das zur Kriegsverhütung nötig ist", und eine neue NATO-Strategie, "die Nuklearkräfte wahrhaft zu Waffen des letzten Rückgriffs (last resort) macht". Der Zweck nuklearer Waffen werde politisch sein und in der Kriegsverhinderung liegen.

Seither wurden die NATO-Strategie in den neunziger Jahren zweimal und das zugehörige militärische Implementierungsdokument dreimal überarbeitet, dabei aber im Kern die Rolle nuklearer Waffen nur wenig verändert, sondern lediglich deren Existenz mit wechselnder Wortwahl neu legitimiert.

Im Herbst 1991 beschloss die NATO in Rom ein neues strategisches Konzept, kurz darauf, am 13. Dezember 1991, das militärische Strategiedokument MC 400. Ergänzt wurden diese 1992 durch ein Dokument über die "Politischen Prinzipien für Nukleare Planung und Konsultation". Als "höchste Garantie der Sicherheit des Bündnisses" werden weiter die strategischen Nuklearwaffen auf U-Booten erachtet, welche die USA und Großbritannien der NATO im Konfliktfall assignieren würden. Die in Europa stationierten substrategischen Nuklearwaffen sind ein Bindeglied und sollen sicherstellen, dass sich die Europäer breit an den Risiken, Rollen und Aufgaben sowie den Verantwortlichkeiten der NATO-Nuklearstrategie beteiligen. "Angemessene Kräfte in Europa" sollen bleiben. Die Umstände, "unter denen irgendein Einsatz nuklearer Waffen in Erwägung gezogen werden müsste", seien "noch unwahrscheinlicher" geworden. Als letztes Mittel werden die Nuklearwaffen allerdings nun nicht mehr bezeichnet.

Die bekannt gewordenen Inhalte der MC 400 verdeutlichen, dass wesentliche Teilelemente der Strategie der flexiblen Erwiderung auch über den Kalten Krieg hinaus weiter gelten, so die Option des nuklearen Ersteinsatzes und das Ziel, den potenziellen Gegner über die eigene Reaktion im Unklaren zu lassen. Neu hinzugekommen ist die starke Betonung der potenziellen Rolle von Nuklearwaffeneinsätzen zur Erzwingung einer Kriegsbeendigung. Vorbedacht nötigend, diskriminierend und maßvoll müsse vor allem ein Ersteinsatz sein, der sich gegen militärische Ziele hohen Wertes möglichst auf dem Territorium des Angreifers richten müsse, ohne dessen Niederlage anzustreben. Das Potenzial der NATO müsse groß genug sein, um eine Vielzahl von Zielen in unterschiedlicher Entfernung unter Risiko zu halten, für die aber keine feste Zielplanung mehr erforderlich sei. Während der Überarbeitungen der MC 400 zur MC 400/1 im Jahre 1996 und zur MC 400/2 1999 bemühten sich die USA, die Rolle nuklearer Waffen in der NATO analog zu den Entwicklungen in ihrer nationalen Strategie für Einsätze zur Bekämpfung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen zu öffnen, scheiterten aber an europäischen Widerständen.

Die nuklearen Strukturen der NATO bestehen weiter - seit 1995 weitgehend unverändert. Die USA und Großbritannien halten weiter mit strategischen Atomwaffen bewaffnete U-Boote für die NATO bereit, die im Krisenfall durch seegestützte Marschflugkörper verstärkt werden können. Noch Ende 2000 autorisierte US-Präsident Bill Clinton erneut die Stationierung von 480 nuklearen Fliegerbomben in Europa. 150 dieser Waffen sollen auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein lagern, 20 im Rahmen der nuklearen Teilhabe auf dem Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel in der Eifel. Der Einsatz dieser Waffen kann im Kontext von NATO-Einsätzen erfolgen. Zudem behalten sich die USA im Rahmen ihrer nationalen Strategie einen Einsatz durch US-Streitkräfte bei Einsätzen außerhalb der NATO zum Beispiel im Nahen und Mittleren Osten vor.

Militärisch hat sich die Fähigkeit der Bundeswehr, Atomwaffen mit eigenen Trägersystemen einzusetzen, zu einem Anachronismus entwickelt. Es gibt schlicht keinen Bedarf und keine Ziele mehr. Nur: Offen sagt man dies nicht. Denn politisch lautet die Befürchtung, man spiele Mikado: Wer zuerst am Sinn der atomaren Waffen in Europa zweifle und sich in dieser Frage bewege, Washington oder Berlin, der stelle die transatlantische Nuklearsolidarität in Frage und habe schon deshalb verloren.

Fraglich ist jedoch, wie lange das Thema ein Tabu bleiben kann. Am 2. Mai 2005 begann in New York die Überprüfungskonferenz für den NVV. Es droht Streit, der den Vertrag deutlich schwächen könnte. Während die USA primär über strengere Vorkehrungen zur Verhinderung der Proliferation reden wollen, möchten viele nichtnukleare Mitglieder auch über konkrete Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung reden. Die Mehrheit der 188 Mitglieder des Vertrages, die nichtpaktgebundenen Staaten, zweifeln an der Rechtmäßigkeit der nuklearen Teilhabe in der NATO und dürften diese Frage erneut ansprechen. Die Bundesregierung konnte sich jedoch nicht entscheiden, die Fähigkeit der Luftwaffe, Nuklearwaffen aus US-Beständen einzusetzen, zur Disposition zu stellen und damit ihrerseits zur Stärkung des NVV beizutragen. Die FDP dagegen scheint die Bundesregierung zur Stellungnahme zwingen zu wollen. Sie hat am 13. April einen Antrag eingebracht, der die Bundesregierung auffordert, in Washington einen Abzug der in Deutschland lagernden Atomwaffen zu erwirken und so der NVV-Konferenz ein eigenes Signal atomarer Abrüstungsbereitschaft zu geben. Man darf gespannt sein, wie die Bundesregierung reagiert. Denn die Luftwaffe plant im kommenden Jahrzehnt, ihre nuklearfähigen Tornado-Flugzeuge durch nichtnukleare Jets vom Typ Eurofighter abzulösen. Es gebe keine Absicht, den Eurofighter nuklearfähig zu machen, so Staatssekretär Walter Kolbow im Juli 2004 im Bundestag. Die Frage stellt sich, wann die Bundesregierung Farbe bekennt: In den nächsten Wochen oder erst in zehn Jahren?

Fussnoten

Fußnoten

  1. Office of the Assistant Secretary of Defense (Atomic Energy), History of the Custody and Deployment of Nuclear Weapons - July 1945 through September 1978, Washington, DC, Februar 1978, S. B-6f. (ehem. Top Secret).

  2. Vgl. Chuck Hansen, The Swords of Armageddon, Sunnyvale, Cal., CD-Rom, o.J., Vol. VI and VII, S. IV-4 - IV-473.

  3. Vgl. Hans M. Kristensen, U.S. Nuclear Weapons in Europe, Washington, DC, Februar 2005, S. 24.

  4. Vgl. Gregory W. Padlow (Hrsg.), NATO-Strategy Documents 1949 - 1969, NATO International Staff Central Archives, Brüssel, Oktober 1997; Robert A. Wampler, NATO Strategic Planning and Nuclear Weapons 1950 - 1957, Nuclear History Program, Occasional Paper 6, University of Maryland, 1990.

  5. Basic National Security Policy, NSC 162/2, Washington, DC, 30. 10. 1953, in: Foreign Relations of the United States (FRUS) 1952 - 1954, Vol. 2, National Security Affairs, S. 585f. und 593.

  6. G. W. Pedlow (Anm. 4), S. 231ff.

  7. Zit. in: Die Welt vom 6. 5. 1955.

  8. Vgl. Axel F. Gablik, Strategische Planungen in der Bundesrepublik Deutschland 1955 - 1967: Politische Kontrolle oder Militärische Notwendigkeit?, Baden-Baden 1996; Helga Haftendorn, Kernwaffen und die Glaubwürdigkeit der Allianz: Die NATO-Krise von 1966/67, Baden-Baden 1994.

  9. Aufgrund dieser Geschichte wird der NVV in Deutschland zumeist als Atomwaffensperrvertrag bezeichnet.

  10. Vgl. Otfried Nassauer, Nur eine Frage der Verfügungsgewalt?, Berlin, März 2000.

  11. Vgl. Susanne Peters, The Germans and the INF Missiles, Baden-Baden 1990.

  12. INF = Intermediate Range Nuclear Forces.

  13. Vgl. NATO, The Alliances New Strategic Concept, Rome, 7. 11. 1991, NATO-Press Service S-1(91)85.

  14. Vgl. Otfried Nassauer, Die NATO - Aufbruch zu neuen Ufern?, in: Erich Schmidt-Eenboom/Jo Angerer, Siegermacht NATO, Berg 1993, S. 54ff.

  15. Vgl. Martin Butcher u.a., Nuclear Futures - Western European Options for Nuclear Risk Reduction, Berlin-Washington, DC, Dezember 1998, Kapitel 5.

  16. Vgl. H. M. Kristensen (Anm.3), S.8-12, 37-42. Kristensen zeigt auch eine wesentliche Änderung auf:die beratende Rolle, die das Strategic Command der USA bei der Planung nuklearer Gefechtsfeldoperationen z. B. bei der Bekämpfung von proliferationsrelevanten Zielen nunmehr gegenüber dem European Command hat, das vorher dafür weitgehend alleine zuständig war.

  17. Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksachen 15/5257 und 15/5254.

  18. Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 15/3609, S. 27.

geb. 1956; freier Journalist und seit 1991 Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS). Rykestr. 13, 10405 Berlin. www.bits.de