Einleitung
Im Juni 1990, sieben Monate nach dem Mauerfall und vier Monate vor der Wiedervereinigung Deutschlands, wurde einer der letzten DEFA-Filme
Doch die Architektengruppe, an die der Auftrag herangetragen worden war, eine neue Stadtteilsiedlung zu konzipieren, scheiterte sowohl an materiellen Zwängen als auch an den Eingriffen ihrer auf eingefahrenen Gleisen denkenden und handelnden Vorgesetzten. Dieses Scheitern stand im Film über den konkreten Fall hinaus als Metapher für den Verlust von Hoffnungen und Illusionen nicht nur junger DDR-Bürgerinnen und -Bürger. Nie zuvor hatte es eine DEFA-Produktion gewagt, die Agonie der Gesellschaft, das Verschwinden der Utopie in starren Strukturen so eindringlich vor Augen zu führen wie hier - bis hin zu jener Schlussszene, in der der völlig ausgelaugte Held, der Leiter der Architektengruppe (Kurt Naumann), an der Tribüne nach der Einweihungsfeier zusammenbricht.
Knauf und Kahane hatten, ermuntert von Michael Gorbatschows Perestroika-Politik, schon 1986/87 damit begonnen, am Buch zu den Architekten zu arbeiten. Wäre der Film noch vor dem November 1989 in die Kinos gekommen, wäre ihm eine außerordentliche Aufmerksamkeit sicher gewesen. In den Monaten der "Wende" spielte er jedoch nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Zuschauer, die zum Zeitpunkt der Premiere gerade mit dem Umtausch ihrer DDR-Mark ins heiß ersehnte Westgeld befasst waren, interessierten sich nur wenig für einen wenn auch noch so kritischen Rückblick auf den untergehenden deutschen Staat.
Es brauchte rund zehn Jahre, bis die DDR den Hintergrund für einen auch an der Kinokasse höchst erfolgreichen Film abgeben sollte. Inzwischen hatten die schwierigen, durch keinerlei Erfahrung abgefederten Prozesse des Zusammenwachsens zu ökonomischen, geistigen und psychischen Verwerfungen geführt. Manche Beobachter sahen zumindest die mentale Einigung als misslungen an. Die Unzufriedenheit vieler Ostdeutscher mit dem, was sie in und an der Bundesrepublik vorfanden, schlug sich unter anderem in einem verklärenden Blick zurück, einer vom Wende-Zorn längst abstrahierten, freundlicheren Sicht auf die DDR nieder. In dieser Situation kam Leander Haußmanns und Thomas Brussigs Film Sonnenallee (1999) gerade recht. Zum ersten Mal waren heiter gelöste Reminiszenzen an die DDR zu erleben. Volkspolizisten und Staatssicherheitsmänner wirkten wie trottelige Märchenfiguren, die mit ein bisschen Geschick leicht auszutricksen waren. Sogar die Mauer hatte etwas von ihrem Schrecken verloren. Sonnenallee, offensichtlich eine der letzten filmischen Entäußerungen der deutschen Spaßgesellschaft, beschwor die Tatsache, dass auch hinter dem "Eisernen Vorhang" geflirtet, gefeiert und Rockmusik gehört wurde.
Ähnlich wie in der klassischen Feuerzangenbowle (1944), dem Paradestück des deutschen Kleinbürgers, zog der aus der Pennälerperspektive erzählte Film seinen Lustgewinn aus der vorgeführten Dummheit von Lehrern, uniformierten Staatsdienern und anderen "führenden Genossen". Obwohl der Erkenntnisgewinn von Sonnenallee gegen Null tendierte, begannen deutsche Fernsehredakteure schon kurz nach dem Film, über Nostalgieshows speziell fürs ostdeutsche Publikum nachzudenken. Diese wiederum zogen Kinoproduktionen wie Carsten Fiebelers verlogene Verwechslungskomödie Kleinruppin forever (2004) nach sich, in der die DDR zwar grau und heruntergekommen aussah, aber im Kern eine solidarische, gemeinsam gegen die Außenseiter von der Stasi agierende Bevölkerung hatte.
Vergessene Filme
Die wichtigeren deutschen Spielfilme, die über das Innenleben der DDR und die Prozesse der Wiedervereinigung Auskunft gaben, entstanden bereits in den ersten Jahren nach 1990. Heute sind sie weitgehend vergessen, weil sie, wie Die Architekten, zu einem Zeitpunkt erschienen, als das Thema für viele uninteressant war. Und doch beanspruchen sie Aufmerksamkeit nicht nur schlechthin als historische Dokumente, sondern auch als künstlerisch wagemutige Versuche. Beispielsweise drehten Regisseur Jörg Foth und die Liedermacher Steffen Mensching und Hans-Eckardt Wenzel mit Letztes aus der Da Da eR (1990) ein clowneskes Abschiedsspektakel, das die DDR auf markant-allegorische Schauplätze reduzierte: ein Gefängnis, ein Schlachthof, ein Müllplatz, ein Zementwerk, in dem das Material für die Mauer hergestellt wurde, oder der Brocken, jener Berg im Harz, der DDR-Bürgern nicht zugänglich war, weil er sich in Grenznähe befand. In diesem DEFA-Film ist die "alte" DDR ein heruntergekommenes Universum; das Ambiente erstickt alle Möglichkeiten derEntfaltung: "eine Topographie der Verschmutzung, Unterdrückung, Verfolgung, Kollaboration und Überwachung".
In Egon Günthers Stein (1991) mündet diese Zukunft ins Jenseits: Der Held des von Helga Schütz und dem Regisseur verfassten Films, ein Schauspieler, verlässt in den letzten Szenen sein Haus bei Berlin und verliert sich in den römischen Katakomben an der Via Appia. Wie Foth in Letztes aus der Da Da eR nutzt auch Günther die real existierende DDR als Folie für eine absurde Tragikomödie: Stein, die Hauptfigur (Rolf Ludwig), hatte sich nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag 1968 rigoros von der Bühne verabschiedet und sich in seine Villa zurückgezogen. Innere Emigration, so zeigt Günther, war für einen ostdeutschen Intellektuellen durchaus möglich, doch sie führte auch zu Selbsttäuschung und Schizophrenie. Als Stein am Ende von zwei Jahrzehnten der Zurückgezogenheit nach Berlin aufbricht, um eine junge Freundin zu suchen, strudelt er ausgerechnet in die Unruhen des Oktobers 1989. Seiner Verhaftung verweigert er sich, indem er einen Polizisten in Trance versetzt: Die Welt ist ein Traumspiel geworden. Egon Günther selbst hatte sich, nachdem es ihm unmöglich gemacht worden war, in der DDR Gegenwartsfilme zu drehen und auch ihm nur noch die Flucht nach innen zumindest als zeitweilige Lösung erschien, 1978 in die Bundesrepublik verabschiedet. Für Stein war er noch einmal an den Ort seiner größten Erfolge, ins Babelsberger Filmstudio, zurückgekehrt.
Aber auch einige derjenigen DEFA-Regisseure, die den Schritt in den Westen aus unterschiedlichen Gründen nicht gegangen waren, legten nun heftige filmische Abrechnungen mit der DDR vor. Das geschah jedoch nur selten aus Gründen der Anbiederung an die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse, wie etwa in Horst Seemanns plakativem, amerikafreundlich gewendetem Fünfziger-Jahre-Porträt Zwischen Pankow und Zehlendorf (1991). Vielmehr nutzten die Filmemacher die gewonnene Freiheit, um sich Rechenschaft über eigene einstige Ideale und Illusionen zu geben, den Grad eigener Verstrickungen ins DDR-System zu erkennen und sich letztlich Gewissheit darüber zu verschaffen, wie sehr die Utopie, an die sie selbst lang geglaubt hatten, von der Wirklichkeit verformt worden war. Die filmischen Totentänze, die Heiner Carow in Verfehlung (1991) oder Herwig Kipping in Das Land hinter dem Regenbogen (1991) zelebrierten, stellten zugleich ganz persönliche Teufelsaustreibungen dar.
Verfehlung skizziert die Geschichte einer nicht mehr jungen ostdeutschen Frau (Angelica Domröse), die sich in einen westdeutschen Arbeiter (Gottfried John) verliebt und gegen den Bürgermeister ihres Dorfes (Jörg Gudzuhn), der sie selbst besitzen will, um diese Liebe kämpft. Höhepunkt des Films ist ein Festumzug zum Jahrestag der Ortsgründung, der unweigerlich an die Feierlichkeiten zum 750. Jahrestag Berlins 1987 denken lässt. In grellen Szenen verabschiedet Carow die Geschichte als Farce: Der Sozialismus-Versuch in der DDR strandet bei ihm in einem exzentrischen Panoptikum, wobei die Höhepunkte des Festes, gerade auch die Can Can tanzenden Bäuerinnen, durch und durch provinziell gezeichnet sind. Der staatlicherseits inszenierte Rausch überdeckt die Grauheit und Dumpfheit, in der das Dorfleben vor sich hin dümpelt. Während vor der Tribüne ein Massenspektakel gefeiert wird, bricht dahinter ein einzelner Mensch zusammen - ein Motiv, das schon Die Architekten für ihr DDR-Bild genutzt hatten.
Noch radikaler grenzte sich Das Land hinter dem Regenbogen vom fehlgeschlagenen Versuch des DDR-Sozialismus ab. Herwig Kipping versetzte sich gleichsam in seine eigene Kindheit zurück, wählte die subjektive, naive Perspektive eines Heranwachsenden in den frühen fünfziger Jahren. In seinem Dorf "Stalina" rauchen die Schlote und stehen noch die Denkmäler für Josef Stalin. Vor diesem Säulenheiligen kniet der gütige Großvater, dargestellt von dem polnischen Schauspieler Franciszek Pieczka, nieder und betet ihn an. Mit Bildern wie diesem rekurriert der Regisseur sowohl auf die familiären als auch auf die außenpolitischen Bindungen zum System: Der Sozialismus, so zeigt der legendenhaft überhöhte Film, kam in der Ausprägung des sowjetischen Stalinismus ins Land und wurde in dieser Form auch an die jüngere Generation - zu der auch Kipping gehörte - weitergegeben. Vielleicht bildete erst ein satirisch verzerrter Film wie Das Land hinter dem Regenbogen den endgültigen, unwiderruflichen Bruch: Unter die Tränen des Lachens mischten sich auch solche der Trauer über die verlorene Utopie.
Am Abgrund
Auf der Suche nach markanten szenischen Motiven für eine Gesellschaft im Untergang stießen die Filmemacher der DEFA immer wieder auf stillgelegte Tagebaue. Nichts schien das Ende besser widerspiegeln zu können als die braunschwarzen, baumlosen künstlichen Gruben und Aufschüttungen in der Lausitz oder in der Gegend um Halle und Leipzig. Kipping nutzte diese Szenerie ebenso wie Carow oder wie Rolf Losansky, der in seinem Jugendfilm mit dem bezeichnenden Titel Abschiedsdisco (1990) den Zuschauer in einen verlassenen Ort am Rande der Braunkohle führte. Die künstlerisch bedeutendste Arbeit vor diesem Hintergrund inszenierte freilich Ulrich Weiß, einer der wichtigsten, vom Dokumentarfilm kommenden jüngeren Regisseure der DDR, der in den achtziger Jahren politisch beargwöhnt und bespitzelt und dem das Drehen weitgehend verweigert worden war.
Sein bislang letzter Spielfilm Miraculi (1991) umreißt die Legende eines jungen Mannes (Volker Ranisch), der nach einer verlorenen Wette und einem missglückten Einbruch zur Strafe Fahrkarten in der Straßenbahn kontrollieren muss und schließlich in eine Gemeinschaft am Rande der Stadt gerät, die sich auf ihren Wochenendgrundstücken vergnügt. Am Morgen nach einem abendlichen Fest ist plötzlich der See, an dem das Gelände liegt, spurlos verschwunden. Auf den Gesichtern der Figuren spiegeln sich blankes Entsetzen über die - im metaphorischen Sinne - ungewollte Vollendung der jüngsten Vergangenheit und Angst vor der Zukunft. Dabei handelt es sich bei ihnen nicht nur um blasse Angestellten-Typen, denen bloß noch das Parteiabzeichen am Jackettkragen fehlt; die Mehrzahl der Klagenden sind Künstler und Intellektuelle, die es sich mit all ihren Privilegien gemütlich gemacht hatten.
Über die schreienden, weinenden, die hilf- und sprachlosen Gestalten legte der Regisseur den Gesang tibetanischer Mönche, was in Verbindung zum Ende der DDR nur spöttisch gemeint sein konnte. In den Spott mischte sich aber auch Nachdenklichkeit und Trauer, ließ sich die Endzeit-Allegorie doch über die unmittelbare zeitbezogene Deutung hinaus auch als Warnung vor dem Ende der Zivilisation interpretieren, als Mahnung an eine Menschheit, die den Konsum und das ungebremste Ausbeuten der Natur über alle Vernunft stellt. Gerade diese Mehrdeutigkeit der Bilder macht Miraculi mit seinen grandiosen szenischen Tableaus zu einem bleibenden, wenn auch nicht leicht entschlüsselbaren Kunstwerk, das seiner Wiederentdeckung harrt.
Ein weiterer Film, der den Abgrund der Braunkohlentagebaue zur Metapher für die DDR machte, war Die Vergebung (1994) von Andreas Höntsch. Neben der Grube, auf einer grünen Wiese, feiert eine Familie Hochzeit, wobei zwischen drei Menschen, die sich unter den Feiernden befinden, eine Mauer aus Leid und Verzweiflung, Hass und Misstrauen steht. Da ist ein Lehrer (Sylvester Groth), der einst auf den Halden des Tagebaus Bäumchen pflanzte, deswegen von der Staatssicherheit verfolgt und aus dem DDR-Schuldienst entlassen wurde. Sein eigener Schwager (Erik Roßbander) arbeitete bei der Spitzelbehörde und glaubt auch nach dem Ende der DDR, immer nur seine Pflicht getan zu haben. Die Frau des Lehrers (Lena Stolze) erkennt zu spät, dass sie selbst ihren Mann unwissentlich an einen freundlich lächelnden Spitzel (Christian Steyer) verriet. Nach Roland Gräfs Tangospieler (1990) und Frank Beyers Der Verdacht (1991) war das ein weiterer Film eines ehemaligen DEFA-Regisseurs, der sich dem Thema und Trauma Staatssicherheit annahm.
Anders als seine älteren Kollegen bevorzugte Höntsch, dessen Kreativität bei der DEFA über viele Jahre unterdrückt worden war, allerdings nicht die kammerspielhafte Form, sondern inszenierte mit opernhafter Opulenz. Doch das Pathos und die penetrante Symbolik, einschließlich Judaskuss und einer verwesenden Möwe, an der die Maden nagen, trugen kaum zur Aufklärung über den Charakter der DDR, ihrer Mitläufer und -täter bei. Am Ende des Films erschlägt der kleine Sohn des Stasimannes die kleine Tochter des Umweltschützers: Schuld, die nicht aufgearbeitet wird, vererbt sich von Generation zu Generation. So konnte man das Finale lesen - das auf diese Weise doch nur in einem vagen pseudophilosophischen Allgemeinplatz gefangen blieb.
Stasi und Rotwein
In den Medien konzentrierte und reduzierte sich die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit über weite Strecken auf die Analyse des Wirkens der Staatssicherheit. Das trug dazu bei, die Masse der DDR-Bürgerinnen und -Bürger, die sich nicht in die Dienste dieses Ministeriums gestellt hatte und die man jetzt, in der Demokratie, unter anderem als Wahlvolk dringend brauchte, weitgehend zu entschulden. Damit zusammenhängend markierte die Stasi den - von einigen SED-Oberen abgesehen - alleinigen Sündenbock für Unfreiheit, Unterdrückung und Verbrechen in der DDR. Auch der deutsche Kinofilm griff immer wieder auf Spitzelfiguren zurück und nutzte sie für mehr oder weniger realistische Psychodramen, Krimis und auch Komödien wie Helden wie wir (1999): Darin suggeriert ein kleiner Stasispitzel, der sich die Welt schon immer nach seinem Gusto zurechtgelegt hat, er allein habe die Mauer geöffnet - ein heiter-abgründiges filmisches Pamphlet über die Ausblendung der Wirklichkeit, grotesk falsche Selbstbilder und Schizophrenie.
Die meisten anderen Filme suchten die Gefährlichkeit der Stasi vor allem dadurch zu belegen, dass deren Protagonisten möglichst brutal und hinterhältig vorgeführt wurden. Differenziert ausbalancierte Charaktere gab es unter ihnen so gut wie keine, Abziehbilder von Film-Bösewichtern dagegen mehr als genug. So besetzte Margarethe von Trotta die Stasi-Figur in ihrer Ost-West-Tragödie Das Versprechen (1995) mit Hark Bohm, der einen Bilderbuch-Schurken mit schneidender Stimme und zusammengekniffenen Augen ablieferte. Auch die Szene in einem DDR-Gefängnis, bei der ein Wachhabender den Satz "Nicht husten!" in die Zelle bellt, war eine von vielen Übertreibungen, die den gesamten Film, jedenfalls für "gelernte" DDR-Bürger, so falsch machten.
Das Versprechen erzählt eine Königskinder-Geschichte zwischen 1961 und 1989. Noch kurz nach dem Mauerbau flieht das Mädchen Sophie in den Westen; ihr Freund Konrad bleibt zurück. Im Laufe der Jahrzehnte sehen sich die beiden ein paar Mal wieder, doch stets bricht die große Weltpolitik, zum Beispiel der Einmarsch in die CSSR, in ihr kleines Menschenschicksal ein. Auch über die Figur des Stasi-Beamten hinaus inszenierte Margarethe von Trotta diesen weit gespannten Bilderbogen wie eine Sammlung bequemer Klischees. Die DDR erlebte ihre filmische Reinkarnation als ein dunkles, graues Land ohne Freude, in dem rund um die Uhr geknechtet und bespitzelt wurde. Folgerichtig tritt in den Szenen vom Mauerfall eine namenlose Ostdeutsche (Barbara Dittus) mit dem Satz auf, sie sei dreißig Jahre in einen Käfig gesperrt gewesen und nun nicht mehr imstande zu fliegen. Solche Sentenzen spiegelten nicht nur westliche Mitleidsgefühle, sondern unterschwellig auch ein Missbehagen über die neu in der Bundesrepublik angekommenen Deutschen, denen nun erst einmal das Fliegen, ergo das "richtige" Verhalten in Demokratie und Freiheit, beigebracht werden muss. Die Zeichnung der DDR und ihrer Bewohner geriet im Versprechen als "Projektionsfläche für allerlei Ängste und als negative Folie vorteilhafter Selbstwahrnehmung".
In Silvana Abbrescia-Raths Wiederkehr (1994), einer spröderen, dialoglastigen Variation von Das Versprechen, lag die Sympathie der Regisseurin dagegen eindeutig auf ostdeutscher Seite: Nach dem Mauerfall begegnen sich hier eine ältere Dame (Dagmar von Thomas) und ein ebenso alter Herr (Christoph Engel), die sich einst - um 1961 - als Studenten liebten. Sie wohnte im Westen, er im Osten. Später etablierte sich der Mann in der DDR als Professor für Volkskunde mit dem Spezialfach sächsische Dachkonstruktionen des 17. Jahrhunderts; die Frau heiratete nach Paris. Mit der Broschüre "Ethnos und Demos" im Gepäck betritt sie nun östlichen Boden - ein Detail, das die Tonlage des ganzen Films beschreibt. Während der Mann erklärt, er sei inzwischen zu alt, "um zu lernen, wie man eine Colabüchse öffnet", erwidert sie: "Man sollte sowieso lieber Rotwein trinken." Rückblenden führen in die Jugendzeit, in der man sich wenigstens noch über das Verhalten der französischen Intellektuellen gegenüber dem Algerienkrieg stritt. Es gibt, so suggeriert der Film, auch nach dem Ende der deutschen Teilung keine Hoffnung für eine gemeinsame Zukunft dieses Paares. Vielleicht sah die Regisseurin ihre Figuren, den stillen, nachdenklichen Ostler und die kühle, sarkastische Westlerin, ja auch als Prototypen für die Intellektuellen auf beiden Seiten, deren künftiges Zueinanderfinden sie bezweifelte.
Aufschlussreich ist, dass DDR-Kinogeschichten nach 1990 oft von westdeutschen Regisseurinnen und Regisseuren erzählt wurden, die sich selbst einst als Linke verstanden und nun ihren endgültigen, radikalen Bruch mit der sozialistischen Ideologie filmisch zu manifestieren suchten. Dabei wirkte nicht nur Das Versprechen in den Details ungenau und grob. Auch Helma Sanders-Brahms interpretierte die DDR in Apfelbäume (1992) als ein Land ohne Lachen, in dem ein Umweltschützer sarkastische Sätze von sich gibt wie "Dreimal hoch unser antifaschistischer Schutzwall, der die Menschen in ihre Koben zwingt, bis sie schlachtreif sind", um sich dann doch zum Stasispitzel zwingen zu lassen. Wie Das Versprechen war auch Apfelbäume eine Liebes- und Dreiecksgeschichte, in der die Liebenden durch politische Umstände auseinander gerissen werden. Politische Umstände wurden über private Beziehungen erklärt, DDR-Geschichte entfaltete sich als Saga zerbrochener Familien.
Existentielle Zusammenstöße von Spitzeln und Bespitzelten nach der "Wende" bildeten das Sujet kammerspielhafter Filme wie Abschied von Agnes (1993) oder Der Blaue (1993). Während Lienhard Wawrzyns Der Blaue mit Manfred Krug als IM "Brandenburger" nur populistische Oberflächlichkeiten und einen ewig schwitzenden Führungsoffizier im Ruhestand (Klaus Manchen) zu bieten hatte, erwies sich Michael Gwisdeks Abschied von Agnes als partiell beängstigende Psychostudie über die Totalüberwachung eines Individuums und die staatlich sanktionierte Kontrolle seiner inneren Welten: Hier drang ein ehemaliger Staatssicherheitsoffizier (Sylvester Groth) in die Wohnung eines einsamen Witwers (Michael Gwisdek) ein, der sein Wissen um den Tod seiner Frau stets für sich behalten hatte.
Eher positiv überraschte schließlich auch Die Stille nach dem Schuß (2000), für den sich ein westdeutscher Regisseur (Volker Schlöndorff) und ein ostdeutscher Autor (Wolfgang Kohlhaase) zusammenfanden. Ihr Versuch, das Geschehen um ehemalige Mitglieder der terroristischen Rote-Armee-Fraktion zu durchleuchten, die in der DDR mit Billigung der Staatssicherheit und Erich Honeckers Unterschlupf gefunden hatten, geriet zu einer psychologisch reifen und auch szenisch sicheren Arbeit. Martin Wuttke in der Rolle eines Staatssicherheitsoffiziers gab diese Figur nicht einer vordergründigen Dämonisierung preis, sondern porträtierte sie als Rad im Getriebe einer zwanghaften Sicherheitsdoktrin, der seine Funktion mit tiefer innerer Überzeugung, später aber auch mit einigen Zweifeln ausübt. Das DDR-Bild orientierte sich sichtlich an der semidokumentarischen Genauigkeit früherer DEFA-Filme, ohne ins Klischee zu verfallen.
Die DDR als schöner Schein
In der Gunst des deutschen Publikums dominierten weniger die ernsthaften Versuche, DDR-Geschichte und die Folgen der DDR bis in die unmittelbare Gegenwart filmisch zu beschreiben. Eine herausragende Arbeit wie Andreas Kleinerts Wege in die Nacht (2000) wurde daher nur von einem eher kleinen Zuschauerkreis wahrgenommen. Mit der Figur eines ehemaligen Werkdirektors (Hilmar Thate), der nach der "Wende" mit seinem Statusverlust hadert, sich überflüssig fühlt und seinem Leben ein Ende setzt, gelang dem Regisseur das eindringliche Psychogramm einer ganzen Schicht von Ex-DDR-Bürgern, die längst nicht in der Bundesrepublik angekommen sind, vielleicht nie in ihr ankommen werden. Zu einer Schlüsselszene wurde die Begegnung des Mannes mit ehemaligen Genossen und Freunden während einer Party. Während Kleinert die Räume des Geschehens fast ganz ins Dunkel hüllt, lässt er die Männer fast flüsternd, im Ton einer Geheimgesellschaft, über ihre neuen Karriereschritte reden. Die Hauptfigur sieht darin allerdings nur opportunistisches Gehabe und ergreift die Flucht.
Wege in die Nacht gehörte zu jenen Filmen, die "Ostler als Verlierer präsentieren, egal in welch begrenzten sozialen Kreisen sie verkehren mögen. Fast ständig sind sie Ausgestoßene, die in der Isolation leben; sie haben keinen Platz in der Gesellschaft und keine großen Familien. Es scheint, als untergrabe die Einführung der Marktwirtschaft im Osten und die neue soziale Ordnung jeglichen Gemeinschaftssinn."
Alle diese sozial intendierten Filme, die sich mit dem Verlorensein ehemaliger DDR-Bewohner in der neuen, westlichen Gesellschaft auseinandersetzen, stammen übrigens von ostdeutschen Regisseuren. Weitere Arbeiten, so von Jens Becker (Adamski, 1993), Helke Misselwitz (Engelchen, 1996) oder Andreas Dresen (Nachtgestalten, 2000), ließen sich anschließen.
Neben solchen ernsthaften Versuchen näherte sich der deutsche Nachwende-Film von Anfang an auch in Komödien und Lustspielen der DDR-Vergangenheit. Wolfgang Stumph durfte in Peter Timms Go Trabi go (1991) als einer der ersten DDR-Bürger die halbverfallenen Fabriklandschaften des Ostens (auch das ein immer wiederkehrendes Motiv) hinter sich lassen und mit seinem Trabant in Richtung Süden aufbrechen. Dieter Hallervorden verkörperte in Heiko Schiers Alles Lüge (1992) einen ostdeutschen Entertainer, dessen gewinnbringendste Idee ein DDR-Revival im Berliner Palast der Republik ist, einschließlich Pionierchören, Grenzpolizisten, Honecker-Bildern und bärbeißigen Zollbeamten. Auch in Peter Timms Der Zimmerspringbrunnen (2002) mutiert ein stiller, arbeitsloser Mann zum zeitweiligen "Wendegewinner", nachdem er seine Vertreter-Ware, eben jene Zimmerspringbrunnen, mit Ost-Berliner Fernsehturm und DDR-Hymne aufpeppt und auf großes Interesse von Leuten stößt, die sich an alte, vermeintlich beschaulichere Zeiten erinnern wollen. Schon 1992 hatte Vadim Glowna erkannt, womit sich DDR-Bürger am besten in die deutsche Einheit einbringen könnten: In seinem Film Der Brocken behauptete er augenzwinkernd, am Besten wäre es, das ganze Halbland zum Öko-Paradies mit entsprechender Vermarktungsstrategie für Lebensmittel und Urlaubsreisende umzubauen.
Die DDR als Traum, Refugium oder Fake - damit spielte nicht zuletzt der erfolgreichste "Wendefilm" überhaupt: Good bye, Lenin von Wolfgang Becker (2002). Sein bestechender Grundeinfall bestand darin, dass eine treue DDR-Bürgerin und Lehrerin vor dem Ende der Mauer ins Koma fällt und erst lange danach wieder erwacht. Um ihre Gesundheit zu stabilisieren, spielen ihr der eigene Sohn und einige Freunde das Weiterbestehen des realen Sozialismus vor. Zu den am besten erfundenen Szenen gehört eine gefälschte Ausgabe der DDR-Nachrichtensendung Aktuelle Kamera, in der eine geläuterte DDR Gesicht und Gestalt bekommt: Der Fliegerkosmonaut Sigmund Jähn, demokratisch gewählter Nachfolger von Staatschef Erich Honecker, postuliert Freiheit für alle, während die realen Bilder vom Mauerfall so umgedeutet werden, dass nunmehr Tausende Westdeutsche über den "antifaschistischen Schutzwall" in die DDR kämen, um hier, im nunmehr wahren Paradies der Werktätigen, zu leben.
Solche Szenen entbehrten besonders für ostdeutsch sozialisierte Zuschauer nicht einer gewissen Melancholie, entwarf der Film doch eine DDR, wie sie vor der "Wende" von vielen, nicht zuletzt von den Bürgerrechtlern, gewünscht und ersehnt worden war. In einer anderen Beziehung versagte aber auch Good bye, Lenin: Wolfgang Becker gestattete der von Katrin Sass gespielten weiblichen Hauptfigur letztlich nicht, aus ehrlicher Überzeugung an der sozialistischen Idee festgehalten zu haben. Auch ihre DDR-Treue, so offenbart der Film, war Lüge und Selbsttäuschung, denn nach der Westflucht ihres Mannes hatte sie zunächst ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, das Land zu verlassen. Mit einem solchen inhaltlichen Kunstgriff verkleinerte Becker die Dimension der Figur: Er ließ es nicht zu, dass sein Film - zum ersten Mal im deutschen Kino nach 1990! - eine ehrlich überzeugte Sozialistin zu einer Art positiver Heldin machte. Vielleicht trug der Knick in ihrer Biografie dazu bei, den Film kompatibler für ein Westpublikum zu machen. Eine Anpassung an den Zeitgeist, der ein Festhalten an der Utopie einer gerechten Gesellschaft ausschließlich als rückwärtsgewandt aburteilt, war dieser Kunstgriff in jedem Fall.
Dass das deutsche Kino auch anderthalb Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung vielfältige Stoffe aus vierzig Jahren DDR-Geschichte filtert und weiterhin filtern wird, ist angesichts der Herbst- und Winterpremieren 2005/06 gewiss: Nach der Militärgroteske NVA, mit der sich Thomas Brussig und Leander Haussmann noch einmal lachend von der Vergangenheit verabschieden, legt Florian Henckel von Donnersmark mit Das Leben der Anderen einen weiteren Stasi-Film vor. Die Hauptfiguren sind Künstler der Ost-Berliner Theaterszene in den achtziger Jahren, die sich zwischen Anpassung, innerer Emigration, Westflucht und Suizid bewegen. Dominik Graf porträtiert in Der rote Kakadu nach einem Buch von Michael Klier junge Jazzfans in Dresden im Jahr des Mauerbaus 1961 und ihren Zusammenprall mit der Staatsmacht. Weitere Filmfabeln über das Leben in der DDR befinden sich im Entwicklungsstadium. Es bleibt zu wünschen, dass es ihnen gelingt, differenziert und gerecht über Menschen zu erzählen, die in Aufstieg, Stabilisierung und Verfall jenes Halb-Landes integriert waren, in dessen Mauern nicht nur Konflikte zwischen Gut und Böse ausgetragen wurden, sondern Individuen mit ihren Zweifeln und Kümmernissen, mit großen und kleinen Glücksmomenten lebten. Filmische Abbilder der DDR, die weniger auf Äußerlichkeiten und Klischees zurückgreifen, sondern innere Prozesse des Landes und seiner Bewohner subtil rekonstruieren, haben weiterhin Seltenheitswert.