Einleitung
Spricht man in einem öffentlichen Kontext von der "Krise" der Sozialwissenschaft,
Die Gleichgültigen verspüren angesichts der Diagnose so etwas wie gelassene Langeweile. Dass sich die Sozialwissenschaft in einer Krise befinde, sei, so sagen sie, "ein alter Topos, der in regelmäßigen Abständen aus einer nicht näher definierbaren Schublade gezogen wird. Aber siehe: Es gibt uns noch!" Die Tatsache, dass die Sozialwissenschaften ungeachtet aller Krisendiagnosen noch existieren - das ist damit wohl gemeint -, zeigt, dass diese falsch sind. Diese Art, mit Krisendiagnosen umzugehen, hat zweifellos etwas Beruhigendes, da sie die Möglichkeit bietet, auf den eingefahrenen Gleisen weiterzufahren. Darüber hinaus fällt es schwer, eine Krisendiagnose aufrechtzuerhalten, wenn diejenigen, auf die sie zugeschnitten ist, ihren eigenen Zustand nicht als krisenhaft erfahren. Zumindest mit Blick auf menschliche Handlungszusammenhänge können wir, so scheint es, erst dann von einer Krise sprechen, wenn bestimmte, von außen beobachtbare Problemlagen subjektiv auf Resonanz stoßen, wenn sie gewissermaßen ein Problembewusstsein erzeugen. Fehlt dieses Bewusstsein, kann nicht sinnvoll von einer Krise gesprochen werden.
Die Verächter der Krisendiagnose reagieren ungleich schärfer. Häufig wird diese Diagnose nämlich nicht unter Verweis auf ihre regelmäßige Wiederkehr diskreditiert, sondern durch Heranziehen empirischer Daten, und diese sprechen tatsächlich eine recht eindeutige Sprache. Mit Blick auf das Fach Soziologie etwa kommt eine Studie des Centrums für Evaluation der Universität des Saarlandes zu dem Schluss, dass "die Zahl der Studierenden und Absolventen (...) in den 90er Jahren deutlich zugenommen" hat. Auch seien die Berufsaussichten für soziologische Abschlüsse keinesfalls schlecht.
Die Sorgenvollen räumen ein, dass der Bestand der Sozialwissenschaften von der Zustimmung oder Akzeptanz einer inneruniversitären Verwaltung und eines außeruniversitären Publikums abhängig ist und sehen darin eine gewisse Krisensymptomatik. Es lässt sich tatsächlich nicht länger übersehen, dass an zahlreichen deutschen Universitäten gerade im Fach Soziologie Stellen gestrichen werden.
Reaktionen auf die Krisendiagnose
Wie ist nun mit diesen unterschiedlichen Reaktionen auf die Krisendiagnose umzugehen? Die Sozialwissenschaften können sich - entgegen der Auffassung der Gleichgültigen - natürlich auch dann in einer Krise befinden, wenn ihre Vertreterinnen und Vertreter kein Krisenbewusstsein verspüren. Die Verflechtungen aller Wissenschaften mit politischen und bürokratischen Zusammenhängen sind viel zu stark, als dass subjektive Bewusstseinslagen einen entscheidenden Ausschlag für Bestandsgarantien geben könnten.
Den empirisch versierten Verächtern der Krisendiagnose ist zunächst zuzugestehen, dass die studentische Nachfrage nach sozialwissenschaftlicher Kompetenz sehr hoch ist; auch lässt sich nicht bestreiten, dass die universitäre Institutionalisierung der Sozialwissenschaften in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg und auch nach 1989 in den neuen Bundesländern äußerst erfolgreich verlaufen ist.
Die größte Plausibilität besitzt folglich der sorgenvolle Umgang mit der Krisendiagnose. Allerdings reicht es nicht, diese Diagnose nur oberflächlich mit institutionellen und publizistischen Problemen der Sozialwissenschaften in Verbindung zu bringen. Was die vorgebliche "Krise" der Sozialwissenschaften angeht, handelt es sich um ein Phänomen mit tieferen Wurzeln. Der Gegenstandsbereich der Sozialwissenschaften scheint sich so transformiert zu haben, dass es kaum noch möglich ist, die gewohnten Bezugspunkte des sozialwissenschaftlichen Denkens in unveränderter Weise aufrechtzuerhalten. Dieses Entgleiten des traditionellen Gegenstandsbereichs der Sozialwissenschaften soll im Folgenden für ihre gegenwärtige Krise verantwortlich gemacht werden. Die Krise kommt damit nicht so sehr als institutionelle oder publizistische Krise in den Blick, sondern als begriffliche oder konzeptuelle Krise mit möglichen institutionellen oder publizistischen Folgen.
Die Gesellschaft verschwindet
Um die folgende Darstellung übersichtlicher zu gestalten, wird es sinnvoll sein, zwischen den Veränderungen im Gegenstandsbereich der Sozialwissenschaften und der wissenschaftlichen Reflexion dieser Veränderungen zu unterscheiden. Es sieht so aus, als wäre den Sozialwissenschaften der Gegenstand - die "Gesellschaft" im emphatischen Sinne, den das Wort einmal besaß - abhanden gekommen. Wie kritisch es um die Kategorie der Gesellschaft steht, vermag man etwa daran abzulesen, dass sie in vielen theoretischen Kontexten durch die weniger spezifische Kategorie des "Sozialen" abgelöst wird. Stellvertretend sei aus einem neueren Lehrbuch von Hans Joas und Wolfgang Knöbl zitiert, das in die wichtigsten Sozialtheorien der Gegenwart einführen will: "Wir haben uns für den Begriff 'Sozialtheorie' (...) entschieden, weil uns der mehr im Deutschen als im Englischen übliche Begriff der 'Gesellschaftstheorie' Unbehagen bereitet. Mit diesem Begriff wurden oft gegenüber der soziologischen Theorie eher linke, 'kritische' normative Dimensionen annonciert. Doch ist (...) der Begriff der Gesellschaft untergründig so sehr mit dem einer nationalstaatlich verfassten und territorial klar umgrenzten Ordnung verknüpft, dass er immer schon voraussetzungsreich war und heute, da diese Voraussetzungen offen zutage liegen, endgültig problematisch geworden ist."
Zum anderen legt das Zitat von Joas und Knöbl nahe, dass der Begriff Gesellschaft auch deskriptiv unbrauchbar geworden ist, weil er stets auf zumeist nationalstaatlich begrenzte Gebilde bezogen blieb. Diese räumliche Beschränkung muss aus gegenwärtiger Sicht gleich mehrere Probleme nach sich ziehen. So verweist natürlich die gesamte Rede von der Globalisierung auf Phänomene der ökonomischen, kulturellen und politischen Internationalisierung, durch die - so zumindest eine häufig vertretene These - der Handlungsspielraum nationalstaatlich organisierter Instanzen geschwächt oder eingeengt wird. Der Gesellschaftsbegriff scheint in seiner Ausrichtung auf einzelstaatliche Gebilde an seine kategorialen Grenzen zu stoßen, wenn sich beispielsweise Probleme der Ungleichheit, der sozialen Mobilität, der Bildung oder auch der Arbeitslosigkeit gar nicht mehr angemessen ohne Bezug auf transnationale Handlungskontexte explizieren lassen. Diese transnationalen Handlungskontexte müssen dabei nicht einmal global ausgedehnt sein. Das, was man das "nationalstaatliche Vergesellschaftungsmodell" genannt hat, stößt schon beim Blick auf die europäischen Integrationsprozesse an seine Grenzen. Während sich die Rechts-, Wirtschafts- und Politikwissenschaft schon seit längerem mit den Prozessen und Effekten der europäischen Einheit beschäftigen, ist "die europäische Integration für die Soziologie nach wie vor ein Randthema"
Doch der Gesellschaftsbegriff ist nicht nur aufgrund seiner geographischen Beschränktheit in Misskredit geraten. Ihm wohnen weitere Elemente inne, deren Gültigkeit zweifelhaft geworden ist. So arbeitete die Soziologie in ihren funktionalistischen Ausrichtungen lange mit einem Gesellschaftsbegriff, der Differenzierung und Wertekonsens in sich vereinte. Dieser soziologischen Tradition entspricht, dass sich Gesellschaften aus differenzierbaren Einheiten zusammensetzen (Klassen, Ständen, Schichten, Milieus, Berufen etc.). Deren Vielzahl ist nur deswegen nicht stabilitätsgefährdend, weil die Mitglieder dieser Einheiten über gemeinsame Werte verfügen und dementsprechend über alle sozialen und funktionalen Grenzen hinweg koordiniert miteinander agieren. Moderne Gesellschaften sind dieser Perspektive nach zugleich Gesellschaften und Gemeinschaften oder, in der Formel von Talcott Parsons, "gesellschaftliche Gemeinschaften"
Problematisch sind der Soziologie mittlerweile wesentliche Facetten des Differenzierungs- und des Konsensbebegriffs geworden. Schon ein kurzer Blick auf die differenzierten Einheiten zeigt, dass diese einer kollektivistischen Lesart unterliegen. Vor allem die deutschsprachige Soziologie hat aber seit Mitte der achtziger Jahre den Begriff der "Individualisierung" ins Zentrum gerückt und damit den schwächer werdenden Einfluss kollektiver Bindungskräfte beschrieben. Dieser Begriff hat viele Bedeutungsfacetten, die hier nicht alle ausbuchstabiert werden können.
Mit den bisherigen Überlegungen soll nicht suggeriert werden, der Gesellschaftsbegriff sei aus dem Sprachschatz verschwunden. Natürlich sprechen wir immer noch ganz selbstverständlich von "Gesellschaft" und "Gesellschaften". Unklar ist nur, ob wir mit dem Begriff weiterhin meinen können, was wir in der Vergangenheit damit gemeint haben. Was bleibt, so die Frage, wenn wir den Terminus der Gesellschaft nicht mehr territorial, politisch oder kollektivistisch unterfüttern können? Die skizzierten Phänomene der Globalisierung, Individualisierung und Multikulturalisierung scheinen den Gesellschaftsbegriff auf eine Weise zu untergraben, die seine Verwendung auch in soziologischen Kontexten problematisch erscheinen lassen muss. Und so kann es nicht weiter überraschen, dass sich etwa in der französischsprachigen Soziologie die Rede von der "Krise der Gesellschaftsidee" schon seit längerem mit Überlegungen zur Krise der Soziologie in ihrer überkommenen Form verbindet.
"There is no such thing as society"
In diesem Zusammenhang sind noch weitere Prozesse erwähnenswert, die zur Krise der Gesellschaftsidee beigetragen haben: etwa jene Phänomene, für welche die Wendung zum Neoliberalismus steht. Margaret Thatchers Ausspruch "There is no such thing as society, only individual men and women and their families" fasst im Kern eine Grundüberzeugung neoliberalen Denkens zusammen, zielt sie doch auf die Annahme, es könne soetwas wie individuelle Verhaltensformen geben, die sich unter Bezug auf soziale oder gesellschaftliche Umstände erläutern lassen.
Aber auch von einer ganz anderen Seite werden spezifisch soziale Erklärungsmuster individuellen Verhaltens angegriffen. Überall dort nämlich, wo die neueren Lebenswissenschaften ihren Einfluss geltend machen, setzt sich, ob zu Recht oder Unrecht, die Einsicht in die Determiniertheit menschlichen Verhaltens durch. Ob es sich um die Ergebnisse der Hirnforschung oder die Konsequenzen der wissenschaftlichen Genanalyse handelt - stets assoziiert eine breite Öffentlichkeit mit den Ergebnissen dieser Forschungsrichtungen bereitwillig eine Einschränkung individuell oder sozial zurechenbarer Verantwortung. Zwar ist unverkennbar, dass sich die Annahme einer genetischen oder hirnphysiologischen Determiniertheit menschlichen Verhaltens nicht leicht mit dem ideologischen Untergrund neoliberaler Positionen verbinden lässt. Hier interessiert aber einzig die Tendenz sowohl des Neoliberalismus als auch der neueren Lebenswissenschaften, menschliches Verhalten mehr oder weniger frei von sozialen Bezügen zu deuten. Konnte Karl Ulrich Mayer die Schwierigkeiten der Sozialwissenschaften 1996 noch darauf zurückführen, dass ihre wesentlichen Kategorien in andere Fachgebiete "diffundiert" seien, die sich auf diese Weise mit dem Effekt "soziologisiert" hätten, die Soziologie als Fach "zum Verschwinden" zu bringen, so muss für die Gegenwart eher eine breite Tendenz zur Entsoziologisierung der Wissenschaften konstatiert werden.
Weiter oben wurde zwischen den realen Veränderungen im Gegenstandsbereich der Sozialwissenschaften und ihrer sozialwissenschaftlichen Reflexion unterschieden. Mit dem Begriff der Reflexion ist hier zweierlei gemeint. Zum einen sind einige der hier beschriebenen Prozesse natürlich Gegenstand sozialwissenschaftlichen Nachdenkens. Nichts hindert die Sozialwissenschaften daran, die Wandlungen des Gesellschaftlichen selbst zum Thema zu machen. Zum anderen können sich diese aber auch im Rücken der Sozialwissenschaften bemerkbar machen, also ohne direkt thematisiert zu werden. Durch eine Verlagerung der Aufmerksamkeit und eine Neugewichtung der methodischen Ausrichtung etwa können sich Zweifel am Sinn überkommener Gesellschaftsanalysen oder am Sinn von Gesellschaftsanalyse überhaupt manifestieren. So lässt sich etwa, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in der soziologischen Forschung der Bundesrepublik eine deutliche Mikroorientierung ausmachen. Im Mittelpunkt der Forschung stehen kleinteilig-übersichtliche Handlungszusammenhänge (etwa Familien oder Betriebe), die mit Ansätzen der verstehenden Soziologie oder mit Rational-Choice-Methoden entschlüsselt werden. In den Augen der Grande Dame der deutschen Soziologie, Renate Mayntz, zeigt sich hier ein zunehmendes "Bemühen um solide Professionalität"; die marxistische Gesellschaftstheorie der sechziger und siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts wird dagegen explizit für den schlechten Ruf der Disziplin verantwortlich gemacht.
Sowohl mit Blick auf reale Wandlungen als auch auf ihre soziologische Reflexion zeigt sich also, dass die Kategorie der Gesellschaft in die Defensive geraten oder sogar schon ganz verabschiedet worden ist. Wie aber soll man mit diesem Sachverhalt umgehen? Oder, etwas anders gefragt: Wenn wir voraussetzen, dass die Kategorie der Gesellschaft tatsächlich in der beschriebenen Art und Weise geschwächt ist - muss darin ein Problem für die Sozialwissenschaften liegen?
Um auf diese Fragen eine Antwort zu geben, mag es hilfreich sein, anzudeuten, was es (unter anderem) heißt, ein Problem gesellschaftlich zu erklären. Ein Problem "gesellschaftlich" erklären heißt, Faktoren, die jenseits des individuellen Wollens liegen, für dieses Wollen selbst oder für seine Ergebnisse verantwortlich zu machen. Armut beispielsweise ist dieser Perspektive nach nicht einfach nur Ergebnis individueller Fehlentscheidungen oder Schicksalsschläge; um sie zu erlären, bedarf es einer Kenntnis all der sozialen Faktoren, die Armut auch (aber nicht ausschließlich) verursachen: soziale und familiäre Herkunft, Qualität der Bildungseinrichtungen und der staatlichen Unterstützungsnetzwerke, sozialer Stand (allein erziehend, verheiratet, geschieden), Geschlecht etc.
Zusammenhänge erkennen
Aus sozialwissenschaftlicher Sicht handelt es sich bei einer solchen Bestimmung der spezifisch gesellschaftlichen Einflusskräfte auf individuelles Verhalten eigentlich um eine absolute Banalität. Gleichwohl wächst aufgrund der beschriebenen Krise des Gesellschaftskonzepts die Bereitschaft, individuelles Verhalten nicht länger unter Bezug auf gesellschaftliche Faktoren zu erläutern. Insbesondere in neoliberalen Argumentationskontexten ist der Begriff "Gesellschaft" wie angedeutet schon seit mehreren Jahren nur noch eine Art Schimpfwort. Aber auch die mikrologische Orientierung eines großen Teils der Sozialwissenschaften versperrt den Blick für die größeren strukturellen Kontexte des menschlichen Handelns, ein Sachverhalt, der noch verschärft wird durch ein ausgeprägtes Desinteresse an makrotheoretischen Deutungsmustern.
Wenn diese eigentümliche Gleichzeitigkeit angemessen beschrieben ist, dann kann es nicht Aufgabe der Sozialwissenschaften sein, alle Elemente, die traditionellerweise den Begriff der Gesellschaft ausgemacht haben, fallen zu lassen. Zwar ist es nicht länger möglich, die auf individuelles Verhalten einwirkenden Faktoren territorial zu begrenzen, und in diesem Sinne ist es richtig, den Gesellschaftsbegriff zu modifizieren oder sogar ganz auf ihn zu verzichten. Allerdings wäre es für die Sozialwissenschaften fatal, wenn sie in diesem Zusammenhang das Kind mit dem Bade ausschütten würden, hatte doch der traditionelle Begriff der Gesellschaft - zumindest in seiner linken Lesart - stets mehr im Sinn als die Bezugnahme auf ein territorial begrenztes Gebilde sozialer Ordnung. Wurde eine Gesellschaft etwa als "kapitalistisch" oder "spätkapitalistisch" bezeichnet, zielte der Gesellschaftsbegriff keinesfalls nur auf ein territorial begrenztes Gebilde. Gesellschaft wurde hier vielmehr als ein Gebilde verstanden, das in seiner Gesamtheit eine Prägung durch ökonomische Strukturprozesse erfuhr, die sowohl auf das politische als auch auf das kulturell-lebensweltliche Feld einwirkten. Gesellschaftstheorie war zumeist in dem Sinne kritisch, dass sie die negativen Folgen dieser Einwirkung in den Blick nahm.
Natürlich kann es hier nicht darum gehen, den Sozialwissenschaften eine Rückkehr zu einseitig ökonomistischen Deutungsmustern zu empfehlen. Jede hinreichend komplexe Gesellschaftsanalyse muss weiterhin das Zusammenspiel ökonomischer, politischer und kultureller Faktoren berücksichtigen. Allerdings verlangen einige der gegenwärtig beobachtbaren Entwicklungen eine stärkere Gewichtung des ökonomischen Faktors. Folgt man etwa dem Vorschlag von Luc Boltanski und Eve Chiapello, dann hat das Unvermögen, das eigene Handeln gewissermaßen sozial zu definieren,
Die Sozialwissenschaften, das ist eine der Schlussfolgerungen der vorangegangenen Überlegungen, sollten es als ihre Aufgabe ansehen, das Denken in Zusammenhängen zu verteidigen oder, wo es bereits abgestorben ist, wieder zu beleben. Zugleich sollten sie sich die Mühe machen, all die Prozesse zu erklären, durch die dieses Denken in Zusammenhängen diskreditiert worden ist. Es ist letztlich erst dieser Schritt, der ein genaues Verständnis der institutionellen und publizistischen Krise der Sozialwissenschaften ermöglicht. Beide Aufgaben erfordern einerseits all das Faktenwissen, das genaue empirische Analysen liefern. Andererseits ist aber auch ein Theorieinteresse nötig, das es ermöglicht, diese Fakten schlüssig auf allgemeinere Prozesse sozialen Wandels zu beziehen. Das Gesellschaftliche oder - wenn man das vorziehen will - das Soziale verpufft nicht, es verändert nur seine Gestalt. Diesen Gestaltwandel in allen seinen komplexen Verflechtungen kritisch zu begleiten, die ihn tragenden Mythen und Ideologien empirisch und theoretisch zu durchdringen - das bleibt Aufgabe einer selbstbewussten Sozialwissenschaft. Wer weiß, in welchem Maße selbst die politische Linke harten sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen gegenüber unempfänglich geworden ist, dem sollte klar sein, wie groß die Herausforderung ist, die den Sozialwissenschaften damit gestellt wird.