Zwischen dem 22. und 24. Mai 1948 fand in Frankfurt am Main ein Interzonaler Frauenkongress statt. Direkt im Anschluss an die Gedenkfeierlichkeiten zur deutschen Revolution von 1848 gelegen, knüpften auch die Organisatorinnen des Frauenkongresses bewusst an die Tradition der Revolution an. Sie wollten mit dieser Veranstaltung, an diesem Ort und mit der Erinnerung an den gescheiterten demokratischen Aufbruch den Aufbau einer neuen Frauenbewegung vorantreiben und gezielt die Nachkriegsfrauenbewegung mit der Frauenbewegung um 1848 verknüpfen. Helli Knoll vom Frankfurter Frauenverband sprach deshalb in ihrem Festvortrag unter dem Titel "Unser Weg zur Freiheit" von der "Verpflichtung (…) die der Einsatz der Frauen von 1848 für uns mit sich bringe"
Bei diesem Wiederanknüpfen an die Traditionen der Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts wurde an eine Frau besonders erinnert, die wie keine zweite sowohl für die Revolution von 1848/49 als auch für den Beginn und den Ausbau der Frauenbewegung in Deutschland stand: Louise Otto-Peters. Für Knoll war sie die "Gründerin der deutschen Frauenbewegung", eine "leidenschaftliche Kämpferin für Recht und Freiheit", die "erste deutsche Frau, die es wagte, ihre Geschlechtsgenossinnen zum Kampf für das Selbstbestimmungsrecht der Frau, zum Kampf für die Freiheit der Frau, aufzurufen".
Erinnerungen – Traditionsbildung für das heute
Susanne Kinnebrock hat darauf aufmerksam gemacht, dass neben "Wer erinnert sich wo an was?" immer auch gefragt werden muss: Und warum? Warum benötigt eine soziale Bewegung überhaupt ein Personengedenken? Welche Funktion erfüllt dieses?
Warum erinnern sich Gesellschaften – genauer gesagt: Menschen in Gesellschaften – der Vergangenheit? Was ist so wichtig daran, auf bereits Vergangenes zurückzugreifen? Geschichte beziehungsweise die Erzählungen über das Vergangene legitimieren auf der einen Seite Institutionen (wie den Staat) oder Gruppen (wie Parteien), auf der anderen Seite steuern sie auch Handlungen in der Gegenwart. "Die Bilder der Vergangenheit legitimieren die gegenwärtige Sozialordnung, in dem die Mitglieder ein gemeinsames Gedächtnis pflegen – tun sie dies nicht mehr, ist ein Verlust gemeinsamer Wirklichkeit die Folge."
Erste Zeitungsberichte und ein würdigendes Lebensbild
Bereits im zweiten Heft einer der wichtigsten Frauenbewegungszeitschriften des ausgehenden 19. Jahrhunderts – "Die Frau", herausgegeben von Helene Lange – findet sich ein Artikel zu Louise Otto-Peters.
Besonders deutlich wird dies in der ersten großen Erinnerungsschrift für Otto-Peters, die von Auguste Schmidt sowie Hugo Rösch, der bereits eine Lebenserinnerung an August Peters verfasst hatte, drei Jahre nach ihrem Tod vorgelegt wurde. Hierin wird detailliert der Lebenslauf von Otto-Peters nachgezeichnet und vor allem ihr Engagement im ADF nacherzählt. Spannend ist, dass Auguste Schmidt sich darüber beklagt, dass es viele Frauen gibt "nicht nur im deutschen Reich, sondern selbst in Leipzig, welche fragen: ‚Wer war Louise Otto, ich habe diesen Namen nie gehört?‘" Sie fährt fort: "Viele Namen, die weit bekannter sind und selbst von den Fernstehenden unaufhörlich mit der Frauenbewegung in Verbindung gebracht werden, schwirren von Mund zu Mund, die eigentliche Schöpferin der Frauenbewegung ist in diesen Kreisen ebenso wenig bekannt wie die Urheber vieler wichtigen [sic!] Erfindungen."
Dieser Tradition folgte auch das "Handbuch der Frauenbewegung", dessen erster Band 1901, sechs Jahre nach dem Tod von Louise Otto-Peters, erschien. Mit diesem Handbuch, herausgegeben von Helene Lange und Gertrud Bäumer, unternahm die bürgerliche Frauenbewegung einen ersten Versuch, das Wissen, das in der eigenen Bewegung vorhanden war, zusammenzufassen und zu bewerten. Durch diesen Schritt bildete sich ein wichtiger Ausgangspunkt für spätere, auch wissenschaftliche Nacherzählungen. Die Verfasserin des grundlegenden Artikels zur Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, Gertrud Bäumer, stellt Louise Otto als 1848er Revolutionärin, als politische Schriftstellerin und sozial engagierte Redakteurin einer eigenen Frauenzeitung vor, die sich auch um die Belange der Arbeiterinnen kümmert. Für die Geschichte der Frauenbewegung wird sie – so Bäumer – bedeutungsvoll, weil sie "elementar, wahr und natürlich, ungewollt und ungekünstelt (…) der deutschen Volksseele" Bahn bricht, weil sie der deutschen Frau klar macht, dass sie "nicht an die Schranken der Familie" gebunden ist, sondern eine "persönliche Anteilnahme am Geschicke der Nation" hat. "In diesem Gefühl aber wurzelt die deutsche Frauenbewegung."
In all diesen Schriften steht Louise Otto-Peters als Person im Vordergrund; das Erinnern an sie wird dazu genutzt, der Frauenbewegung einen biografischen Ausgangspunkt zu geben und durch die gemeinsame Vergangenheit die Bewegung in der Gegenwart zu einen.
50 Jahre Frauenbewegung und die Zeit der Weimarer Republik
Mitten im Ersten Weltkrieg, 1915, beging der ADF seinen 50. Geburtstag. Anlässlich dieses Jubiläums hielt die Erste Vorsitzende, Helene Lange, einen Vortrag, der in der Oktoberausgabe ihrer Zeitschrift "Die Frau" abgedruckt wurde. In diesem Text wird nun zum ersten Mal – nach meinen Recherchen – die Argumentationsfigur, Louise Otto-Peters sei die Gründerin der deutschen Frauenbewegung, aufgerufen. So schrieb Lange über die Gründung des ADF: "Dem Tag des Jahres 1865, an dem die Begründerinnen unseres Vereins, Luise Otto und Auguste Schmidt, mit wenigen Gleichgesinnten den Allgemeinen Deutschen Frauenverein und damit die organisierte deutsche Frauenbewegung ins Leben riefen, geht eine Vorgeschichte voran."
Allerdings ließen die Protagonistinnen der Frauenbewegung an diesem Punkt die Erinnerung an Louise Otto-Peters nicht gänzlich fallen. Vielmehr knüpften sie ein enges Band zwischen ADF und ihrer Person. An diesem Punkt nun – so meine These – trat die Denkfigur von Louise Otto-Peters als Gründerin des ADF und somit als Gründerin der Frauenbewegung allgemein auf den Plan. Das Jubiläum des ADF wurde von der zu diesem Zeitpunkt den ersten Vorsitz innehabenden Helene Lange dafür genutzt, diese Verknüpfung herzustellen, und damit sich selbst als erste Vorsitzende des Verbandes zu legitimieren und zu stärken, denn in den Fußstapfen von Louise Otto-Peters zu stehen, bedeutete, die ruhmreiche Tradition der frühen Frauenbewegung und der liberalen Revolution von 1848/49 fortzuführen. Die ab den 1890er Jahren eingesetzten Flügelbildungen, Abspaltungen und Differenzierungen innerhalb der Frauenbewegung wurden mit dem Rückgriff auf die "Gründerin" und den Gründungsverein überspannt und die Einheit der Frauenbewegung betont – eine sinnvolle Vorgehensweise in einer Zeit, in der alle Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Kriegsgesellschaft zu schweigen hatten.
In der Weimarer Republik, in der sich die staatliche Grundlage der Frauenbewegung stark veränderte, da durch die Einführung des Frauenwahlrechts die Frauen zu Staatsbürgerinnen geworden waren, schien die Zeit für Erinnerungen an den Bewegungsbeginn und an die ersten Protagonistinnen nicht sehr günstig zu sein. Neben eine bedrohliche Finanzsituation traten organisatorische Veränderungen der Vereinsarbeit der Frauenbewegung insgesamt. Trotzdem entstanden in dieser Situation ab 1927 die "Quellenhefte zum Frauenleben in der Geschichte", herausgegeben von Emmy Beckmann und Irma Stoß.
Die Frage stellt sich aber an dieser Stelle, ob diese Erzähltradition in anderen Werken aus der Frauenbewegung der damaligen Zeit ebenfalls auftaucht, also wie erfolgreich Helene Lange als Chronistin und Interpretin der Geschichte der Frauenbewegung gewesen ist. Exemplarisch möchte ich hier auf das Buch von Agnes von Zahn-Harnack – der letzten Vorsitzenden des Bundes Deutscher Frauenvereine – eingehen, die 1928 in Berlin das Buch "Die Frauenbewegung. Geschichte, Probleme, Ziele" veröffentlichte.
Zusammenfassend kann hier festgestellt werden, dass die starke Verknüpfung zwischen der Gründung des ADF 1865 in Leipzig als Beginn der Frauenbewegung und der Person von Louise Otto-Peters sich ab 1915 durchzusetzen begann. Formuliert hatte diese Verknüpfung Helene Lange, die damit darauf verwies, in welcher Tradition sie sich selbst verstand. Die Funktion der Erinnerung an Louise Otto-Peters lag in der Idee einer Gründungsgeschichte, eines gemeinsamen Beginns der Frauenbewegung, die das Handeln in der Gegenwart legitimieren sollte.
In Nachkriegszeit und Zweiter Frauenbewegung
Wie und dass die sich wiedergründende Frauenbewegung an Louise Otto-Peters anknüpfte, wurde bereits für das Jahr 1948 beschrieben. Diese Erinnerungsspur wurde dann vor allem in den 1950er Jahren genutzt, um das scheinbar verloren gegangene Wissen um die Geschichte der Frauenbewegung zu erneuern und damit die Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft der Bewegung zu nutzen. Eine besonders wichtige Erinnerungsschrift erschien Anfang der 1950er Jahre und trug den Titel "Hundert Jahre Frauenbewegung in Deutschland", Verfasserin war die CDU-Politikerin und Leiterin des Frauenfunks des Hessischen Rundfunks, Gabriele Strecker; Herausgeberin das Büro für Frauenfragen in der Gesellschaft zur Gestaltung öffentlichen Lebens, später Büro für staatsbürgerliche Frauenarbeit genannt.
Ideengeschichtlich lässt Gabriele Strecker die Frauenbewegung mit den Vorstellungen der Französischen Revolution beginnen, um dann aber bereits auf Louise Otto-Peters zu sprechen zu kommen, "die sich in der politischen Luft der 48er Jahre zu einer ungewöhnlichen Persönlichkeit entwickelt hatte (…) [und] im Jahr 1865 in Leipzig den ‚Allgemeinen Deutschen Frauenverein‘ [gründete]. Damit beginnt die Geschichte der organisierten deutschen Frauenbewegung."
Was wie eine persönliche Entscheidung dieser Autorin anmutet, wird bei genauerer Betrachtung allerdings zu einer hochgradig politisch aufgeladenen Erzählung. Denn die Frauenbewegung der Nachkriegszeit wurde ebenso wie das Land in zwei Hälften gespalten, die jeweils einen Teil der Geschichte für sich beanspruchten. Ging die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in die spätere DDR, um hier das Frauen- und Emanzipationsbild zu legitimieren, übernahm die Bundesrepublik die gemäßigt bürgerlichen Vorbilder, um ebenfalls die eigene Vorgehensweise argumentativ abzustützen. Damit wurde billigend in Kauf genommen, dass Arbeitsweisen und Themen "vergessen" beziehungsweise nicht tradiert wurden, die sich auf dem "linken" beziehungsweise sich als "radikal" verstehenden Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung befunden hatten – auch die pazifistische Tradition in der Weimarer Republik wurde ignoriert. Die Wiedergründung der Frauenbewegung in der Bundesrepublik war damit bürgerlich-gemäßigt geprägt,
Die neue Welle der Frauenbewegung in Deutschland, die von jungen Frauen getragen wurde, die nichts mit den älteren Frauen in den Verbänden zu tun hatten, erlebte sich daher als "geschichtslos". So sprach zum Beispiel Silvia Bovenschen, ein aktives Mitglied der autonomen Frauenbewegung der 1970er Jahre, in einem Interview mit dem "Spiegel" im Februar 2011 vom Kampf der Geschlechter in der Vergangenheit und bekannte: "Wir wussten von alldem nichts, als wir 1968 an der Uni begannen, uns mit dem Phänomen zu beschäftigen, dass immer nur die Männer die großen Reden hielten und die Frauen die Flugblätter tippten."
Hier zeigt sich, dass Louise Otto-Peters zu einer der wenigen historischen Frauen gehörte, die aus der Geschichte des Frauenemanzipationskampfes des 19. Jahrhunderts durchgängig erinnert wurden. Wie ist dies zu deuten? Es steht zu vermuten, dass die Erinnerung an Louise Otto-Peters sich aus der Erinnerungskultur der Frauenbewegung langsam herausgelöst hatte, da sie durch die Geschichtswissenschaft auch als 1848er Revolutionärin und frühe Sozialreformerin entdeckt worden war. Sie und ihre Texte zur sozialen Lage der Frauen in der Mitte des 19. Jahrhunderts waren nicht nur in der Literatur der Frauenbewegung selbst rezipiert worden, sondern wurden auch recht früh in der einsetzenden wissenschaftlichen Forschung zu Vormärz und Revolutionszeit wahrgenommen.
Louise Otto-Peters gehört aber auch zu den ganz wenigen "gemäßigten" Protagonistinnen der bürgerlichen Frauenbewegung, die im Rahmen der neu entstehenden Frauengeschichte genannt wurden. Dies ist erstaunlich, denn die historische Frauenforschung verstand sich zu Beginn als Teil einer Identitätssuche, in deren "Mittelpunkt der dortigen Forschungspräsentationen zunächst jene ‚radikalen‘ Traditionen [standen], die mehr als vierzig Jahre verschollen waren, und zu deren Themen und Positionen sich eine – vermeintlich ungebrochene – Verbindung zur Gegenwart herstellen ließ".
Nicht vergessen werden sollte an dieser Stelle, dass Louise Otto-Peters auch in der Forschungstradition der DDR ihren Platz fand. 1966/67 entstand am Lehrstuhl Geschichte des damaligen Pädagogischen Instituts Leipzig eine Forschungsgruppe zur Erforschung der Geschichte der proletarischen Frauenbewegung. Die Akademie der Wissenschaften hatte diesen Arbeitsschwerpunkt vorgeschlagen, als deutlich geworden war, dass bei der Aufarbeitung der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung die Frauen fast gänzlich vernachlässigt worden waren. Hans-Jürgen Arendt, einer der Mitglieder dieser – übrigens zu Beginn lediglich aus Männern bestehenden – Forschungsgemeinschaft erinnerte sich 1991 folgendermaßen an die Situation: "Die SED besaß jedoch ein elementares Interesse, sich des ungehobenen Schatzes anzunehmen, seit die unter Walter Ulbrichts Leitung ausgearbeitete achtbändige ‚Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung‘ (1966) unter diesem Aspekt auf Kritik gestoßen war."
Und heute?
Die Erinnerung an Louise Otto-Peters ist bis heute ungebrochen. Auf vielen digitalen Seiten
Entscheidend für die Erinnerung an Louise Otto-Peters in der Zivilgesellschaft war die Gründung der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. im Januar 1993 in Leipzig. Ziel des Vereins ist es, "Leben und Werk der Dichterin, Schriftstellerin, Journalistin, 1848er-Demokratin und Frauenpolitikerin Louise Otto-Peters (1819–1895) in der Öffentlichkeit bekanntzumachen und zu würdigen".
Heute gehört Louise Otto-Peters zum Kanon der wichtigen (Vor-)Kämpferinnen der Frauenbewegung in Deutschland. Sie wird als Gründerin der organisierten Frauenbewegung ebenso erinnert wie als 1848er Revolutionärin. Damit wird eine Tradition fortgesetzt, die von ihren Zeitgenossinnen bereits angestoßen, ausgearbeitet und verbreitet wurde. Als eine der ganz wenigen hat die Erinnerung an sie die verschiedenen Brüche der deutschen Geschichte überstanden, hat sie sich in den verschiedenen Wellen der Frauenbewegung immer behaupten können. Über die Gründe dafür kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. Ich glaube, dass die Zwischenstellung von Otto-Peters zwischen früher Frauenbewegung und früher Arbeiterbewegung dazu geführt hat, dass sie in beiden Erinnerungskreisen rezipiert wurde. Und es kam ihr zugute, dass der bürgerlich-gemäßigte Flügel der Frauenbewegung, dem Helene Lange angehörte, sich schon recht früh einer eigenen Traditionsbildung annahm und Louise Otto-Peters darin einen prominenten Platz einnahm.