Einleitung
Wie geht's der Familie? Diese Frage beantworten wir im privaten Bereich in der Regel mit "gut". Zögerlich ist unsere Antwort, wenn wir auf die Gesamtheit angesprochen werden. Wir agieren verhalten, weil pessimistische Diskurse über Lasten, Zerfall und Bindungsschwächen seit langem die öffentliche Meinung prägen. Die Statistik scheint den Skeptikern Recht zu geben, von den Scheidungsziffern bis zu den Armutsquoten. Negative Phänomene sind nicht klein zu reden oder gar zu leugnen: Deutschland ist nicht familienfreundlich. Unsere Gesellschaft leistet sich seit Jahrzehnten keine wirkungsvolle Familienpolitik. Dazu trägt entscheidend eine bemerkenswerte Ignoranz der Eliten bei, insbesondere in Wirtschaft und Medien.
Dessen ungeachtet gibt es keine Beliebigkeit der Lebensformen oder eine Abkehr von der Familie. Selbst wenn wir ein überholtes Bild von Familie anlegen und als "Familie" lediglich erziehende Eltern mit Kindern definieren, hat sich die absolute Zahl in den vergangenen 40 Jahren kaum verringert. Der Familienbegriff der Bevölkerung hat sich erweitert, einbezogen werden heute (Groß-)Eltern, Schwiegereltern, Geschwister und Enkel. Demoskopische Befunde bestätigen die Thesen des Soziologen Hans Bertram, der vor einigen Jahren die Entwicklung auf den Begriff der "multilokalen Mehrgenerationenfamilie" gebracht hat.
Die mit Abstand häufigste Lebensform ist die traditionelle Familie - anders als früher mehrheitlich versehen mit neuen Leitbildern, was Geschlechter- und Kinderrollen betrifft. Die Einsicht in die Stabilität der Familie deckt sich mit dem, was wir über die Wünsche der Menschen wissen. Die Bindungslosigkeit hat in den vergangenen Jahren nicht zugenommen. Eine repräsentative Jugendstudie belegte im Februar 2005 einmal mehr, dass bei den 13- bis 22-Jährigen die eigene Familie (neben den Freunden) oberste Priorität hat. Diese Aussage gilt auch für die Erwachsenen beiderlei Geschlechts; "am wichtigsten" ist ihnen die Familie, weit vor dem Beruf und anderen Bereichen. Der Trend zu einer positiven Bewertung nimmt bei allen Altersgruppen auf hohem Niveau zu. Mehr als je zuvor sind die Befragten mit der eigenen Familie zufrieden, nie gab es ein besseres Klima zwischen den Generationen. In den über Jahrzehnte laufenden Datensätzen im Allensbacher Archiv sind dafür auch gute Gründe zu finden: Die Familie bietet als zuverlässigstes soziales Netz deutlichen Rückhalt, materiell wie immateriell.
Mehr Kinder als in den anderen Phasen seit Ende des 19. Jahrhunderts leben bei beiden leiblichen Eltern bis zu ihrem 18. Geburtstag. Diese Eltern verbringen darüber hinaus mehr Zeit mit ihren Kindern als jene früherer Altersjahrgangsgruppen. Ebenfalls gab es in Deutschland nie zuvor so viele Ehen, die bereits vierzig Jahre und länger halten. Die Scheidungen treffen mehrheitlich Paare ohne Kinder und die große Mehrzahl der Geschiedenen ist nach wenigen Jahren - "erfolgreich(er)" - wieder verheiratet. Die Zufriedenheit in Patchwork-Familien ist nicht geringer als in herkömmlichen Familien. Selbst die materielle Situation entspricht nicht den Zerrbildern, die in vielen Köpfen existieren. Das durchschnittliche Netto-Einkommen von Familien ist von 1995 bis 2004 gestiegen, und zwar stärker als das der Gesamtbevölkerung, auch bedingt durch die Kindergelderhöhungen 1995 und 1998. Die Steuerentlastungen der vergangenen Jahre haben Familien stärker entlastet als Kinderlose. Zwei-Eltern-Familien sind nicht häufiger von Armutsrisiken bedroht als Paare ohne Kinder. Zwar sind Sorgen und materielle Not in Familien verbreitet, aber die Familien sind nicht per se finanziell schlechter gestellt: Kinder machen nicht automatisch arm. Die pessimistischen und belastenden Bilder demotivieren. Es wäre klüger, mehr über Chancen und Potenziale zu sprechen, Stabilität und Elastizität nüchtern in Rechnung zu stellen. Das allein reicht allerdings nicht aus. Wer Deutschland zum "familienfreundlichsten Land in Europa" machen will, muss zunächst die alte Familienpolitik überwinden, die Reduzierung auf staatliche Verantwortung beenden und das Thema aus der politischen Randständigkeit führen. Ob das gelingen wird, ist offen. Es gibt aber ermutigende Fortschritte, die in manchen Leitmedien auch aufmerksam registriert werden.
Wechsel zur nachhaltigen Familienpolitik
Parallel zur Agenda 2010 ist in der Familienpolitik nicht weniger als ein Politikwechsel eingeleitet und mit jener verknüpft worden. Der über fünf Jahrzehnte in Deutschland (West) verinnerlichte Dreisatz lautete: 1. Der Staat muss den Familien, 2. mehr Geld geben und zwar 3. möglichst allen gleichermaßen. Viel Geld wurde auf diese Weise in guter Absicht ausgegeben, von christdemokratisch wie sozialdemokratisch geführten Regierungen. Diese veraltete Familienpolitik war Bestandteil einer gemeinsamen Sozialstaatslogik, beachtlich im finanziellen Volumen, aber gering geschätzt im Ranking der Hauptakteure. Unter vielen "Progressiven" wurde Familienpolitik lange nur als Fußnote von sozialer Gerechtigkeit und Gleichstellung geduldet. Bei den "Konservativen" verstellte ebenso lange ein archaisches Verständnis von Geschlechterrollen und Familienleben den Blick auf mehrheitliche Lebenswünsche in der Bevölkerung. Die einen sorgten sich bisweilen folkloristisch um die "heile Familie" und kümmerten sich wenig um neue Realitäten. Die anderen sahen in der Familie vorrangig einen Ort, wo Menschen, Frauen und Kinder zumal, an Emanzipation gehindert wurden.
In den großen Volksparteien beginnen sich inzwischen neue Denkmuster zu etablieren, noch nicht überall, aber doch in weiten Teilen.
Mit dem im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Herbst 2002 vorgenommenen Führungswechsel wurde ein neuer Kurs in der Familienpolitik eingeleitet, der in den Grundzügen auch von Teilen der CDU bestätigt wird.
Wie viel genau für Familien und Kinder ausgegeben wird, weiß in Deutschland niemand. Je nach Rechenart und Einbezug von indirekten Förderungen einerseits, Sachleistungen der Gebietskörperschaften unterhalb der Länderebene andererseits belaufen sich die Schätzungen von Finanzministerium, Bundesbank oder Wirtschaftsinstituten auf sehr hohe zwei- oder gar dreistellige Milliardenbeträge. Ob eine umfassende Familienkasse nicht nur mehr Übersichtlichkeit für Eltern, sondern auch mehr Effizienz herstellen könnte, das wird im Augenblick im Familienministerium geprüft.
Das neue Konzept heißt nachhaltige Familienpolitik. Die Bundesregierung vertritt dabei offensiv fünf Indikatoren für Nachhaltigkeit: Geburtenrate, Vereinbarkeit, Armutsrisiko, Bildungsniveau und Erziehungskompetenz.
Nachhaltige Familienpolitik hebt die Alternative "Betreuung" oder "Mehr Geld" im Denken und Handeln auf. An die Stelle der bipolaren Haltung tritt ein anspruchsvoller Mix, der die Kategorien Infrastruktur, Zeit und Geld optional mit Angeboten füllt. Die Kombination orientiert sich an dem, was sich im Inland, vor allem aber in vergleichbaren anderen Ländern bewährt hat. Aus gutem Grund ist der siebte Familienbericht stärker international vergleichend angelegt als die Vorgängerberichte. Neben wichtigen Erfahrungen ist zu berücksichtigen, was wir verlässlich über die Wünsche der Menschen wissen.
Familie bringt Gewinn
Es gibt diverse gute Gründe, möglichst viel für Familien zu tun. Die gleichen Massenmedien, die diese Aussage von Zeit zu Zeit millionenfach - häufig skandalisierend - verbreiten, schweigen sich über Vorhaben und Maßnahmen in der Familienpolitik weitgehend aus.
Im August 2003 erschien eine Expertise der Prognos AG, die ebenfalls zum ersten Mal eine betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachte. Gemeinsam mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHT) waren im Auftrag des BMFSFJ zehn "typische" mittelständische Unternehmen ausgesucht worden. Auf der Grundlage ihrer Controllingdaten wurden familienfreundliche Maßnahmen hinsichtlich ihrer Effekte geprüft. Wer in "Familienfreundlichkeit" investiert, kann damit eine Rendite von bis zu 25 Prozent erreichen - lautete das Ergebnis. Der Präsident des DIHT, Georg Ludwig Braun, dessen Unternehmen sich beteiligt hatte, bezifferte beispielsweise den Gewinn der B. Braun Melsungen AG auf jährlich etwa 350 000 Euro. Betriebliche Einsparpotenziale ergeben sich überwiegend aus Kosten für Überbrückung, Fluktuation, Wiedereingliederung oder Neubesetzung. Den Modellrechnungen liegen eher vorsichtige Annahmen zugrunde. Schwer messbare Faktoren, wie z.B. die Erhöhung der Motivation oder Identifikation der Belegschaft mit dem Unternehmen, wurden ebenso wenig berücksichtigt wie ein möglicher Imagegewinn. Ein handlungsorientierter Leitfaden für mittelständische Betriebe wurde in der Folge von den Unternehmen stark nachgefragt - 50 000 Stück sind von ihnen angefordert und bereits vertrieben worden - und deshalb neu aufgelegt.
In den Jahren 2004 und 2005 folgten ergänzende Untersuchungen in 18 ausgesuchten Handwerksbetrieben sowie acht Großunternehmen, darunter die Voith AG des BDI-Chefs Michael Rogowski und die Bertelsmann AG als Neueinsteigerin in diesem Feld. Die Beteiligten brachten nicht nur finanzielle Mittel in die Kooperation ein, sondern auch ihr Wissen im Personalmanagement. Die Zahl der beteiligten Firmen am Unternehmenswettbewerb Erfolgsfaktor Familie steigerte sich 2004 um mehr als das Fünffache, womit der bislang übliche enge Kreis durchbrochen wurde. Zum ersten Mal nahm der Bundeskanzler im Frühjahr 2005 die Auszeichnungen vor. Beteiligung wie Aufmerksamkeit am Audit "Beruf und Familie" - womit eine familienbewusste Firmenpolitik per Zertifikat anerkannt wird - sind 2004 erheblich gestiegen. Das von der Hertie-Stiftung betriebene Projekt, das ein solches Gütesiegel vergibt, baut seine Initiative erkennbar aus. Im Auftrag der Bertelsmann Stiftung ist ein neuartiges Portal "Mittelstand und Familie" entwickelt worden, über das sich Betriebe gebrauchswertorientiert informieren können.
Das Repertoire an familienfreundlichen Maßnahmen ist groß, wird aber zu oft noch auf die Gestaltung der Arbeitszeit verengt. Flexible Arbeitszeiten werden von drei Viertel der Unternehmen angeboten. Ungeachtet dessen wünscht sich dabei eine Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein erweitertes Angebot.
Erstmals trat im November 2003 mit Bert Rürup ein Wirtschaftssachverständiger auf, der für das BMFSFJ in einem Gutachten demographische und ökonomische Gesichtspunkte systematisch mit einer Familienpolitik neuer Art verknüpfte. Andere namhafte Ökonomen sind ihm seither in der strategischen Bewertung gefolgt, darunter Wolfgang Franz (ZEW), Michael Hüther (IW) sowie Axel Börsch-Supan (MEA). Sie haben den hohen Stellenwert von Familienfreundlichkeit für die Pflege der Humanressourcen entdeckt und bezeichnen eine nachhaltige Familienpolitik als interessanten Wachstumspfad. So sieht dies mittlerweile auch der BDI in einem Strategiepapier, das gemeinsam mit dem BMFSFJ erarbeitet und im November 2004 vorgestellt wurde. Woraus das viel beschworene familienfreundliche "Klima" bestehen kann, entschlüsselte im Januar 2005 ein so genannter Familienatlas, der von der Prognos AG, der Wochenzeitung "Die Zeit" und dem BMFSFJ erarbeitet und vorgestellt wurde. Anhand statistischer Maßzahlen beschreibt die Studie die Bedingungen, die alle 439 Kreise und kreisfreien Städte Familien bieten.
Diverse Städte von Potsdam bis Stuttgart kündigten Anfang 2005 auch unter Bezug auf den Familienatlas verstärkte Bemühungen zur Verbesserung der Familienfreundlichkeit an. Der öffentliche Sektor ist in erster Linie für die Finanzierung der Infrastruktur zuständig, wobei Unternehmen diese vielfältig unterstützen können. Wohlfahrtsverbände und andere Einrichtungen sollten sich nach englischem Vorbild verstärkt um innovative Zentren in den Stadtteilen kümmern, in denen Kinderbetreuung, Familienberatung, Gesundheitshilfen und Ähnliches konzentriert angeboten werden. Tagesmütter müssen künftig in hoher Zahl rekrutiert, qualifiziert und vermittelt werden. Die möglichen Konturen einer neuen Generation von Dienstleistungen - Haushaltshilfen, Fahrdienste, Einkaufsservice etc. - werden erst langsam erkennbar. Die langfristige Attraktivität dieses Sektors für die Volkswirtschaft einerseits sowie für die Unternehmen als personal freundliche Arbeitgeber und für den Staat andererseits ist noch nicht abzusehen.
Allianz für die Familie
In der Bundesregierung gibt es seit 52 Jahren ein Ressort Familie, in wechselnder Kombination mit anderen Bereichen. Als Bonmot bleibt in Erinnerung, dass selbst Gerhard Schröder das Ressort einmal leichtfertig mit dem Etikett "Frauen und das ganze Gedöns" versehen hat. Die Wortwahl war wenig charmant, gleichwohl nicht ohne Hintergrund. In der Rangordnung zugemessener Bedeutung war das Ministerium über die Jahrzehnte überwiegend nachgeordnet, unabhängig davon, welche Person aus welcher Partei es gerade führte. Das heutige BMFSFJ ist das kleinste Ministerium mit wenig Personal, wenig Geld und wenig gesetzlicher Kompetenz. Wie lässt sich mit einer derartigen Situation erfolgsorientiert umgehen?
Die überwiegend praktizierte Strategie bestand bisher darin, die geringen Spielräume rhetorisch als "Querschnittspolitik" zu verbrämen. Das bedeutete, mit den begrenzten Mitteln in der Art eines Betriebsrates zu agieren, sich gelegentlich - mit mehr oder weniger Erfolg - in das einzumischen, was stärkere Ressorts betrieben und ansonsten spezialisierte (Fach-)Öffentlichkeiten mit Modellprojekten zu bedienen.
Die neue Familienpolitik folgt anderen Regeln. Eine strategische Partnerschaft wird auf der Grundlage gemeinsamer Interessen laufend weiterentwickelt: Im wachsenden Kreis der Unterstützer aus Wirtschaft und Gewerkschaften erfolgte seit Anfang 2003 eine informelle Verständigung auf Eckdaten eines gemeinsamen Verständnisses von familienfreundlicher Politik, die grundsätzlich auch von den Kirchen sowie von den Wohlfahrts- und Familienverbänden begrüßt wird. Als vitale Plattform für gemeinsame Aktivitäten wurde die "Allianz für die Familie" eingerichtet.
Auch andere politische Maßnahmen, die auf eine neue Zentrierung finanzieller Leistungen zielen, finden gesellschaftliche Unterstützung. Dazu gehört zum Beispiel seit Januar 2005 der Kinderzuschlag für Geringverdienende, der mit seinem Prinzip "Fordern und Fördern" der Logik der Agenda 2010 folgt. Darunter fällt auch die Überlegung, bei Beibehaltung der Elternzeit an die Stelle des Erziehungsgeldes ein Elterngeld nach dem erfolgreichen Muster insbesondere Schwedens zu setzen. Das Erziehungsgeld, das der Höhe nach einer Fürsorgeleistung entspricht, stellt keine befriedigende Antwort auf die Frage nach Sicherung von Einkommen und Lebensstandard nach der Geburt eines Kindes dar. Konträr zum neuen Leitbild der Allianz-Partner verstetigte die bisherige Regelung Rollen, die von vielen Vätern wie Müttern nicht mehr geteilt werden. Anfang 2006 wird das BMFSFJ eine Vorlage für das Bundeskabinett einbringen, die ein Elterngeld vergleichbar dem Arbeitslosengeld I beinhaltet. Die Zustimmung reicht von den Spitzen des DGB und des BDA bis zur Zeitschrift "Emma"; die Umwandlung in ein einkommensabhängiges Elterngeld wird zudem von 68 Prozent repräsentativ Befragter befürwortet.
Gesetze verändern die Wirklichkeit nur begrenzt. Die vom Bund gestiftete Allianz verfügt über einen beträchtlichen operativen Unterbau. In den lokalen "Bündnissen für Familie" konkretisiert sich das neue Politikverständnis, das Familienpolitik als gemeinsames zivilgesellschaftliches Handeln versteht. Nach altem Stil wäre eine Hand voll Modellprojekte für zwei bis drei Jahre eingerichtet worden. Eine wissenschaftliche Evaluation wäre dann gefolgt und im vierten oder fünften Jahr hätte eine unverbindliche Empfehlung an Kommunen und andere Akteure das Projekt abgeschlossen. Stattdessen erging Ende 2003 der mit starken gesellschaftlichen Partnern abgestimmte Auftrag an ein Servicebüro, flächendeckend Bündnisse zu sammeln bzw. beim Aufbau zu beraten. Knapp anderthalb Jahre später gibt es rund 150 Bündnisse, an weiteren 150 Standorten wird die Gründung neuer vorbereitet. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat sich als aktiver Partner der Bündnisfamilie erklärt. In mehr als 80 Prozent der Orte wirken Wohlfahrtsverbände oder Familienverbände mit. Neu ist, dass sich auch schon weit mehr als 1000 Unternehmen engagieren und mehr als die Hälfte der Industrie- und Handelskammern.
Die neuen Verbündeten und die neuen Argumente sind wichtig. Ohne sie, kein Zweifel, wird das Unternehmen "Familienfreundlichkeit" nicht gelingen. Ob es mit ihnen gelingt, ist allerdings noch lange nicht entschieden. Manchen Angehörigen der Eliten ist "Familie" als gesellschaftliches Thema so fremd, dass sie lieber nur von "Bildung" oder von "Kindern" sprechen. Für einen möglichen Erfolg spricht jedoch die reizvolle Rezeptur der nachhaltigen Familienpolitik. Sie beruht auf einer ungewöhnlichen Mischung aus ökonomischer Rationalität und moralischer Verantwortung, aus Gleichstellungszielen und Wertkonservatismus.
Ein erster wichtiger Schritt war das Gesetz zum Ausbau der Kinderbetreuung, Ende 2004 verabschiedet, mit dem das westeuropäische Niveau erreicht werden soll. Im Jahr 2005 geht es um die Weiterentwicklung des Kinderzuschlags, ein Gesetz zum Elterngeld, die Prüfung einer Familienkasse mit Lotsenfunktion für Eltern und um Änderungen im Hinblick auf die Steuerklassen. Bis Ende 2006 haben sich die gesellschaftlichen Partner die Maßzahl von mindestens 400 Lokalen Bündnissen gesetzt, in deren Einzugsgebiet zwei Drittel der deutschen Bevölkerung leben werden. Im wirtschaftsbezogenen Kern der Allianz will man sich in den nächsten beiden Jahren insbesondere auf Unterstützung der Kinderbetreuung sowie auf den beruflichen Wiedereinstieg von Eltern konzentrieren. Wissenschaftliche Institute, die den Arbeitgebern bzw. dem DGB nahe stehen, arbeiten an Empfehlungen für Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge. Aus Frankreich stammt schließlich die Idee, regelmäßig Rechenschaft abzulegen und eine weitere Agenda zu verabreden. Die so genannte "Familienkonferenz" ist im Nachbarland eine Einrichtung, zu der dort der Premierminister einlädt. In Deutschland wird der 1. Deutsche Familientag am 15. Mai 2006 in Berlin stattfinden.