Einleitung
"Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten." Dieser Satz von Hanns Joachim Friedrichs soll die Ausgangsbasis der Betrachtungen zurzurückliegenden Wahlberichterstattung sein; einer Berichterstattung, die wie noch nie zuvor in die Kritik der Politik geriet, allerdings nur in Einzelfällen begründet ist.
Politiker beschweren sich, wenn ihre Interviews nicht gedruckt werden, und sie beschweren sich auch, wenn kritische Kommentare erscheinen. Einerseits benötigen Politiker die Medien, um in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, andererseits reagieren sie ungehalten, wenn Journalisten ihren verfassungsgemäßen Auftrag erfüllen. Politiker, die erkannt haben, dass ohne eine positive Berichterstattung Wahlen nicht gewonnen werden können und ihr Bedürfnis nach Außendarstellung nicht erfüllt wird, nutzen mittlerweile alle Spielarten der PR, um durch die Medien in die Öffentlichkeit zu gelangen.
Zunehmend scheinen Politiker nicht mehr in der Lage zu sein, sich verständlich mit der Öffentlichkeit auseinander zu setzen. Dazu kommt die immer stärkere Abgrenzung gegenüber kritischen Berichten. Auch wenn es hypothetisch klingt: Es muss befürchtet werden, dass die Politik zunehmend versuchen wird, die Arbeit der Medien durch gesetzliche Maßnahmen einzuengen, um sie so gefügiger zu machen. Die aktuellen Fälle von Redaktionsdurchsuchungen bei "Cicero", die Sicherung von Verbindungsdaten wie im Fall der "Dresdner Morgenpost" oder die Beschattung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst stehen für diese Befürchtung. Über 150 derartige Fälle registrierte der Deutsche Journalistenverband von 1997 bis ins Jahr 2000.
Der Einfluss der Medien
Bevor der Vorwurf der Medienmacht und des Medienmissbrauchs genauer beurteilt werden kann, muss die Rolle der Medien in Deutschland dargestellt werden. Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert einen freien Journalismus. Unbestritten ist, dass die Presse einen wichtigen Stellenwert in unserer demokratischen Gesellschaft hat. Zu ihren Funktionen gehören neben der Beschaffung und Verbreitung von Nachrichten die gerade in einer Demokratie überlebenswichtige Kritik und Kontrolle sowie die Mitwirkung an der Meinungsbildung. Diese kritische Funktion ist nicht ohne Grund als Aufgabe in den Landespressegesetzen eindeutig festgeschrieben.
Skandale wie die Spendengeldaffäre, Geschäfte mit PR-Beratern, die VW-Affäre, der leichtfertige Umgang mit Steuergeldern oder Bestechungen wären ohne Berichterstattung nie in die Öffentlichkeit gekommen. Ziel der Information ist es, Wissen für den demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozess zu vermitteln, gerade in Wahlzeiten. Fast täglich wird im Kampf um Einschaltquoten und Auflagen versucht, die Arbeit des Journalisten zu beeinflussen und journalistische Werte und Grundsätze zu beugen. Die Praxis zeigt, dass ständig neue Wege gegangen werden, um die Distanz zwischen Politik und Journalismus abzubauen. Diese Feststellung gilt für beide Seiten mit der Einschränkung, dass Journalisten oft Nähe suchen müssen, um an Informationen zu gelangen. Wenn die Objektivität der Berichterstattung gewahrt bleibt, ist das nicht zu kritisieren.
Die starke Stellung der Pressefreiheit im Grundgesetz ist nicht zuletzt historisch begründet und wurde immer wieder durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes definiert. So urteilte es in seiner Entscheidung vom 5. August 1966 ("Spiegel"-Urteil), dass "eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere eine regelmäßig erscheinende politische Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich ist".
Die "Spiegel"-Entscheidung schreibt der öffentlichen Aufgabe der Presse einen wichtigen Stellenwert in unserer demokratischen Ordnung zu. Das gelte insbesondere für die Beschaffung und Verbreitung von Nachrichten, das Üben von Kritik und überhaupt die Mitwirkung an der Meinungsbildung. Jede publizistische Tätigkeit der Presse habe die Aufgabe, einen öffentlichen Meinungsmarkt herzustellen, urteilte das Bundesverfassungsgericht.
Die "Spiegel"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bietet die Möglichkeit, die Arbeit der Medien im vergangenen Bundestagswahlkampf an diesem Urteil zu messen. Den vom BVerfG formulierten Auftrag können nur die Medien, nicht die Öffentlichkeitsarbeit von Parteien und Regierungen erfüllen. Sie sind es, die durch ein umfassendes und ausgeglichenes Informationsangebot die Basis dafür schaffen, dass Bürgerinnen und Bürger politische Zusammenhänge erkennen und beurteilen. Aus diesen verfassungsmäßigen Rechten ergibt sich die Pflicht des Journalisten zu einer sachlichen und fairen Berichterstattung. "Auftrag der Medien ist es, zu informieren, zu kritisieren und Orientierung zu versuchen", formulierte Hans Leyendecker von der "Süddeutschen Zeitung".
Die Medien praktizierten fast zu jeder Wahl eine Frontstellung gegen die bisherigen Mehrheiten. Dies mussten schon Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl und nun auch Gerhard Schröder feststellen. 1998 kam es zu einer Frontstellung gegen Kohl und zu einem überwiegenden Eintreten für den Herausforderer Schröder. Kohl kritisierte während seiner Amtszeit immer wieder die Medien, besonders den "Spiegel", den er angeblich nicht las. Er drückte Mikrofone zur Seite und sprach von einer sehr starken Medienlandschaft, die ihm schaden wolle. Kohls Medienberater sprach nach der Bundestagswahl 1998 in der "tageszeitung" davon, dass es Schröder im Vorfeld der Wahl sehr gut gelungen sei, "Medien und ihre Vertreter zu instrumentalisieren"
Medien als strategisches PR-Ziel der Parteien
Die Parteien verfügen nicht mehr über die finanziellen Ressourcen, die sie noch in zurückliegenden Wahlkämpfen mehr als üppig einsetzten. Für Hochglanzbroschüren, prunkvolle Wahlkampfveranstaltungen, intensiven Straßenwahlkampf, Anzeigen und Zeitungsbeilagen fehlen zunehmend die finanziellen Mittel.
Noch in den siebziger Jahren versorgte die SPD flächendeckend die Wahlbürger an den vier Sonntagen vor der Bundestagswahl mit der "Zeitung am Sonntag" (ZAS), um bundespolitische und lokale Themen mit einem möglichst hohen redaktionellen Anspruch aufzugreifen. Der Einsatz derartiger Instrumente ist heute nicht mehr möglich. Nach und nach verschob sich die Öffentlichkeitsarbeit der Parteien auf den Versuch der Einflussnahme auf redaktionelle Berichterstattungen. Nicht ohne Grund wurden bekannte Medienberater engagiert, die früher selbst in leitenden Funktionen in den Medien tätig waren. Es wurde mehr oder minder erfolgreich versucht, Wahlkämpfe über die Medien zu inszenieren. Mittlerweile ist der tägliche Pressespiegel zum wichtigsten Stimmungsbarometer der Parteien geworden, besonders vor Wahlen. Parteistrategen legen mehr denn je Wert auf eine parteifreundliche Berichterstattung. Die Parteien-PR hat heute einen großen Stellenwert im Wahlkampf.
Immer beliebter sind auch Talkshows der Marke "leichte Unterhaltung". Sie sind bevorzugte Bühnen für Politiker. Homestorys und nette Geschichten aus ihrem Leben lassen ihre Sympathiewerte steigen. Unsinnige Umfragen und Politikerrankings wurden zum Marktwert für Einladungen in Talkshows, wenn nicht schon eigene PR-Berater oder Agenturen diesen Weg durch direkte Kontakte sicherten. Klares Ziel für PR-Berater ist es, alle Spielarten anzuwenden, um Politiker vorteilhaft darzustellen. Mehr noch, sie führen einen Kampf gegen die Medien und wollen ihn nicht nur mit seriösen Mitteln gewinnen. Dabei beobachten und analysieren sie den Journalismus, begleiten ihn und wollen ihn nach Möglichkeit kontrollieren.
Es macht sehr nachdenklich, wenn immer dieselben Politiker, etwa der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident und heutige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, regelmäßig und in kurzen Abständen in der ARD-Talkshow Sabine Christiansen auftreten. Sind dies Auftrittsstrategien, die professionell gesteuert werden? ARD-Chefredakteur Hartmann von der Tann sagte in der "Berliner Zeitung", dass die Wahlkampfstrategen bewusst auf das Fernsehen gesetzt hätten, weil sie in diesem kurzen Wahlkampf so die meisten Menschen hätten erreichen können
Der Grund liegt auf der Hand: Eine Präsenz in den Medien ist um ein vielfaches kostengünstiger und effizienter, da hohe Auflagen und ein Millionenpublikum gute Multiplikatoren in der beabsichtigen Selbstdarstellung sind. Die primäre Zielrichtung wurde immer mehr die leichte Unterhaltung. Talkshows bieten hierfür die passende Bühne. Eine politische Orientierung erhielten die Wahlbürger nur in den seltensten Fällen. Im Gegensatz dazu stehen Sendungen, die mit zielgerichteten Fragen zur politischen Meinungsfindung beitragen können. Die WDR-Sendung Hart aber fair mit Frank Plasberg ist ein positives Beispiel. Er betont immer wieder, dass er Distanz zu Politikern hält - ein wichtiger Grundsatz, um ihnen unbefangen gegenübertreten zu können.
Nur in faktisch nachvollziehbaren, kritischen Auseinandersetzungen kann politische Mitverantwortung wachsen. Doch leider hat die ARD die Sendezeiten politischer Magazine verkürzt und so den investigativen und kritischen Journalismus beschnitten. Wähler, die angesichts einer immer geschickteren PR über Wahlinhalte im Unklaren gelassen werden, benötigen die Vermittlung der Medien mehr denn je. Sie müssen den Wählern helfen, die unterschiedlichen Positionen der Parteien zu verstehen und Ziele zu erkennen, damit diese begreifen, welche Auswirkungen bestimmte Programmpunkte für sie persönlich und für den Staat voraussichtlich haben werden.
Politiker suchen die Medien nicht um der Politik willen. Sie suchen die Medien, um Wahlen zu gewinnen. Der Journalist, der Fragen stellt, auch unangenehme, ist gefragt. Soziologisch betrachtet, spielen die Medien im Verhältnis Mensch, Medien und Macht eine dominante Rolle, die nicht dafür missbraucht werden darf, um Medienkanzler/innen aufzubauen oder fallen zu lassen. In dieser Beziehung wurden Politiker in den vergangenen Jahren derartig medial verwöhnt, dass sie bei kritischen Berichten inzwischen ungehalten reagieren, wie es das Beispiel Schröder zeigt.
Neben der faktischen, nachrichtlichen Berichterstattung sind persuasive Genres gefragt, welche die Meinung des Journalisten darstellen und Denkanstöße geben. Diese Basis verlässt ein Journalist jedoch, wenn er als Gast in Talkshows auftritt und dort vehement seine eigene politische Meinung vertritt. Ein negatives Beispiel im zurückliegenden Bundestagswahlkampf war die Rolle von Hans-Ulrich Jörges vom "Stern". Hans Leyendecker nannte ihn in der "Leipziger Volkszeitung" wegen seiner vielen Talkshowauftritte einen "rasenden Überzeugungstäter" und "Talk-Show-Hopper"
Medien und Meinungsforscher
Im Mittelpunkt der wahlabendlichen Kritik von Gerhard Schröder standen die Demoskopen, aber auch die Medien, die angeblich unkritisch Zahlen der Meinungsforscher übernommen hätten. Hierbei wird vergessen, dass auch die der SPD nahe stehenden Meinungsforschungsinstitute nicht wesentlich von den Vorhersagen der anderen Meinungsforscher abwichen. Immer wieder wurde bis zum Wahlabend durch Meinungsforscher und Journalisten deutlich gemacht, dass zeitweise bis zu 40 Prozent der Bevölkerung noch unentschlossen hinsichtlich ihrer Wahlentscheidung waren: eine Zahl, die ein hohes Potenzial für Überraschungen in sich trug. Es war nicht verwunderlich, dass der Trend, der in der Öffentlichkeit zu beobachten war, sich am Wahlsonntag verfestigte. Die positive Stimmung für die CDU zu Beginn des Wahlkampfes mit fast 48 Prozent wurde von den Meinungsforschern zunächst durchaus realistisch eingeschätzt. Der für die CDU negative Umschwung war letztlich ein kontinuierlicher, schwer kalkulierbarer Prozess, der sich aufgrund einer unprofessionellen Wahlkampfführung und unterschiedlicher Meinungen im Kompetenzteam entwickelte. "Wir haben deshalb auch immer wieder gesagt, dass die Wahlenscheidung bis in die letzen Stunden offen ist", sagte ARD-Chefredakteur Hartmann von der Tann in der "Berliner Zeitung", und weiter: "Als die ZDF-Werte Herrn Schröder im Aufwind sahen, habe ich ihn die Zahlen nicht kritisieren gehört."
Was wäre gewesen, wenn die Medien auf die Veröffentlichung von Meinungsumfragen verzichtet hätten? Wäre dann der Vorwurf der Wahlmanipulation nicht umso folgerichtiger gewesen? Meinungsumfragen gehören zur Wahlberichterstattung - auch wenn ihre Ergebnisse keine hundertprozentigen Prognosen für den Wahlausgang zulassen.
Medienmacht und Medienmanipulation
Der von Gerhard Schröder geäußerte Vorwurf der "Medienmacht und der Wahlmanipulation" war in seinem pauschalen Ton eine Respektlosigkeit gegenüber vielen Journalisten. Der geäußerte Kampagnenvorwurf war jedoch nicht neu. In der Amtszeit der rot-grünen Regierung war er die Metapher für eine nicht regierungsfreundliche Berichterstattung. Häufig hatte Schröder während seiner Regierungszeit mit diesem Begriff versucht, Journalisten als regierungsunfreundliche mediale Kampagnenplaner zu etikettieren.
Der Begriff der Kampagne passt als Kommunikationsbegriff nicht in die journalistische Arbeit. Er steht für eine "gezielte, unmerkliche Beeinflussung" (Wahrigs Fremdwörterlexikon), also für ein bewusstes Handeln in eine bestimmte politische Richtung. Manipulation steht für eine verfälschende Darstellung von Tatsachen, für bewusstes Weglassen, Verändern oder Hinzufügen. Eine Kampagne soll - bestehend aus koordinierten Einzelaktionen in einem bestimmten Zeitrahmen - die öffentliche Meinung verändern. Dazu gehören Einseitigkeit der Berichterstattung und Parteinahme. Dies wäre nur dann möglich, wenn es keine Chance gäbe, sich aus unterschiedlichen Quellen zu informieren. In einer Demokratie ist das nicht vorstellbar und unsinnig. Durch ihre Berichterstattung hätten die Medien demnach das Ziel verfolgen müssen, grundlegend die öffentliche Meinung in Richtung der SPD negativ zu verändern. Dies ist allerdings schon anhand der Meinungsumfragen zu verneinen. Immerhin schaffte es die SPD, sich aus dem Umfragetief von knapp über 20 Prozent auf 34 Prozent zu verbessern. "Profitiert hat vom Fernsehwahlkampf vor allem der Kanzler", sagte Uwe Kammann, der Direktor des renommierten Adolf-Grimme-Institutes, der "Berliner Zeitung". Die Zuversicht, die Schröder über den Bildschirm verbreitete, habe sowohl die Partei als auch seine Anhänger mobilisiert, stellte er fest.
Schröders subjektive Einschätzung wird durch seine gezielte Medienkritik nachvollziehbar. Er stieg zum Medienkanzler auf und betrachtete die Medien als wohlwollenden Partner. In seiner Regierungszeit reagierte er häufig ungehalten, wenn große Medien seine Politik kritisierten. Reaktionen waren die Nichtberücksichtigung kritischer Journalisten bei Kanzlerreisen und der stetige Vorwurf eines Kampagnenjournalismus, wenn über Entscheidungen der Bundesregierung wie die Agenda 2010 oder die Hartz-Reformen kritisch berichtet wurde. Schröder beherrschte das Spiel mit den Medien. Und die Journalisten reagierten zunächst positiv auf die Kanzlernähe, hatten sie doch in der Ära des Altbundeskanzlers Helmut Kohl eine oft unüberwindbare Distanz erfahren müssen.
Hinter dem Vorwurf der Medienmacht und der Medienmanipulation verbirgt sich die Unterstellung des Machtmissbrauchs von Journalisten. Auch die Unterstellung der Medienmacht ist zurückzuweisen, da sie bereits signalisiert, dass Medien bewusst die öffentliche Meinung steuern und die politischen Meinungen der Leser und Zuschauer beeinflussen wollen. Dies ist eine absurde Spekulation, die genauso den Vorwurf der Medienmanipulation betrifft. "Das Fernsehen hat einen Showkampf zwischen den politischen Lagern organisiert, in dem sich die Politiker haben einbeziehen lassen", sagte Uwe Kammann der "Berliner Zeitung" weiter. Schon allein deshalb sei der Vorwurf der Medienmanipulation "natürlich völliger Quatsch". Dies belegen auch die folgenden Feststellungen:
Erstens: Viele, schon fast zu viele Diskussionsrunden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen schafften es, die undurchsichtigen Parteiprogramme zu durchleuchten, Hintergründe offen zu legen und Orientierungshinweise zu geben. Alle Parteien kamen zu Wort. Besonders die Kandidaten der SPD konnten in diesen Runden "punkten", zum Beispiel in den Fernsehduellen zwischen Paul Kirchhof und Hans Eichel sowie zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel. Die SPD profitierte letztlich von den aufgedeckten Missverständnissen und den Inkompetenzen des CDU-Kompetenzteams.
Zweitens: Insbesondere das Kanzlerduell gehörte zu den Sendungen, in denen Gerhard Schröder sich positiv behaupten konnte. 20 Millionen Menschen sahen das Duell, das die vier größten Fernsehsender gleichzeitig live übertrugen. Die Umfragewerte nach der Sendung ließen die Werte für die SPD um über zwei Prozent steigen. Dieser Zugewinn war in den Überlegungen der SPD eingeplant. Dass Angela Merkel besser abschnitt als gedacht, ging nicht zu Lasten der SPD-Stimmen.
Drittens: Das ZDF informierte vor der Wahl 50 Stunden lang über Parteiprogramme, stellte Kandidaten vor und berichtete über Wahlkampfthemen.
Viertens: Das Hinterfragen der Steuerziele von Paul Kirchhof zeigte der Öffentlichkeit mehr als deutlich die Diskrepanz zwischen seinen Vorstellungen und denen der CDU-Spitzenkandidatin. Daraus resultierte eine große Verunsicherung in der Öffentlichkeit, die gerade die Vereinfachung der Steuergesetzgebung als eines der wichtigsten Themen ansah. Das im Verlauf dieser Diskussion eingetretene Chaos schadete der CDU und bescherte der SPD einen Stimmungsaufschwung, der sich Woche für Woche anhand der steigenden Umfragewerte nachvollziehen lässt.
Fünftens: Vor der Wahl sendete die ARD Porträts der Spitzenkandidaten. Während das Porträt von Angela Merkel ca. zehn Tage vor der Wahl gesendet wurde und eher ihre behütete Kindheit herausstellte, wurde Schröder zwei Tage vor der Wahl als Mensch dargestellt, der sich durchbeißen musste und aus einer eher sozial schwachen Familie stammte. Die damit verbundenen emotionalen Botschaften wirkten positiv für Schröder. Wäre das Porträt von Angela Merkel zur Wahlkampf-Primetime gesendet worden, hätte sich die ARD sicherlich eines weiteren Vorwurfs der Manipulation erwehren müssen.
Sechstens: Einige Politiker vergessen die intensive lokale Berichterstattung, in der die Kandidaten verglichen und ihre Wahlprogramme analysiert wurden und so die örtliche Nähe von Themen und Zielen der einzelnen Kandidaten beleuchtet worden ist. Die Lokalmedien haben eine objektive und verantwortungsvolle Arbeit geleistet. Die Grünen stellten dazu in der "Frankfurter Rundschau" fest: "Das sehr passable Wahlergebnis von 8,3 Prozent ist nicht zuletzt dank einer ansehnlichen Berichterstattung der Regionalpresse errungen worden."
Der Vorwurf der Medienkampagne ist mit einer bestimmten Erwartungshaltung an dieMedienberichterststattung zu erklären. Schröder hatte fälschlicherweise viele der seiner Ansicht nach "regierungstreuen" Medien auf seiner Seite vermutet. Doch diese Situationsanalyse war fehlerhaft. Nur so sind sein Frust und die generelle Schelte am Wahlabend zu erklären, da aus dieser seine Enttäuschung deutlich wurde. Der Begriff Medienkanzler scheint zwar dem ersten Anschein nach positiv besetzt zu sein, die dauernde Präsenz in der Öffentlichkeit birgt aber auch die Gefahr, besonders kritisch gesehen zu werden, sollten die Erwartungen der Öffentlichkeit nicht erfüllt werden. Andererseits kann aber auch vermutet werden, dass Schröder bewusst den Auftritt am Wahlabend nutzen wollte, um die letzte kleine Chance des Regierungserhalts zu ergreifen.
Bedenkliche Formen der Wahlberichterstattung
Wie bei jeder der bisherigen Bundestagswahlen gab es auch diesmal bedenkliche Formen der Berichterstattung. Neben den Boulevardmedien standen auch andere Medien im Mittelpunkt der Kritik. Die Berichte in der Boulevardpresse erfüllen regelmäßig den Erwartungshorizont der öffentlichen Meinung. Die zeitweise negative Tendenz der Berichterstattung über Gerhard Schröder folgte dem Trend der öffentlichen Meinung. Inwiefern anspruchsvolle und renommiertere Medien diesen Trend als Leitlinie sahen, kann nicht nachgewiesen werden. Fest steht jedoch, dass die "Bild"-Zeitung als Leitmedium eine mediale Führungsaufgabe übernommen hat. Die Orientierung an der Berichterstattung der "Bild" durch "seriösere" Medien ist eher als Gefahr der Einflussnahme in Wahlzeiten zu werten.
Der Spitzenkandidat der Grünen, Joschka Fischer, machte in der "Frankfurter Rundschau" seiner Verärgerung darüber Luft: "Ein paar Figuren, die sich Gedanken machen müssen: der Schreiber, in dem ein verhinderter Politiker steckt; der Journalist, der nicht mehr Politiker interviewt, sondern sich von anderen Journalisten interviewen lässt; der Presse-Karrierist, dem zu Kopf gestiegen ist, dass er schon in jungen Jahren eine Führungsposition erklommen hat."
SPD-unfreundliche Überschriften wie "Entscheiden Türken die Wahl?" (Bild) oder "Hier sitzt bald Frau Merkel" (Süddeutsche Zeitung), "Raus hier, aber dalli dalli" (taz), "Lügt Eichel?" (Bild), "Tschüss, Herr Schröder" (Focus), "Danke, Gerhard Schröder" (Spiegel), "Die fetten Jahre sind vorbei" (taz, über einem Foto von Joschka Fischer), "Joschka zu fett für den Wahlkampf" (Bild), "Rot-Grün zu dumm zum Selbstmord" (Bild am Sonntag), oder "Es reicht, Gerhard Schröder" (Financial Times Deutschland) sind kritisch zu werten, da sie journalistische Objektivität vermissen lassen. Es gab jedoch auch ähnlich kritische Titelschlagzeilen über Angela Merkel, zum Beispiel: "Wie weiblich wird die Republik?" (Cicero), oder aber der Bericht über die ungeprüften Steuerberechnungen im "Spiegel" zu den Zahlen von Paul Kirchhof, die sich später als falsch erwiesen.
In seinem Medienwahlkampf wollte Gerhard Schröder die ihm nahe stehenden Journalisten zu Verbündeten machen, auf ihre Berichterstattung einen möglichen Wahlsieg aufbauen. Dabei übersah er die tatsächliche Stimmung in der Bevölkerung. In dieser Erwartung war es für den Kanzler völlig unverständlich, nicht mehr von den Medien unterstützt zu werden. Seine Erwartungshaltung hatte diesen Aspekt grundlegend falsch in die Bewertungen eines Wahlkampfes eingebaut. Nach dem Frust des Wahlergebnisses musste er die Medien für seine Niederlage verantwortlich machen.