Die Staaten, die den Ersten Weltkrieg führten, waren Imperialmächte – ausgedehnte Landimperien in oder am Rande Europas, wie die Österreichisch-Ungarische Monarchie, das Russische Zarenreich und das Osmanische Reich, oder transozeanische Mächte mit außereuropäischen Hoheitsgebieten, wie das britische Empire, Frankreich, Belgien, Deutschland, Italien und Portugal. Zum Zeitpunkt des Waffenstillstands hatten sich diese Reiche jedoch grundlegend verändert und waren in einigen Fällen sogar zerschlagen worden. Die Veränderungen waren in Europa selbst wohl am größten, denn hier zerfielen die von Wilhelm II., Kaiser Karl und Zar Nikolaus II. regierten Vielvölkerstaaten. Dies war der Moment der Entkolonialisierung für die ost- und mitteleuropäischen Mächte. Wie jedoch beispielsweise der von 1917 bis 1922 dauernde Russische Bürgerkrieg zeigt, setzten sich die vom Ersten Weltkrieg hervorgerufenen Unruhen, Flüchtlingsbewegungen, interethnischen Wirren und internen Konflikte in Europa noch lange nach dem Waffenstillstand fort.
In der kolonialen Welt jenseits der europäischen Grenzen hatte der Krieg ebenfalls tiefe Brüche herbeigeführt. Die Mobilmachung in den Kolonien zugunsten imperialer Kriegsanstrengungen hatte das koloniale Regierungssystem in seinen Grundfesten erschüttert. Denn vielerorts trieb der Erste Weltkrieg das extraktive Wesen der Kolonialherrschaft und die damit zusammenhängenden Missstände auf die Spitze, und es kam zu Aufständen, wie zum Beispiel 1915 im britischen Njassaland, dem heutigen Malawi, unter der Führung des Baptistenpredigers John Chilembwe oder in Französisch-Algerien, wo schwere Verluste nordafrikanischer Einheiten an der Westfront zu Protesten gegen die Rekrutierung führten und Ende 1916 nur durch den Einsatz von 6000 Soldaten erstickt werden konnten.
Angesichts der Bürde, die die europäischen Mächte ihren Kolonialgebieten mit der Mobilmachung auferlegten, überraschen diese Unruhen kaum. Kolonialsoldaten waren integraler Bestandteil der britischen und französischen Kriegsanstrengungen.
Die Kolonien dienten jedoch nicht nur als Quellen für Arbeitskräfte, sondern wurden auch selbst zu Schlachtfeldern. Ab Kriegsbeginn erstreckten sich die Kampfhandlungen von Kiautschou im heutigen China, das die Japaner im November 1914 von Deutschland eroberten, bis Togoland und Kamerun in Westafrika, die sich Großbritannien beziehungsweise Frankreich im Februar 1916 sicherten. Am heftigsten aber kollidierten die imperialen Rivalitäten in Ostafrika und im Nahen Osten.
Die kolonialen Herrschaftssysteme gelangten während des Krieges an ihre Belastungsgrenze und darüber hinaus, und die Spannungen hielten auch nach dem Friedensschluss an. Im vorliegenden Beitrag soll erkundet werden, wie sich dies in den Jahren nach 1918 manifestierte. Dafür werden zunächst die bedeutenden politischen Verschiebungen in den Blick genommen, zu denen es im Nahen Osten kam – jener Region, in der der Erste Weltkrieg seine stärkste und nachhaltigste Auswirkung hatte –, bevor auf die Reformideen fokussiert wird, die sich vor allem im Zusammenhang mit dem Völkerbund gegen Ende des Krieges für die Umgestaltung der Kolonialherrschaft herauskristallisierten. Trotz aller Reformanstrengungen befand sich die Kolonialherrschaft in der unmittelbaren Nachkriegszeit in einer schweren Krise, die abschließend beleuchtet werden soll, als Schlaglicht auf die längerfristigen, letztendlich zum Zusammenbruch der imperialen Ordnung führenden Legitimitätsprobleme der Kolonialreiche.
Neue imperiale Ordnung im Nahen Osten
Trotz der Belastungen und Phasen antikolonialer Unruhe überstanden die transozeanischen Kolonialreiche der europäischen Siegerstaaten den Krieg weitgehend intakt. 1918 war für die außereuropäischen Kolonialgebiete nicht der Moment großflächiger Entkolonialisierung. Tatsächlich konnten Großbritannien und Frankreich ihre imperialen Besitzungen sogar noch ausweiten, als die deutschen Kolonien in West-, Ost- und dem südlichen Afrika besetzt und mit dem Versailler Vertrag unter den Siegermächten aufgeteilt wurden. Im Nahen Osten eröffnete sich durch den Zusammenbruch des Osmanischen Reiches die Möglichkeit, ein gewaltiges neues europäisches Kolonialgebiet aufzubauen. Dies geschah jedoch nicht ohne Widerstände.
Nach der Niederlage der osmanischen Armee bei Megiddo im September 1918 und ihrem Rückzug aus der Levante waren die imperialen Besitzungen der Osmanen zum Zeitpunkt des Waffenstillstands vom 30. Oktober fest in der Hand der Alliierten, vor allem von Großbritannien. Das 1916 zwischen Frankreich und dem Vereinigten Königreich ausgehandelte Sykes-Picot-Abkommen hatte eine Vision für den Nahen Osten nach dem Krieg entworfen, die anglo-französischen Interessen entsprach. Zum Zeitpunkt der Beendigung der Feindseligkeiten hielten jedoch britisch-indische Truppen von Jerusalem bis Bagdad alle größeren Städte besetzt, Großbritannien war klar die dominierende Macht.
Die Debatten, die nach dem Krieg in Bezug auf den Nahen Osten entbrannten, spielten sich aber nicht ausschließlich zwischen Großbritannien und Frankreich ab. Die Balfour-Deklaration der britischen Regierung vom November 1917, in der dem jüdischen Volk eine "nationale Heimstätte" zugesagt wurde, stärkte und legitimierte die zionistische Bewegung, die durch die Beteiligung der 3000 Mann starken Jüdischen Legion an der britischen Streitmacht in Palästina 1917/18 für sich beanspruchen konnte, einen Beitrag zum Sieg über die Osmanen geleistet zu haben. Ihre Bestrebungen kollidierten unmittelbar mit jenen der von Hussein ibn Ali, dem Großscherif von Mekka, angeführten Bewegung arabischer Nationalisten und ihrer von seinem Sohn Prinz Faisal geleiteten irregulären Armee, die sich ebenfalls auf britische Unterstützung berufen konnte: Großbritannien hatte die Arabische Revolte gegen die Osmanen ab 1916 gefördert und mehrfach versprochen, sich für die arabischen Belange einzusetzen. Um den Krieg gegen die Mittelmächte gewinnen zu können, hatten die Briten sich genötigt gesehen, nationalistische Bewegungen zu unterstützen, die einander fundamental als Kontrahenten gegenüberstanden. Nun, nach Ende des Krieges, erschwerte das den Friedensprozess.
Der erste Versuch, die konkurrierenden Ansprüche auf den Nahen Osten miteinander in Einklang zu bringen, mündete im August 1920 in den Vertrag von Sèvres. Dieser verkörperte eine klassische, auf militärischer Stärke, Eroberung und Besetzung basierende Großmachtvereinbarung – eine Lösung aus dem 19. Jahrhundert für ein Problem aus dem 20. Jahrhundert: Der Vertrag zerschnitt die ehemaligen Hoheitsgebiete des Osmanischen Reiches im Nahen Osten und teilte sie als Völkerbundmandate größtenteils unter Frankreich und Großbritannien auf. Der Libanon und Syrien fielen unter französische Kontrolle, Palästina, Transjordanien, das heutige Jordanien, und der Irak unter britische. Die heute türkische Region Ostthrakien und die Küstenstadt Smyrna, das heutige Izmir, wurden Griechenland zugesprochen. Das Osmanische Reich wurde auf Anatolien und ein europäisches Rumpfgebiet reduziert, das türkische Militär massiv begrenzt und die Meerengen internationalisiert. Weder Türken noch Haschemiten waren 1920 auf der Konferenz von Sanremo vertreten, auf der der Vertrag ausgearbeitet wurde. Dieser konzentrierte sich folglich mehr auf die Regulierung der strittigen französisch-britischen Forderungen. Endgültig zunichte gemacht wurden die arabischen Hoffnungen bei der Schlacht von Maysalun im Juli 1920, als die französischen Truppen ihre militärische Dominanz in Syrien festigten. Die Söhne von Scherif Hussein, Faisal und Abdullah, verschwanden jedoch nicht von der politischen Bildfläche, sondern wurden Herrscher des Iraks und Transjordaniens – Repräsentationsfiguren der neuen kolonialen Vereinbarung für die Region.
Der Vertrag von Sèvres wurde jedoch von den politischen Entwicklungen in der Türkei überholt und nie ratifiziert. Um Mustafa Kemal, der sich während des Krieges als Offizier im Militär einen Ruf erarbeitet hatte, sammelte sich eine breite nationalistische Bewegung, die der zunehmend ineffektiven Regierung den Kampf ansagte und sich dem griechischen Einmarsch in Südanatolien entgegenstellte. Dank einer Reihe siegreicher Schlachten konnte Kemal die Griechen im Sommer 1922 vertreiben und Druck auf die britischen Besatzer von Konstantinopel ausüben. Im Verlauf der sich anschließenden Chanak-Krise im September gerieten britische und türkische Truppen beinahe aneinander. Die Briten sahen sich zum Rückzug gezwungen und mussten die Kontrolle über die Meerengen abgeben. Einem an die Dominions gerichteten Ersuchen um militärische Unterstützung waren einzig Neuseeland und Neufundland gefolgt. Dass die Dominions London bei seinen außenpolitischen Abenteuern nicht mehr automatisch unterstützten, verdeutlichte die Veränderungen in den imperialen Machtdynamiken Großbritanniens nach 1918.
Die türkische Nationalbewegung ging als Sieger hervor und konnte ihre Herrschaft über Anatolien sichern und die europäischen Mächte vertreiben. Der 1923 daraus resultierende Vertrag von Lausanne, der die anglo-französische Kontrolle über die Levante und den Irak festschrieb, formulierte elementare Bestandteile des Vertrages von Sèvres um. Von entscheidender Bedeutung dabei war, dass die Stimme der neuen türkischen Republik nun Teil der Einigung für die Region war – Kemals nationale Bewegung feierte einen Triumph.
Häufig werden die Friedensregelungen nach dem Ersten Weltkrieg als gescheiterte, die tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort ignorierende Bemühungen um eine neue Ordnung bewertet – schließlich bestand der Versailler Vertrag kaum zwei Jahrzehnte, bevor seine Bestimmungen gewaltsam durch das nationalsozialistische Deutschland revidiert wurden. Der Vertrag von Lausanne währte hingegen bemerkenswert lange. Die Landesgrenzen, die die Vereinbarungen im gesamten Nahen Osten schufen, wurden zunächst von den britischen und französischen Kolonialmächten, später aber auch von den in die Unabhängigkeit entlassenen Staaten der Region beibehalten und sind trotz an ihnen entbrannter Konflikte weitgehend so geblieben, wie sie Anfang der 1920er Jahre gezogen wurden. Damit ist diese koloniale Friedensregelung eines der wichtigsten Ergebnisse des Ersten Weltkrieges.
Mandatssystem im Völkerbund
Die Hoheitsgebiete, die Frankreich und Großbritannien durch den Friedensschluss nach dem Ersten Weltkrieg im Nahen Osten hinzugewonnen hatten, wurden nicht auf die gleiche Weise verwaltet wie ihre vor dem Krieg eroberten imperialen Besitzungen. Syrien, der Libanon, Palästina, Transjordanien und der Irak waren ihnen als Völkerbundmandate zugeteilt. Diese neue Form der Kolonialherrschaft ging auf US-Präsident Woodrow Wilson zurück, der im Januar 1918 ein 14-Punkte-Programm für eine Nachkriegsordnung vorgestellt hatte, in dem er deutlich gemacht hatte, dass die Vereinigten Staaten einen Annexionsfrieden, der lediglich die Farben auf der imperialen Landkarte neu arrangierte, nicht akzeptieren würden. Stattdessen sollten die ehemaligen Kolonialgebiete der besiegten Mächte von Mandatsträgern als "heilige Aufgabe der Zivilisation" treuhänderisch im ureigensten Sinne im Interesse ihrer jeweiligen Bevölkerung verwaltet werden. Ziel war es, die Mandatsgebiete schrittweise an die Unabhängigkeit heranzuführen.
Auf den Friedenskonferenzen wurden drei verschiedene Arten von Mandaten erarbeitet, die die vermeintlichen Phasen politischer Entwicklung der jeweiligen Bevölkerung widerspiegeln sollte: Mandate der Klasse A umfassten die ehemaligen osmanischen Gebiete im Nahen Osten, in denen Großbritannien und Frankreich Völkern, die kurz vor der Unabhängigkeit standen, administrative Orientierungshilfe geben sollten. Für die Verwaltung von Mandatsgebieten der Klasse B galten eine Reihe von Bedingungen, wie die Öffnung für den Handelsverkehr und die Gewährleistung von Sicherheit für die Bevölkerung. Zu dieser Kategorie gehörten die ehemaligen deutschen Kolonien Togo und Kamerun, die zwischen Großbritannien und Frankreich aufgeteilt worden waren, Ruanda und Burundi, die unter belgischer Kontrolle standen, sowie das nun britisch verwaltete Deutsch-Ostafrika. Als C-Mandate schließlich galten abgelegene, aus Sicht der europäischen Kolonialmächte weniger interessante Gebiete, die vermeintlich weit von einer möglichen Selbstverwaltung entfernt waren und daher von den Mandatsträgern letztendlich wie Teile ihres eigenen Hoheitsgebietes regiert wurden, sodass sie sich kaum von den Kolonialbesitzungen des späten 19. Jahrhunderts unterschieden. Die Mandatsgebiete der Klasse C wurden größtenteils von Japan und britischen Dominions verwaltet, die eigene neue imperiale Identitäten entwarfen. Deutsch-Südwestafrika fiel unter südafrikanische Herrschaft, Deutsch-Neuguinea unter australische und die deutschen Pazifikinseln nördlich des Äquators unter japanische.
Die Entwicklungen in den Mandatsgebieten unterschieden sich erheblich voneinander. In Tanganjika, dem heutigen Tansania, und Transjordanien leiteten die Briten Landreformen ein, in Palästina kam es nach erheblichen Investitionen in den 1920er Jahren zu Bemühungen, einen multiethnischen und multikonfessionellen Staat aufzubauen, und im Irak konnten die Briten 1932 Faisal die Herrschaft über ein neues unabhängiges Königreich übergeben. In anderen Mandatsgebieten nahm die Geschichte einen schlechteren Verlauf: Die südafrikanische Regierung schickte weiße Siedler nach Südwestafrika und beraubte die indigene Bevölkerung ihres Landes. In Syrien kam es, ausgehend von der Bevölkerungsgruppe der Drusen, 1925 und 1926 im gesamten Land zu erheblichen Unruhen. Um die Ordnung wiederherzustellen, griffen die Franzosen zu militärischer Gewalt. Im Oktober 1925 bombardierten sie Damaskus und töteten dabei mehr als 1000 Menschen. Auf ähnliche Weise hatten die Briten im Irak 1920 angesichts eines großflächigen Aufstands in ländlichen Gegenden ihre Herrschaft gefestigt – zur Niederschlagung hatten sie 60.000 Soldaten eingesetzt und ausgiebig von repressiver Gewalt Gebrauch gemacht, die auch das Niederbrennen ganzer Dörfer umfasst hatte. Im weiteren Verlauf der Mandatsphase wurde die irakische Bevölkerung mithilfe von "Air Control"-Einsätzen ruhig gehalten. Zu dieser technologischen Lösung für eine ressourcenschonende Kontrolle des Empire gehörte, dass die Royal Air Force Dörfer bombardierte, deren Bewohner sich der britischen Herrschaft widersetzten.
Dennoch veränderte sich nach dem Ersten Weltkrieg die internationale Haltung zu imperialer Herrschaft grundlegend. Die Verankerung des Grundsatzes der Treuhänderschaft in der Charta des Völkerbundes, die Einrichtung des Mandatssystems trotz des Widerstrebens der siegreichen Kolonialmächte sowie die Beaufsichtigung dieser Gebiete durch die Ständige Mandatskommission – all das waren tief greifende Neuerungen. Die Mandatskommission bot Untertanenbevölkerungen erstmals die Möglichkeit, vor einem internationalen Organ ihre Stimme zu erheben und Missstände der Mandatsherrschaft anzuprangern. In den Zwischenkriegsjahren konnte die Kommission erheblichen und nachhaltigen Druck auf die Mandatsmächte ausüben, etwa als sie die britische Gewaltanwendung bei der Niederschlagung des Arabischen Aufstands im Mandatsgebiet Palästina Ende der 1930er Jahre untersuchte und scharf kritisierte. Zugleich erkannten nationalistische Aktivisten in den Mandatsgebieten rasch ihre Chance, durch die Kommission auf Versäumnisse der britischen beziehungsweise französischen Verwaltung aufmerksam zu machen. Kolonialherrschaft unterlag nun einer Form der internationalen Prüfung, wie es sie vor dem Ersten Weltkrieg nicht gegeben hatte.
Die Einrichtung der Ständigen Mandatskommission deutete auf eine mögliche Veränderung des Wesens der Kolonialherrschaft hin. In der Tat hatte der Erste Weltkrieg einen imperialen Reformprozess eingeleitet. Dieser ergab sich zum Teil aus der Notwendigkeit einer Anpassung an die politischen wie ökonomischen Ansprüche heimkehrender Kriegsteilnehmer. Größere Besorgnis in London und Paris löste aber die Tatsache aus, dass der Krieg deutlich das Potenzial für antikolonialen Widerstand aufgezeigt hatte und damit die Fragilität imperialer Herrschaft. Koloniale Reformen stellten also nicht nur Belohnungs-, sondern auch Präventionsmaßnahmen dar.
Um potenziellen Anfechtungen der britischen Herrschaft in Indien zuvorzukommen, hatten der Generalgouverneur Lord Chelmsford und der Staatssekretär für Indien, Edwin Montagu, bereits 1917 eine Reihe von Verwaltungsreformen eingeleitet. Diese verhießen eine schrittweise Entwicklung hin zu sich selbst verwaltenden Institutionen und einen graduellen Übergang zu einer mündigen Regierung, sollten aber Indien im Gefüge des britischen Empire belassen. Ziel war es, die nationalistische Bewegung in einen konstitutionellen Prozess einzubinden, den die Briten unter Kontrolle behielten. Zwar wurde die Montagu-Chelmsford-Reform vom Indischen Nationalkongress abgelehnt, in der Zwischenkriegszeit diente sie jedoch als Vorbild für andere Reformvorhaben in Britisch-Indien.
Auch Frankreich unternahm Anstrengungen zur Veränderung seiner Kolonialherrschaft. 1918 wurde einigen Bewohnern des Senegal das Recht auf französische Staatsbürgerschaft gewährt, und bei den Kommunal- und Bürgermeisterwahlen in der unmittelbaren Nachkriegszeit waren die Belange der Veteranen beherrschendes Thema. In Algerien hatten die französischen Behörden 1918 um mehr Rekruten geworben, indem sie eine Rechtsreform in Aussicht gestellt hatten. Dem folgte 1919 das "Loi Jonnart", ein Gesetz, das mehr als 400.000 Muslimen ein Stimmrecht bei Kommunalwahlen einräumte. Doch am Wesen der französischen Kolonialherrschaft in den 1920er Jahren änderten solche Reformen letztendlich kaum etwas. In Westafrika wurde der neu geschaffene Generalrat, der bis 1919 immer stärker von gewählten Afrikanern dominiert worden war, wenig später in einen Kolonialrat umgewandelt. Dieser stand unter der Kontrolle des Generalgouverneurs und von zwanzig Stammesführern, die von der französischen Verwaltung ausgesucht wurden und die gewählten Mitglieder überstimmen konnten. Auch die Bemühungen, in Westafrika gewählte Stadträte einzuführen, scheiterten, als deutlich wurde, dass sie lediglich als beratende Organe für die französischen Bürgermeister fungierten. In Algerien behielt die französische Siedlergemeinschaft das Heft in der Hand, und muslimischen Algeriern wurde eine Vertretung in Paris weiterhin verweigert.
Die Lebenswirklichkeiten vieler kolonialer Untertanen veränderten sich nach 1918 also kaum. Letztendlich symbolische Reformen verliehen nur einigen wenigen das Wahlrecht oder riefen lediglich beratende Ausschüsse ins Leben, und die meisten Menschen in Afrika und Südasien blieben weiterhin europäischen kolonialen Normen unterworfen.
Imperiale Krise
Die Einführung des Mandatssystems sowie die Bemühungen um eine koloniale Reform suggerieren einen geregelten Übergang vom Krieg zum Frieden, dabei waren die Jahre unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg eine chaotische Zeit. Ein Großteil der Kolonialgebiete kam nicht mehr aus einem Kreislauf antikolonialer Gewalt und brutaler Repression heraus. Der Historiker John Gallagher hat die Phase von 1919 bis 1922 für den britischen Fall als "Crisis of Empire" beschrieben. In diese Zeit fielen der Beginn der Revolution in Ägypten im Frühjahr 1919, anhaltende Stammesunruhen im Irak über weite Teile des Jahres 1920, Proteste und Ausschreitungen im Punjab, und Irland versank ab 1919 für drei Jahre im Chaos.
In Ägypten konnten die Briten die Kontrolle nur durch den Einsatz von 20.000 Soldaten und eine heftige antirevolutionäre Kampagne wieder an sich reißen. Damit stellten sie zwar die Ordnung wieder her, dies forderte jedoch 800 Todesopfer und 1500 Verletzte auf ägyptischer Seite. Eliminiert wurde der ägyptische Nationalismus dadurch nicht – die Briten waren gezwungen, eine Vereinbarung auszuhandeln, nach der Ägypten 1923 ein gewisses Maß an Unabhängigkeit erlangte. Im Punjab kam es im Rahmen der Reaktion auf die dortigen Unruhen zu einem der berüchtigtsten Zwischenfälle europäischer kolonialer Unterdrückung: Brigadegeneral Reginald Dyer ließ bei einer politischen Kundgebung in Amritsar am 13. April 1919 das Feuer auf eine Menschenmenge eröffnen, wobei mindestens 400 Menschen ihr Leben verloren. Dieser totemistische Moment imperialer Gewalt wird häufig als Einzelfall dargestellt, spiegelte tatsächlich jedoch die übliche Vorgehensweise Großbritanniens nach dem Ersten Weltkrieg, um die Kontrolle seines Empires aufrechtzuerhalten. Brutale, repressive und demonstrative Gewalt, um Untertanenbevölkerungen dazu zu zwingen, weiterhin die britische Herrschaft zu akzeptieren, war Standard.
In Irland hatten es die Briten mit einem gut organisierten und militärisch geschickt agierenden Gegner zu tun, dem es 1921 gelang, eine Pattsituation herbeizuführen. Zwar vermochten die irischen Aufständischen auf dem Schlachtfeld nicht gegen die Truppen der britischen Krone zu triumphieren, genauso wenig gelang es jedoch dem britischen Militär, die Rebellion zu zerschlagen. Die einzige Möglichkeit für London, einen Sieg zu erringen, bestand in der Entsendung so umfangreicher Truppen, dass es vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Durststrecke nach dem Krieg und des gleichzeitigen Drucks zahlreicher imperialer Krisenherde aber nicht leistbar war. Wie im Falle Ägyptens bestand die Lösung darin, einen Vertrag auszuhandeln, der im Dezember 1921 zur Geburt des irischen Freistaates führte. Damit war Großbritannien die einzige Siegermacht, die nach dem Ersten Weltkrieg Hoheitsgebiete verlor. Dies rief sowohl in kultureller als auch in politischer Hinsicht ein großes Echo in Westminster hervor. Für den Generalstabschef der britischen Armee, General Henry Wilson, bedeutete das eine grundsätzliche Infragestellung des britischen Status als Großmacht. Es schien, als habe Großbritannien zwar den Ersten Weltkrieg gewonnen, aber den Friedensschluss verloren.
Einzigartig waren die britischen Erfahrungen nicht. Auch das französische Imperium wurde von einer Reihe antikolonialer Anfeindungen erschüttert. In Marokko zog sich der Rif-Krieg von 1921 bis 1926, in dessen Verlauf Frankreich und Spanien letztlich eine gemeinsame Truppenstärke von 120.000 Mann mobilisierten, um den Aufstand der Rifkabylen unter der Führung Mohammed Abd al-Karims niederzuschlagen. 1930/31 weiteten sich Unruhen in Indochina aus, als es in Annam und Tonkin im heutigen Vietnam zu Aufständen auf dem Land kam und in der heute ebenfalls vietnamesischen Stadt Yen Bay zu einer Meuterei in den Reihen der Kolonialarmee.
Sowohl die Franzosen als auch die Briten waren bis weit in die Zwischenkriegszeit mit kolonialen Unruhen konfrontiert – im palästinensischen Mandatsgebiet gab es 1929 Krisen in Jerusalem sowie von 1936 bis 1939 Unruhen in ländlichen Gegenden, die beträchtliche militärische Gewalt nach sich zogen. Aus dem Ersten Weltkrieg und dessen Ende ging also nicht etwa eine freundlichere koloniale Ordnung hervor. Koloniale Autorität befand sich nun häufiger in der Defensive, und repressive Gewalt erschien den Imperialmächten oft als das einzige Mittel, um den Fortbestand ihrer Herrschaft zu sichern.
Der Historiker Erez Manela argumentiert, dass es die durch den Ersten Weltkrieg freigesetzten Vorstellungen waren, die bei der Neugestaltung der kolonialen Welt wirklich zählten. Im Zuge des "Wilsonschen Moments" 1919 sahen sich zahlreiche nationalistische Bewegungen durch die vom US-Präsidenten propagierte Idee des Selbstbestimmungsrechts der Völker und die Möglichkeit der internationalen Anerkennung ihrer Anliegen auf der Pariser Friedenskonferenz bestärkt und forderten von Ägypten über Indien und China bis Korea die jeweilige Imperialmacht heraus.
Schluss
Ungeachtet der Turbulenzen in den Kriegsjahren und den unmittelbar auf sie folgenden Krisen überdauerten die europäischen Kolonialreiche der Siegermächte den Ersten Weltkrieg weitgehend unbeschadet und konnten sich im Fall der Entente sogar enorm ausweiten. Sowohl das britische Empire als auch das französische Kolonialreich hatten in der Zwischenkriegszeit ihre größte Ausdehnung, vor allem dank des Zugewinns ehemaliger osmanischer Gebiete im Nahen Osten sowie deutscher Gebiete in Afrika. Die durch den Ersten Weltkrieg angestoßenen neuen Ideen untergruben jedoch nach und nach die globale imperiale Ordnung.
In seiner Rede vor dem US-Kongress im April 1917, in der Wilson für den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten geworben hatte, hatte er gefordert: "Die Welt muss ein sicherer Ort werden für die Demokratie." Spätestens in den 1930er Jahren wurde deutlich, dass dieses hochgesteckte Ziel nicht erreicht worden war. Die Kriegsbeteiligung der Vereinigten Staaten mit ihrer antiimperialen Einstellung sowie die Herausforderung, die das revolutionäre Russland darstellte, machten die Welt der Zwischenkriegszeit für die Kolonialreiche in hohem Maße unsicher. Eine zweite Phase der Mobilmachung, der sozialen und ökonomischen Belastung in Kriegszeiten und von militärischen Niederlagen, wie Sedan 1940 für Frankreich und Singapur 1942 für das Vereinigte Königreich, sollten sie im Zweiten Weltkrieg nicht überdauern. Die Saat für die Entkolonialisierung nach 1945 wurde im Ersten Weltkrieg und während seines unmittelbaren Nachspiels gelegt.
Übersetzung aus dem Englischen: Peter Beyer, Bonn.