Einleitung
Nachhaltige Familienpolitik begründet ihren Anspruch auf Gestaltung der Rahmenbedingungen familiären Lebens mit dem Grundsatz, zukünftigen Generationen die gleichen Chancen zur Gestaltung eigener Lebensvorstellungen und Ziele zu ermöglichen, wie das für die jetzt aktive Generation der Fall ist.
Als Ziele einer nachhaltigen Familienpolitik nennt Bert Rürup die Sicherung einer ausreichenden Kinderzahl, um der Alterung der Gesellschaft vorzubeugen, und die Integration der Frauen in das Erwerbsleben, um einem antizipierten Mangel an Fachkräften entgegenwirken zu können.
Dies ist schon deshalb notwendig, weil die geringe Geburtenrate in Deutschland nicht allein durch hohe Kinderlosigkeit erklärt werden kann. Eine Aufgliederung der Geburtenrate in ihre Anteile an ersten, zweiten, dritten und vierten Kindern macht deutlich, dass der Geburtenrückgang in Deutschland wie in den USA und vielen europäischen Ländern das Ergebnis des Verschwindens der Mehrkinderfamilie ist. Aus der folgenden Graphik wird ersichtlich, dass sowohl in den USA als auch in Deutschland 80 von 100 Frauen ein erstes Kind bekommen, die Kinderlosigkeit beträgt 20 Prozent. Jedoch entscheiden sich in den USA auch 50 von 100 Frauen für dritte und weitere Kinder, in Deutschland treffen diese Entscheidung nur halb so viele Frauen, was sich deutlich in der Geburtenrate TFR (=Totale Fruchtbarkeitsrate) widerspiegelt (vgl. Abb. 1 der PDF-Version).
Kinderwunsch
Diese Differenziertheit unterstreicht die Notwendigkeit nachhaltiger Familienpolitik, unterschiedliche Lebensvorstellungen und Planungen zur Familiengründung und -erweiterung zu unterstützen. Jedoch ist der Kinderwunsch keine statische Größe, sondern abhängig von Lebensumständen und Zukunftsvorstellungen.
Die Hypothese, die Kinderlosigkeit sei Ergebnis gestiegener Opportunitätskosten und eine Senkung dieser Kosten führe automatisch zu einer Vergrößerung der Zahl der Frauen, die sich für Kinder entscheiden würden, entspricht der ökonomischen Argumentation zur Sicherung der Rente: Durch die Senkung der Kosten für die einzelne Arbeitsstunde wird eine Vergrößerung des Arbeitsangebots und damit eine Zunahme der Beitragszahler erhofft. Selbst wenn den Unternehmen zweckrationales Handeln hinsichtlich der Arbeitsangebote unterstellt wird, ist doch davon auszugehen, dass die Ausweitung des Arbeitsangebotes auch von den Zukunftserwartungen der Unternehmer abhängt.
Über die Zukunftserwartungen der jungen Erwachsenen sagt diese Theorie überhaupt nichts aus. Jedoch ist ohne eine Analyse und Begründung, warum die geänderten Opportunitätskosten die Zukunftserwartungen beeinflussen sollen, noch nicht einmal davon auszugehen, dass der bescheidene Effekt des Rückgangs der Kinderlosigkeit auf das niedrigere Niveau Frankreichs eintritt und dadurch eine Erhöhung der Geburtenrate um 0,1 Kinder auf durchschnittliche 1,5 Kinder pro Frau erwartet werden könnte.
Folgt man nicht dieser Theorie, sondern den demographischen Analysen des US Bureau of Census zu den Ursachen der zunehmenden Kinderlosigkeit in den USA, wird deutlich, dass möglicherweise nicht die Opportunitätskosten das zentrale Problem sind, sondern ein Grundwiderspruch zwischen der Entwicklung des individuellen Humankapitals - gemeint ist das durch Bildung erworbene Leistungspotenzial eines Menschen - und der Entwicklung der Ressourcen für dieses Humankapital: Je mehr in die individuelle Bildung investiert wird, um so unwahrscheinlicher ist die Entscheidung für Kinder, insbesondere für mehrere Kinder. Nach den Zahlen des Mikrozensus, einer repäsentativen Erhebung durch das Bundesamt für Statistik, gilt das im Übrigen auch für Deutschland.
Bei genauerer Betrachtung der Kinderlosigkeit US-amerikanischer Frauen im Alter zwischen 40 und 44 Jahren und dem Vergleich mit Deutschland sind die Ausbildung und die erreichte Berufsposition die beiden zentralen Faktoren für die individuelle Entscheidung, ohne Kinder zu leben: Hoch qualifizierte Amerikanerinnen, die das akademische Ausbildungssystem durchlaufen haben, weisen mit 27 bis 30 Prozent eine Quote von Kinderlosigkeit auf, die sich in dieser Altersgruppe von Deutschland (mit etwa 27 Prozent) nur geringfügig unterscheidet (Vgl. Abb. 2 der PDF-Version).
Ähnliches gilt auch für die erreichte Berufsposition: Frauen in den höchsten Berufspositionen weisen auch die höchste Quote der Kinderlosigkeit auf, und zwar sowohl in den USA als auch in Deutschland.
Die Entwicklung persönlicher Bildungsvorstellungen und die Investitionen in das eigene Humankapital haben die Handlungsmöglichkeiten und Optionen im Lebensverlauf junger Erwachsener so ausgeweitet, dass sie zwischen unterschiedlichen Präferenzen wählen können. Der deutsch-US-amerikanische Vergleich zeigt, dass sowohl die Ausbildung als auch die erreichte Berufsposition die beiden zentralen Faktoren für die individuelle Entscheidung sind, ohne Kinder zu leben. Eine hoch qualifizierte Ausbildung, beruflicher Erfolg und die Zugehörigkeit zur obersten Einkommensgruppe scheinen nur dann erreichbar zu sein, wenn die berufliche Karriere in den Vordergrund gerückt wird und andere Optionen im Leben wie etwa Kinder zu haben geringer gewichtet werden. Solche Berufspositionen sind in der Regel nur nach härtestem Wettbewerb zu erreichen und die Entscheidung für oder gegen Kinder wird getroffen, wenn man beruflich etabliert ist.
Partnerlos und elternabhängig
Die Entscheidung für ein Kind als Teil der eigenen Zukunft hängt außerdem ganz entscheidend davon ab, ob man diese Zukunft zusammen mit einem Partner gestalten kann. Kinderlosigkeit ist in Deutschland auch das Ergebnis von Partnerlosigkeit oder der antizipierten Unsicherheit der Partnerschaft.
Das "Hotel Mama", Realität insbesondere für die jungen Männer, von denen ein großer Teil erst jenseits des 27. Lebensjahres aus dem Elternhaus auszieht, ist auch einem Unterhaltsrecht geschuldet, das die gesamte Ausbildungsphase der Kinder in die Verantwortung der Eltern legt. Der deutsche Staat betont bei den jungen Erwachsenen die Elternrechte vor allem deswegen, weil er dadurch Kosten spart. Nicht die jungen Erwachsenen selbst erhalten direkte Unterstützung, sondern die Eltern. Dahinter steht eine Vorstellung von Subsidiarität, die davon ausgeht, dass verwandtschaftliche Beziehungen bei Unterstützung und Hilfe letztlich immer der staatlichen Unterstützung voranzugehen haben. Die Konsequenz ist, dass das ökonomische Erwachsenwerden weiterhin an den Berufseintritt gebunden bleibt - mit der Folge, dass bei einer Ausdehnung der Zeit für die Investition in das Humankapital im ersten Drittel des Lebens die Zeit für die Familiengründung schwindet. Daher ist es auch wenig überzeugend zu hoffen, dass die jungen Erwachsenen schon während der Ausbildung Kinder bekommen.
Der Family Fertility Survey
Frankreich und Finnland
Die Familienpolitik in Deutschland hat sich nicht mit der Frage auseinander gesetzt, welche Bedeutung Selbständigkeit und Unabhängigkeit von den Eltern für die Paarbildung und die gemeinsame Zukunftsplanung von jungen Erwachsenen haben. Während in Deutschland die berufliche Selbständigkeit das einzige Kriterium für den unabhängigen Erwachsenen ist, wird in Frankreich auch die Entscheidung für ein Kind als Kriterium von Selbständigkeit und Ablösung vom Elternhaus interpretiert. Wenn sich beispielsweise in Frankreich junge Erwachsene für Kinder entscheiden, jedoch keinen Arbeitsplatz haben, tritt hier die Familienkasse ein. Die Zahlung von Wiedereingliederungshilfen an Arbeitslose, die unter 25 Jahren sind, hängt davon ab, ob diese Kinder haben oder nicht.
Helena Laaksonen hat den Übergang in das Erwachsenenalter in Finnland und Deutschland miteinander verglichen.
Der Unterschied des finnischen und französischen Systems zu dem in Deutschland liegt in der Tatsache, dass junge Erwachsene im System der sozialen Sicherung nicht allein als Kinder ihrer Eltern interpretiert werden und insofern Stipendien, Unterstützung für die Wohnung und andere Sozialleistungen nicht immer an das Einkommen und die finanzielle Leistungsfähigkeit der Eltern gekoppelt werden, sondern im Grundsatz die Option erkennbar ist, jungen Erwachsenen so früh wie möglich die Chance zu geben, auf eigenen Füßen zu stehen.
Präferenzmodelle
Junge Erwachsene stellen jedoch keine in sich homogene Gruppe dar, und auch die Motive und Einstellungen von jungen Frauen unterscheiden sich deutlich von jenen junger Männer: Weibliche und männliche Lebensentwürfe sind verschieden. Schon Elisabeth Pfeil hat 1961 versucht, Mütter entsprechend ihren unterschiedlichen Motiven und Orientierungen für Beruf und Familie in verschiedene Gruppen einzuteilen, um zu verdeutlichen, dass es weder die einheitlich berufsorientierte Frau noch die einheitlich familienorientierte Hausfrau und Mutter gebe, sondern aufgrund individueller Lebensentscheidungen und Lebenserfahrungen höchst unterschiedliche Entscheidungen für ganz ausdifferenzierte Lebensmodelle.
Politische Maßnahmen können jedoch nur dann eine Wirkung erzielen, wenn auch die Vielfalt weiblicher Lebensentwürfe berücksichtigt wird. Wir folgen im Wesentlichen Catherine Hakim von der London School of Economics, die fordert: "Fragt die Frauen".
Mit Hilfe von Daten des Familiensurveys lassen sich im Wesentlichen drei unterschiedliche Präferenzen hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf feststellen,
Die zweitgrößte Gruppe der berufsorientierten Frauen ist zwischen 1995 und 2000 von 26 auf 21 Prozent etwas zurückgegangen. Das ist im Wesentlichen auf die Entwicklung in Ostdeutschland zurückzuführen, wo das adaptive Modell deutlich an Bedeutung gewonnen hat. Ausschließlich berufsorientierte Frauen stellen damit trotz des gestiegenen Bildungsniveaus und der Integration der Frauen in professionelle Berufe auch heute noch eine Minderheit dar. Genau genommen ist der Ausdruck "berufsorientiert" unkorrekt, da der Lebensschwerpunkt dieser Frauen (und auch vieler Männer) lediglich ein anderer ist als Mutterschaft und Familienleben und daher auch Frauen, die ihren Lebenssinn im Sport, in der Politik oder in der Kunst sehen, in diese Gruppe fallen. Wenn diese Frauen Kinder bekommen, ändern sie auf keinen Fall ihre Prioritäten, sie organisieren die Kinderbetreuung dann größtenteils außer Haus (vgl. Abb. 3 der PDF-Version).
Als home-centred bezeichnet Hakim Frauen, die sich für ein privates, familiäres Leben außerhalb der Öffentlichkeit und der beruflichen Sphäre entscheiden. Nach den Daten des Familiensurveys haben 14 Prozent der Frauen in Deutschland diese Präferenz, während diese Orientierung bei Männern faktisch nicht vorkommt. Auch dieser Lebensstil ist in allen sozialen Schichten anzutreffen. Familien- bzw. haushaltsorientierte Frauen vermeiden es, außerhalb der Familie zu arbeiten, solange keine finanziellen Probleme auftreten. Sie investieren jedoch nicht unbedingt weniger in ihre Qualifikationen und nutzen das Bildungssystem auch als Heiratsmarkt. Bei dieser Gruppe von Frauen spielen nicht nur die Kinder in der Lebensplanung eine große Rolle, sondern auch der Haushalt als Teil der eigenen Lebens- und Zukunftsgestaltung.
Vollzeit, Teilzeit, Hausfrau
Beim Vergleich dieser Präferenzmodelle mit dem tatsächlichen Verhalten zeigen sich deutliche Diskrepanzen. Daten des Mikrozensus ergeben, dass in Deutschland weniger Frauen in Teilzeit und mehr Frauen in Vollzeit bzw. als Hausfrau beschäftigt sind, als es das Präferenzmodell vermuten lässt.
Diese Ergebnisse stimmen recht genau mit Befunden aus Großbritannien überein. Denn auch in den Untersuchungen von Catherine Hakim präferierte die größte Gruppe,
Henriette Engelhardt, Tomas Kögel und Alexia Prskawetz weisen ganz im Sinne der hier formulierten Perspektive einer nachhaltigen Familienpolitik darauf hin, dass in den Ländern, in denen die Präferenzen und Lebensvorstellungen der betroffenen Frauen und Männer Teil der Familienpolitik geworden sind, auch die Inkompatibilitäten zwischen den beruflichen Anforderungen und den familiären Verpflichtungen geringer geworden sind.
Es stellt sich auch die Frage, ob man nicht auf Dauer die Aufgaben von Frauenbeauftragten zu Elternbeauftragten erweitert und so betriebs- und aufgabenspezifisch auch Lösungen erarbeitet, die dazu geeignet sind, die antizipierten Nachteile zu vermindern. Das kann Unterstützung bei der Karriereplanung sein oder auch die Verbesserung der Kinderbetreuung, das kann die Flexibilisierung der Arbeitszeitorganisation sein oder die Hilfe bei der Jobsuche für den Partner bei erwarteter Mobilität - dies alles ist im Wesentlichen eine betriebliche Angelegenheit des Personalmanagements. Erst wenn das Gefühl entsteht, dass Kinder kein Nachteil in der eigenen Lebensplanung sind, wird die Entscheidung für Kinder getroffen werden. Da der Staat aber gerade bei den Hoch- und Höchstqualifizierten das Ausbildungsmonopol hat, ist er in diesem Fall besonders gefordert. Man kann die deutschen Universitäten daraufhin untersuchen, was sie für die Vereinbarkeit von Studium und Familiengründung oder für eine familienfreundliche Karriereplanung ihrer Nachwuchswissenschaftler tun.
Es ließe sich natürlich auch die These vertreten, dass solche Präferenzen, wenn sie in der Familienpolitik berücksichtigt werden, zwar den unterschiedlichen Lebensvorstellungen von Frauen gerecht werden, aber im Sinne einer nachhaltigen Familienpolitik keine Effekte zu erwarten sind, weil beispielsweise die Entscheidung für ein Kind oder aber für mehrere Kinder weder von dem tatsächlichen Arbeitsmarktverhalten noch von diesen Präferenzen abhängig ist. Das ist aber nicht der Fall. Vergleicht man die realisierte Kinderzahl der voll erwerbstätigen Frauen mit der von Frauen in Teilzeit und der von nicht erwerbstätigen Frauen auf der Basis des Mikrozensus, so bestätigen sich Hakims Annahmen: Frauen mit einer adaptiven Lebenskonzeption realisieren ähnlich wie Hausfrauen eine höhere Kinderzahl als voll erwerbstätige Frauen. Die in Vollzeit erwerbstätigen Frauen haben eine Geburtenrate von 0,9 Kindern pro Frau und die Kinderlosigkeit ist mit 48 Prozent extrem hoch. Von den in Teilzeit oder nicht erwerbstätigen Frauen sind hingegen nur zwischen 15 und 20 Prozent kinderlos, ihre Geburtenrate beträgt rund 1,6 Kinder pro Frau.
Die internationale Diskussion zur Frage des Einflusses der Erwerbstätigkeit auf die Geburtenentwicklung ist für Deutschland eindeutig zu beantworten: Unter den gegenwärtigen Bedingungen führt Vollerwerbstätigkeit in der Regel zu weniger Kindern. Das gilt im Übrigen auch für Großbritannien.
Szenarien der Geburtenentwicklung
Weil wir die zukünftigen Lebensvorstellungen und Entscheidungsgrundlagen junger Erwachsener für Kinder nicht kennen können und anders als bei wirtschaftswissenschaftlichen Prognosen auch kaum Aussagen über die Rationalität solcher personaler Entscheidungen zur Grundlage machen können, ist eine Kalkulation unterschiedlicher Geburtenraten auf der Basis unterschiedlicher Annahmen, die sich aus der bisherigen Argumentation ergeben, notwendigerweise spekulativ. Wir haben verschiedene Szenarien berechnet, um deutlich zu machen, dass eine Familienpolitik, die nicht versucht, unterschiedliche Maßnahmen zu kombinieren, mit einiger Wahrscheinlichkeit nur einen sehr begrenzten Effekt auf die Geburtenentwicklung haben kann. Hingegen vermuten wir, wenn auch mit der gebotenen Vorsicht, dass ein "Policy Mix" aus unterschiedlichen Strategien erfolgreicher sein wird.
So hätte ein Vorziehen der Geburten um ein Jahr durchaus Effekte auf die Entwicklung der Geburtenrate (TFR) und ließe sie im Jahr 2017 auf 1,43 Kinder pro Frau anwachsen. Ab 2037 würde sich die Geburtenrate jedoch wieder bei 1,34 Kindern pro Frau einpendeln, da die Frauen in der Summe die Zahl ihrer Kinder nicht vergrößern (Szenario 2). Berechnungen von Hans-Peter Kohler ergeben jedoch, dass ein Vorziehen des Geburtenalters die Geburtenrate des jeweiligen Altersjahrgangs um drei Prozent anhebt (Szenario 3).
Jedoch gehen wir nicht davon aus, dass durch familienpolitische Maßnahmen eine Kumulation aller Effekte erreicht werden kann. Es ist völlig unrealistisch anzunehmen, dass eine geringere Kinderlosigkeit, mehr Mehrkinderfamilien, mehr Teilzeit arbeitende Frauen und eine frühere Geburt der Kinder dazu führen, dass die einzelnen recht geringen Effekte von 0,1 bis 0,2 sich auf Dauer addieren und die Geburtenrate auf über 2 erhöhen. Wir haben diese Szenarien durchgerechnet, um deutlich zu machen, dass eine Familienpolitik, die sich nur auf eine Maßnahme konzentriert, nur sehr geringe Effekte hervorrufen kann, während eine integrative Konzeption möglicherweise doch dazu beitragen kann, dass sich Deutschland wieder dem europäischen Durchschnitt annähert.
Das gesellschaftliche Interesse an einer solchen Politik sollte aber nicht damit begründet werden, dass nur auf diese Weise unsere Alterssicherungssysteme auf Dauer gesichert werden können. Vielmehr liegt das gesellschaftliche Interesse an einer nachhaltigen Familienpolitik, die sich auch mit Fragen der Geburtenentwicklung befasst, gerade darin, dass Gesellschaften ohne Kinder nicht zukunftsfähig sind. Ohne Kinder reduziert sich die Zukunftsperspektive einer Gesellschaft auf 30 bis 40 Jahre, nämlich auf die Lebenszeit der aktiven Bevölkerung. In dieser Zukunftsfähigkeit treffen sich gesellschaftliche Interessen und die Interessen von Paaren, die ihre eigene individuelle Zukunft mit Kindern gestalten wollen.
"Ask the women!"
Die Entscheidung darüber, ob die unterschiedlichen Präferenzen für Lebensführungen von Frauen auch gesellschaftlich berücksichtigt werden, ist letztlich eine Frage der politischen Diskussion. Unter der Perspektive einer nachhaltigen Familienpolitik gibt es aber eine ganze Reihe von Gründen und auch Strategien, die dafür sprechen, die Formel von Hakim - "Fragt die Frauen!" - auch politisch ernst zu nehmen. Denn man kann davon ausgehen, dass junge Erwachsene, die sich auf der Basis persönlicher Motive und gemeinsamer Zukunftsvorstellungen mit ihrem Partner für eine selbst verantwortliche Elternschaft entscheiden, diese von ihnen übernommene Verantwortung für Kinder dann am besten realisieren können, wenn sie die Lebensvorstellungen, die sie sich hinsichtlich ihrer privaten Lebensführung und Elternschaft gemacht haben, auch umsetzen können. Aus einer politischen Perspektive heißt das allerdings, dass Staat und Gesellschaft im Sinne einer nachhaltigen Familienpolitik zumindest versuchen, die Rahmenbedingungen so zu verbessern, dass solche individuellen Optionen auch umgesetzt werden können. Die Legitimation für entsprechende politische Maßnahmen liegt aus unserer Sicht nicht darin, Geburtenraten in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen.
Mix aus Zeitpolitik, Geldtransfers und Infrastruktur
Ohne Frage hat eine solche nachhaltige Familienpolitik nur dann eine Chance, diese Rahmenbedingungen zu schaffen, wenn die verschiedenen Instrumente familienpolitischen Handelns die unterschiedlichen Präferenzen reflektieren. Wir haben schon weiter oben darauf hingewiesen, dass insbesondere die Zeitpolitik, welche sowohl die Organisation von Lebensverläufen wie auch der täglichen Arbeitszeit betrifft, als eine gemeinsame Aufgabe von Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften anzusehen ist. So lässt sich sicherstellen, dass solche - insbesondere adaptiven - Lebensmodelle gelebt werden können und dabei nicht zu beruflichen Nachteilen im Lebensverlauf führen, weil die Arbeitswelt an dem männlichen Normallebensentwurf festhält.
Wir sind auch der Meinung, dass die Einführung eines Elterngeldes als Lohnersatz sowohl das Modell der Vollerwerbstätigkeit wie aber auch das Modell der adaptiven Lebensführung positiv unterstützen kann. Denn in einem Modell des Elterngeldes als Lohnersatz wird deutlich gemacht, dass die Entscheidung, sich für eine bestimmte Zeit verantwortlich um das eigene Kind zu kümmern, aus gesellschaftlicher Sicht genauso wichtig ist wie der Beruf, der gerade ausgeübt wird. Ein solches Elterngeld macht aber auch deutlich, dass diejenigen, die eine persönliche Verantwortung für ihre Kinder übernehmen, deswegen nicht auf ihre eigene ökonomische Selbständigkeit verzichten müssen. Private Verantwortung für die Kinder in unserer Gesellschaft heißt nicht, sich nun in die ökonomische Abhängigkeit vom Partner zu begeben, nur weil die Frau einen anderen Lebensentwurf als den männlichen präferiert und lebt. Dass die nordeuropäischen Staaten, die das Elterngeld eingeführt haben, auf diese Weise auch das Problem der Kinderarmut viel besser lösen als Deutschland, sei nur am Rande vermerkt, denn bei der Zahlung eines Elterngeldes ist die Hilfe zum Lebensunterhalt keine wirkliche Option der Lebensgestaltung.
Wenn es darüber hinaus gelingt, dass Kommunen und Betriebe Kinderbetreuungseinrichtungen und Infrastruktur für Kinder so entwickeln und gleichzeitig auch die betriebliche Alltagsorganisation so strukturieren, dass die Lebensbedürfnisse von Kindern und die Lebensvorstellungen der Eltern hier Unterstützung finden, dann kann erwartet werden, dass voll erwerbstätige und adaptive Lebensmodelle realisiert werden können. Grafik von der Redaktion eingefügt.