Einleitung
Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), die älteste rechtsextremistische Partei der Bundesrepublik Deutschland, ist aufgrund des misslungenen Verbotsverfahrens und eines hohen Stimmenanteils (9,2 Prozent) bei der sächsischen Landtagswahl vom Herbst 2004 in aller Munde. Ihre verschlungene Geschichte, die mehr durch Niederlagen als durch Siege gekennzeichnet war, ist hingegen weniger bekannt. Im Folgenden sollen die Knotenpunkte in der Historie der NPD nachgezeichnet und die Gründe für Erfolge wie Misserfolge erhellt werden.
Mit dem Terminus des Extremismus sind solche politischen Richtungen gemeint, die Werte und Verfahrensregeln der freiheitlichen Demokratie ablehnen. Extremismus ist der Gegenbegriff zum demokratischen Verfassungsstaat.
Zu den Strukturmerkmalen des politischen Extremismus gehören die Identitätstheorie der Demokratie, Freund-Feind-Stereotype, ein hohes Maß an ideologischem Dogmatismus und in der Regel ein starkes Bedürfnis, andere zu missionieren. Auch die Neigung zu Verschwörungstheorien ist ihm gemein: Der eigene Misserfolg wird mit der Manipulation durch finstere Mächte erklärt.
Der Begriff Extremismus stellt ein Pejorativum dar: Keiner will ein Extremist sein. Auch die NPD sieht sich nicht als extremistisches Gebilde. Zuweilen wenden Extremisten mit der griffigen Formel "Extremismus der Mitte" den Begriff indirekt auf demokratische Kräfte an. Wer von der Wortbedeutung ausgeht, erfasst dieses Phänomen nicht hinreichend. Denn die Tatsache, dass Extremismus am äußersten Rande angesiedelt ist oder ihm "Mäßigung" fehlt, sagt allein wenig aus. Extremismus kann nach seinen politischen Zielen und seinen Mitteln unterschieden werden. Wer von den Zielen ausgeht, kann vor allem zwischen dem Extremismus von links und dem von rechts differenzieren: Linksextremisten berufen sich - in unterschiedlicher Anknüpfung und Ableitung - auf kommunistische Lehren, die - jedenfalls in der Theorie - das Gleichheitsprinzip verabsolutieren; Extremismus von rechts, wie ihn die NPD verkörpert, zeichnet sich hingegen durch die Anfechtung des Prinzips fundamentaler Menschengleichheit aus. Es gibt zunehmend auch fundamentalistisch-religiöse Formen, die sich der gängigen Links-Rechts-Dichotomie entziehen. Sie propagieren die Einheit von Religion und Politik und sagen dem weltanschaulich neutralen Staat den Kampf an. Die bekannteste Variante ist der islamistische Fundamentalismus.
Alle extremistischen Richtungen lehnen zwar Gewalt als Element der Politik keineswegs prinzipiell ab, doch unterscheiden sich die Extremisten in der Mittelwahl beträchtlich. Das Spektrum reicht von strikter Legalitätstaktik über den dosierten Einsatz von Gewalt bis zu deren systematischer Verwendung (Terrorismus). Dabei besteht kein direkter Zusammenhang zwischen der Gefährlichkeit des Extremismus und den angewandten Mitteln. So hat sich etwa der Nationalsozialismus in der "Bewegungsphase" weitgehend der Legalitätstaktik bedient. Die NPD negiert zwar öffentlich die Anwendung von Gewalt, grenzt sich von gewaltbereiten Skinheads aber nicht deutlich ab.
Gründung, Erfolge, Schwächephase
Ins Leben gerufen am 28. November 1964 als Sammelbecken des "nationalen Lagers" unter Einschluss kleiner national-konservativer Kreise, trat die NPD
Die überwiegend deutschnationale Partei zog zwischen 1966 und 1968 in sieben Landesparlamente ein: im November 1966 in Hessen (7,9 Prozent) und in Bayern (7,4 Prozent), im April 1967 in Rheinland-Pfalz (6,9 Prozent) und Schleswig-Holstein (5,8 Prozent), im Juni 1967 in Niedersachsen (7,0 Prozent), im Oktober 1967 in Bremen (8,8 Prozent). Das beste Ergebnis erzielte die Partei nach den "Osterunruhen" der außerparlamentarischen Opposition 1968 im Gefolge des Attentats auf Rudi Dutschke in Baden-Württemberg (9,8 Prozent). Die NPD konnte ein beträchtliches Protestwählerpotenzial mobilisieren. Sie stieß vor allem dort auf Resonanz, wo die NSDAP ihre Hochburgen gehabt hatte, in ländlich-mittelständischen Gebieten mit einem hohen Anteil an Protestanten. Auch bei der Arbeiterschaft, an sich der klassischen SPD-Klientel, gewann die Partei überproportional viele Stimmen.
Der erste Vorsitzende Fritz Thielen (1964 - 1967), von der national-konservativen Deutschen Partei zur NPD gestoßen, war eine bloße Galionsfigur und musste bald Adolf von Thadden (1967 - 1971) Platz machen. Von Thadden, der wohl fähigste Politiker des "nationalen Lagers",
Die Niederlage zeitigte bald personelle Konsequenzen. Von Thadden trat 1971 zurück, um eine Amtsübernahme des bayerischen Landesvorsitzenden Siegfried Pöhlmann zu verhindern. Dieser strebte einen radikaleren Kurs an und verließ 1972 mit seinen Anhängern die Partei, doch die von ihm ins Leben gerufene "Aktion Neue Rechte" löste sich bald wieder auf.
Unter von Thaddens Nachfolger Martin Mußgnug, der die Partei von 1971 bis 1990 mehr verwaltete als führte, blieb die NPD ein "Haufen Ewiggestriger" ohne jede Ausstrahlung bei Wahlen, auch dann nicht, als sie Anfang der achtziger Jahren einen national-neutralistischen Kurs einzuschlagen begann. Bei der Bundestagswahl 1972 erreichte die Partei nur noch 0,6 Prozent. Das hing wesentlich damit zusammen, dass die Union als konservative Kraft die Unzufriedenheit bündeln konnte, zumal sich die NPD mit ihrem "Wertheimer Manifest" von 1970 in gewisser Weise der Union anzudienen suchte. Der Ausgang der Bundestagswahlen zwischen 1976 und 1990 war für die Partei nicht weniger deprimierend: Sie erreichte 1976 ganze 0,3 Prozent, 1980 und 1983 jeweils 0,2 Prozent, 1987 0,6 Prozent und 1990, im Jahr der deutschen Vereinigung, von der sie nicht profitieren konnte, nur 0,3 Prozent. In jenem Jahr konkurrierte sie mit den "Republikanern" um Stimmen aus dem "nationalen Lager". 1994 verzichtete die Partei auf eine Wahlteilnahme.
Auch bei Landtagswahlen kam sie niemals in die Nähe der Fünfprozenthürde. Das beste Ergebnis erzielte sie 1988 in Baden-Württemberg mit 2,1 Prozent. Der Herausgeber einer verbreiteten Postille unter wechselndem Namen (heute: "National-Zeitung") Gerhard Frey, der zur Zeit der Parteigründung im Abseits gestanden hatte, scheiterte 1975 bei dem Versuch, den stellvertretenden NPD-Vorsitz zu erlangen, und wandelte 1987 seine bereits 1971 ins Leben gerufene Deutsche Volksunion (DVU) zur Partei um. Seinerzeit kam es zu einer Annäherung zwischen den beiden Rechtsaußenformationen und zu Wahlabsprachen. Mußgnugs fehlgeschlagener Versuch, die NPD in eine rechtsextreme Sammlungsbewegung unter dem Namen "Deutsche Allianz" (später: "Deutsche Liga für Volk und Heimat") überzuleiten, führte zur Abspaltung und damit zur weiteren Schwächung der Partei.
Auf dem Bundesparteitag im Juni 1991 reüssierte Günter Deckert, ein wegen Verfassungsfeindlichkeit aus dem Schuldienst entlassener Gymnasiallehrer, gegenüber seinem Konkurrenten Jürgen Schützinger, für den die NPD in der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" aufgehen sollte. Der Parteivorsitzende Decker (1991 - 1995) setzte mit der Fokussierung auf die "Ausländerfrage" einen neuen Schwerpunkt. Zudem verstand sich Deckert als "Geschichtsrevisionist", der deswegen mehrfach von Gerichten verurteilt wurde. So hatte er sich das "Leuchter-Gutachten" (Leugnung der Existenz von Gaskammern in Auschwitz) zu Eigen gemacht. Seine Amtsenthebung hing wohl auch damit zusammen; der offizielle Grund lautete: Veruntreuung von Parteigeldern.
Die NPD unter Udo Voigt
Udo Voigt, ein ehemaliger Hauptmann der Bundeswehr und diplomierter Politikwissenschaftler, besiegte auf dem Bundesparteitag in Bad Dürkheim im Mai 1996 knapp seinen Vorgänger (mit 88 gegen 83 Stimmen). In der Folge öffnete sich die Partei Kräften mit zum Teil neonationalsozialistischen Positionen, nicht zuletzt bedingt durch den Zulauf von Mitgliedern verbotener Vereinigungen in der ersten Hälfte der neunziger Jahre.
Voigt sorgte mit seinem strategischen Konzept von 1997, das auf dem Parteitag von 1998 abgesegnet wurde, für beträchtliche Aufmerksamkeit. Es stützte sich auf drei Säulen: Mit der "Schlacht um die Köpfe" war die Programmatik gemeint, mit der "Schlacht um die Straße" die Massenmobilisierung und mit der "Schlacht um die Wähler" die Wahlteilnahme: "Keine von ihnen ist ohne die anderen sinnvoll oder auch nur möglich. Alle Mitglieder (...) sind aufgefordert, je nach eigenen Stärken und Schwächen den Schwerpunkt ihres Einsatzes innerhalb dieses Dreiecks zu wählen, das von drei Säulen aufgespannt wird, ohne jedoch eine einzelne Säule aus den Augen zu verlieren."
Erfolge blieben zunächst aus: Die Partei erreichte bei den Bundestagswahlen 1998 und 2002 nur 0,3 bzw. 0,4 Prozent der Stimmen und schaffte so nicht einmal die für die Wahlkampfkostenerstattung wichtige Marke von 0,5 Prozent. Die NPD erzielte 2002 in den alten Bundesländern 0,3, in den neuen 1,2 Prozent (vgl. Tabelle 1). In jedem ostdeutschen Bundesland schnitt sie besser ab als im "erfolgreichsten" westlichen Bundesland (Saarland: 0,7 Prozent). Dass die NPD mit 1,5 Prozent in Brandenburg (nicht in Sachsen: 1,4 Prozent) ihr bestes Ergebnis bekam, mag auf die fehlende Kandidatur der "Republikaner" zurückzuführen sein. Ein wesentlicher Grund für die Erfolge im Osten dürfte außerdem darin liegen, dass die Bereitschaft, einer Protestpartei die Stimme zu geben, dort höher entwickelt ist als im Westen.
Die Parteiführung kommentierte das Ergebnis positiv - mit einer Begründung, die aufhorchen lässt: "Das Parteipräsidium begrüßt aus gesamtpolitischer Sicht die Wählerentscheidung für Bundeskanzler Schröder, der unter dem Eindruck neuer Forderungen für eine deutsche Friedenspolitik, deutsche Souveränität und einen Deutschen Weg vielfach Grundpositionen der NPD vertreten und damit gesiegt hat. (...) Sollten die Schröder-Argumente wieder einmal Wählertäuschung gewesen sein, wird die Tatsache, dass er Jahrzehnte alte NPD-Positionen salonfähig gemacht hat, für einen weiteren Aufschwung jener authentisch nationalen Opposition sorgen, die heute allein noch die Interessen aller Deutschen vertritt."
Die NPD konnte unter Voigt durch ihre Radikalisierung zwar den Anteil der Mitglieder innerhalb weniger Jahre auf 6 000 verdoppeln, jedoch bei Wahlen lange nicht reüssieren. In den neunziger Jahren schnitt die Partei am besten bei der sächsischen Landtagswahl 1999 ab (1,4 Prozent). Nur ein einziges Mal noch vermochte sie in jenem Zeitraum die für die Parteienfinanzierung wichtige Hürde von einem Prozent zu erreichen (bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern 1998 mit 1,1 Prozent). Die NPD hofft(e) zumal im Osten auf Gefolgschaft von "Vereinigungsverlierern" und auf "nationale Sozialisten". Bei den Wahlen von 2000 an erreichte sie in Schleswig-Holstein 1,0 Prozent. Sonst blieb die NPD, die bei jeder zweiten Landtagswahl erst gar nicht antrat, stets unter der Marke von einem Prozent (vgl. Tabelle 2 der PDF-Version).
2004 sollte sich dies ändern. Während die NPD bei der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft am 29. Februar 2004 mit 0,3 Prozent der Stimmen nicht vom Niedergang der Schill-Partei profitieren konnte, bekam sie bei der Landtagswahl in Thüringen am 13. Juni 2004 1,6, bei der Landtagswahl im Saarland am 5. September 4,0 und bei der Landtagswahl in Sachsen 14 Tage später Aufsehen erregende 9,2 Prozent. Trotz vieler öffentlicher Warnungen zog die NPD damit erstmals seit 1968 wieder in einen Landtag ein. Sie erreichte damit fast das Ergebnis der SPD in Sachsen (9,8 Prozent).
Der sächsische Höhenflug der Partei erklärt sich wesentlich mit ihrer aggressiven Kampagne gegen die Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung ("Schnauze voll?"). Die NPD hielt sich im Wahlkampf mit offen ausländerfeindlichen Parolen zurück, schürte aber Ängste vor einer Osterweiterung der EU. Wie die repräsentative Wahlstatistik zeigt, schnitt die NPD bei Männern (12,6 Prozent) deutlicher besser ab als bei Frauen (5,9 Prozent) und bei Jüngeren (18- bis 24-Jährige: 16,0 Prozent) weitaus besser als bei Älteren (über 60-Jährige: 4,3 Prozent).
Nach dem Erfolg in Sachsen fügte der Parteivorsitzende Udo Voigt auf dem Parteitag in Leinefelde im Oktober 2004 dem Dreisäulenkonzept eine neue Säule hinzu: den "Kampf um den organisierten Willen". Damit ist die Bündelung aller Kräfte des "nationalen Lagers" gemeint - von der DVU bis zu den "Freien Kameradschaften": "Wir lassen es nicht zu, dass jeder, der sich als Nationaler Sozialist begreift, als Neo-Nazi diffamiert wird."
Am 15. Januar 2005 schlossen DVU und NPD einen gemeinsamen "Deutschland-Pakt", so der pompöse Ausdruck. Die beiden Parteien wollen bis Ende 2009 nicht mehr gegeneinander kandidieren. Frühere Absprachen innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums hatten angesichts programmatischer Unterschiede und personeller Eifersüchteleien nicht lange gehalten. Die NPD, deren Repräsentanten bis vor kurzem selbst bei Rechtsextremisten als "Schmuddelkinder" galten, dominiert aufgrund ihrer Kaderstruktur momentan in der Parteienlandschaft des "nationalen Lagers", auch wenn sie mit bundesweit 5 300 Mitgliedern über weniger Mitglieder verfügt als die DVU (11 000) und die "Republikaner" (7 500),
Wie sich nach einem Jahr zeigt, weist die sächsische NPD-Fraktion einen größeren Zusammenhalt auf als manche andere Fraktion rechtsextremistischer Parteien. Der Arbeitsstil ist zum Teil durch Sacharbeit geprägt (in den Ausschüssen), zum Teil auf Provokation angelegt (im Plenum).
Verbotsverfahren
Die Verbotsdiskussion samt gescheitertem Verbotsverfahren zog sich über knapp drei Jahre hin.
Fortan konzentrierte sich die Diskussion weniger auf die Verfassungsfeindlichkeit als vielmehr auf die Frage der Bespitzelung der NPD durch den Staat. Immer neue Namen machten die Runde, so der von Udo Holtmann, der als Vorsitzender des Landesverbandes NRW zugleich auf der Gehaltsliste des Verfassungsschutzes stand. Das Bundesverfassungsgericht bat um Aufklärung zu den Personen aus den NPD-Vorständen, die mit staatlichen Stellen zusammengearbeitet hatten. Nach Angaben des Verfassungsschutzes fungierten (1997, 2001 und 2002) nicht mehr als 15 Prozent V-Leute in den Vorständen der NPD, etwa 30 von 200.
Am 18. März 2003 gab der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts die Einstellung des zwei Jahre zuvor eingeleiteten Parteiverbotsverfahrens bekannt.
Die Motive der anfänglichen Hauptbefürworter eines Verbots - Bayerns Innenminister Günter Beckstein und Bundesumweltminister Jürgen Trittin - ließen sich nicht auf einen Nenner bringen. Der eine wollte mit "law and order"-Parolen punkten, der andere mit einem vehementen Antifaschismus. Ausgerechnet der einstige Linksterrorist Horst Mahler, der für ein Verbot aller Parteien votierte hatte,
Die Zahl der Koordinierungsmängel war enorm, ein "wasserdichter" Verbotsantrag dementsprechend kaum möglich. Zwar ist der Einsatz von V-Leuten wohl unumgänglich, doch nicht an führender Stelle der Partei. Auf diese Weise lässt sich nicht mehr klar erkennen, ob die Willensbildung der Partei von solchen Leuten nicht doch beeinflusst und radikalisiert wird. Die Mehrheit des Senats machte sich diese Position nicht zu Eigen. Eine Partei dürfe auch während des Verbotsverfahrens beobachtet, der Grundsatz der strikten Staatsfreiheit der Partei keineswegs absolut gesetzt und das Prinzip des präventiven Verfassungsschutzes nicht ignoriert werden.
Der Verfasser hat an anderer Stelle von mehreren "Verbotsfallen" gesprochen, in die die politisch Verantwortlichen getappt sind.
Umgang mit der NPD
Die NPD ist zwar durch und durch antidemokratisch, wird aber gleichwohl demokratisch gewählt. Geschäftsordnungstricks und Schikanen verbieten sich daher - aus prinzipiellen wie aus strategischen Gründen. Feinde des demokratischen Verfassungsstaates sind nicht vogelfrei. Ein antidemokratischer Bodensatz ist in jeder offenen Gesellschaft unvermeidlich. Eine größere Gelassenheit (und damit weniger Alarmismus) nützt der Demokratie und schwächt den Extremismus.
Moralische Empörung ist wohlfeil, trägt aber wenig zur Bekämpfung bei. Wer den Stimmenanteil der Partei mindern will, muss sich in der Sache mit der NPD und ihren Parolen auseinandersetzen. Symbolpolitik hilft nicht weiter. Man sollte zwischen der antidemokratischen NPD und ihren Wählern, die nicht zwangsläufig rechtsextremistisch orientiert sein müssen, deutlich unterscheiden. Ein populistischer "Kampf gegen rechts" löst keine Probleme. Die demokratischen Parteien dürfen extremistischen Parteien keine offenen Flanken bieten. Sie müssen selbstkritisch nach Versäumnissen fragen und die politische Agenda bestimmen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass sie Parolen der NPD aufgreifen. Wer heikle Themen tabuisiert, leistet extremistischen Kräften Vorschub. "Demokratische Politiker sollten planmäßig die Themen identifizieren, mit denen die NPD kampagnefähig werden könnte, und diese selbst besetzen. Bisher hecheln sie der NPD immer nur hinterher."
Die Grundgesetzkonzeption der streitbaren Demokratie bedarf der Bewahrung und der Erinnerung. Der Dreiklang von Wertgebundenheit, Abwehrbereitschaft und Vorverlagerung trägt zur Sicherung des demokratischen Verfassungsstaates bei. Die Verbotspolitik des Staates gegenüber rechtsextremistischen Vereinigungen in den neunziger Jahren ist zwar rechtlich korrekt, politisch aber problematisch. Die streitbare Demokratie sollte in ihrer geistig-politischen Dimension gestärkt werden, nicht in ihrer repressiv-administrativen. Es entspricht demokratischer Streitkultur, dass sie den Spielraum des als legitim Erachteten weit zieht - aus Liberalität wie aus Effizienz.
Eine "antifaschistische Klausel", wie sie etwa die PDS in die sächsische Verfassung mit Hilfe eines neuen Artikels 12a aufnehmen will, ist keine geeignete Maßnahme: "Rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Aktivitäten sowie eine Wiederbelebung und Verbreitung nationalsozialistischen Gedankengutes nicht zuzulassen, ist Pflicht des Landes und Verpflichtung aller im Land."
Die NPD 2005
In diesem Jahr konnte die NPD ihren Wahlerfolg nicht wiederholen. In Schleswig-Holstein erreichte sie im Februar zwar immerhin 1,9 Prozent der Stimmen, in Nordrhein-Westfalen im Mai jedoch nicht einmal die Einprozenthürde (0,9 Prozent). Insofern durfte sie von der vorgezogenen Bundestagswahl im September 2005 nicht den Einzug in das Bundesparlament erwarten. Die Partei erkannte die Aussichtslosigkeit ihres Versuchs, fünf Prozent der Stimmen zu erreichen. Stattdessen strebte sie den Gewinn von drei Direktmandaten in Sachsen an, ein ebenso unrealistisches Unterfangen. Allerdings malte der Parteivorsitzende kurz vor der Wahl folgendes Szenario aus, das er als Traum kennzeichnete, wenn auch nicht als unrealistischen: "Fassungslos müssen die Journalisten schon nach der ersten Prognose bekannt geben, dass die NPD aller Voraussicht nach die Fünfprozenthürde meistern könnte. Erstmalig in der Nachkriegsgeschichte würde damit eine nationale Partei in den Berliner Reichstag einziehen. (...) Wer traut sich als erster, ein Interview mit einem Nationaldemokraten zu führen? Der Einzug der NPD würde dem Machtkartell in Berlin größte Schmerzen verursachen, denn die Zeiten eines Parlamentes ohne wirkungsvolle Kontrolle wären endgültig vorbei. Dann müsste man ein vernehmbares Nein befürchten, wenn wieder einmal die Interessen der Deutschen zu Markte getragen werden."
Im Wahlkampf warb die Partei u.a. mit folgenden Parolen: "Arbeit für Deutsche", "Inländerfreundlich", "EU abwählen", "Quittung für Hartz IV". Der Slogan "Fremdarbeiter stoppen" stellte eine Anspielung auf Oskar Lafontaine dar, neben Gregor Gysi der Spitzenkandidat der Linkspartei. Da die Linkspartei offenkundig in einem Teil ihres Wählerreservoirs "fischte", griff die NPD diesmal auch zu antikommunistischen Parolen. Der Text eines Wahlplakats mit Honecker und Lafontaine lautete: "Alles schon vergessen? - Nein zum Linksbündnis".
Die NPD konnte ihre hoch gesteckten Ziele nicht erfüllen: Sie erreichte 1,6 Prozent der Zweitstimmen. Das ist jedoch das beste Ergebnis bei einer Bundestagswahl seit 1969. In den ostdeutschen Ländern kam sie auf 3,6 Prozent (in Sachsen sogar auf 4,8 Prozent), in den westlichen nur auf 1,1 Prozent. Hier fallen ihr angesichts einer stärkeren Parteiidentifikation und besserer ökonomischer Bedingungen Erfolge wesentlich schwerer. Die Erfolge der NPD im Osten erklären sich wesentlich mit ihrer Funktion als "Denkzettel"-Partei. Von dem Gewinn dreier Direktmandate blieb die NPD weit entfernt. In keinem Wahlkreis fiel das Ergebnis zweistellig aus. Das beste Resultat erzielte Uwe Leichsenring im Wahlkreis Sächsische Schweiz-Weißeritzkreis mit 7,8 Prozent. Einerseits ist das eine Vervierfachung gegenüber der letzten Bundestagswahl, andererseits nahezu eine Halbierung des sächsischen Ergebnisses von 2004. Beide Interpretationen sind legitim; weder Dämonisierung noch Bagatellisierung der NPD-Wahlerfolge ist angebracht.
War die Partei früher eher besitzbürgerlich orientiert, tritt sie heute als nationalrevolutionäre Kraft nahezu klassenkämpferisch auf und wendet sich vehement gegen die Globalisierung, gegen die USA, gegen den Kapitalismus. Die Idee der "Volksgemeinschaft" nimmt bei ihr breiten Raum ein. Für die NPD spielt der Antikommunismus als Klammer - im Gegensatz zur Zeit vor 40 Jahren - kaum mehr eine Rolle, wiewohl er bei der vergangenen Bundestagswahl partiell revitalisiert worden ist. Wenn die NPD diesen Kurs weiter fährt, dürfte sie nicht reüssieren, auch wenn die Partei ihre größten Erfolge unter einer großen Koalition verzeichnen konnte.