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"Es ging ja nicht allein um Unterricht, es war das Leben selbst."
(Benita Otte)
Die Geschichte des Bauhauses ist eng verbunden mit der Geschichte vieler anderer Reformideen, Schulgründungen, alternativer Lebensentwürfe und neuer Kunstrichtungen, die sich ab Ende des 19. Jahrhunderts in europäischen Metropolen wie Wien, Prag, Moskau, Paris, Madrid, Zürich oder Berlin entwickelten. Im Verbund mit der Industrialisierung, wissenschaftlichen Neuerungen und rasantem technischen Fortschritt sorgten diese im konservativ-autoritären Klima der österreichischen und preußischen Kaiserreiche für erhebliche gesellschaftliche Bewegung. Die demokratische Verfassung der Weimarer Republik schuf 1919 die Voraussetzungen dafür, dass in Deutschland an einer progressiven Schule wie dem Bauhaus auch Frauen lehren und studieren konnten.
Die "Bauhaus-Frauen" – das waren die Gestalterinnen, Pädagoginnen und Künstlerinnen, die als Schülerinnen, Lehrerinnen oder als Ehefrauen von Bauhaus-Meistern, später in eigenen Werkstätten, für die Industrie oder an anderen Kunstschulen maßgeblich die Entwicklung von Kunst, Design, Konzeption, Gesellschaftsentwurf, Unterrichtspraxis und Dokumentation des Bauhauses und der frühen Moderne geprägt und vorangetrieben haben. Sie wirkten in allen Bereichen des Bauhauses – Wandmalerei, Weberei, Keramik, Bildhauerei, Bühne, Möbeltischlerei, Grafik, Architektur, Fotografie und Pädagogik – und hinterließen so viele interessante und originelle Werke, Äußerungen, Entwürfe, Dokumente und Notizen, dass sich noch zahlreiche Forschungsprojekte zu ihnen realisieren, und etliche Ausstellungen und Bildbände mit ihren Arbeiten, Äußerungen und Lebensgeschichten füllen ließen.
Verbauter Blick
Im deutschsprachigen Raum sind der Öffentlichkeit erst wenige dieser Frauen bekannt, und angesichts der großartigen Leistungen dieser Künstlerinnen fragen wir uns heute, wie ihr "Verschwinden" passieren konnte. Zum einen lässt sich dies auf die ungleichen Ausgangsbedingungen für Frauen und Männer in Kunst, Handwerk und Design vor 100 Jahren zurückführen, auf die antiquierten Geschlechterbilder der Meister, die männlich dominierten Strukturen und die konkrete Benachteiligung von Frauen am Bauhaus in den 14 Jahren seiner Existenz. Zum anderen war die Rezeption in Forschung, Lehre, Kulturbetrieb, Medien und in der öffentlichen Wahrnehmung über 40 Jahre lang sehr einseitig patriarchal geprägt; dies hat sich erst seit den 1980er Jahren nach und nach verändert.
Bis heute verbinden viele Menschen das Bauhaus in erster Linie mit einem bestimmten Baustil und mit Architekten wie Walter Gropius, Hannes Meyer, Ludwig Mies van der Rohe und deren steinernen Zeugnissen des Neuen Bauens. Beiträge zum Neuen Bauen von Bauhäuslerinnen wie Dörte Helm, deren 1928 realisierte moderne Raumgestaltung des heute noch existierenden Kurhauses in Warnemünde von den Nazis zerstört wurde,
Die Dominanz gottväterlicher Bau-Herrlichkeit am Bauhaus hat sehr lange den Blick auf andere Gestaltungsbereiche buchstäblich verbaut, sodass die vielfältigen innovativen Schöpfungen auch besonders erfolgreicher Künstlerinnen anderer Werkstätten erst spät und nur vereinzelt zur Kenntnis genommen wurden: die zeitlos schönen Teppiche, modernen Textilstoffe, -farben und -muster von Weberinnen wie Gunta Stölzl, Anni Albers, Benita Otte oder Otti Berger; die Reformspielzeuge und variationsreichen Verwandlungsmöbel von Alma Siedhoff-Buscher und Friedl Dicker; die Krüge, Schalen und Service der Keramikerin Marguerite Friedlaender-Wildenhain, die nach ihrer Zeit am Weimarer Bauhaus die Keramikabteilung der Kunstgewerbeschule auf Burg Giebichenstein leitete und dort moderne Service für die Königliche Porzellan-Manufaktur entwarf; die Teekännchen, Lampen, experimentellen Fotos und Fotomontagen der Metallgestalterin und Fotografin Marianne Brandt, deren Teeextraktkännchen von 1924 es in der Reihe "Design in Deutschland" 1998 sogar bis auf eine bundesdeutsche Briefmarke schaffte – um nur einige zu nennen.
Lehrerinnen der ersten Stunde und Meistergattinnen in der zweiten Reihe
Neben den Studentinnen der ersten Weimarer Semester gehörten bis vor Kurzem auch zwei Lehrerinnen der ersten Stunde zu den ganz und gar vergessenen Frauen am Bauhaus: Helene Börner und Gertrud Grunow. Börner bekleidete von 1919 bis 1925 am Weimarer Bauhaus eine Position als "Werkmeister" der Weberei; sie hatte bereits 1906 bis 1915 an Henry van de Veldes Weimarer Kunstgewerbeschule unterrichtet. Dennoch war von ihr bis vor wenigen Jahren nicht einmal das Sterbedatum bekannt.
Das Interesse am experimentellen Unterricht der Sängerin und Musikpädagogin Grunow ist in jüngster Zeit gewachsen; inzwischen gibt es eine von Wissenschaftlerinnen betreute Internetseite
Frauen wie Ise Gropius und Lucia Moholy, die beide mit Bauhaus-Meistern verheiratet waren, machten sich ebenfalls schon in der Weimarer Zeit, vor allem ab dem Bau der Meisterhäuser in Dessau, einen Namen: Erstere mit ihrer überaus engagierten PR-Arbeit für das Bauhaus und als freie Journalistin, Letztere als Herausgeberin der Bauhaus-Alben und als wichtigste Foto-Dokumentaristin der Schule. Moholys Fotos der Dessauer Bauhaus-Gebäude sind im Gegensatz zu ihr selbst seit rund 70 Jahren in aller Welt bekannt. Nach ihrer überstürzten Flucht aus Berlin 1933 verwendeten mehrere Jungmeister des Bauhauses die Fotografien zum Aufbau ihrer Karrieren in den USA – zunächst ohne dass Moholy selbst davon wusste oder Zugriff auf ihre über 500 Glasnegative gehabt hätte. In Berlin erst in der Obhut von Moholy-Nagy zurückgelassen, gelangten die Negative später in die Hände von Gropius, der sie mit in die USA nahm und auch nach dem Krieg behielt. So verbrachte die Künstlerin den Krieg als mittellose Emigrantin in London und verpasste eine Karriere als Fotografin und Dozentin, die ihr sonst zweifellos offengestanden hätte.
Bauhaus und Bauhaus-Frauen im Kontext der Moderne
Die Bedeutung des Bauhauses und die Leistungen der Bauhaus-Frauen lassen sich noch besser ermessen, wenn man die gesellschaftlichen Prozesse im Zuge des Aufbruchs in die Moderne insgesamt ins Auge nimmt. Die Professionalisierung des Schulwesens und der Pädagogik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts legte eine wesentliche Grundlage für die Moderne und das Bauhaus, und daran hatte die Frauenbewegung einen großen Anteil: Frauenrechtlerinnen wie Fanny Lewald, Hedwig Dohm, Hedwig Kettler oder Helene Lange forderten in ihren Schriften und auf öffentlichen Versammlungen unermüdlich bessere Bildungs- und Ausbildungschancen für Mädchen und junge Frauen. Zwar hatte im deutschen Kaiserreich das Verbot für Frauen, sich politisch zu organisieren, weiterhin Bestand, doch gründeten sie im Zuge der mit der Industrialisierung einhergehenden, auch von der Wirtschaft geforderten Modernisierung der Berufs- und Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen zahlreiche Frauenvereine.
Künstlerinnen schlossen sich nun Damenakademien oder Malerinnenschulen wie dem Münchener Künstlerinnenverein (1882) oder der Großherzoglichen Malerinnenschule Karlsruhe (1885) zusammen. Unabhängig von der männlichen Bastion der Kunstakademien konnten sich dort nun auch Frauen künstlerisch ausbilden lassen, denen die finanziellen Mittel für privaten Unterricht fehlten. Der Zugang zu Universitäten und Kunstakademien blieb Frauen, mit wenigen Ausnahmen wie der Großherzoglich-Sächsischen Kunsthochschule in Weimar, bis zur Gründung der Weimarer Republik 1919 verwehrt. In Abgrenzung zu Akademien und nachweislich auch, um diese männlichen Künstlern vorzubehalten, wurden unter dem Druck der Wirtschaft als Resultat des Engagements der Lette-Vereine immer mehr berufsorientierte Ausbildungsstätten gegründet. Um 1910 öffneten bereits rund 60 der neu entstandenen Kunstgewerbeschulen ihre Pforten für Frauen, einige nahmen sie mit Einschränkungen auf, zwölf wurden allein für Frauen eingerichtet.
Auch international wurden die Voraussetzungen für die Gründung des Bauhauses schon lange vor dem Ersten Weltkrieg geschaffen. Ein wichtiger Anstoß kam aus der englischen Arts-and-Crafts-Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts, die eine Synthese aus Malerei, Architektur und Handwerk anstrebte. Bewegung gab es Anfang des 20. Jahrhunderts auch in Wien, wo die Wiener Werkstätten neue Wege beschritten und sich dort neben Männern wie Josef Hoffmann auch eine Frau wie Else Oppler als Gestalterin einen Namen machte. Ein paar Jahre später erprobten junge Künstler wie Franz Čižek und Johannes Itten neue Konzepte in der Kunstpädagogik. Schon 1902 hatte der Musiker und Tanzpädagoge Émile Jacque-Dalcroze, der 1911 die innovative Bildungsanstalt für Musik und Rhythmik in Dresden-Hellerau gründete, in Zürich das Konzept der "rhythmischen Erziehung" vorgelegt.
Der Beginn des neuen Jahrhunderts war eine Zeit der Inszenierungen und Visionen: Kaufhäuser, Schaufenster sowie Film und Bühne wurden zu Probenräumen für die Idee eines Gesamtkunstwerks. Neue technische Mittel wie Zeitraffer und Zeitlupe wanderten vom Film in die Literatur, und "das Geistige in der Kunst"
Parallel dazu kämpften Frauen heftiger denn je gegen ihre Unterdrückung und für gesellschaftliche Teilhabe sowie das aktive und passive Wahlrecht. Die englischen Suffragetten handelten sich um 1910 mit gezielten Steinwürfen auf das britische Parlamentsgebäude ebenso öffentlichkeitswirksame wie harte Haftstrafen ein. Da die Mehrzahl der von Männern gewählten männlichen Vertreter das Ende ihrer politischen Alleinherrschaft in Europa wohl schon ahnte, stemmten sich viele von ihnen umso heftiger gegen die Forderung der Frauen. Und so gab es vor dem Ersten Weltkrieg, mit Ausnahme von Finnland (dort ab 1906) und Norwegen (1913), in Europa noch kein allgemeines Wahlrecht für Frauen geschweige denn gewählte Volksvertreterinnen. Männer setzten sich aus ihrer Perspektive zwar auch für Gerechtigkeit und die Befreiung aus autoritären Strukturen ein, dabei aber vor allem für wissenschaftliche und kulturelle Erneuerung durch männliche Kulturträger. Und diese verstanden unter Fortschritt in der Regel etwas anderes als Emanzipation und Befreiung im Sinne tatsächlicher Chancengleichheit. Als Aussteigerinnen und Aussteiger erprobten Frauen wie Männer alternative Rollenbilder in anarchisch-egalitär ausgerichteten Gemeinschaften, etwa in Worpswede, in der Gartenstadt Hellerau oder auf dem Schweizer Monte Verità. In der Mitte der Gesellschaft wurden Moderne und Gleichberechtigung jedoch noch lange nicht zusammen gedacht. Emanzipatorische weibliche Positionen und kulturelle Praktiken fanden nur zu einem geringen Anteil Eingang in Wissenschaft, Kunst, Politik oder den Familienalltag.
Nach der menschgemachten "Urkatastrophe" des Ersten Weltkrieges, die Europa von 1914 bis 1918 in Atem hielt, waren Gesellschaft und Kultur in Deutschland wesentlich geprägt von der stürmischen Entwicklung zur Demokratie, der Inflation mit ihrem Höhepunkt 1923 und der Weltwirtschaftskrise 1929. All dies ging mit sozialen Nöten und großen Unsicherheiten einher, eröffnete aber auch Freiräume für Neues und Experimentelles – auch und gerade im künstlerischen Bereich. Ein Gutteil der schöpferischen Vielfalt, die sich auch in Alltagskultur, neuen pädagogischen Konzepten, Berufen und in der Mode widerspiegelte, ging von Frauen aus. Die Bauhaus-Frauen und andere "Neue Frauen"
Neue Wege und alte Muster
Als die jungen Frauen am Weimarer Bauhaus Ende April 1919 ihr Studium aufnahmen, waren erst wenige Monate zuvor zum ersten Mal in der deutschen Geschichte Frauen auf demokratischem Wege in ein reichsweites Parlament gewählt worden. Die verfassungsgebende Nationalversammlung tagte nur ein paar Straßen weiter im Deutschen Nationaltheater. Der lange Weg der Frauen von der Jahrhunderte währenden Entmündigung und Diskriminierung bis zu diesem Neuanfang sollte zumindest vor dem Gesetz endlich ein Ende haben. Die 84 Studentinnen am Bauhaus und die 37 weiblichen Abgeordneten sollten historisch zusammen gedacht werden.
"Wir wollten lebendige Dinge schaffen für unser heutiges Dasein, für eine neue Lebensgestaltung," schrieb die Weberin und einzige Meisterin des Bauhauses, Gunta Stölzl, 1931 rückblickend in einem Artikel für die Zeitschrift des Dessauer Bauhauses.
Dazu forderte Direktor Gropius alle auf, auch am Aufbau einer neuen Gesellschaft mitzuwirken. Die jungen Frauen sahen die einmalige Gelegenheit, die Entwicklung ihrer Fähigkeiten sowie ihren Unterhalt in die eigenen Hände zu nehmen und sich außerdem politisch zu engagieren. Am Bauhaus entwickelten sie in der Situation der Erneuerung ein besonderes Lebensgefühl, das sich in schöpferischer Experimentierfreude, reformpädagogischen Ideen und einem ausgeprägten Sinn für Gemeinschaft äußerte. Dass dies während und nach Abschluss der Ausbildung dazu führte, dass die Mehrzahl der Frauen nur in der "zweiten Reihe" landete, sollte aus heutiger Perspektive nicht als Schwäche gewertet werden, sondern als Beweis für den Fortbestand männerbündischer Strukturen selbst in einer so modernen Schule wie dem Bauhaus.
An der Geschichte der Bauhaus-Frauen lässt sich zeigen, wie langwierig und hartnäckig der diskriminierende Umgang gerade mit künstlerisch und intellektuell hochbegabten Frauen und deren Leistungen war. Künstler wie Walter Gropius, Oskar Schlemmer oder Wassily Kandinsky, die heute als Avantgarde, Meister und Bauherren der Moderne gefeiert werden, entwarfen fantastische Szenarien für den "neuen Menschen" – doch ihr Verhalten, ihr Frauenbild und ihre Kunstauffassung standen oft im Kontrast dazu. Die Haltung, dass Genie generell nur Männern vorbehalten sei, spiegelt sich genau genommen schon im Konzept wider, die neue Ausbildung an die alte Handwerksordnung anzulehnen. Bauhaus-Schülerinnen und -Schüler konnten demnach von "Lehrlingen" zu "Gesellen" bis zu "Jungmeistern" aufsteigen. Die Bezeichnung "Bauhaus", hergeleitet von der mittelalterlichen "Bauhütte", stand dabei für die Gemeinschaft der Lernenden und Lehrenden und für die Allianz von Handwerk und Kunst. Gemessen am Anspruch einer grundsätzlichen Opposition gegen die Jahrhunderte währende Akademisierung der Kunst war dieses Konzept zwar fortschrittlich, hinsichtlich der Partizipation von Frauen aber wiederum sehr rückständig. Schon die rein männlichen Bezeichnungen zeigen, dass an eine gleichwertige Berufsausbildung junger Frauen, mit dem so nützlichen Ausbildungsabschluss in Handwerk und Kunst nicht gedacht worden war.
Entsprechend trafen die Frauen in der Ausbildung bald auf Widerstände. Schon die gut gemeinte Forderung in Gropius’ Begrüßungsansprache, "kein Unterschied zwischen schönem und starkem Geschlecht",
Bereits im selben Jahr hatten die Meister die Webwerkstatt zur "Frauenklasse"erklärt. Nun wurde aber ausgerechnet die Weberei zu einer der produktivsten und für die Schule einträglichsten Werkstätten. Textilgestalterinnen wie Gunta Stölzl, Anni Albers, Otti Berger oder Margarete Leischner webten nicht nur prachtvolle individuelle Teppiche, sondern entwickelten aus avantgardistischen Material-, Form- und Farbkombinationen Muster und Patente für die Industrie. Viele der Frauen waren Mehrfachbegabungen und entschieden sich später für künstlerische Bereiche wie Foto und Film oder betätigten sich schreibend als Journalistinnen.
Nach dem Bauhaus
Zu einem ebenso dramatischen wie tragischen Kapitel entwickelte sich für viele Bauhaus-Frauen die Zeit des Nationalsozialismus. Die jüdische Weberin Otti Berger, die zunächst in London festsaß, hatte schon ein Visum für die USA, weil László Moholy-Nagy sie als Dozentin ans "New Bauhaus" nach Chicago holen wollte, besuchte aber noch einmal ihre schwerkranke Mutter in Kroatien, wurde dort inhaftiert, deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet. Auch Friedl Dicker, die im KZ Theresienstadt noch heimlich Kindern Kunstunterricht gegeben hatte, wurde in Auschwitz umgebracht. Andere jüdische Künstlerinnen wie Anni Albers, die Keramikerin Marguerite Friedlaender-Wildenhain oder die Fotografin Grete Stern konnten Europa verlassen und machten das Bauhaus in der Emigration in den USA, in Südamerika, Israel oder Afrika bekannt. Wieder andere wie Marianne Brandt oder die Bildhauerin und Kostümgestalterin Ilse Fehling überlebten unter dem Verdikt als "entartete Künstlerin" in bedrängenden Situationen innerer Emigration in Deutschland. Die Malerin Dörte Helm durfte als "Halbjüdin" ihren Beruf nicht ausüben und starb 1941 an Grippe, die Designerin Alma Siedhoff-Buscher kam 1944 bei einem Bombenangriff ums Leben. Gunta Stölzls hoffnungsvolle Karriere in der Zusammenarbeit mit großen Auftraggebern aus der Industrie brach ab; sie emigrierte in die Schweiz und führte dort bis zu ihrem Tod eine Handweberei.
Sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR gerieten die meisten Bauhaus-Frauen in lange Vergessenheit. Heute gibt es nun auch regional verstärkte Anstrengungen, insbesondere an den jeweiligen Heimatorten, die Spuren der vergessenen Mütter und Töchter der Moderne nachzuzeichnen und sichtbar zu machen. In Chemnitz bildete sich 1999 die Marianne-Brandt-Gesellschaft, das Landesmuseum Oldenburg intensiviert die Recherchen zur Textilgestalterin Margarete Willers, die Stadt Köln ehrte im September 2018 die Keramikerin Margarete Heymann-Loebenstein-Marks mit einem Stolperstein, und von April bis August 2019 ist ihr und ihrer ebenfalls am Bauhaus ausgebildeten Cousine, der Bühnenbildnerin Marianne Ahlfeld-Heymann, eine Ausstellung gewidmet. Auch im Angermuseum Erfurt werden in der Ausstellung "Bauhausmädels" bis Juni 2019 Werke von Heymann-Loebenstein-Marks, Gertrud Arndt, Marianne Brandt und Margaretha Reichardt gezeigt.
Aktualität weiblicher Moderne
"Die Welt neu denken", so lautet das einladende Motto des Bauhaus Verbundes 2019 für die Feierlichkeiten des 100-jährigen Bauhaus-Jubiläums. Wenn er mehr sein soll als ein griffiger Werbeslogan mit Verfallsdatum 31. Dezember 2019, so kann er viel, sogar alles bedeuten: nicht nur die Einladung zu einem kunsthistorischen Spaziergang, sondern zu einem utopischen Ausblick in die Zukunft. "Es gibt im Leben keine Wiederholung, es gibt nur das Beharren", sagte schon die legendäre Schriftstellerin und Kunstsammlerin Gertrude Stein, die im Zeitalter der technischen Beschleunigung als Meisterin der Langsamkeit für die literarische Moderne das filmische Mittel der Zeitlupe und der mantraartigen rhythmischen Wortwiederholung in die Sprache brachte.
Ich möchte behaupten, dass noch längst nicht alles entdeckt, erprobt, ausgeschöpft, bedacht worden ist, was in der kurzen Blütezeit der Moderne zwischen den zwei Weltkriegen ersonnen, entwickelt, geschaffen, in die Welt geworfen wurde. Und mir erscheinen die Werke, Äußerungen und auch die Lebenswege von Bauhaus-Frauen wie Gunta Stölzl, Anni Albers, Otti Berger, Friedl Dicker, Lou Scheper, Marguerite Friedlaender-Wildenhain, Alma Buscher und Lucia Moholy bei aller individuellen Unterschiedlichkeit aus heutiger Perspektive moderner, radikal neuer, mutiger, kreativer und zukunftsfähiger als die Mehrzahl der Hinterlassenschaften ihrer berühmten Lehrer, Mitschüler oder Ehemänner. Diese brachten großartige neue Ideen und Werke in die Welt, doch die jahrhundertealte "Gewohnheit" patriarchaler Dominanz ließ die meisten von ihnen den neuen Menschen weiter als überlegenen männlichen Vordenker (und Genie) entwerfen. Und der verzichtete, ganz gleich ob als Künstler oder als Sozialist, selten auf seine Vorrechte, Machtgesten und Selbstgefälligkeiten.
Die genannten Bauhaus-Frauen hingegen – eine große Anzahl von ihnen übrigens jüdischer Herkunft – überwanden die Gedächtnis- und Bindungslosigkeit, mit der die Innovations- und Machbarkeitszwänge manch "moderner" Produkte architektonischer Selbsterhöhung bis heute einhergehen, und vollzogen angesichts ihres glücklichen Überlebens der zweiten mörderischen, von Menschen herbeigeführten universellen Katastrophe spätestens in der Emigration einen Perspektiv- und Positionswechsel vom unsterblichen individuellen Werk (Produkt) zum lebendigen Wirken (Prozess). In ihrer weiblichen Vision der Moderne entwarfen sie die Welt und sich selbst auf der Grundlage einer gemeinschaftlich fundierten, schöpferischen Arbeit mit Konzentration auf das Wesentliche in der Verdichtung von Geist und Stoff (Materie). Und sie setzten ihr Schaffen ebenso achtungsvoll in Beziehung zum aktuellen Lebenskontext wie zu Traditionen und kulturellen Praktiken anderer Zeiten und Völker.