Einleitung
Rechtsextremismus ist der Sammelbegriff für ein ideologisches Weltbild, das verschiedene, eng miteinander verknüpfte Dimensionen besitzt, zu denen die Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur (Führerprinzip), Nationalismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und die Verharmlosung des Nationalsozialismus zählen.
Auch wenn man die Fixierung der Forschung auf nationalsozialistische Ideologieelemente, vor allem auf einen biologischen Rassismus mit seinen Überlegenheits- bzw. Minderwertigkeitsvorstellungen, als überholt kritisiert und statt dessen ein ethnopluralistisches Denken als typisch für den modernen europäischen Rechtsextremismus ansieht, der Differenzen kulturalistisch und relativistisch bestimmt,
Das rechtsextreme Lager sieht drei zentrale Bedrohungen, gegen die es sich zur Wehr setzt.
Erstens: Die nationale Identität wird durch die pluralistische Demokratie und ein westliches Werteverständnis gefährdet, die den Deutschen nicht adäquat und nach 1945 von "Angloamerikanern" und Juden mittels "Umerziehung" oktroyiert worden seien. Gegen diese "geistige Knechtschaft durch das Besatzungsregime" in "Koalition mit der Holocaust-Industrie", die sich unter anderem solcher Mittel wie Globalisierung und EU-Erweiterung bedienen, setzt sich das rechtsextreme Lager unter dem Etikett der "nationalen Selbstbehauptung" zur Wehr.
Zweitens: Zuwanderung und ethnische Minderheiten gelten als Bedrohung der ethnischen Homogenität. Antisemitismus kommt hier in doppelter Weise ins Spiel: Juden werden als "fremdvölkische Minderheit" abgelehnt, und man sieht die Einwanderung der vergangenen Jahrzehnte und die multikulturelle Gesellschaft als ein von "Hintergrundkräften" gesteuertes Vorhaben zur Schwächung der ethnischen Substanz Deutschlands.
Drittens: Als Bedrohung wird auch die kritische Aufarbeitung der Geschichte des "Dritten Reiches" gesehen, da sie einem positiven Selbstbild der Deutschen entgegensteht und die NS-Ideologie entwertet, von der sich rechtsextreme Gruppierungen nur partiell verabschiedet haben und mit der sie von außen identifiziert werden. Dabei stellt der Holocaust das größte Problem dar, dem man einerseits durch Verschweigen, Relativieren, Leugnen, andererseits mit antisemitischen Umdeutungen, indem man die Opfer nachträglich zu Schuldigen und die Überlebenden zu Profiteuren des Holocaust-Gedenkens macht, seine historische Bedeutung zu nehmen sucht.
Antisemitismus steht im rechtsextremen Diskurs also in verschiedenen Kontexten und fungiert - anders als Ausländerfeindlichkeit - als Theorie zur Erklärung (fast) aller das nationale Kollektiv schädigenden Phänomene in Gegenwart und Vergangenheit. Antisemitische Annahmen werden einerseits - neuerdings wieder vermehrt - zur Deutung aktueller Erscheinungen (Globalisierung, Irak-Krieg, Terrorismus, Nahostkonflikt) herangezogen, doch haben sie im Rechtsextremismus immer auch eine vergangenheitsbezogene Stoßrichtung, da die Schuld der Deutschen am Holocaust wie auch die Kränkung durch die Niederlage im Zweiten Weltkrieg durch Projektion auf "die Juden" abgewehrt werden müssen.
Insofern bilden antisemitische Erklärungsmuster einen integralen Bestandteil rechtsextremer Geschichtsdeutung. Im Kampf gegen herrschende Geschichtsbilder reagiert die rechtsabweichende, sich als nonkonformistisch begreifende Subkultur auch auf den "Normalismus" der Mehrheitsgesellschaft, in der antisemitische Äußerungen ein zentrales Tabu darstellen.
Antisemitische Positionen werden im gesamten rechtsextremen Spektrum vertreten und haben eine Integrationsfunktion. Dennoch gibt es Unterschiede, sowohl was die Zentralität dieses Ideologieelements als auch was die Offenheit seines Auftretens betrifft.
Rechtsextreme und antisemitische Einstellungen
Betrachtet man die Größe der Einstellungspotenziale in den genannten Dimensionen des Rechtsextremismus, dann rangiert der Antisemitismus (23 %) hinter chauvinistischen (32 %), den Nationalsozialismus verharmlosenden (29 %) und fremdenfeindlichen (26 %) Einstellungen. Er fällt aber höher aus als sozialdarwinistische Überzeugungen (13 %) und die Zustimmung zu einer rechtsautoritären Diktatur (19 %). Dabei gibt es teilweise erhebliche Ost-West-Unterschiede: Insgesamt zeigen Ostdeutsche anderthalb Mal so häufig rechtsextreme Orientierungen wie Westdeutsche, seltener aber antisemitische und den Nationalsozialismus verharmlosende Anschauungen.
Was die Ursachen antisemitischer Einstellungen angeht, so weisen empirische Analysen auf ihre Diffusität hin. Die größte Erklärungskraft besitzen Faktoren, die auf der Ebene von Ideologie und Wertorientierungen liegen (rechte politische Orientierung; konservative Wertorientierungen, vor allem Nationalstolz und Autoritarismus; Unzufriedenheit mit der Demokratie).
Situative Einflüsse, wie Probleme des Arbeitsmarktes und Verteilungskonflikte, beeinflussen antisemitische Einstellungen wenig.
Antisemitische Einstellungen führen keineswegs immer zur Wahl einer rechtsextremen Partei, wie die Verteilung der Parteipräferenzen zeigt. Rechtsextreme wählen rechtsextreme und konservative Parteien aber überdurchschnittlich häufig.
Rechtsextreme Parteien
Die rechtsextremen Parteien präsentieren in ihren Verlautbarungen antisemitische Sinngehalte zumeist in verdeckter, mit Anspielungen arbeitender Form. Dabei unterscheiden sich NPD, DVU und "Republikaner" in der Häufigkeit und in der Intensität, mit denen judenfeindliche Ressentiments kommuniziert werden. Im DVU-Organ "National-Zeitung" spielen die Auseinandersetzung mit der vermeintlichen Instrumentalisierung des Holocaust ("Pflege des Schuldkults") seitens der Juden und die Bezugnahme auf revisionistische Literatur eine zentrale Rolle. Entsprechend wird die internationale Politik unter dem Blickwinkel einer amerikanisch-jüdischen Verschwörung gegen das deutsche Volk interpretiert.
Diese Aspekte finden in der Zeitschrift "Der Republikaner" weniger Beachtung. Dort taucht Antisemitismus allerdings im Kontext aktueller innenpolitischer Themen auf, etwa, wenn der Parteiausschluss des CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann als "Fußtritt für alle Konservativen" bezeichnet und der entsprechende Artikel mit einem Bild illustriert wird, das führende deutsche Politiker, eine Kippa tragend, zusammen mit Paul Spiegel zeigt, um so den verdeckten jüdischen Einfluss auf die deutsche Politik "zu entlarven".
Anhand einer Analyse von drei NPD-Zeitungen lassen sich folgende Verfahren der indirekten Präsentation identifizieren.
Falsche historische Analogien, die die Verfolgung der Juden in Zweifel ziehen bzw. die Schuld daran den Juden selbst zuweisen. Zu diesem Verfahren zählen Zweifel an der Zahl der Holocaustopfer auf der Basis von "Gutachten" und unter Berufung auf "wissenschaftliche" Experten, der Rekurs auf "Beweise" für jüdische Kriegs- und Vernichtungspläne gegen Deutschland oder das Aufrechnen der alliierten Luftangriffe auf deutsche Städte als "Bomben-Holocaust". Eine subtilere Form der Analogisierung ist die Behauptung, die "ausufernde Verfolgungswut" gegen Rechtsextreme heute entspreche der Situation der Juden im "Dritten Reich".
Fundamentaloppositionelle Polemik gegen die Erinnerung an jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Die Herabsetzung der Opfer bedient sich einerseits der Ausweitung des Begriffs Holocaust auf andere historische Verbrechen bzw. Missstände (Vertreibungs- oder Bomben-Holocaust), andererseits seiner Verballhornung in Kürzeln wie "Holo" oder in abwertenden Bezeichnungen des Holocaust-Mahnmals als "Bundesschamanlage", "Sühne-Erlebnispark" oder "Gedenkmonstrum".
Verwendung von Schlüsselbegriffen zur Repräsentation eines verschwörungstheoretischen und rassistischen Antisemitismus. Da radikaler Antisemitismus nicht offen propagiert werden kann, setzt man "Signalwörter" ein, die für Eingeweihte leicht entschlüsselbar sind. Bevorzugtes Thema ist die "internationale Macht" der Juden, die diese benutzen, um andere Nationen zugrunde zu richten. Die NPD-Zeitung "Deutsche Zukunft" schreibt von "jüdischen Internationalisten" oder "Führern des Weltzionismus", die von den nationalen Regierungen eine Art "Schutzgeld" erpressen, die Rede ist von einer "Diktatur der Hochfinanz", von "internationalem Großkapital" oder neuerdings von der "Holocaust-Industrie", alles Begriffe zur Repräsentation von jüdischer Macht in Politik, Wirtschaft und Medien.
Das Aufrufen antisemitischer Ressentiments durch die positive Präsentation von Holocaustleugnern. Da die direkte Leugnung des Holocaust strafbar ist, wird der Umweg über eine positive Bezugnahme auf einschlägig bekannte Holocaustleugner gewählt, deren Vorträge und Publikationen gelobt und die, zumal wenn sie wegen Volksverhetzung bestraft worden sind, zu Märtyrern der nationalen Sache stilisiert werden. Häufig finden sich auch positive Bezugnahmen auf "Mainstream"-Medien, wenn sie geeignete Informationen enthalten, um das "Auschwitzproblem" zu verkleinern.
Publikationen
Zeigt der parlamentsorientierte Rechtsextremismus eine gewisse Zurückhaltung, so finden wir in Schriften und Online-Publikationen offenen bis aggressiv-drohenden Antisemitismus. Dies gilt vor allem für die Texte Horst Mahlers, der aus der NPD wieder ausgetreten ist, weil diese seine radikalen Positionen als parteischädigend einschätzte und nicht teilen wollte. Mahler startete einen "Feldzug gegen die Offenkundigkeit des Holocaust", indem er auf seiner Website und im Rahmen des "Deutschen Kollegs" Manifeste zur "Judenfrage" verbreitete, die in ihrem wahnhaften Charakter keine Facette des Antisemitismus auslassen.
In dieser Überspitzung werden zentrale Denkfiguren des rechtsextremen Antisemitismus gut erkennbar: Nicht die Deutschen, die Juden sind verantwortlich für Krieg und Völkermord (Täter-Opfer-Umkehr); sie verfolgen alle, die nicht an die neue "Holocaustreligion" glauben wollen (Märtyrertum), und zerstören das deutsche Volk, indem sie ihm ein falsches Geschichtsbild und Gesellschaftsmodell aufzwingen. Der Hass auf die Juden erscheint für Mahler als normale und "gesunde" Reaktion darauf.
Antijüdische Ressentiments sind im rechtsextremen Spektrum eng mit antiamerikanischen verbunden, wobei die US-Amerikaner als Marionetten der wahren jüdischen Machthaber gesehen werden. Dahinter stehen mehrere Motive: die Identifikation von "Juden und Angloamerikanern" mit Kapitalismus und Kosmopolitismus sowie das Ressentiment gegen die "Besatzungsmächte". Der "Kampfbund Deutscher Sozialisten" (KDS) stellt in seinem "Vierten Grundsatz" die gewagte Theorie auf, die "welthistorische Rolle von Juden bei der Entfaltung der kapitalistischen Weltwirtschaft" sei das Ergebnis ihrer Westwanderung aus dem östlichen Mittelmeerraum: "Hier entstand jene anglo-jüdische Weltallianz aus atlantischem Seenomadentum und semitischem Wüstennomadentum, aus Atlantismus und Semitismus."
Die antikapitalistische Globalisierungskritik und der Nahostkonflikt eröffnen der rechtsextremen Szene zusätzliche Agitationsfelder und Bündnispartner.
Welche Verbindungen sich aus solchen Thesen entwickeln können, zeigte eine Veranstaltung der radikal islamistischen, zum Mord an Juden aufrufenden Gruppierung Hizb ut-Tahrir al-Islam (Islamische Befreiungspartei) im Oktober 2002 in Berlin, an der auch Mahler und der NPD-Vorsitzende Udo Voigt teilnahmen.
Rechte Jugendkultur: Rechtsrock
In Songtexten des so genannten "Rechtsrock" tauchen Juden als Feindbild im Vergleich zu Ausländern seltener direkt auf.
Bereits die Namen der sich als "Kampfkapellen" verstehenden Bands (zum Beispiel: WAW, Weißer Arischer Widerstand, 2002 aufgelöst; Volkszorn; Arisches Blut; Endlösung) wie auch ihre CD- und Songtitel ("Herrenrasse", "Das Reich kommt wieder", "Ran an den Feind") stehen für ein rassistisches, teilweise den Nationalsozialismus verherrlichendes Programm und zeigen, dass man sich im völkischen Widerstand gegen fremde Mächte wähnt (Songtitel: "Volk steh' auf" von der Gruppe Rassenhass, 2003), die einen "versteckten Krieg" gegen Deutschland führen und dieses knechten und ausbeuten wollen, wie es die Juden in der Vergangenheit getan hätten und auch heute wieder täten. Gewalt gegen Juden und andere Gruppen wird als Notwehr und Widerstand oder aber als Rache für vergangenes Unrecht legitimiert.
Die Themen der Songs entfalten das gesamte Repertoire des Antisemitismus: vom kruden Rassenantisemitismus nach Art des "Stürmer", wobei häufig SA-Lieder neu aufgenommen und aktualisiert werden, über Enthüllungen "jüdischer Machenschaften" in Finanzwelt, Presse und Politik bis hin zu antizionistischem Antisemitismus und neuheidnisch motivierten Angriffen auf die jüdische Religion bzw. auf das als ungermanisch verstandene jüdisch-orientalische Christentum.
In etwas "elaborierteren Fassungen der gleichen Vernichtungsphantasien" begegnen uns die alten Elemente der Weltverschwörungstheorie und die eigenen Vernichtungsängste wieder, zugleich wird aber mit "Vergeltung" gedroht.
Antisemitisches Handeln
Den größten Anteil an registrierten antisemitischen Straftaten, deren Zahl im wiedervereinigten Deutschland bereits in den neunziger Jahren (um die tausend Straftaten) gegenüber den beiden Jahrzehnten davor zugenommen hatte und sich seit 2001 auf einem nochmals erhöhten Niveau (um die 1500) stabilisiert hat,
Die vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin auf der Basis von Zeitungsnachrichten erstellte Chronologie antisemitischer Vorfälle (87 Fälle im Jahr 2004) zeigt ein von fremdenfeindlichen Straftaten abweichendes Muster. Verbale oder tätliche Angriffe auf Personen sind selten, häufiger gibt es Sachbeschädigungen, zum Beispiel wurden Hakenkreuze in das Auto eines Bochumer Rabbiners geritzt und die Reifen zerstochen. Am häufigsten sind symbolische Angriffe, also Schändungen jüdischer Friedhöfe, Mahnmale, Gedenkorte sowie antisemitische Schmierereien oder Plakatierungen im öffentlichen Raum, häufig verbunden mit rechtsextremen Losungen oder NS-Symbolen.
Diese Form der Angriffe lässt erkennen, dass Juden nicht allein als anwesende "fremde" Minderheit ins Visier der extremen Rechten geraten, sondern dass es um einen Kampf gegen die Erinnerung an die NS-Opfer und die Verbrechen des NS-Regimes geht. Beispielhaft für diese "Negation" kann ein Ereignis in Halle (Saale) am 6. Mai 2004 stehen, als acht Gedenksteine für ermordete Hallenser Juden wenige Stunden nach ihrer Verlegung im Rahmen der "Aktion Stolpersteine" von Unbekannten nachts aus dem Pflaster gerissen und gestohlen wurden - eine Tat, die auf der Internetseite des neonazistischen "Nationalen Beobachters Halle" unter dem Titel "Halle setzt ein Zeichen" bejubelt wurde.
Diese Übergriffe sind Einzelaktionen, ein Aufbau terroristischer Strukturen ist im Rechtsextremismus bisher nicht zu erkennen. Der vereitelte Sprengstoffanschlag der neonazistischen "Kameradschaft-Süd", bei dem während der Grundsteinlegung zum neuen Jüdischen Gemeindezentrum in München am 9. November 2003 hochrangige Vertreter der Juden und des Staates getroffen werden sollten, steht bisher isoliert da.
Schlussfolgerung
Ob man die parlaments-, die diskurs- oder die aktionsorientierte Szene betrachtet, überall ist in den vergangenen Jahren ein stärkeres Hervortreten von Antisemitismus erkennbar. Dies hat zwei Ursachen: Zum einen haben öffentliche Debatten die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus (Holocaust-Mahnmal und -Gedenktag, Wehrmachtsausstellung) stärker ins Bewusstsein gehoben; dies hat Reflexe des Schuldabwehr-Antisemitismus aktiviert.
Wenn es also auch keinen inhaltlich "neuen Antisemitismus" auf der extremen Rechten gibt, so haben doch ideologische "Schnittmengen" mit der extremen Linken und radikalen Islamisten eine neue Situation geschaffen.