Einleitung
Das iranische Atomprogramm ist für Europa wie für Amerika, ja für die gesamte internationale Staatengemeinschaft eine zentrale Herausforderung. Ein abermaliger Streit bis hin zu einer Spaltung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wie im Falle Iraks würde diese Organisation erneut in eine tiefe Krise stürzen. Ob es gelingt, eine iranische Atombombe zu verhindern, ist wesentlich für die Zukunft der transatlantischen Beziehungen, aber auch für die Frage, ob die Europäische Union ihre gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik erfolgreich weiterentwickeln wird. Sollte der Iran eines Tages üner Kernwaffen verfügen, hätte dies weit reichende Folgen für die europäische Nachbarregion des Mittleren Ostens. Denn es steht zu befürchten, dass weitere Länder wie Saudi-Arabien oder Ägypten dem Beispiel Irans folgen würden. In der Konsequenz wäre der ohnehin in die Krise geratene Atomwaffensperrvertrag, der die internationale Norm gegen die Verbreitung von Kernwaffen institutionalisiert, wohl nicht mehr zu retten. Gerade Europa würde somit sein zentrales diplomatisches Instrument verlieren, um die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Schließlich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Iran auch ein breit gefächertes Raketenprogramm unterhält. Teheran könnte daher in einigen Jahren über Raketen mit atomaren Sprengköpfen verfügen, mit denen Zentraleuropa erreichbar wäre. Dies würde die europäische Sicherheitslage verändern. Mit anderen Worten: Die Lösung des iranischen Atomproblems ist der Schlüssel für eine Vielzahl internationaler Probleme und Entwicklungen.
In diesem Beitrag wird zunächst der Frage nachgegangen, inwiefern tatsächlich die Gefahr einer militärischen Nutzung des iranischen Atomprogramms besteht. In einem zweiten Schritt werden die iranischen Motive für dieses Projekt untersucht. Drittens schließlich gilt es, die europäischen Bemühungen zu beschreiben, mit Iran zu einvernehmlichen Lösungen zu gelangen.
Iran ist schon 1970, also noch zu Zeiten des Schahs, dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten. Das Land hat damit völkerrechtlich verbindlich auf Nuklearwaffen verzichtet. Es macht jedoch das Recht auf die zivile Nutzung der Kernenergie geltend, das in diesem Abkommen verbrieft ist. Mit russischer Hilfe wird derzeit in Buschehr ein Leichtwasserreaktor für die Stromerzeugung fertig gestellt, der 2006 ans Netz gehen soll. Solange dieser Reaktor, wie im Atomwaffensperrvertrag vorgesehen, unter der Kontrolle der internationalen Atomernergiebehörde (IAEO) bleibt, kann er kaum zu militärischen Zwecken missbraucht werden. Selbst für den Fall, dass Iran eines Tages den Inspektoren keinen Zugang mehr gewähren sollte, wäre es sehr aufwendig, den Atommeiler dafür zu nutzen, waffenfähiges Plutonium zu produzieren.
Sehr viel problematischer ist dagegen die ebenfalls im Bau befindliche Anlage in Natanz. Dort soll Uran angereichert werden, um es für die Herstellung von Brennstäben zu nutzen. Iran könnte in der Anlage von Natanz aber nicht nur, wie die Regierung in Teheran beteuert, niedrig angereichertes Uran produzieren. Vielmehr kann in der derselben Einrichtung ohne große bauliche Veränderungen auch hoch angereichertes Uran hergestellt werden, also der Ausgangsstoff für Atombomben. Solange die Urananreicherungsanlage unter der Kontrolle der IAEO-Inspektoren steht, würde es Iran schwer fallen, heimlich hoch angereichertes Uran für die Produktion von Waffen abzuzweigen. Es wäre jedoch nicht auszuschließen, dass Iran in nicht gemeldeten, für Inspektoren nicht zugänglichen Anlagen heimlich hoch angereichertes Uran produzierte. Außerdem könnten die Machthaber in Teheran eines Tages - dem Vorbild Nordkoreas folgend - dem Atomwaffensperrvertrag kündigen und die Inspektoren des Landes verweisen.
In der Tat sprechen eine Reihe von Indizien dafür, dass Iran mit seinem Atomprogramm neben zivilen auch militärische Absichten verfolgt. Während die Anreicherungsanlage von Natanz schon weit fortgeschritten ist, sind die neben dem Buschehr-Reaktor geplanten weiteren Leichtwassereaktoren, in denen im Iran gefertigte Brennstäbe Verwendung finden könnten, noch nicht einmal auf dem Reißbrett entworfen. Es stellt sich somit die Frage, warum Teheran sich so sehr auf die Anreicherung für die angebliche Herstellung von Brannstäben zur Nutzung in Reaktoren konzentriert - zumal der nukleare Brennstoff für Buschehr gemäß einer iranisch-russischen Übereinkunft aus Russland geliefert werden soll.
Außerdem plant Iran den Bau einer Anlage für die Produktion von Schwerwasser sowie eines Schwerwasserreaktors zu Forschungszwecken in der Nähe der Stadt Arak. Solche Reaktoren sind für die Produktion von Waffenplutonium sehr gut geeignet.
Hinzu kommt, dass Iran über viele Jahre nicht vorschriftsmäßig mit der IAEO zusammenarbeitete. So wurden Importe von Natururan aus China sowie dessen Weiterverarbeitung und der Erwerb von Zentrifugen für die Anreicherung nicht gemeldet. Mit den Inspektoren der internationalen Atomernergiebehörde betrieb Iran ein Katz- und Mausspiel. Dies wurde besonders hinsichtlich einer als "Kalaye Electric" bekannten Einrichtung deutlich. Schon seit dem Jahr 2000 hegten nicht nur amerikanische Geheimdienstkreise, sondern auch die IAEO den Verdacht, in dieser angeblichen Fabrik für Armbanduhren würden Urananreicherungsexperimente stattfinden. Iran lehnte eine IAEO-Inspektion zunächst ab. Im März 2003 konnte diese dann doch stattfinden, die Inspektoren erhielten allerdings nur zu einigen Gebäuden der Einrichtung Zugang und durften keine Umweltproben nehmen. Kurz danach zeigten Satelitenfotos Lastwagen, die Material von der Anlage abtransportierten. Als den IAEO-Inspektoren im August 2003 endlich unbeschränkter Zugang gewährt wurde, waren im einem Gebäude umfangreiche Renovierungsarbeiten durchgeführt worden. Dennoch konnten Spuren hoch angereicherten Urans nachgewiesen werden. Teheran erkärte die Uranfunde mit Verschmutzungen der Zentrifugen, die noch von den Vorbesitzern - die Bauteile waren über das Netzwerk des Pakistaners A.Q. Khan erworben worden - herrührten. Diese Erklärung stellte sich später als zutreffend heraus. Dennoch hatte Iran offenbar in der Kalaye-Einrichtung eine kleine Menge Uran mittels einer experimentellen Zentrifugenkaskade auch selbst angereichert, was der IAEO jedoch nicht gemeldet worden war.
Erst nachdem sich im Dezember 2003 der libysche Staatschef Muammar el-Gaddafi entschloss, sein Nuklearwaffenprogramm aufzugeben, konnte die IAEO ein weiteres wichtiges Stück des Puzzles sicherstellen. Tripolis hatte über das von dem Pakistani A.Q. Kahn betriebene Netzwerk Baupläne für Kernwaffen sowie Teile und Zeichnungen von sogenannten P-2-Zentrifugen, einem sehr fortgeschrittenen Typus, erhalten. Da Iran auch in dieses Beschaffungsnetzwerk verstrickt war, fragten die Inspektoren iranische Stellen, ob sie Ähnliches erhalten hätten. Teheran behauptete, nicht im Besitz von Plänen für Atomwaffen zu sein, gab nun aber zum ersten Mal zu, wie Libyen P-2-Pläne erworben zu haben, ohne jedoch eine vollständige Dokumentation seiner mit dem Kahn-Netzwerk getätigten Geschäfte zur Verfügung zu stellen.
Wegen dieses Fehlverhaltens hat die IAEO bis heute keinen vollständigen Überblick über das iranische Atomprogramm. Vor allem Art und Umfang des Projektes zur Anreicherung von Uran mittels Zentrifugen blieb - trotz einiger im Verlauf von Inspektionen erzielter Fortschritte - unklar.
Schließlich investieren die Mullahs seit Mitte der achziger Jahre in ein anspruchsvolles Raketenprogramm. Dabei geht es um die konstante Steigerung von Reichweiten, die Verbesserung von Zielgenauigkeiten sowie die Nutzung relativ moderner Feststoffantriebe. Im August und Oktober 2004 testete Iran eine neue Version seiner Schahab-3-Rakete. Diese kann westlichen Schätzungen zufolge bis zu 1 500 Kilometer weit fliegen. Das Sprengstoffdesign eignet sich gut für einfache Nuklearwaffen. Viele Experten sind der Auffassung, das umfangreiche iranische Raketenprogramm lohne nur in Kombination mit einem Atomwaffenprojekt.
Iranische Motive
Welches sind die Motive der iranischen Entscheidungsträger? Gibt es für das öl- und gasreiche Land überhaupt einen wirtschaftlichen Grund, sich mit der zivilen Nutzung der Kernenergie zu befassen? Oder gibt es vielleicht einen Mix aus ökonomischen und militärstrategischen Motiven, die für das iranische Atomprogramm ausschlaggebend sind?
Diese Fragen sind deswegen nicht so einfach zu beantworten, weil es in der Atomdebatte kein einfaches Schema "Konservative gegen Reformer" gibt, sondern vier sich gegenseitig überlagernde Argumentationsstränge:
Iran braucht die zivile Nutzung der Kernenergie aus ökonomischen Gründen, um die iranische Wirtschaft und Gesellschaft allgemein voranzubringen.
Atomwaffen und Islam sind nicht miteinander vereinbar.
Die stolze persische Nation sollte über die gleichen Waffen verfügen wie seine Nachbarn, beispielsweise Pakistan.
Iran sollte aus Gründen der nationalen Sicherheit zumindest eine Atomwaffenoption haben.
Trotz seines Ölreichtums habe Iran - so wird in Teheran immer wieder betont - ein legitimes Interesse, verschiedene Energieressourcen zu nutzen. Die Ölvorkommen seien begrenzt, und wegen des steigenden heimischen Konsums könne weniger exportiert werden. Damit werde die wichtigste Deviseneinnahmequelle geschwächt. Da der Westen dem Schah einst beim Aufbau einer zivilen Atomindustrie geholfen habe, sei nicht einzusehen, warum diese Länder der Islamischen Republik Iran den Zugang zu dieser Technologie verweigern wollten, die Teheran allgemein als wichtig ansieht, um in Zeiten der Globalisierung anschlussfähig zu bleiben. Gerade wegen der Unzuverlässigkeit vieler seiner Partner sei Iran darauf angewiesen, mittels Urananreicherung selbst den Brennstoff für seine Reaktoren herzustellen.
Diese Überlegungen kontrastieren mit religiös fundierten Argumenten. Interessanterweise hatte die neue Führung unter Chomeni nach der islamischen Revolution von 1979 das noch vom Schah geerbte Nuklearprogramm (das schon damals auch auf eine militärische Nutzung abzielte) zunächst nicht fortgesetzt. Offenbar galt den religiösen Führern die Kernenergie als "unislamische" Technologie, deren Nutzung die Abhängigkeit Irans vom Westen manifestiert hätte. Diese Haltung änderte sich erst allmählich im Zuge des irakisch-iranischen Krieges (1980 - 1988) und den späteren Erkenntnissen nach Ende der "Operation Desert Storm" 1991 über das damalige irakische Atomwaffenprogramm. Aber auch heute noch ist vielen Klerikern die Atomtechnologie suspekt. Ihre militärische Anwendung wird mit religiösen Argumenten abgelehnt. So sprach der geistige Führer Khamenei davon, die Nutzung von Massenvernichtungswaffen sei im Islam verboten.
Ein dritter Gesichtspunkt betrifft das Streben nach Status und den Stolz der persischen Nation. Diese kann aus der Sicht vieler Iraner eine historisch und kulturell abgeleitete Führungsrolle in ihrer Region beanspruchen. Besonders schmerzlich war daher für viele Iraner, dass das von ihnen als historisch und kulturell rückständig angesehene Pakistan 1998 Kernwaffentests durchführte.
Der entscheidende Faktor bei der Frage nach einem möglichen iranischen Kernwaffenprogramm dürfte jedoch die nationale Sicherheit Irans sein. Hier gilt es zunächst zu berücksichtigen, dass das strategische Denken der politisch-religiösen Führungsschicht in hohem Maße durch die Erfahrungen der nahezu vollständigen Isolation beeinflusst wurde, die das Land nach der islamischen Revolution erfuhr. Zu dieser Erfahrung gehörte auch der iranisch-irakische Krieg, der besonders die jetzige Führungsschicht prägte. Im Verlauf dieser Auseinandersetzung setzte der Irak völkerrechtswidrig gegen Iran Chemiewaffen ein, ohne dass der Westen entschlossen dagegen vorging. Zudem ist Iran von Kernwaffenstaaten umgeben, zu denen die Mullahs teilweise problematische Beziehungen unterhalten: Pakistan sowie Indien im Osten; Russland im Norden; Israel im Westen und die amerikanische Flotte im Persischen Golf im Süden. Vor allem aber ist der iranischen Führung die zunehmende amerikanische Präsenz in der Region ein Dorn im Auge: im Irak und Afghanistan ebenso wie in den zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken. Hinzu kommt die aus iranischer Sicht aggressive amerikanische Rhetorik, die in Teheran so wahrgenommen wird, als sei es das Ziel Washingtons, ähnlich wie im Irak auch im Iran das Regime zu wechseln. Von einigen - darunter den einflussreichen Revolutionsgarden - wird daher die Auffassung vertreten, Iran benötige Kernwaffen, um das Überleben des Regimes sicherstellen zu können. Inwiefern es sogar die Absicht einiger in Teheran ist, eine atomare Bewaffnung zum Aufbau einer Vormachtstellung im Mittleren Osten zu nutzen, ist nur schwer zu beurteilen.
Gerade weil sich in der Atomdebatte verschiedene Motivstränge miteinander vermischen, verfügt die iranische Führung hier über ein Thema, das ihr Rückhalt in der gesamten Gesellschaft gewährleistet.
Europäische Verhandlungsbemühungen
Im Oktober 2003 entschlossen sich die Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands, kurzfristig nach Teheran zu fliegen mit dem Ziel, mit der dortigen Führung Verhandlungen über die kooperative Lösung des Atomproblems zu vereinbaren. Den Europäern ging es also nach den ernüchternden Erfahrungen in Zusammenhang mit der Irakkrise von 2002/03 um eine Demonstration ihrer Geschlossenheit. Kerngedanke war von Beginn an, Iran von einer freiwilligen Aufgabe der ihm rechtlich im Prinzip zustehenden Urananreicherung und aller anderen Aktivitäten, die zu einem vollen nuklearen Brennstoffkreislauf führen können, zu überzeugen. Somit sollte Iran die Gelegenheit gegeben werden, das durch sein vorheriges Fehlverhalten verspielte internationale Vertrauen zurückzugewinnen. Als Anreiz sollten Teheran verbesserte wirtschaftliche Zusammenarbeit und Unterstützung beim Bau und dem Betrieb von Leichtwasserreaktoren angeboten werden. Darüber hinaus würden die Europäer Bemühungen um eine ABC-waffenfreie Zone Nahost unterstützen. Zugleich hatten die drei Außenminister bereits im Sommer 2003 die iranische Führung in einem Brief wissen lassen, dass sie eine Befassung des VN-Sicherheitsrates mit der Angelegenheit des iranischen Atomprogramms anstreben würden, falls Iran nicht zu einer vollen Kooperation mit der IAEO bereit wäre.
Tatsächlich konnten die drei europäischen Außenminister gemeinsam mit dem damaligen iranischen Vorsitzenden des Obersten Nationalen Sicherheitsrates, Hassan Rohani, am 21. Oktober 2003 in Teheran ein Dokument unterzeichnen, das einerseits Iran die entsprechenden Anreize in Aussicht stellte. Andererseits erklärte sich Teheran zu einer einseitigen, freiwilligen und zeitweiligen Einstellung aller seiner Urananreicherungsaktivitäten bereit. Außerdem sagte die iranische Führung eine baldige Inkraftsetzung des Zusatzprotokolls der IAEO-Sicherungsabkommen zu, dessen Regeln mit sofortiger Wirkung schon vor einer entsprechenden Ratifikation durch das iranische Parlament umgesetzt werden sollten.
Die Akzeptanz erweiterter Transparenz durch Iran war sicherlich der greifbarste Erfolg der europäischen Mission, auch wenn die Ratifikation des Zusatzprotokolls nicht erfolgte und Teheran den IAEO-Inspektoren nicht überall dort sofortigen Zugang gewährte, wo diese danach verlangten. Dagegen litt - wie sich schon bald zeigen sollte - der einseitige Verzicht Irans auf die Urananreicherung und andere Aktivitäten, die zu einem vollen nuklearen Brennstoffkreislauf beitragen, von vornherein darunter, dass nicht genau bestimmt worden war, was darunter verstanden wurde.
Nachdem Iran noch Anfang 2004 zugesagt hatte, auf die Produktion von Zentrifugenteilen und den Zusammenbau von Zentrifugen zu verzichten, stellte die iranische Seite im Juni 2004 klar, sie würde den Bau von Zentrifugen wieder aufnehmen. Damit war die gemeinsame Erklärung vom 21. Oktober 2003 in der aus europäischer Perspektive so wichtigen Frage der Einstellung iranischer Bemühungen um den Aufbau eines vollständigen nuklearen Brennstoffkreislaufes stark relativiert.
Doch die europäischen "großen Drei" unternahmen - diesmal mit Unterstützung des Hohen Beauftragten der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana - einen neuen Anlauf, um eine einvernehmliche Lösung zu erreichen. Am 14. November 2004 einigten sie sich mit Iran auf ein weiteres Dokument, das so genannte "Pariser Abkommen". Wie schon die Erklärung vom Oktober 2003 setzte dieses auf wirtschaftliche Anreize. Iran erklärte sich wiederum bereit, sein Urananreicherungsprogramm freiwillig zu suspendieren - wobei dies diesmal jedoch sehr viel genauer definiert wurde. Diese Zusage sollte so lange gelten, wie Verhandlungen über eine umfassende Lösung stattfanden.
Von Beginn an zeigte die iranische Seite jedoch wenig Bereitschaft, eine Einigung mit den Europäern aktiv anzustreben. Vielmehr versuchte Teheran immer wieder, die EU-3 und die USA auseinander zu dividieren bzw. innerhalb der EU-3 für Zündstoff zu sorgen. Einmal, indem nach Unterzeichnung des Pariser Dokuments mit dem Argument, die iranische Bevölkerung könne eine längerfristige Einstellung der Urananreicherung nicht akzeptieren, ein künstlicher Zeitdruck aufgebaut wurde. Dabei wurde auch auf entsprechende Beschlüsse des iranischen Parlaments verwiesen, welche die Regierung aufforderten, dieses Projekt fortzuführen.
Die europäische Position war seit dem Europabesuch des amerikanischen Präsidenten George W. Bush im Februar 2004 insoweit gestärkt, als Washington nach anfänglichem Zögern die EU-3 diplomatisch unterstützte. Washington ließ nun Verhandlungen über einen iranischen Beitritt zur Welthandelsorganisation zu. Auch wurde Iran der Kauf dringend benötigter Ersatzteile für seine zivile Luftflotte in Aussicht gestellt.
Die USA waren jedoch nicht bereit, sich direkt an den Gesprächen zu beteiligen oder Teheran gegenüber Sicherheitsgarantien auszusprechen. In Amerika wird - auch im demokratischen Lager - die Verknüpfung der Nuklearfrage mit der Menschenrechtssituation im Iran und der iranischen Unterstützung von Terroristen viel stärker als in Europa gesehen, was es für Washington schwieriger macht, den Iranern mit Zugeständnissen entgegenzukommen.
Am 5. August 2005 unterbreiteten die EU-3 Iran einen umfassenden Vorschlag über ein langfristiges Abkommen zur Regelung der gegenseitigen Beziehungen. Darin sollten sich alle Seiten auf den Verzicht der Androhung oder Anwendung von Gewalt verständigen, die nicht mit den Prinzipien der Vereinten Nationen vereinbar sei. Außerdem seien Frankreich und Großbritannien bereit, ihre bereits 1995 allen Nichtkernwaffenstaaten gegenüber erklärten positiven und negativen Sicherheitsgarantien Iran gegenüber zu bekräftigen. Überdies sollten die Bemühungen um die Errichtung einer ABC-waffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten weiterverfolgt werden. Die Verhandlungen über ein Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Iran sollten zu einem baldigen Abschluss geführt und Irans Beitritt zur Welthandelsorganisation unterstützt werden. Die europäische Seite bekräftigte außerdem ihre Bereitschaft, ein rein auf die zivile Nutzung abzielendes iranisches Atomprogramm zu unterstützen, sofern Teheran die IAEO-Sicherungsabkommen einschließlich des Zusatzprotokolls umsetzen würde. Iran sollte die sichere Versorgung mit Nuklearbrennstoff garantiert werden. Außerdem wollten die Europäer mit Iran bezüglich der Sicherheit seiner Kernkraftwerke sowie bei der weiteren zivilen Nutzung der Kernenergie, beispielsweise im medizinischen Bereich, kooperieren. Die Lieferung eines Leichtwasserreaktors zu Forschungszwecken sollte geprüft werden. Im Gegenzug sollte sich Iran bereit erklären, sein Atomprogramm dauerhaft auf den Bau und Betrieb von Leichtwasserreaktoren zu beschränken. Außerdem wurde Teheran aufgefordert, auf eine mögliche Kündigung des Atomwaffensperrvertrages zu verzichten und den IAEO-Inspektoren den Besuch aller Einrichtungen zu erlauben und alle Personen interviewen zu dürfen, sofern die Inspektoren dies für die Überwachung des iranischen Atomprogramms für nötig befinden würden. Schließlich sollte im Zehnjahresrhythmus ein Überprüfungsmechanismus auf Ministerebene eingeführt werden.
Doch Teheran wies den europäischen Vorschlag brüsk zurück. Es handele sich dabei um eine Beleidigung der iranischen Nation, für die sich die Europäer entschuldigen sollten - ein diplomatischer Umgang nahezu ohne Präzedenz.
Auf einer umgehend einberufenen Sondersitzung des IAEO-Gouverneursrats wurde eine Resolution verabschiedet, die Iran dazu aufforderte, alle Arbeiten bezüglich der Urananreicherung einschließlich der Aktivitäten in Isfahan sofort zu suspendieren. Doch in Teheran hinterließ dies offenbar wenig Eindruck. Immerhin signalisierte Iran aber seine weitere Bereitschaft, die Verhandlungen mit den Europäern fortzuführen.
Wer nun jedoch auf die Rede des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad anlässlich der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September 2005 gehofft hatte, wurde gründlich enttäuscht. Dieser warf den westlichen und anderen Ländern eine Politik der nuklearen Apartheid vor und bestand auf dem iranischen Recht, den vollen nuklearen Brennstoffkreislauf anzustreben. Um das gegenseitige Misstrauen zu beseitigen, verwies Ahmadinejad lediglich auf das islamische Prinzip, wonach es verboten sei, Atomwaffen zu bauen. Er deutete zudem an, sein Land sei bereit, beim Aufbau seiner Urananreicherungskapazitäten mit anderen Ländern zusammenzuarbeiten, ohne dazu jedoch nähere Angaben zu machen.
Die Europäer zeigten sich von der Rede des iranischen Präsidenten sehr enttäuscht.
Schlussbemerkungen
Das Problem des iranischen Atomprogramms wird die internationale Staatengemeinschaft noch einige Zeit beschäftigen. Sollte Teheran nicht zu mehr Flexibilität bereit sein, dürfte es kaum eine andere Möglichkeit geben, als zu versuchen, durch Beschlussfassung des UN-Sicherheitsrates Iran auch mit nicht-kooperativen Mitteln von seinen allem Anschein nach bestehenden Absichten, sich eine Atomwaffenoption zu verschaffen, abzubringen. Dieser Weg dürfte jedoch steinig werden. Schon die Diskussionen im IAEO-Gouverneursrat haben die Schwierigkeiten der Konsensbildung offenbart. Echte Zwangsmaßnahmen gegen Iran würden die wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen einer Vielzahl von Staaten betreffen und wären daher nur schwer durchzusetzen.