Einleitung
Die tief greifenden Veränderungen in der internationalen Politik wirken sich selbstverständlich auch auf die transatlantischen Beziehungen aus. Seit dem Fall des "Eisernen Vorhangs" im Jahre 1989 haben sich die geostrategischen Rahmenbedingungen, das Verhältnis der Europäer untereinander wie auch ihre Beziehungen zu den USA verändert. Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Wegfall eines gemeinsamen Feindes verschwindet zugleich für Amerika sein Enthusiasmus, die europäische Integration zu unterstützen. Denn heute sind die USA längst nicht mehr so sehr auf Europa angewiesen wie seinerzeit, als der alte Kontinent Schauplatz ihrer Konfrontation mit der Sowjetunion war. Es ist allerdings jenseits des Atlantiks ganz offensichtlich, dass die Bewältigung der strategischen und wirtschaftlichen Herausforderungen eine starke euro-atlantische Zusammenarbeit voraussetzt, insbesondere im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Die "transatlantische Zivilisation" (Gerhard Schröder) wird von denselben Gefahren bedroht. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington am 11. September 2001 hat der islamistische Terrorismus am 11. März 2004 in Madrid und am 7. Juli 2005 in London gezeigt, dass auch Europa jederzeit das Ziel von Terroranschlägen werden kann.
Statt Bipolarität gibt es heute eine komplexe Realität. Die transatlantischen Beziehungen werden sich dieser weltpolitischen Realität anpassen müssen. Auch die stärkere EU wird einen unabhängigeren Weg einschlagen. Der German Marshall Fund befragte jüngst in einer Untersuchung 11 000 Amerikaner und Europäer über ihre Vorstellungen zu den zukünftigen transatlantischen Beziehungen. Die Tendenz war eindeutig: Die Europäer wünschen mehr Unabhängigkeit von Amerika, 71 Prozent befürworten die Entwicklung der EU zu einer ebenbürtigen "Supermacht". Diese Befürwortung sinkt allerdings um 50 Prozent, wenn damit eine Erhöhung der Verteidigungskosten verbunden wäre. Der Irakkrieg und die aus ihm erwachsenen Zerwürfnisse in den transatlantischen Beziehungen haben eine ohnehin auseinander driftende Entwicklung zwischen Amerika und Europa nur noch verstärkt und beschleunigt.
Die transatlantische Asymmetrie
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Europa vollkommen abhängig von den USA: Sie haben es wirtschaftlich gefördert, seine ökonomische Vereinigung unterstützt und seine Verteidigung übernommen. Der wirtschaftliche Aufbau Europas hat innerhalb des euro-atlantischen politischen Rahmens begonnen. Man darf sich auch nicht darüber wundern, dass die neuen Mitgliedsstaaten der EU diese traditionelle Sichtweise heute übernehmen: Die EU stellt den Wohlstand dar, die NATO veranschaulicht die Sicherheit.
Das Europa der 25 ist eine ökonomische Supermacht. Sein Bruttoinlandsprodukt (BIP) entspricht dem der USA, trotz Wachstumsschwäche und hoher Arbeitslosigkeit. Politisch bleibt es jedoch ein Zwerg. Dieses Europa, das beispielhaft sein möchte - "Raum des Friedens, der Freiheit und der Demokratie" (Jacques Delors) -, ist dennoch fähig, sich wegen der Anerkennung der sezessionistischen Republiken Jugoslawiens Anfang der neunziger Jahre zu spalten oder sich beim EU-Gipfel von Nizza, im Dezember 2000, in einen Streit über die Stimmenverteilung in den europäischen Institutionen zu verstricken. Seit dem doppelten "Nein" der Franzosen (29. Mai 2005) und der Niederländer (1. Juni 2005) zur EU-Verfassung ist die EU in eine nachhaltige Sinnkrise gestürzt.
Die Fähigkeit der EU, sich als autonomer strategischer Akteur auf gleicher Augenhöhe mit den USA zu behaupten, wird durch die jüngsten Fortschritte in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
Das transatlantische Ungleichgewicht wird durch zwei Faktoren zusätzlich verschärft: die wirtschaftliche und demographische Dynamik der USA im Vergleich zu Europa und den relativen Komfort, den die Akzeptanz der "sanften Dominanz" durch den großen Bündnispartner den Europäern verschafft. Doch während die Europäer die Amerikaner als Garant ihrer Sicherheit zur Abwehr möglicher Bedrohungen benötigen, haben die USA gezeigt, dass sie auch ohne die Europäer handeln können, wenn es um militärisches Eingreifen geht. Bei den letzten von den USA geführten Kriegen (erst in Afghanistan, dann im Irak) wurde die NATO einfach ignoriert. Für die amerikanische Supermacht ist es günstiger, von Fall zu Fall "Willige" anzuwerben als sich einem multilateralen Stab unterzuordnen. Die NATO mag nützlich sein, um die Verbündeten zu kontrollieren, aber sie soll der amerikanischen Macht nicht die Hände binden.
Dissonanzen im transatlantischen Verhältnis
Beim EU-USA-Gipfel vom 3. Dezember 1995 in Madrid unterschrieben der damalige EU-Kommissionspräsident Jacques Santer, EU-Ratspräsident Felipe Gonzales und US-Präsident Bill Clinton die Charta für eine New Transatlantic Agenda (NTA). Beim EU-USA-Gipfel vom 21. Juni 2005 in Washington unterstrichen diesmal EU-Kommissionspräsident Jose' Manuel Barroso, EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker und der Hohe Repräsentant für die Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, sowie US-Präsident George W. Bush den politischen Stellenwert der transatlantischen Partnerschaft. Der Gipfel hat eine klare Botschaft an die Weltöffentlichkeit gesandt: Europa und Amerika stehen auch künftig gemeinsam für Frieden, Demokratie und Freiheit in der Welt ein. Diese allgemeine Rhetorik kann aber die immer häufigeren transatlantischen Dissonanzen nicht mehr verdecken.
Die National Security Strategy (NSS) der USA vom 17. September 2002 erregte weltweit besondere Aufmerksamkeit, weil es die erste NSS nach "9/11" war und weil sie erstmalig den radikalen Bruch mit dem Bedrohungsszenario des Kalten Krieges markierte. Die Antwort auf die neuen Sicherheitsrisiken (Internationaler Terrorismus, Schurkenstaaten, Proliferation von Massenvernichtungswaffen, organisiertes Verbrechen) ist eine Mischung aus defensiven und offensiven Maßnahmen, die in einem präventiven militärischen Interventionismus gipfeln. Diese offensive Strategie ist in Europa auf massive Kritik gestoßen, weil der neue Interventionismus einer neohegemonialen Logik folgt. Die europäische Kritik, die im Vorfeld des Irakkrieges an den Rand eines atlantischen Schismas führte, krankte allerdings daran, dass weder Bundeskanzler Gerhard Schröder noch der französische Staatspräsident Jacques Chirac über einen konzeptionellen Gegenentwurf verfügten außer dem Verweis auf die Inspekteure der UNO, und er litt darüber hinaus daran, dass sie nicht in der Lage waren, ihre multilateralen Alternativen auch selbst substanziell einzulösen. Diesem doppelten Defizit soll durch die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) vom 12. Dezember 2003 ("Ein sicheres Europa in einer besseren Welt", von Javier Solana entworfen) nun abgeholfen werden. Das europäische Bedrohungsszenario entspricht weitgehend dem amerikanischen. Der wesentliche Unterschied zur NSS liegt aber darin, dass die EU explizit auf die Karte des Multilateralismus und nicht des Unilateralismus setzt und auch ein anderes Verständnis von Prävention hat. Militärische Einsätze sollen nicht das erste, sondern das letzte Mittel sein. Zuvor und nicht nachträglich wird auf das gesamte Instrumentarium ziviler, politischer und wirtschaftlicher Mechanismen zur Konfliktprävention gesetzt.
Überhaupt gibt es ausschlaggebende politisch-kulturelle Unterschiede zwischen Europa und Amerika: die Rolle des Staates und der Gewalt in der Gesellschaft, die Problematik der Todesstrafe, die Frage des Umweltschutzes und der nationalen Souveränität und nicht zuletzt der Stellenwert der Religion: In Amerika spielt sie eine viel bestimmendere Rolle als im weitgehend säkularisierten Europa, und daraus ergibt sich der fest verankerte Glaube an die gottgewollte Mission Amerikas, die Welt zu verbessern.
Der Gedanke, ein "transatlantisches Wir-Gefühl"
Europas mangelnde strategische Geschlossenheit
Ob Multilateralismus, die Rolle des Völkerrechts bei der Konfliktbewältigung oder zivile Konfliktprävention - Amerika entscheidet sich oft gegen die europäische Linie. Bei Bedarf greift Washington rücksichtslos auf die Option zurück, Europa zu teilen, um es besser beherrschen zu können. In der Frage des deutschen Sitzes im UN-Sicherheitsrat besteht die Taktik Washingtons darin, eine offene Festlegung so lange wie möglich zu vermeiden und darauf zu setzen, dass sich die Kandidaten und Widersacher in den verschiedenen Regionalgruppen wechselseitig blockieren. Die europäische Einigung kann sowieso aus amerikanischer Sicht "nur auf Ablehnung stoßen. Auf Ablehnung deshalb, weil die EU als Spaltung des Westens und als Herausforderung des amerikanischen Führungsanspruchs verstanden wird."
Wenn man die komplementäre Rolle Europas und Amerikas veranschaulichen will, bezieht man sich traditionell auf zwei unterschiedliche Ansätze: Frankreich ist seit der gaullistischen Ära auf Distanz gegangen. Es betrachtet sich als Verbündeten der USA, scheut sich aber nicht, Meinungsverschiedenheiten auch öffentlich auszutragen. Es versucht, eine gewisse Selbstständigkeit der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik zu fördern. Großbritannien - vom Anspruch der special relationship des absoluten Vertrauens mit den USA durchdrungen - verfolgt traditionell einen eigenen Ansatz in den transatlantischen Beziehungen. Es bevorzugt eine enge Bindung an die USA in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik - eine Haltung, die sich auch in der Politik der meisten Beitrittsstaaten widerspiegelt. Anlässlich des Gipfels von Saint Malo (1998), auf dem Frankreich und Großbritannien das Projekt der europäischen Verteidigung neu in Schwung zu bringen versuchten, sind diese unterschiedlichen Ansätze deutlich geworden. In der Erklärung von Saint Malo ist die Rede von einer "autonomen Handlungsfähigkeit" Europas, aber das europäische Handeln soll zur "Vitalität einer erneuerten Atlantischen Allianz beitragen, die die Grundlage der kollektiven Verteidigung ihrer Mitglieder bildet". Diese Zweideutigkeit hat den Fortschritt auf dem Weg zu autonomen militärischen Kapazitäten der EU nicht verhindert, hat aber den Gang der Verhandlungen verlangsamt, besonders in Bezug auf die militärische Autonomie der EU im Verhältnis zur NATO. Deutschland wiederum - traditionell hin und her gerissen zwischen dem französischen Willen zur europäischen Autonomie und der Loyalität gegenüber dem amerikanischen Verbündeten - hat es im Jahr 2002 zum ersten Mal gewagt, seine Uneinigkeit mit der amerikanischen Irakpolitik öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Diese Haltung hat bei den politischen Eliten gewiss kein einhelliges Echo ausgelöst, dennoch stellt sie die Tendenz eines Landes dar, das "normaler", souveräner in seinen Entscheidungen sein will. Die Haltung Deutschlands, das sich in der Außenpolitik traditionell sowohl Frankreich als auch den USA verpflichtet fühlt, erscheint jedoch oft ambivalent. Andererseits bleibt auf deutscher Seite hinsichtlich des französischen Vorgehens im israelisch-palästinensischen Konflikt die Frage, ob damit die Entwicklung einer europäischen Position oder die eigene Profilierung als Gegengewicht zu den Vereinigten Staaten bezweckt wird.
Für die weitere Entwicklung der transatlantischen Beziehungen spielt die Frage, wie diese innereuropäischen Gegensätze in der Haltung gegenüber den USA überbrückt werden, eine entscheidende Rolle. Denn der Umgang der Europäer mit dem Anspruch und dem Drängen der amerikanischen Führung in der Irakkrise hat verborgene Machtstrukturen und Wahrnehmungsmuster im Verhältnis der EU-Staaten untereinander offen gelegt. Unter der Oberfläche der Verträge, Institutionen und des europapolitischen Pathos, hinter dem Binnenmarkt und der Währungsunion bestehen Konfliktlinien fort, die historische, kulturelle und materielle Ursachen haben. So waren die Position und die Taktik spanischer und italienischer Außenpolitik auch als Reflex auf die Position des deutsch-französischen Tandems in der EU zu verstehen. Als Gegengewicht zum "Euro-Gaullismus" von Paris und Berlin formierte sich ein Lager des "Euro-Atlantizismus". Wie stets seit den frühen Jahren der europäischen Integration besitzen die USA für die mittleren wie kleineren Staaten in Europa die Rolle der Ausgleichsmacht gegenüber den Großen in der EU. Umso schärfer war die Kritik des bewussten Anhängers der deutsch-französischen Freundschaft Wolfgang Schäuble: "Die jüngsten Erfahrungen haben wieder bestätigt, dass derjenige, der Europa gegen die USA einen wollte, am Ende nur Europa spalten wird. Das war der Fehler, der im Januar 2003 in den deutsch-französischen Beziehungen passiert ist. Gewiss hat Frankreich seit den Zeiten von General de Gaulle immer eine stärkere Distanz zur NATO und zu den USA gepflegt. Deutsche Politik war es dabei stets, enge, auch privilegierte deutsch-französische Beziehungen so zu gestalten, dass sie nicht zur Alternative zur atlantischen Bindung wurden, auch nicht zu einer Vernachlässigung anderer Partner in Europa."
Die Unfähigkeit, sich untereinander zu verständigen, kann tatsächlich in eine "Arroganz der Ohnmacht" münden.
Frankreich ist kein Haupthindernis
Als alte europäische Nation, Urheber der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergelegten Ideale und ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates hat Frankreich schon immer Einfluss auf die internationalen Angelegenheiten beansprucht und ausgeübt. Dieser hat sich natürlich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verändert. Paris stützt sich aber nach wie vor auf die Einhaltung bestimmter Grundsätze. Besonderen Wert misst Frankreich seiner Unabhängigkeit bei, ein Prinzip, das die unter Staatspräsident Charles de Gaulle in den sechziger Jahren eingeleitete Außenpolitik stark geprägt hat. Sein Vorgehen beruhte auf dem Aufbau einer autonomen und glaubwürdigen Verteidigung durch die nukleare Abschreckung. In diesem Sinn wurden auch einige aufsehenerregende diplomatische Initiativen ergriffen, vor allem im Nahen Osten und Asien, die zeigten, dass Frankreich seine außenpolitischen Analysen und Entscheidungen immer fest im Griff hat. Dieser politische Wille ließ auch in den folgenden Jahrzehnten nicht nach.
Demzufolge war es für Frankreich keine metaphysische Angelegenheit, sich der amerikanischen Position zu widersetzen und unter den Gegnern des Irakkonflikts die Führung zu übernehmen. Frankreich hat sogar, zusammen mit Deutschland, eine Achse Paris-Berlin-Moskau geschaffen. Internationales Aufsehen erregte der damalige Außenminister und jetzige Premierminister Dominique de Villepin, als er am 24. Februar 2003 in einer brillanten (selbstverständlich auf Französisch gehaltenen) Rede vor dem UN-Sicherheitsrat den USA die Gefolgschaft im Irakkrieg aufkündigte und ein rhetorisches Duell mit seinem amerikanischen Kollegen Colin Powell zu seinen Gunsten entschied.
Ob berechtigt oder nicht, im Unterbewusstsein der politischen Elite sieht Frankreich sich noch immer als Weltmacht, deshalb ist es auch vernünftig, die "notwendige Sensibilität" (Helmut Kohl) gegenüber Frankreich zu wahren. Alle politischen Parteien bekennen sich zur "exception française"
Ziel der französischen Außenpolitik ist nicht die Schaffung einer "multipolaren" Welt: Sie ist es schon seit langem, wie es Henry Kissinger einst erklärte. Das Ziel besteht auch nicht darin, einen Gegenpol zu den USA zu etablieren. In diesem Fall würde Frankreich auf einen gemeinsamen europäischen Sitz im UN-Sicherheitsrat drängen. Aber zuerst einmal wollen natürlich die Franzosen (und die Briten) ihre Privilegien nicht aufgeben, zweitens sind nun einmal in der UNO Staaten organisiert und keine Staatenverbände. Ziel ist es, eine balancierte Partnerschaft zu erreichen, die auch die realpolitische Option eines Dreiecks Paris-Berlin-Moskau zulässt. Diese Konzeption beruht auf paneuropäischen Lösungen: Dazu sei ein deutsch-französischer Handlungskern notwendig, der Verbindungen zu Russland sucht und die kontinentale Vorherrschaft der USA bricht.
Die Emanzipation Europas vollenden
Europa wird nie über die militärischen Mittel verfügen, die notwendig wären, um aus der EU eine Gegenmacht zu den USA zu machen. Es spricht auch alles dagegen, dieses Ziel anzustreben. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die europäischen Mitglieder der NATO wenigstens immer dann ein Korrektiv zu den USA bilden könnten, wenn deren Politik europäischen Widerspruch herausfordert. Die Bush-Administration hat mit ihrem dezidierten Unilateralismus nicht nur die raison d'être des Atlantischen Bündnisses, sondern den politischen Zusammenhalt des Westens im weitesten Sinne in Frage gestellt. Es hat sich in der Tat eine "Weltgewaltordnung" einer einzelnen Macht etabliert, wie es der Verfassungsrechtler Erhard Denninger zutreffend ausgedrückt hat, welche die Welt mit missionarischem Eifer in Gut und Böse einteilt und dem "Pluralismus der Gerechtigkeitskonzeptionen" den Rücken kehrt.
Der politisch-strategische Dialog zwischen den USA und der EU muss wieder belebt und institutionell fester als bisher verankert werden. Dies muss im Rahmen einer reformierten NATO (wie es Gerhard Schröder auf der Münchner Sicherheitskonferenz am 6. Februar 2005 vorschlug) und eines direkten EU-USA-Dialogs erfolgen. Ziel eines strategischen Dialogs muss es sein, gemeinsame Ziele und Projekte zu identifizieren und Differenzen in internationalen Fragen konstruktiv auszutragen.
In diesem Zusammenhang wird besonders Deutschland gefordert sein. Berlin muss eine selbstbewusste Politik betreiben und eine rationale Interessenabwägung im Rahmen der EU verfolgen, auch wenn es gelegentlich andere Prioritäten setzt als Washington. Aus Verantwortung für Europas Zukunft sollte Deutschland endlich die Nabelschnur durchtrennen, denn eine Politik der "doppelten Integration" kann keine Alternative sein. Deutschland kann nicht Europa politisch weiter ausbauen wollen und zugleich immer den Primat der deutsch-amerikanischen Beziehungen betonen. Sollte man vielleicht nicht doch mehr Scharfsinn entwickeln und auf eine engere deutsch-französische Partnerschaft setzen?
Eine der besonderen Berufungen der deutsch-französischen Beziehung - die nicht exklusiv zu verstehen ist - besteht darin, ein Ideengeber für Europa zu sein. Es geht keineswegs darum, der EU ein Direktorium aufzuzwingen, das übrigens politisch keinen Sinn hätte; es ist offensichtlich, dass das politische Gewicht des deutsch-französischen Tandems in der erweiterten EU sowohl zahlenmäßig als auch geografisch relativiert wird. Aber es geht darum zu versuchen, gemeinsame Überzeugungen zu entwickeln, vor allem in der Frage, wie man nun auf dem Weg der europäischen Integration mittels eines konstruktiven Dialogs weiter voranschreiten kann.
Es ist wichtig, dass Frankreich und Deutschland, indem sie wieder die Rolle des europäischen Motors zurückgewinnen, künftig versuchen, entscheidende Impulse zu einem Konzept der EU der 25 als ein geopolitisches Ensemble zu geben, zu einem Europa, das in der Lage ist, auf internationaler Ebene zu handeln, den Lauf der Dinge zu beeinflussen und seine Ziele zu definieren.
Erfolg werden Amerika und Europa erst wieder miteinander haben, wenn sie der veränderten weltpolitischen Lage Rechnung tragen, ein neues Bewusstsein dafür entwickeln, wie sie miteinander umgehen, und ein effektives multilaterales System finden, in dem aber die UNO als die globale Instanz akzeptiert wird, die über die stärkste internationale Legitimität verfügt: Ohne deren Unterstützung können auch die Stärksten auf lange Sicht nicht erfolgreich agieren. Dabei werden die USA, die sich in ihrer Rolle als Führungsmacht für Europa über Jahrzehnte eingerichtet und sich zuletzt einer unilateralen Strategie verschrieben haben, den weiteren Weg gehen müssen. Aber es ist der einzige, den es gibt. Ob die transatlantischen Beziehungen ihre überragende Bedeutung beibehalten werden, ist fraglich. Auf jeden Fall werden sie mit dem Verlust ihrer Selbstverständlichkeit viel nüchterner werden.