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Friedensmacherinnen | Pariser Friedensordnung | bpb.de

Pariser Friedensordnung Editorial Erwartung und Überforderung. Die Pariser Friedenskonferenz 1919 Friedensmacherinnen. Der Frauenfriedenskongress in Zürich 1919 Die Kriege nach dem Krieg. Zum Kontinuum der Gewalt von 1917/18 bis 1923 Krieg gewonnen, Friedensschluss verloren? Frankreichs und Großbritanniens Kolonialreiche nach dem Ersten Weltkrieg "Mit Dynamit geladen". Das Prinzip nationaler Selbstbestimmung und sein globales Vermächtnis Versailler Vertrag: Ein Frieden, der kein Frieden war Verhasster Vertrag. "Versailles" als Propagandawaffe gegen die Weimarer Republik "Schmach" und "Schande". Parlamentsdebatten zum Versailler Vertrag

Friedensmacherinnen Der Frauenfriedenskongress in Zürich 1919

Birte Förster

/ 16 Minuten zu lesen

1919 versuchten sich Pazifistinnen in Zürich als alternative Friedensmacherinnen. Ihr Ziel: Frieden durch mehr soziale Gerechtigkeit, eine bessere Rechtsstellung von Frauen und das nationale Selbstbestimmungsrecht auch für die Kolonialbevölkerungen zu sichern.

Als Jeanne Mélin am letzten Tag des Frauenfriedenskongresses endlich in Zürich eintraf, unterbrach dessen Präsidentin Jane Addams für einen Moment die Sitzung. Der französischen Pazifistin war von ihrer Regierung zunächst keine Ausreisegenehmigung erteilt worden, nun aber, am 17. Mai 1919, wurde sie mit tosendem Beifall von den 150 Delegierten empfangen. Ein besonderer Gruß wurde ihr von der deutschen Frauenrechtlerin Lida Gustava Heymann zuteil, die ihr einen Strauß Rosen überreichte und die Hoffnung äußerte, die deutschen Frauen könnten den französischen die Hand reichen, um nach dem Krieg eine Brücke zwischen Frankreich und Deutschland zu bauen. Mélin antwortete, unmittelbar nach der Katastrophe sehe sie mit Beklemmung, wie die Staatsmänner neue Kriege in die Wege leiteten, weil sie die 14 Punkte von US-Präsident Woodrow Wilson missachteten. Es sei daher an den Frauen, sich gegen einen neuerlichen Militarismus zu wehren und sich für einen dauerhaften Frieden einzusetzen. Der symbolische Handschlag der beiden Pazifistinnen wurde durch einen gemeinschaftlichen Eid der Anwesenden besiegelt, alles in ihrer Macht Stehende dafür zu tun, den Krieg zu beenden und den Frieden zu wahren.

Eine Weibliche Friedensordnung für die Welt

Die beiden Frauen kannten sich schon seit dem internationalen Frauenfriedenskongress von Den Haag, zu dem im April 1915 die Ärztin und Frauenrechtlerin Aletta Jacobs in die neutralen Niederlande geladen hatte. Damals hatten 1136 Delegierte aus zwölf Ländern eine Resolution verabschiedet, die neben dem Frauenwahlrecht und der Demokratisierung von Institutionen auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker, Abrüstung, einen Schlichtungsgerichtshof für internationale Konflikte in Den Haag, eine demokratisch legitimierte Kontrolle der Außenpolitik als ein Mittel gegen die Geheimdiplomatie und eine auf Pazifismus zielende Erziehung gefordert hatte. Viele dieser Anliegen waren auch im 14-Punkte-Plan Woodrow Wilsons zu finden – die Friedensaktivistinnen waren selbst davon überzeugt, dass der US-Präsident sich bei ihrer Haager Erklärung bedient hatte, über die ihn die bekannte amerikanische Sozialpolitikerin Addams persönlich ins Bild gesetzt hatte. Ziel der Haager Konferenz war es gewesen, den Ersten Weltkrieg so schnell wie möglich zu beenden. Zwei Delegationen der Konferenz reisten im Anschluss an das Treffen durch Europa, um die Regierungsvertreter der kriegführenden wie der neutralen europäischen Staaten davon zu überzeugen, sich auf eine Vermittlung durch neutrale Staaten einzulassen. Vergeblich, der Krieg sollte noch mehr als drei Jahre dauern.

Die Teilnehmerinnen der Konferenz gründeten das Internationale Frauenkomitee für den dauerhaften Frieden, das ein Büro in Amsterdam betrieb. Allerdings wurde es nach 1915 zunehmend schwieriger, transnational zusammenzuarbeiten. Auch in den Sektionen der einzelnen Länder war das nicht leicht, vor allem in Deutschland waren die Publikationsmöglichkeiten eingeschränkt. So berichtete etwa die deutsche Frauenrechtlerin und Herausgeberin der Zeitschrift "Die Frauenbewegung", Minna Cauer, von Zensurmaßnahmen. Doch das "Feuer am Herd der Internationale erlosch nicht", wie die deutsche Sektion zur Jahreswende 1917/18 festhielt.

Nach dem Waffenstillstand im November 1918 machten sich Addams und Jacobs daran, einen zweiten internationalen Frauenfriedenskongress zu organisieren. Vergeblich hatte die Inter-Allied Women’s Conference bei US-Präsident Wilson für die Friedenskonferenz in Paris die Einrichtung einer Frauenkommission angeregt. Nicht einmal eine beratende Funktion für Frauenfragen war ihr eingeräumt worden, das hatten die übrigen Siegermächte verhindert. Ziel des zweiten internationalen Frauenfriedenskongresses war es daher, aus der Ferne die Friedensverhandlungen im Sinne einer dauerhaften Friedenssicherung zu beeinflussen und dabei eine Ausweitung politischer und ziviler Frauenrechte zu erreichen. Friedenssicherung und die weltweite Ausweitung von Recht und Gerechtigkeit standen aus Sicht der Pazifistinnen in einem engen Zusammenhang.

Für den zunächst geplanten Termin im Februar 1919 war es auch wegen der ständigen Unterbrechungen des Postverkehrs jedoch bald zu spät, sodass man die Zusammenkunft auf den Mai verschieben musste. Damit fiel sie auf ein Datum, an dem die meisten Debatten in Paris bereits zum Abschluss gekommen waren. Nach einigem Hin und Her bot die schweizerische Sektion des Verbandes an, die Veranstaltung auszurichten. Paris kam als Tagungsort nämlich nicht infrage, weil dorthin nur Frauen aus den alliierten Staaten reisen konnten, die deutschen und österreichischen Frauen aber auch mitdiskutieren sollten.

Themen des Zürcher Kongresses waren neben dem Vertrag von Versailles, dessen Bedingungen unmittelbar vor der Konferenz bekanntgegeben worden waren, die Satzung und Ziele des Völkerbundes und der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), die Rechtsstellung der Frauen nach dem Krieg, die sogenannte Hungerblockade gegen Deutschland, das Ideal der "Rassengleichheit" sowie das Verhältnis von Revolution und Pazifismus.

Versöhnungsgesten und mentale Abrüstung

Durch symbolische Gesten wie den Blumenstrauß für Mélin und den Handschlag zwischen Delegierten aus Ländern, die gegeneinander Krieg geführt hatten, durch die Versicherung der gemeinsamen Trauer und des wechselseitigen Mitleids wie auch durch die Arbeit an einer Zukunftsvision schufen die Delegierten für die Konferenz, aber auch für ihren Verband eine "emotionale Gemeinschaft". Eine solche Gemeinschaft beruht auf gemeinsamen Gefühlen, Haltungen und Werten. Der Krieg war eben erst zu Ende gegangen, aber die nach Zürich gereisten Frauen aus den unterschiedlichsten Ländern brachten es bereits fertig, die mentale Mobilmachung hinter sich zu lassen und die Traumata des Krieges gemeinsam in Worte zu fassen.

Das wurde sicherlich durch die vor hundert Jahren herrschenden bürgerlichen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit erleichtert: Frauen galten als das per se friedliebende und sanftmütige Geschlecht, viele der Teilnehmerinnen begründeten Forderungen nach Veränderungen der Friedensbedingungen wie etwa nach dem Ende der Hungerblockade mit der Fürsorglichkeit der Frau. Die Pazifistinnen in Zürich verstanden sich auch selbst ganz essenzialistisch als das friedlichere Geschlecht und beanspruchten mit diesem Argument ihre besondere Verantwortung für den Weltfrieden. Krieg war aus ihrer Sicht eine männliche Angelegenheit, Frauen hingegen waren die mütterlichen Hüterinnen des Lebens.

Die emotionale Gemeinschaft der Pazifistinnen, die sich in Zürich als "Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit" (IFFF) einen neuen Namen und eine neue Satzung gaben, machte die mentale Demobilisierung nach dem Krieg möglich. Neben den erwähnten symbolischen Versöhnungsgesten ging es auch um die konkrete Benennung beispielsweise der Gewalttaten deutscher Männer gegenüber französischen und belgischen Frauen und die Anerkennung des dadurch verursachten Leids. Die Teilnehmerinnen begegneten einander mit Großzügigkeit, denn sie begriffen sich als über die gemeinsame Friedensarbeit aneinander gebunden. Dies unterstrich Jane Addams in ihrer Eröffnungsrede folgendermaßen: "Frei von Groll über gewolltes Missverstehen, frei von Misstrauen gegenüber sogenannten Feinden" sollten die Frauen sich in Zürich begegnen können.

Mehr Mitspracherechte für Frauen

Mit dem Kongress versuchten die Frauen, sich in internationalen politischen Angelegenheiten Gehör zu verschaffen. 1919 gewann ihr Anliegen auf einen Schlag neue Überzeugungskraft, weil Frauen in einer Reihe von Staaten inzwischen das Wahlrecht bekommen hatten. Die Juristin Anita Augspurg, Mitbegründerin des Deutschen Bundes für das Frauenstimmrecht, formulierte selbstbewusst, es gehe in Zürich nicht um die Vorhaben der "Staatsmänner in Paris", sondern darum, "dass wir ganz unabhängig von deren Absichten und Möglichkeiten hier das feststellen, was die Frauen für recht und billig halten". Vor allem warteten die Pazifistinnen nicht ab, ob sie gefragt wurden – denn spätestens seit der misslungenen Intervention der alliierten Frauenverbände in Paris war allen bewusst: Man würde sie nicht fragen, sie mussten schon eigene Forderungen aufstellen. Das Mandat dazu hatten die Aktivistinnen sich selbst erteilt. Wie schon 1915 verbanden die Delegierten ihren Pazifismus mit der Forderung nach mehr Rechten für Frauen, die sie auch an die beiden von der Pariser Friedenskonferenz geschaffenen Organisationen adressierten: den Völkerbund und die Internationale Arbeitsorganisation.

Ein Teil der Beschlüsse der Konferenz sollte nach innen in die nationalen Sektionen wirken, ein zweiter Teil des Schlusskommuniqués wurde direkt zur Friedenskonferenz nach Paris geschickt. Mit eingeschlossen war der "Freibrief der Frauen", der am 14. Mai 1919 angenommen wurde und zur Aufnahme in den Friedensvertrag gedacht war. In diesem Brief forderten die Frauen: "Die vertragsschließenden Parteien erkennen an, dass die soziale, politische und ökonomische Stellung der Frau von höchster internationaler Bedeutung ist." Die Absicherung ihrer Rechte sollte also Teil der Friedensvereinbarung sein, doch das war weder in Wilsons 14 Punkten noch bei den Verhandlungen in Paris vorgesehen. Die in Zürich versammelten Pazifistinnen gingen sogar noch weiter: Verlangt wurde eine völlige Umkehrung der bürgerlichen Vorstellungen davon, wie das "natürliche Verhältnis zwischen Mann und Frau" aussehen sollte. Es sollte künftig von "Unabhängigkeit" und "Mitarbeit" geprägt sein, denn es sei "für die Gesellschaft schädlich (…), die Frauen zu einer abhängigen Stellung zu verurteilen und ihre Entwicklungs- und Erziehungsmöglichkeiten zu begrenzen".

Der Forderungskatalog umfasste das Frauenwahlrecht sowie die Gleichstellung von Mann und Frau in nationalen wie internationalen Institutionen. Ehefrauen sollten Rechtspersonen bleiben und die Verfügungsgewalt über ihr Vermögen behalten, Mütter das Recht der Vormundschaft bekommen. Dieser letzte Punkt war 1919 in noch keinem Staat erfüllt, selbst in Skandinavien erhielten Frauen erst Ende der 1920er Jahre das Vormundschaftsrecht. Dazu gesellten sich Forderungen, die auch hundert Jahre später in vielen Staaten der Welt aktuell sind: Es sollte gleichen Lohn für gleiche Arbeit geben, die Verantwortung für uneheliche Kinder bei beiden Eltern liegen, und für ihre Familienarbeit sollten Frauen entschädigt werden. Dieser Katalog sollte auch mithilfe der Politik des Völkerbundes in dessen Mitgliedstaaten verwirklicht werden und so "für die ganze Welt einen dauerhaften Segen bedeuten". Doch keines dieser Themen wurde in der französischen Hauptstadt diskutiert, obschon nach dem Willen des US- Präsidenten dort eine neue Weltordnung entstehen sollte.

Völkerbund als Instrument für mehr Gerechtigkeit

An die Verfassung des Völkerbundes stellten die Delegierten in Zürich ähnlich deutliche Forderungen. Eine Minderheit der Delegierten wollte ihn zwar rundheraus ablehnen, weil seine Satzung in zu wenigen Punkten ihren Idealen entsprach. Allerdings scheuten die Pazifistinnen davor zurück, die Idee eines Völkerbundes als solche zu torpedieren, und so erklärten sie zwar ihre Akzeptanz des Bundes, machten aber umfassende Änderungsvorschläge. Mitglieder sollten nach den Vorstellungen des Kongresses alle souveränen Staaten werden können, zwischen Siegern und Besiegten sollten bei der Mitgliedschaft keine Unterschiede gemacht werden. Der Einfluss der Großmächte im Völkerbundrat sei zu beschränken, mindestens elf Nationen sollten Mitglieder sein und damit die Möglichkeit bestehen, die vorgesehene Mehrheit der Großmächte überstimmen zu können. Freihandel, eine bessere Verteilung der Nahrungsmittel weltweit, die Abschaffung der Kinderarbeit und eine internationale Gesundheitsbehörde wurden ebenso als Ziele des Völkerbundes festgelegt wie die Abschaffung der Zensur und die Gleichstellung von Frauen in allen Gremien. Letzteres hatte die Inter-Allied Women’s Conference bereits durchgesetzt, nun sollte es auch in der Satzung des Völkerbundes kodifiziert und damit in den Mitgliedstaaten bindend werden.

Die Völkerbundstaaten sollten darüber hinaus "auf gleicher Grundlage für alle Staaten" die Abrüstung vorantreiben und die Wehrpflicht abschaffen. Zudem forderten die Delegierten, den Minderheitenschutz zu verankern und "die bürgerlichen und politischen Rechte der nationalen Minderheiten eines jeden Landes" zu gewährleisten. Die radikalste Forderung betraf aber den Kolonialbesitz. Künftig sollten "alle rückständigen Rassen, die unter der Vormundschaft fortgeschrittener Nationen stehen, dem Schutz des Völkerbundes unterstellt werden und (…) die Mandatarmächte sich verpflichten, die Entwicklung und die Möglichkeit des Selbstbestimmungsrechtes der ihnen anvertrauten Völker zu fördern". Was die Siegermächte für die deutschen Kolonien vereinbart hatten, sollte nach dem Willen der IFFF für alle Kolonien und Protektorate gelten. Das hätte de facto das Ende der Kolonialimperien bedeutet, denn die Mandatsgebiete des Völkerbundes sollten in einer nicht näher bestimmten Zukunft auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker wahrnehmen und sich zu souveränen Staaten entwickeln dürfen. Globale Gerechtigkeit war aus Sicht der IFFF ein Mittel der Friedenssicherung, und der Völkerbund sollte sie vorantreiben.

Gemeinsam gegen Rassismus?

Eine Forderung an die Pariser Konferenz stellte die Organisation jedoch nicht, obwohl die Vorsitzende der US-amerikanischen National Association of Colored Women, Mary Church Terrell, dazu in Zürich eine flammende Rede gehalten hatte: Von einer Verankerung der "Rassengleichheit", mit der auch Japan schon bei den Verhandlungen zum Völkerbund in Paris gescheitert war, war im mehr als vier Seiten langen Forderungskatalog keine Rede. Terrell, die gemäß ihren eigenen Worten auf dem Kongress die "einzige Frau" war, "die, wenn auch nur einen Tropfen, farbiges Blut in ihren Adern hat", sah sich deshalb in der Pflicht, in Zürich "nicht nur die farbigen Frauen der Vereinigten Staaten, sondern auch diejenigen Afrikas und anderer Länder zu vertreten". Wollte man nach dem Krieg den Frieden dauerhaft sicherstellen, dann sei auch ein Ende des Rassismus vonnöten, denn ein "dauernder Friede ist eine Unmöglichkeit, solange die farbigen Rassen der Ungerechtigkeit unterworfen sind, nur weil sie farbig sind".

Diese "Ungerechtigkeit", diesen Rassismus skizzierte Terrell, die aus einer wohlhabenden Familie stammte, am renommierten Oberlin College klassische Literatur studiert hatte und als erste Frau dem Bildungsrat von Washington angehörte, anhand der Lebenssituation von People of Color in den Südstaaten. Diese seien weitgehend vom Wahlrecht ausgeschlossen, hätten sehr viel schlechtere Bildungsmöglichkeiten und damit schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und seien zudem alltäglich Gewalt ausgesetzt. Dass es selbst einer neuen Institution wie dem Völkerbund nicht gelungen war, das Ideal der "Rassengleichheit" in ihre Satzung aufzunehmen, empfand sie als herbe Enttäuschung.

Bei der Bildungsarbeit der IFFF zum Frieden sei auch der gleichzeitige Kampf gegen den Rassismus unabdingbar. Dazu forderte Terrell ihre Mitstreiterinnen mit eindringlichen Worten auf: "Die farbigen Mütter bitten ihre weissen Schwestern, die hohen Prinzipien der Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichberechtigung nie aus den Augen zu verlieren und ihre eigenen Kinder so zu erziehen, dass sie dieselben nicht vergessen. (…) Die farbigen Mütter bitten ihre weissen Schwestern, ihre Kinder zu lehren, dass der Mensch, wie immer auch seine Farbe sein mag, nicht nach dieser, sondern nach seinem inneren Werte nach beurteilt werden muss und dass Rasse, Klasse, Religion und alles andere bedeutungslos ist." Menschenrechte, um das berühmte Diktum der Frauenrechtlerin Hedwig Dohm umzuformulieren, sollten Terrell zufolge auch keine Hautfarbe haben.

Ihre Forderungen schlugen sich im Programm für die nationalen Sektionen nieder, das von der Konferenz verabschiedet wurde. Die Mitglieder verpflichteten sich dazu, sich für bessere Bildungsmöglichkeiten sowie gegen Segregation und rassistische Benachteiligung einzusetzen. Im "Freibrief der Frauen" sowie im Kommentar zum Völkerbund und damit in den Dokumenten, die in Paris den Teilnehmern der Friedenskonferenz überreicht werden sollten, wurde das Thema jedoch nicht angesprochen. Dies war der Dominanz weißer Frauen aus der gebildeten Mittelschicht in einer Organisation geschuldet, in der Mary Church Terrell 1919 eine Ausnahme darstellte und die erst begann, sich mit Rassismus und Antisemitismus in den eigenen Reihen auseinanderzusetzen.

Pazifistische Kritik am Vertrag von Versailles

Mit deutlichen Worten kritisierten die Pazifistinnen den Friedensvertrag von Versailles. Sie bewerteten ihn vorrangig nach dem Kriterium, ob seine Bedingungen dazu geeignet waren, den Frieden in Europa und der Welt zu garantieren. Es ging ihnen um dessen pragmatischen Nutzen, nicht um nationale Ressentiments. Im Zentrum stand die Frage, wie Friede, Gerechtigkeit und Freiheit weltweit langfristig gesichert werden könnten. Ziel war es, Krieg und Gewalt langfristig zu ächten. Ähnlich wie Wilson waren sie gegen eine Kriegsbeute für die Siegermächte und sahen in der allgemeinen Abrüstung einen besseren Weg, um künftige Kriege zu vermeiden, als in Sperrgürteln und wirtschaftlicher Destabilisierung. Die britische Labour-Politikerin Ethel Snowden setzte noch ein moralisches Argument dazu: Man habe den jungen Männern versprochen, für die Demokratie in den Krieg zu ziehen, für das Recht der Völker, selbst zu entscheiden, in welcher Staatsform sie leben wollten. Nur weil Kriegstreiber es falsch gemacht hätten, müssten die anderen Staaten es ihnen nicht gleichtun. Nicht für einzelne Länder träten sie ein, sondern für den Frieden in der Welt. Die Gebietsabtretungen aber könnten nur eines bedeuten: künftige Kriege. Nach Paris telegrafierte man einstimmig, mit dem Vertrag von Versailles sei der Frieden nicht zu sichern: "Dadurch, dass die Friedensbedingungen die Früchte der Geheimverträge den Siegern sichern, wird die Geheimdiplomatie stillschweigend gutgeheissen, das Prinzip der Selbstbestimmung verleugnet, das Recht des Siegers auf die Kriegsbeute anerkannt und über ganz Europa Misstimmung und Feindseligkeit verbreitet, die nur zu weiteren Kriegen führen können. (…) Durch die finanziellen und wirtschaftlichen Bedingungen wird eine Generation von hundert Millionen Menschen im Herzen Europas zu Elend, Krankheit und Verzweiflung verdammt, was in Hass und Anarchie ausarten muss."

Gewalt aber war das, was die Kongressteilnehmerinnen unter allen Umständen vermeiden wollten. Vor allem waren sie der Ansicht, einen Frieden könne es ohne die Beteiligung von Frauen nicht geben. Um ihrer Resolution Gehör zu verschaffen, reisten führende Mitglieder persönlich nach Paris, darunter Jane Addams, die Britinnen Charlotte Despard und Chrystal Macmillan, die Französin Gabrielle Duchêne sowie die Italienerin Rosa Genoni – es handelte sich also ausschließlich um Frauen aus den Siegerstaaten. Eine Änderung der Friedensbedingungen erreichten sie bekanntermaßen nicht. Obwohl Frauen inzwischen in einer Reihe von Staaten das Wahlrecht besaßen und sich viele Frauenorganisationen mit den in Paris behandelten Themen beschäftigten, entschieden auf der Friedenskonferenz dort 1919 ausschließlich Männer.

Ausblick

Die IFFF bezog noch im gleichen Jahr ihr Ständiges Sekretariat im Maison Internationale in Genf. Damit wurde die Organisation zum Prototyp einer Nichtregierungsorganisation: Sie lieferte Beweise für Missstände, wirkte auf Repräsentanten ein und versuchte, Entscheidungsträger zu beeinflussen. Finanziert wurde die Organisation vornehmlich aus Mitgliedsbeiträgen, sodass sie häufig unter Geldnöten zu leiden hatte. Zum Agendasetting der IFFF gehörte es nicht zuletzt, das Politikfeld des Völkerbundes um die Themen Gesundheit, Bildung und Frauenrechte zu erweitern.

Ihre Mitglieder bildeten schon in der Zwischenkriegszeit eine Identität aus, die nicht in der Nationalität, sondern in dem internationalen Netzwerk verankert war, in dem die Frauen für universale Rechte kämpften. Sie nahmen vorweg, was Virginia Woolf 1938 in ihrem Essay "Drei Guineen" schrieb: "In Wahrheit habe ich als Frau kein Land. Als Frau will ich kein Land haben. Als Frau ist mein Land die ganze Welt." "Universal sisterhood" war die Selbstbeschreibung der Aktivistinnen. Die gemeinsame Identitätsbildung, das Überbrücken von Differenzen gelang auch deshalb, weil es sich um gut gebildete Frauen der Mittelschicht handelte – oft waren sie selbst multinationaler Herkunft –, die untereinander häufig mehr verband als mit anderen Frauen aus ihren Heimatländern. Das galt auch für die wenigen Women of Color, die seit 1915 Mitglieder in der IFFF waren und wie Terrell aus der gut gebildeten Mittelschicht stammten. In der Zwischenkriegszeit wurde der Versuch unternommen, auch Frauen aus dem globalen Süden zu integrieren und aus der IFFF eine globale Institution zu machen. "Universal sisterhood" war aber zugleich ein westliches Konzept, die Feministinnen aus den industrialisierten Ländern nahmen sich häufig als Helfende gegenüber ihren "rückständigen" Schwestern wahr. Gleichzeitig gingen sie von spezifisch weiblichen Eigenschaften aus, die sie einten, und brachten so lang eingeübte Wahrnehmungsmuster durchaus ins Wanken. Die Vorläuferinnen eines intersektionalen Feminismus mussten die Gleichheit, für die sie eintraten, selbst erst einüben. Ihre gemeinsame Agenda Friedenssicherung, soziale Reformen und mehr Mitspracherechte für Frauen verband die Aktivistinnen.

Auch wenn die Teilnehmerinnen der Zürcher Konferenz noch keinen großen Einfluss auf Institutionen und Friedensverträge nehmen konnten, war ihre internationale Ausrichtung und ihre Haltung, Nationalismus zu überwinden und konsequent eine globale Sichtweise einzunehmen, wegweisend für die Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die IFFF hat heute Beraterstatus bei den Vereinten Nationen und einen Sonderberaterstatus bei UNICEF, Welternährungsorganisation und der IAO.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zur internationalen Frauenfriedensbewegung einschlägig Annika Wilmers, Pazifismus in der Internationalen Frauenbewegung 1914–1920, Essen 2008, hier S. 69. Zur internationalen Frauenbewegung vgl. Leila J. Rupp, Worlds of Women. The Making of an International Women’s Movement, Princeton 1997; Marie Sandell, The Rise of Women’s Transnational Activism. Identity and Sisterhood between the World Wars, London 2015.

  2. Vgl. Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (Hrsg.), Bericht des Internationalen Frauenkongresses. Zürich, 12.–17. Mai 1919, Genf 1919, S. 154ff.

  3. Vgl. Internationales Frauenkomitee für den dauernden Frieden (Hrsg.), Internationaler Frauenkongresses, Haag 28. April bis 1. Mai 1915, Amsterdam 1915, S. 39ff.

  4. Woodrow Wilson, 14 Punkte, in: Susanne Brandt, Das letzte Echo des Krieges. Der Versailler Vertrag, Ditzingen 2018, S. 207–223.

  5. Vgl. Internationale Frauenliga (Anm. 2), S. 196, S. 478; Jo Vellacott, Feminist Consciousness and the First World War, in: History Workshop 23/1987, S. 81–101, hier S. 93ff.; Wilmers (Anm. 1), S. 51–55.

  6. Zit. nach Wilmers (Anm. 1), S. 66. Zu den allgemeinen Bedingungen während des Krieges siehe ebd., S. 62–66.

  7. Vgl. ebd., S. 67; Jo Vellacott, Putting a Network to Use. Formation and Early Years of the Women’s International League for Peace and Freedom, in: Eva Schöck-Quinteros et al. (Hrsg.), Politische Netzwerkerinnen. Internationale Zusammenarbeit von Frauen 1830–1960, Berlin 2007, S. 131–154, hier S. 148.

  8. Vgl. Jo Vellacott, Feminism as if All People Mattered. Working to Remove the Causes of War, 1919–1929, in: Contemporary European History 10/2001, S. 375–394, hier S. 379.

  9. Vgl. Barbara Rosenwein, Worrying about Emotions in History, in: American Historical Review 107/2002, S. 821–845, hier S. 842f.

  10. Vgl. Rupp (Anm. 1), S. 118ff.; Jost Dülffer, Versailles und die Friedensschlüsse des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Gerd Krumeich (Hrsg.), Versailles 1919. Ziele – Wirkung – Wahrnehmung, Essen 2001, S. 17–34.

  11. Vgl. Jennifer A. Davy: "Männliche Gewalt" und "weibliche Friedfertigkeit". Die Militarismuskritik von Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, in: Wolfram Wette (Hrsg.), Schule der Gewalt. Militarismus in Deutschland 1871–1945, Berlin 2005, S. 152–170, hier S. 159–164; Leila J. Rupp/Verta Taylor, Forging Feminist Identity in an International Movement. A Collective Identity Approach to Twentieth Century Feminism, in: Signs 24/1999, S. 363–386, hier S. 377.

  12. Vgl. Leila J. Rupp, Constructing Internationalism: The Case of Transnational Women’s Organizations, 1888–1945, in: American Historical Review 99/1994, S. 1571–1600, hier S. 1590.

  13. Internationale Frauenliga (Anm. 2), S. 8.

  14. Vgl. Hedwig Richter/Kerstin Wolff (Hrsg.), Frauenwahlrecht. Demokratisierung der Demokratie, Hamburg 2018.

  15. Internationale Frauenliga (Anm. 2), S. 78.

  16. Vgl. Vellacott (Anm. 8), S. 378, S. 382f.; Birte Förster, 1919. Ein Kontinent erfindet sich neu, Stuttgart 2018, S. 93.

  17. Internationale Frauenliga (Anm. 2), S. 343.

  18. Ebd.

  19. Vgl. Blanca Rodrígues-Ruiz/Ruth Rubio-Marín, Introduction. Transition to Modernity, the Conquest of Female Suffrage and Women’s Citizenship, in: dies. (Hrsg.), The Struggle for Female Suffrage in Europe. Voting to Become Citizens, Leiden 2012, S. 1–46, hier S. 37.

  20. Internationale Frauenliga (Anm. 2), S. 343f.

  21. Vgl. Marcus M. Payk, Frieden durch Recht? Der Aufstieg des modernen Völkerrechts und der Friedensschluss nach dem Ersten Weltkrieg, Berlin 2018, S. 543–591.

  22. Vgl. Internationale Frauenliga (Anm. 2), S. 339–342.

  23. Ebd., S. 340, S. 342.

  24. Vgl. Susan Pedersen, The Meaning of the Mandate System. An Argument, in: Geschichte und Gesellschaft 32/2006, S. 560–582. Siehe auch den Beitrag von James Kitchen in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  25. Vgl. Förster (Anm. 16), S. 101f.

  26. Internationale Frauenliga (Anm. 2), S. 212f.

  27. Vgl. Joyce Blackwell, No Peace Without Freedom. Race and the Women’s International League for Peace and Freedom, 1915–1975, Carbondale 2004, S. 44f.

  28. Internationale Frauenliga (Anm. 2), S. 216.

  29. Vgl. Blackwell (Anm. 27), S. 58, S. 64; Rupp (Anm. 12), S. 1579f.

  30. Vgl. Vellacott (Anm. 8), S. 384.

  31. Internationale Frauenliga (Anm. 2), S. 217–221.

  32. Ebd., S. 338.

  33. Vgl. Vellacott (Anm. 8), S. 387f.

  34. Virginia Woolf, Ein eigenes Zimmer. Drei Guineen. Zwei Essays, Frankfurt/M. 2001, S. 129–297, hier S. 256.

  35. Sandell (Anm. 1), S. 8.

  36. Vgl. ebd., S. 2–12; Rupp (Anm. 1), S. 211–216, S. 233; Imaobong D. Umoren, Race Women Internationalists. Activist-Intellectuals and Global Freedom Struggles, Oakland 2018, S. 29.

  37. Vgl. Internationale Frauenliga, Die Liga, o.D., Externer Link: http://www.wilpf.de/die-liga.

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ist promovierte Historikerin und hat im Wintersemester 2018/19 die Professur für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Bremen vertreten. E-Mail Link: bfoerster@uni-bremen.de