Einleitung
Ginge es allein nach den öffentlichen Verlautbarungen, dann stünde es um das deutsch-britische Verhältnis glänzend. "Unsere Beziehungen waren nie besser als heute", erklärte Premierminister Tony Blair am 9. Mai 2005 in der "Bild"-Zeitung anlässlich des 60. Jahrestags des Kriegsendes in Europa. Prädikate wie "as excellent as any bilateral relations can be" konnte man von Blair schon fünf Jahre zuvor auf der Königswinter-Konferenz hören, als er gemeinsam mit Bundeskanzler Gerhard Schröder vor dem alljährlichen deutsch-britischen Forum sprach. Der deutsche Regierungschef stand dem nicht nach: Die Beziehungen seien noch nie so gut gewesen, "the best ever".
Doch im Tagesgeschäft stellt sich das bilaterale Verhältnis seit der deutschen Vereinigung häufig anders dar. Trotz wiederholter Anläufe scheint es bis heute nicht ganz zu gelingen, die für die Nachkriegsjahrzehnte so oft angeführte "Beklommenheit" (unease) abzulegen.
Der deutsche Botschafter, Thomas Matussek, hatte zum Jahrestag des Kriegsendes Gelegenheit, den Rat seines britischen Kollegen in Berlin, Sir Peter Torry ("Die Deutschen sollten nicht so empfindlich reagieren"
In einer groß angelegten Umfrage unter Jugendlichen zur wechselseitigen Wahrnehmung, deren Ergebnisse das Goethe-Institut und der British Council 2004 vorstellten, hieß es zum Deutschlandbild junger Briten: "Überraschenderweise sind der 2. Weltkrieg und die deutsche Nazi-Vergangenheit sogar für die junge Generation der Briten immer noch präsent." Während junge Deutsche viel über Großbritannien wüssten, es als "erfolgreiche multikulturelle Gesellschaft" beschrieben, die modern und zukunftsorientiert sei, sei der Kenntnisstand junger Briten über Deutschland eher gering: "Mit dieser Wissenslücke haben die jungen Briten eine etwas negativere Wahrnehmung Deutschlands."
Aber die Fortsetzung des unease erklärt sich nicht nur aus der Vergangenheit und der unterschiedlichen konjunkturellen Lage. Auch politische Entwicklungen insbesondere auf europäischer Ebene berechtigen zu Zweifeln an Blairs Einschätzung der Qualität der deutsch-britischen Beziehungen. Nur sechs Wochen nach seinem Interview gerieten Blair und Schröder auf dem Brüsseler Gipfel der Europäischen Union (EU) aneinander. Dort sollte es um die finanzielle Zukunft der Gemeinschaft gehen, doch nach den gescheiterten Referenden über den Verfassungsvertrag in Frankreich und den Niederlanden stand auch die politische Zukunft Europas auf der Tagesordnung. Am Ende ließ Blair das Treffen mit seiner Weigerung scheitern, den von seiner Vorvorgängerin Margaret Thatcher erstrittenen "Britenrabatt" als Ausgleich für die geringeren Zuwendungen Großbritanniens aus dem Agrarfonds aufzugeben. Es wurde deutlich, dass zwischen beiden Regierungen erhebliche Differenzen über die weitere Entwicklung der EU bestehen.
Der deutsch-britische Meinungsstreit spielte auch im Bundestagswahlkampf eine Rolle. "Großbritannien ist für ein soziales Europa, aber es muss ein soziales Europa sein, das in unsere heutige Welt passt", schrieb Blair mit einem wenig verklausulierten Seitenhieb auf seinen deutschen Amtskollegen nach dem gescheiterten EU-Gipfel Mitte Juni 2005 in der "Bild"-Zeitung. "Wir müssen herausfinden, warum manche Volkswirtschaften Europas Arbeitsplätze schaffen und andere nicht."
Zwar trifft es zu, dass die "guten Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien (...) inzwischen selbstverständlich geworden" sind.
Thatcher und die deutsche Vereinigung
Die deutsch-britischen Beziehungen sind noch immer nicht unbeeinflusst von den Schatten, die die Vorbehalte von Premierministerin Margaret Thatcher gegen die deutsche Vereinigung auf das Verhältnis geworfen hatten. Die Ansicht, dass "die Briten" gegen die Vereinigung gewesen seien, hat sich heute so weit eingebürgert, dass sie kaum noch hinterfragt wird. Doch ist es wert festzuhalten, dass es am Ende weniger die britische Politik
Doch es ist wichtig, die tatsächliche, nach anfänglichem Zögern über weite Strecken konstruktive britische Politik von atmosphärischen Störungen zu trennen. Selbst die Haltung der Regierungschefin, die aufgrund ihres Misstrauens gegenüber einem "Nationalcharakter" der Deutschen
Zudem scheiterten die Verlangsamungsversuche der Premierministerin vollkommen. Thatcher schrieb in ihren Memoiren: "If there is one instance in which a foreign policy I pursued met with unambiguous failure, it was my policy on German reunification."
Am Ende gelang es Hurd, Thatchers Politik abzufedern und in konstruktive Schritte umzuwandeln. Dazu gehört auch die Idee, die der deutschen Vereinigung internationale Absicherung und besondere Dynamik verlieh: die "Zwei-plus-Vier"-Konstruktion, unter der die beiden deutschen Staaten und die vier Siegermächte den Weg zu einem im Westen verankerten, vereinigten Deutschland fanden.
Überlagert wurde die Diplomatie durch eine lebhafte Diskussion,
Die Ära Major/Kohl
Der neue Premierminister John Major sah die Wiederherstellung guter Beziehungen zu Europa, insbesondere zu Deutschland, als vorrangig an. Die politische Freundschaft,
Doch der honeymoon dauerte nicht lange. Spätestens nach der Unterhauswahl vom April 1992, die die Konservative Partei nur noch knapp für sich entscheiden konnte, ruderte Major zurück in eine "wenn nicht feindliche, so doch ambivalente" Position gegenüber "Europa".
Zu dem Zeitpunkt taten sich beim Thema Jugoslawien beziehungsweise bei der Frage nach der Anerkennung der Unabhängigkeit von Slowenien und Kroatien neue Differenzen auf. Als das britische Pfund im Herbst 1992 unter immer größeren Druck geriet und am "schwarzen Mittwoch", dem 16. September, gezwungen war, den Europäischen Wechselkursmechanismus zu verlassen, erlitten die deutsch-britischen Beziehungen einen schweren Schlag. Die Krise untergrub nicht nur Majors Europapolitik, sondern offenbarte Großbritanniens prekäre ökonomische Situation. Ermuntert von der Regierung, machten die meisten britischen Medien die Bundesbank für die Ereignisse verantwortlich. Deren Hochzinspolitik habe dazu geführt, dass Deutschlands Nachbarn für die Wiedervereinigung zahlen müssten: "The degree of anti-Germanism expressed by large sections of the British political class was unprecedented in the post-occupation period."
Weitere Streitigkeiten, an denen die deutsche Seite allerdings nicht immer schuldlos war - beispielsweise über die Besetzung des Präsidentenamtes der Europäischen Kommission 1994 -, führten schließlich zur "Nicht-Kooperationspolitik" der Regierung Major, als die EU in Reaktion auf die BSE-Krise ein Ausfuhrverbot für britisches Rindfleisch in Kraft setzte und sich die britische Regierung insbesondere durch die Haltung der Bundesrepublik zum "beef war" herausgefordert sah.
Die Ära Blair/Schröder
Mit dem erdrutschartigen Wahlsieg der Labour Party im Mai 1997 und der Bildung einer rot-grünen Bundesregierung unter Schröder im folgenden Jahr schien ein neuer Anfang möglich. Nicht nur schickte sich Blair an, Großbritannien nun tatsächlich "ins Herz Europas" zu führen.
Blair unterschied sich in seinen europäischen Ambitionen grundsätzlich von seinen Vorgängern. Sein Ziel sei es, "dass Großbritannien in den nächsten Jahren ein für allemal seine Ambivalenz gegenüber Europa ablegt", sagte er 1999 bei der Verleihung des Internationalen Karlspreises in Aachen. "Ich will ein Ende der Unsicherheit, des Mangels an Vertrauen, der Europhobie."
Damit war jedoch der Höhepunkt des neuerlichen deutsch-britischen Aufbruchs überschritten. Nach scharfer Kritik aus den eigenen Reihen distanzierte sich Schröder schließlich von dem Papier. Gleichzeitig wurde klar, dass Blairs europapolitischen Ambitionen Grenzen gesetzt waren. Zwar unterzeichnete die britische Regierung die Europäische Sozialcharta und gab auf dem britisch-französischen Gipfel von St. Malo 1999 einen wichtigen Anstoß zur Schaffung einer europäischen militärischen Eingreiftruppe, doch schob sie einen Beitritt zur gemeinsamen Währung auf die lange Bank und scheute sich, die Euro-Debatte daheim auch nur vorzubereiten.
In der zweiten Legislaturperiode von 2001 bis 2005 zunehmend reaktiv in europäischen Belangen, führte der eng an die USA angelehnte Kurs der Regierung Blair nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu einer Entfremdung in den bilateralen Beziehungen, von der auch die Wiederbelebung der "Brücken"-Metapher durch Blair zeugte, derzufolge Großbritannien aufgrund seiner "special relationship" zu den USA den Bogen zwischen Amerika und Europa spannen sollte. Derweil suchte die deutsche Regierung neue Tuchfühlung mit Frankreich und begründete eine Achse Paris-Berlin-Moskau. Einen Tiefpunkt erlebte das deutsch-britische Verhältnis während der Auseinandersetzungen über die Irakpolitik im UN-Sicherheitsrat 2002/03, was sich zuletzt in den Spannungen über die Zukunft und die wirtschaftspolitische Ausrichtung der EU fortgesetzt hat.
Neue Aufbruchstimmung?
Mit dem Regierungswechsel in Deutschland und der Kanzlerschaft Angela Merkels spricht einiges dafür, dass im deutsch-britischen Verhältnis bald wieder Aufbruchstimmung herrscht - ein Wahlsieg der CDU-Chefin war der von der Downing Street erhoffte Ausgang der vorgezogenen Bundestagswahl. Doch selbst wenn sich mit einer möglichen künftigen Präsidentschaft Nicholas Sarkozys in Frankreich neue personell-politische Konstellationen in Europa ergeben sollten, spricht vieles dafür, dass sich die bilateralen Beziehungen weiter nach bekanntem Muster vollziehen werden.
Die Wellenbewegung im deutsch-britischen Verhältnis seit dem Mauerfall erklärt sich durch die unterschiedliche Haltung beider Länder zur europäischen Einigung. Das "Schreckgespenst der Vergangenheit" ("bogey of the past"), das Thatcher mit der Wiedervereinigung zurückkehren sah, nämlich die "deutsche Frage", war gewissermaßen eine Spiegelung. Denn Thatchers Befürchtung richtete sich weniger gegen ein wiedererstarktes Deutschland denn gegen einen deutsch dominierten, föderalen europäischen "Superstaat", der oft als späte Verwirklichung eines "Hitler-Europas" diffamiert wird. Diese Vorstellungen spielen in Großbritannien bei der Gegnerschaft zu einem "föderalen Europa" weiterhin eine Rolle, wenngleich sie in den vergangenen Jahren von der Sorge der Regierung Blair überlagert werden, ein von German angst gelähmtes Deutschland oder eine reformunwillige deutsch-französische Kombination könnte die EU dauerhaft in die Stagnation treiben.
Auf deutscher Seite sind es im Wesentlichen die Enttäuschungen über die ambivalente und lavierende britische Haltung gegenüber der EU, die das Verhältnis beeinträchtigen. Hier sind beide Länder zu oft auf unterschiedlicher "Wellenlänge".
Ohne Zweifel werden Großbritannien und Deutschland gute Nachbarn bleiben, aber das große Potenzial, das in dem bilateralen Verhältnis steckt, wird sich erst entwickeln können, wenn sich die europapolitischen Vorstellungen annähern. Davon ist auf absehbare Zeit nicht auszugehen.