An Aufwand war kein Mangel: 10.000 Teilnehmer aus 32 Staaten aller Kontinente fanden sich im Januar 1919 in Paris ein. Ein Vertragswerk mit 440 Artikeln, die in einem Taschenbuch knapp 260 Druckseiten einnehmen, wurde verabschiedet.
Diese Utopie verdeckte und bemäntelte die realen Interessen und Ziele, die die Franzosen unter ihrem Ministerpräsidenten Georges Clemenceau und Marschall Ferdinand Foch verfolgten. Immerhin war Clemenceau Vorsitzender der Konferenz, und er setzte sich zwar keineswegs mit all seinen Zielen durch, aber doch mit den Grundintentionen Revanche, Rache und Sicherheit – Revanche für die Niederlage gegen Deutschland 1870/71, für die Schmach der Kaiserproklamation in Versailles am 18. Januar 1871; Rache für die beiden ins eigene Land hineingetragenen Kriege, für die Wegnahme des vom Sonnenkönig Ludwig XIV. eroberten Elsass-Lothringen, für die Verwüstungen – beim Rückzug hatten die Deutschen verbrannte Erde hinterlassen
Der französische Wunsch nach Sicherheit vor dem militärisch, ökonomisch und demografisch überlegenen "Erbfeind", nach Entschädigung und Genugtuung ist nur zu verständlich. Die Umsetzung wirkte jedoch verheerend. Denn der Versailler Vertrag brach mit allen Regeln des hergebrachten Völkerrechts. Er ließ Prinzipien erfolgreicher Friedensschlüsse außer Acht, wie sie in Münster und Osnabrück 1648, in Wien 1815, in Paris 1856 und in Berlin 1878 praktiziert worden, aber auch schon in der Antike bekannt gewesen waren: Amnestie und Vergessen der Gräuel des Krieges, Anerkennung des Feindes als Verhandlungspartner und der Wille zum konstruktiven Neubeginn in einer neuen Ordnung. Auch dass die neu in einen Friedensvertrag aufgenommene Schuldbezichtigung in den Kolonialverträgen etabliert worden war, wirft ein bezeichnendes Licht auf den Versailler Vertrag und den Umgang zwischen Siegern und Verlierern in Europa.
Ächtung des Feindes
Zunächst muss mit dem Historiker Gerd Krumeich festgestellt werden, dass der Waffenstillstand in Compiègne "eine kaum verschleierte Kapitulation" unter Aufrechterhaltung der Seeblockade gegen Deutschland war, die dann noch einmal 100.000 Hungertote herbeiführte, und es sich beim Versailler Friedensschluss in der Tat um ein Diktat handelte, "dessen Unterschrift wie mit vorgehaltener Pistole erzwungen wurde".
Die Deutschen waren zu den Verhandlungen nach Paris gar nicht erst eingeladen worden, obgleich sie zwischenzeitlich einen Regimewechsel erlebt hatten und mit dem Zentrumspolitiker Matthias Erzberger eine Person die deutsche Waffenstillstandskommission leitete, die in der zweiten Kriegshälfte gegen die deutschen Annexionisten Stellung bezogen hatte. 1815 in Wien hatte Napoleons Außenminister Charles-Maurice de Talleyrand wie selbstverständlich wieder am Verhandlungstisch gesessen, und Napoleon hatte zuvor ganz Europa mit Kriegen überzogen. Der deutschen Delegation wurde in Versailles ultimativ ein Vertragswerk präsentiert, das sie nur noch in einem Punkt abändern konnte: In Oberschlesien sollte es eine Abstimmung über die Zugehörigkeit des Gebietes zum Deutschen Reich oder zum wieder begründeten Polen geben. Allein, dieser im März 1921 klar zugunsten Deutschlands ausfallenden Abstimmung wurde von den Siegerstaaten keine Folge geleistet. Ansonsten hatten die Deutschen in kürzester Frist zu unterschreiben, bei Drohung der Wiederaufnahme des Krieges gegen ein nun demobilisiertes und von inneren Unruhen erschüttertes und hungerndes Land.
Bereits die im Notenwechsel mit der US-Regierung vor dem Waffenstillstand geforderte Abdankung des Kaisers und der von amerikanischer Seite gewünschte Regimewechsel waren ein Novum gewesen, das den Prinzipien von Souveränität und Staatengleichheit widersprach. Darüber hinaus wurden im Versailler Vertrag die Rechtsgrundsätze par in parem non habet iurisdictionem ("Ein Gleicher hat unter Gleichen keine Gerichtsgewalt") und nullum crimen, nulla poena sine lege ("Kein Verbrechen, keine Strafe ohne Gesetz") durch die "Strafbestimmungen" übergangen. Der im niederländischen Exil befindliche Kaiser Wilhelm II. sollte laut Artikel 227 "wegen schwerer Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge unter öffentliche Anklage" gestellt werden. Deutsche Kriegsverbrecher – und nur diese – sollten gemäß der Artikel 228 bis 230 ausgeliefert und vor Militärgerichte der alliierten und assoziierten Mächte wie die USA gestellt werden. Die übliche gegenseitige Amnestie nach Kriegen, die ein Vergessen der gegenseitig zugefügten Gräuel implizierte und einen Neuanfang, einen Frieden ermöglichte, wurde damit ihrerseits als elementare Lehre aus den Friedensschlüssen seit der Antike ignoriert.
Reparationen und Gebietsabtretungen gehörten dagegen von jeher zu Friedensverträgen, schließlich wurden Kriege meist um Gebietszugewinne geführt. Im Vorfeld der Pariser Friedensverhandlungen hatte US-Präsident Wilson jedoch das Selbstbestimmungsrecht der Völker proklamiert, mit dem die territorialen Bestimmungen des Versailler Vertrages aber nicht vereinbar waren. Weder durfte Deutsch-Österreich dem Reich beitreten noch wurde dem Selbstbestimmungsrecht andernorts konsequent Rechnung getragen. Die Deutschen empfanden die Abtrennung Ostpreußens vom Reich durch den polnischen Korridor als den Versuch, einen größtmöglichen "polnischen Pfahl" in ihr Fleisch zu treiben.
Die Reparationen wurden im Versailler Vertrag nicht fixiert, sondern erst 1921 von den Alliierten auf die astronomische Summe von 226 Milliarden Goldmark festgelegt, die bis 1963 zu zahlen sein sollte. Darüber hinaus waren jedes Jahr zwölf Prozent der deutschen Ausfuhrerlöse abzugeben. Hinzu kamen umfangreiche Kohlelieferungen. Als Pfand galt das Vermögen von Reich und Ländern.
Legitimationsgrundlage für diese Bestimmungen war der berüchtigte Artikel 231 des Versailler Vertrages, der unter der Überschrift "Wiedergutmachungen" stand und besagte: "Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben." Von einer Alleinschuld Deutschlands war hier nicht direkt die Rede. Aber in einer Mantelnote der alliierten und assoziierten Mächte, die als Reaktion auf deutsche Einwände von Philip Kerr, dem Privatsekretär des britischen Premierministers Lloyd George, verfasst worden war, wurde dann doch offen ausgesprochen, dass Deutschland im Bestreben, seine "Vorherrschaft mit Gewalt zu begründen", alleinschuldig am Krieg sei und seine Bundesgenossen ermuntert habe.
Die Inhaftnahme für den Krieg war mit der Zuweisung einer singulären moralischen Schuld und der Einbettung in eine lange Kontinuität verbunden. Der Krieg sei "das größte Verbrechen gegen die Menschheit und gegen die Freiheit der Völker gewesen, welches eine sich für zivilisiert ausgebende Nation jemals mit Bewußtsein begangen hat. Während langer Jahre haben die Regierenden Deutschlands, getreu der preußischen Tradition, die Vorherrschaft in Europa angestrebt. (…) Sie haben getrachtet, sich dazu fähig zu machen, ein unterjochtes Europa zu beherrschen und zu tyrannisieren, so wie sie ein unterjochtes Deutschland beherrschten und tyrannisierten."
Enttäuschte Erwartungen
Die Reaktion auf den Vertrag war blankes Entsetzen, das in Deutschland von der SPD bis zur Rechten reichte, aber ebenso unter den Siegermächten bis in ihre Delegationen verbreitet war – beim britischen Ökonom John Maynard Keynes, beim späteren US-Präsidenten Herbert Hoover (der Vertrag sei "von Hass und Rache durchsetzt") oder beim südafrikanischen Delegationschef und Veteranen Jan Smuts.
Das Hauptproblem des Versailler Vertragswerkes war aber nicht seine Härte, sondern dass es ein dauerhaft diskriminierendes und willkürliches Regime begründete, das mit dem Instrument der Gewaltandrohung durch die französischen Besatzungskräfte im Westen Deutschlands operierte, und auf der Herrschaft einer interalliierten Reparationskommission beruhte, die ebenfalls diktierte und nicht verhandelte, sowie auf dem von den Alliierten dominierten Völkerbund, zu dem den Verlierern der Zutritt einstweilen verwehrt blieb. Dass die Vereinigten Staaten als eifrigste Verfechter einer "League to enforce Peace" dem Genfer Völkerbund fernblieben und den Versailler Vertrag nicht ratifizierten, untermauerte die Schieflage des gesamten Systems.
Um diese Schieflage zu verstehen, muss hier nochmals die französische Perspektive vergegenwärtigt werden, die von der Befürchtung geprägt war, dass der Versailler Frieden zu schwach, zu nachgiebig gegenüber dem Koloss in der Mitte Europas ausfallen könnte – eine Sorge, die sich aus Sicht vieler Franzosen 1940, als die Deutschen erneut Belgien und Frankreich mit einem Krieg überzogen und eroberten, als berechtigt herausstellte. Marschall Fochs ursprüngliche Forderungen waren viel weitreichender gewesen: eine vollständige, dauerhafte, jederzeit kontrollierte Entwaffnung, eine Annullierung der Reichsgründung von 1871, eine Auflösung des Reiches in seine Länder oder zumindest eine informelle Angliederung des in autonome Republiken aufgeteilten linksrheinischen Gebietes an Frankreich.
Die Experimente mit den Separatistenbewegungen im Rheinland, die die Franzosen unterstützten, waren allerdings nicht sehr erfolgreich. An der Einheit des Reiches hielten die Deutschen in ihrer überwiegenden Mehrzahl fest. Gleichwohl ist die französische Perspektive ebenso legitim wie die zeitgenössisch dominante, keineswegs nur deutsche, dass eine Demütigung, die von Clemenceau bewusst und hartnäckig symbolisch inszeniert wurde, den Frieden "unauffindbar" machen würde, da er nicht auf Anerkennung des Feindes und Gegenseitigkeit beruhte.
Die Empörung über die Ruhrbesetzung von 1923, als Frankreich und Belgien aufgrund des deutschen Rückstands bei den Reparationszahlungen ins Ruhrgebiet einmarschierten und es zu Tötungen, Hinrichtungen, Geiselnahmen, Deportationen, Fabrikbesetzungen und zahlreichen Schikanen kam, führten zur zweiten großen Erbitterung in Deutschland. Dass auch die britische Regierung die Ruhrbesetzung für unrechtmäßig erklärte,
So hatten etwa die Briten in den Pariser Verhandlungen weniger Grund für eine harte Politik gegen das besiegte Deutschland. Vor dem Krieg hatten sie sich eher aufgrund der Stärke Russlands mit dem Zarenreich verbündet als aus Angst vor Deutschland. Großbritannien wollte im Hinblick auf das Empire an der Gestaltung der Welt nach einer deutschen Niederlage beteiligt sein.
Ideologische Kriegführung
Ihren Ausgang hatte die Ideologisierung des Krieges mit dem Propagandakrieg der Alliierten genommen, der die eigene Bevölkerung und die Neutralen für den Krieg gegen die Mittelmächte mobilisieren sollte. Das war besonders in Großbritannien virulent gewesen, wo es in Politik und Öffentlichkeit viele Stimmen gegeben hatte, die einen Kriegseintritt ablehnten.
Entzündet hatte sich der Propagandakrieg 1914 am völkerrechtswidrigen deutschen Einmarsch ins neutrale Belgien. Dafür wurde Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollwegs verzweifelter Ausspruch während eines emotionalen Abschiedsgesprächs gegenüber dem britischen Botschafter Edward Goschen, die Garantie der belgischen Neutralität stelle im Vergleich zum "furchtbaren Ereignis eines deutsch-englischen Krieges" einen "Fetzen Papier" dar, als Schlagwort für eine angebliche deutsche Doktrin herangezogen.
Hinzu kam der deutsche U-Boot-Krieg. Die Versenkung des britischen Passagierdampfers Lusitania am 7. Mai 1915 durch einen von einem deutschen U-Boot abgeschossenen Torpedo forderte 1200 Opfer, darunter 128 amerikanische Passagiere. Dies heizte in Großbritannien die antideutsche Stimmung auf. Auch in den Vereinigten Staaten brach Hysterie aus: Deutsches Eigentum wurde konfisziert, an manchen Orten wurden deutsche Bücher aus Bibliotheken entfernt oder gar öffentlich verbrannt. Die deutsche Sprache wurde geächtet. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Hinweise darauf, dass die Lusitania auch Munition führte, wie es die Deutschen einst vermutet hatten.
Verfehlte Befriedung
Die vier Jahre lang tobende ideologische Kriegführung konnte in Paris nicht gestoppt werden.
Vor diesem Hintergrund fällt es schwer, die bisweilen in der Forschung beschworenen Chancen des Vertrages für die Deutschen zu erkennen.
Vor allem war der Spielraum der deutschen Außenpolitik wegen des Reparationsregimes und der prekären ökonomischen Lage, der unversöhnlichen französischen Haltung, der französischen Truppen im Rheinland und der militärischen Beschränkung sehr begrenzt. Erst mit dem Vertrag von Locarno, mit dem Deutschland, Frankreich und Belgien 1925 den Ausschluss einer gewaltsamen Veränderung ihrer in Versailles gezogenen Grenzen und die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund vereinbarten, sowie der ökonomischen Erholung weitete sich der Spielraum etwas, aber eben nur begrenzt und kurzzeitig. Der Stachel des Versailler Vertrages saß tief.
Zugleich war seine Revision eben nicht ausgeschlossen, sondern der einzige Grundkonsens in der polarisierten Kultur der Weimarer Republik.
Adolf Hitler vertrat die Opposition gegen Versailles am radikalsten, sie war, so die These des Historikers Brendan Simms, die Initialzündung für seine Politisierung gewesen.
Nach 1945 zogen die Alliierten ihre Lehren aus den Erfahrungen mit dem Versailler Vertrag, und Deutschland wurde vollständig besetzt und geteilt. Die spätere Vereinigung der Westzonen stand unter Aufsicht, und für die Bundesrepublik wahrten die Westmächte Vorbehaltsrechte. Die Souveränität wurde nur begrenzt gewährt. Klüger als in Versailles verfuhr man mit dem Londoner Schuldenabkommen von 1953. Freilich beglich die Bundesrepublik die letzten Zinszahlungen für Staatsanleihen, die zur Tilgung der Reparationen noch dem Versailler Regime entstammten, erst 2010.
Lösen wir uns erneut von der deutschen Perspektive, so zeigt sich, dass auch andernorts der Friedensschluss seine Wirkung verfehlte. In China, wo man auf die Rückgabe des deutschen Pachtgebietes Kiautschou gesetzt hatte, gab es über die in Paris erzielten Ergebnisse – Kiautschou wurde Japan zugesprochen – ebenfalls Empörung. Die Chinesen unterzeichneten den Versailler Vertrag erst gar nicht, sondern schlossen 1921 mit Deutschland einen Separatfrieden. Das von den Alliierten bereits während des Krieges mit Versprechungen hinsichtlich der deutschen Einflusssphäre in China gelockte und in Versailles im Hinblick auf Kiautschou begünstigte Japan fiel 1931 in die Mandschurei ein und gründete dort den Marionettenstaat Mandschukuo. 1937 begann der Zweite Japanisch-Chinesische Krieg. Auch hier hatte der Versailler Vertrag keine befriedende Wirkung erzielt, vielmehr in China die antiwestliche Bewegung des 4. Mai hervorgerufen.
Auf dem afrikanischen Kontinent wurden die ehemaligen deutschen Kolonien als Mandatsgebiete des Völkerbundes den Siegermächten unterstellt: Frankreich erhielt Togo und Kamerun, Großbritannien einen kleinen Teil Kameruns sowie Deutsch-Ostafrika. Deutsch-Südwestafrika, das heutige Namibia, ging an Südafrika. Das unterschied sich bei aller Rhetorik und allen selbst auferlegten Verpflichtungen für die Bevölkerungen der ehemaligen deutschen Kolonialgebiete kaum von Annexionen und wurde in Artikel 23 des Vertrages moralisch mit der angeblich grausameren Behandlung während der deutschen Kolonialherrschaft gerechtfertigt. Auch hier wurden Erwartungen mit Blick auf Wilsons 14 Punkte und mehr Unabhängigkeit enttäuscht.
Nirgendwo war man also mit dem Versailler Vertrag zufrieden. Er befriedigte die deutschen Erwartungen und die seiner Verbündeten, die sich nach dem späten Eingeständnis der militärischen Niederlage ganz auf Wilsons Versprechen eines "Peace without Victory"
Fazit
Der Versuch, die Vision eines ewigen Friedens bei gleichzeitiger Diskriminierung der Verlierer zu verwirklichen, musste scheitern. Der Versailler Vertrag schuf keinen Frieden, er befriedigte nicht die Ansprüche der Sieger und demütigte auf Dauer die Verlierer. Trotz seines Umfangs operierte er mit vagen Inhalten, wie bei der Bestimmung der Reparationen, und unbestimmten Begriffen, wie dem des "Bundes" in der dem Vertrag vorangestellten Völkerbundsatzung. Vor allem brach er mit den erprobten Grundsätzen des Völkerrechts und der erfolgreichen Praxis von Friedensverhandlungen und Vertragsschlüssen. Er vergaß das Vergessen und stellte damit die Feindschaften auf Dauer. Denn Frieden ist nur möglich, wenn Schuldtilgung erfolgt und vergessen wird – oder das zumindest versucht wird –, was zuvor Schlimmes geschah. Aus der Verstetigung der asymmetrischen Begegnung von Siegern und Verlierern, Helden und Schurken in Versailles konnte nur neues Unheil entstehen. Dass es so schlimm kommen würde, damit hatten aber auch die größten Kritiker des Versailler Friedens nicht gerechnet.
Was sind die Lehren für heute? In vielen Krisenherden der Welt macht der Westen überaus schlechte Erfahrungen mit auferlegten Regimewechseln und einer moralischen und rechtlichen Diskriminierung des Feindes, seiner Stilisierung zum Verbrecher. Wenn der Sinn für Gleichberechtigung und Legitimität einer internationalen Ordnung nicht mehr allseits vorhanden ist, dann ist keine Befriedung, keine Stabilität erreicht. Wenn ein Friedensschluss keinen fundamental anderen Status als den Kriegszustand herbeiführt, ein Ende der Feindseligkeiten und der Diskriminierung, dann ist er keiner. Weder Sanktionsregime noch Sonderbestimmungen passen zu einem echten Frieden. Das Mittel der angedrohten Bestrafung, die Pönalisierung der internationalen Beziehungen, ist daher, so wünschenswert die juristische Aufarbeitung von Verbrechen auf übernationaler Ebene auch sein mag, in ihrer friedensstiftenden Kraft im Lichte von Versailles fragwürdig und scheint für die derzeitigen Krisenherde, etwa für Syrien, Nordkorea oder den Jemen, nicht erfolgreich zu sein.