Einleitung
Wie hätten Sie Ihr Steak gerne, Frau Premierministerin?" Die höfliche Nachfrage des Oberkellners war augenscheinlich nicht allein professioneller Natur. Aus ihr sprach Bewunderung für Margaret Thatcher. Und die Antwort der "Eisernen Lady" fiel wenig überraschend aus: "Britisch, und gut durchgebraten." Die um den Tisch gruppierte Ministerriege verfiel in süffisantes Grinsen. Margaret war eben Margaret. "Und das Gemüse?" Thatcher warf einen funkelnden Blick in die Regierungsrunde: "Die nehmen das Gleiche."
Wie gerne würde ich Angela Merkel einmal etwas Ähnliches über ihr Kabinett sagen hören, aber das wird natürlich nie passieren. Merkel ist nicht Margaret Thatcher, Deutschland ist nicht Großbritannien, und seit den achtziger Jahren sind zwei Jahrzehnte verstrichen. Trotzdem ist der banale Thatcher/Merkel-Vergleich zu einem festen Bestandteil des britisch-deutschen Diskurses geworden. Inwiefern wird sich Deutschland dem angloamerikanischen Modell annähern?
Was politische Beobachter an Margaret Thatcher so fasziniert, ist die Tatsache, dass es ihr gelungen ist, eine 15-jährige Periode konservativer Vorherrschaft einzuläuten, obwohl sie selbst in Wahrheit alles andere als eine Konservative war, vielmehr eine Wirtschaftsliberale. Sie war es, die im Nachkriegs-Großbritannien einen lange herrschenden Konsens aufgebrochen hat: Von 1945 bis 1979 dominierte ein Trend zur Verstaatlichung von Eigentum. Industrieunternehmen wurden von Labour-Regierungen in Staatseigentum verwandelt. Die Konservativen geboten dem Prozess der Verstaatlichung schließlich Einhalt. Von außen betrachtet glich die britische Politik einem Zickzack-Kurs. Tatsächlich gab es wenig Entscheidungsspielräume hinsichtlich der ökonomischen Praktiken der beiden großen Parteien. Das unterscheidende Merkmal lag vielmehr in der gesellschaftlichen Herkunft - obwohl sich auch das verändert hatte, seit Arbeiterklasse-Tories begannen, für Arbeiterklasse-Politiker zu stimmen - sowie in dem engen Verhältnis, das Labour zur Gewerkschaftsbewegung pflegte.
Thatchers Erfolg basierte nicht auf einem Werben um Konsens, sondern resultierte ausihrer Bereitschaft zu polarisieren. Heute herrscht in Großbritannien im Hinblick auf Thatcher ein überwältigendes Einverständnis; ein Premierminister von Labour, Tony Blair, gehört zu ihren besten Schülern.
Es lohnt sich, die Errungenschaften von Großbritanniens erster Premierministerin zu rekapitulieren. Ein Großteil fällt in die erste Amtszeit. Für eine moderne, konservativ geführte Regierung in Deutschland ließen sich Lehren daraus ziehen, unabhängig vom Geschlecht ihres Führungspersonals. Frau (heute: Baroness) Thatcher war nicht, wie die britische Presse manchmal zu glauben scheint, eine Superheldin. Ebenso wenig war sie der Störenfried, zu dem sie die deutsche Presse gerne stilisierte. Sie vereinte die Instinkte eines alten Konservatismus mit dem Glauben an die Märkte, an einen wettbewerbsfähigen Individualismus. Die Rhetorik kam im Volk gut an, sowohl in den Londoner Vororten mit den sauberen Vorgärten und Gartenlauben als auch bei den Dukes und dem Landadel. Ende der achtziger Jahre sah es so aus, als würde ihr Programm der Deregulierung, der Privatisierung und der Steuersenkungen die britische Wirtschaft zur wettbewerbsstärksten Kraft Europas umwälzen. Unter Thatcher verkehrte Großbritannien das Gefühl ständigen Niedergangs in sein Gegenteil: Es versicherte sich seiner Interessen in Europa (kämpfte sogar einen kleinen, erfolgreichen Krieg um die Falkland-Inseln) und betätigte sich als Vermittler im Kalten Krieg, indem es dazu beitrug, Michail Gorbatschow salonfähig zu machen. Vor allem aber ist es Thatcher gelungen, einen neuen Zeitgeist im Land zu verankern. Die Briten wurden immer skeptischer gegenüber den monolithischen Institutionen des Wohlfahrtsstaates - von den Gewerkschaften und den Gesamtschulen bis zu staatlichen Sozialwohnungsprojekten. Thatcher präsentierte Fluchtrouten für Aufsteiger.
Die britische Politik brauchte damals - ebenso wie die deutsche Politik heute - eine treibende Kraft. Bereits ein Jahr nach Thatchers Amtsübernahme war British Aerospace privatisiert. Weitere Beispiele ließen nicht auf sich warten: der Verkauf der Staatsanteile von Cable and Wireless, der Verkauf der British National Oil Corporation, der Transport Docks, von Hotel- und Fährschiffunternehmen, British Rail, British Sugar, British Telecom. Die Briten wurden zu einem Volk der Aktionäre - und durch den Verkauf von Hunderttausenden Sozialwohnungen zu Immobilienbesitzern. Plötzlich gerieten die traditionellen Klassenzugehörigkeiten ins Wanken.
Als Thatcher an die Macht kam, hatten die Briten den so genannten winter of discontent hinter sich - Monate währende Proteste der Gewerkschaften, die Müllabfuhr, Krankenhäuser, Schulen und den öffentlichen Nahverkehr lahm gelegt hatten. Die Stimmung wendete sich gegen die Gewerkschaften. Ehemals die Interessenvertreter der Arbeiterklasse, wurden sie nun als Vertreter antibritischer Interessen wahrgenommen, die die Gesellschaft spalteten und den Weg zu Neuerungen blockierten. Die zum Teil brutalen Polizeieinsätze gegenüber streikenden Bergarbeitern 1984 schockierten. Doch es war ein Krieg, den sie gewonnen hat und der das Land von einer entscheidenden Fessel im internationalen Wettbewerb befreit hat. Bergbaustädte im Norden Englands wurden vorübergehend zuGeisterstädten, doch sie erblühten als Hochburgen von Call- und Servicezentren. Eine Zeit lang wetterten Gewerkschaftsführer, Thatcher habe stolze Bergarbeiter ihrer Würde beraubt, indem sie sie neben Hausfrauen setzte, um für relativ wenig Geld Telefone zu bedienen. Doch die Bergbauromantik war seit jeher ein Mythos: Es war und ist eine dreckige, gefährliche Arbeit.
Was die Arbeitslosigkeit betrifft: Thatcher übernahm zu Anfang ihrer Amtszeit von Labour unter James Callaghan 1979 eine Arbeitslosenzahl von einer Million. Sie stieg in ihrer ersten Amtszeit steil auf über drei Millionen an, was teilweise auf die rapiden Privatisierungsmaßnahmen zurückzuführen ist. Doch nach und nach entwickelte die Wirtschaft Elastizität. Geschäftspleiten wurden als Kreativitätsanreize genutzt, als Chancen, Marktnischen zu entdecken. Das Arbeitslosenproblem löste sich von selbst. Heute herrscht in Großbritannien nahezu Vollbeschäftigung (im engeren wissenschaftlichen Sinne des Begriffs).
Vielleicht ist es die Energie der ersten beiden Legislaturperioden von Thatcher, die für Angela Merkel entscheidende Lehren bereithält. Die große Koalition sollte ihre Attitüde aufgeben, nach der eine Regierung ein mühsames Unterfangen ist. Es gibt mehr, viel mehr, was von Thatcher zu lernen ist. Hier sind Maggies Zehn Gebote für ihre deutsche Kollegin:
1. Du sollst die Form deiner Aussagen einfach halten. Mehr Individuum, weniger Staat; mehr Auswahl, mehr Verantwortung.
2. Du sollst Arroganz pflegen. Wenn das mit dem "Gemüse" schon nicht klappt, wie wäre es mit: "Ich bin außerordentlich geduldig, vorausgesetzt ich kriege am Ende, was ich wollte."(O-Ton Thatcher)
3. Du sollst furchtlos sein und mit Thatcher'schem Eifer Subventionen kappen. Die Gewerkschaften werden lautstark protestieren. Die SPD wird an Schuldzuweisungen nicht sparen. Doch es gilt das Thatcher'sche Motto: "Es gibt keine Alternativen." ("There is no alternative", kurz: TINA.)
4. Du sollst eine patriotische Sprache verwenden. Die Deutschen brauchen sowohl einen emotionalen als auch einen rationalen Grund, um Einschnitte hinzunehmen. Deutschland muss Weltmeister werden - aber nicht in der Meckerdisziplin. Die Fußball-WM 2006 ist nicht nur ein großes internationales Event, sondern ein großes Event für Deutschland.
5. Du sollst auf die Macht des Geizes bauen. Thatcher hat den britischen Niedergang allein durch psychologische Mittel abwenden können: Den Hausbesitzern flüsterte sie ein, dass sie reicher und reicher würden, woraufhin deren gesellschaftliche Macht stetig wuchs.
6. Du sollst netter zu Amerika sein, jedoch nicht unbedingt zum White House. Es bringt nichts, tatenlos auf den Einzug von Nicolas Sarkozy in den Elysée-Palast zu warten. Freunde dich mit aufstrebenden republikanischen Regierenden an. Arnold Schwarzenegger könnte für dich werden, was Ronald Reagan für Margaret Thatcher war: eine politische Verbindung, die den eigenen Status aufpoliert. Die Franzosen werden dir Respekt zollen. Denke daran, was Mitterrand über Thatcher sagte: "Sie hat die Augen von Caligula, den Mund von Marilyn Monroe."
7. Du sollst deine Feinde ins Kabinett holen. Thatchers erstes bestand aus neun engen Verbündeten - und neun potenziellen Rebellen, die nie ein Geheimnis aus ihrem Unwillen gegenüber der Politik und dem Führungsstil Thatchers machten. Ihr Hauptgegner, der verbitterte Vorgänger Edward Heath, saß weiterhin im Parlament und feuerte aus dem Hinterhalt gegen ihre Regierung. Merkels Autorität wird ebenfalls von Kollegen untergraben werden, besonders in Hessen und in Niedersachsen.
8. Du sollst Spione einsetzen. Thatcher erhielt von Innenminister Willie Whitelaw, einem älteren, weniger ehrgeizigen Konservativen, Hinweise darauf, dass Verschwörungen gegen sie im Gange waren.
9. Gott hat dich als Frau geschaffen. Verleugne diese Tatsache nicht, sondern mach sie dir zu Nutze. Journalisten erinnern sich an Begegnungen mit Thatcher, die etwas von einem Flirt hatten (eine leichte Berührung am Unterarm des Interviewers). Thatcher schrieb sich weibliche Instinkte zu: "Greife auf einen Mann zurück, wenn etwas gesagt werden soll, auf eine Frau, wenn es getan werden muss." In Wirklichkeit brachte sie nur wenige Frauen nach oben, ihre engsten Berater waren allesamt Männer.
10. Du sollst immer eine Handtasche tragen. Daraus kannst du bei Gipfeltreffen oder Koalitionsverhandlungen in einem strategisch entscheidenden Moment eine Liste mit Forderungen hervorzaubern. Thatcher hat auf diese Weise viele Verhandlungen für sich entschieden. Es verwirrt die Männer und lenkt sie von schwachen Argumenten oder mangelndem Charisma ab. Der Trick könnte sich in Berlin als fruchtbar erweisen.
Übersetzung aus dem Englischen: Dörte Huneke, Berlin.